Trends im (Azubi-)Recruiting: Aktuelle Studienergebnisse beleuchten (auch) Corona- und Digitalisierungseffekte

Corona und Digitalisierung. Digitalisierung und Corona. Zwei Riesenthemen, die unseren Alltag seit einiger Zeit bestimmen und die natürlich auch nicht ohne Folgen für all das bleiben, was wir unter der großen Überschrift “Personalgewinnung” zusammenfassen.

Und natürlich sind Corona und Digitalisierung ja auch keine separaten Themen, die nichts miteinander zu tun haben. Vielmehr hat das eine (Corona) dem anderen (Digitalisierung) ja nochmal einen enormen Extraspin verliehen.

Ich habe letztes Jahr im Frühjahr ein paar Artikel darüber geschrieben, welche Folgen die Pandemie denn möglicherweise für die Arbeitsmärkte, die Personalgewinnung und die Art und Weise, wie wir arbeiten werden, haben könnte.

Das waren natürlich Blicke in die Glaskugel: z.B. die Frage, ob Corona ein großer unfreiwilliger Feldversuch für “New Work” wird. Oder die Behauptung, dass nun “die Stunde der Werte schlagen” würde. Oder ganz konkret die “vier Prognosen über die Personalgewinnung nach Corona“.

Wenn ich dann heute einen Blick in aktuelle Studien werfe, dann tue ich das immer auch wenig, um zu überprüfen, ob und inwieweit meine Prognosen eigentlich auch eingetreten sind.

So auch heute als ich die aktuelle “Azubi-Recruiting Trends 2021” in die Finger bekam. Durchgeführt vom u-form Verlag und unter der wissenschaftlichen Leitung von Christoph Beck wirft diese Studie jedes Jahr einen Blick auf die Befindlichkeiten von jungen Menschen (SchülerInnen, Azubis) einerseits und Unternehmen/AusbilderInnen andererseits – doppelperspektivisch nennt man das.

Und ja, ich fühle mich an der einen oder anderen Stelle durchaus bestätigt… ;-)

Einige Kernergebnisse der “Azubi-Recruiting Trends 2021”

Imageverschiebung von Ausbildungsbranchen

Fragt man SchülerInnen, ob sich seit dem Beginn der Pandemie etwas an ihren Imagewahrnehmungen von Ausbildungsberufen oder besser Ausbildungsbranchen verändert hat, dann zeigt sich, dass Branchen wie Gesundheit, Lebensmitteleinzelhandel, Logistik oder öffentlicher Dienst imagegestärkt aus der Krise hervorzugehen scheinen, während Banken oder die Automobilindustrie eher verlieren.

Wusste ich. Könnt Ihr oben nachlesen… ;-)

Bewerbungsform

Interessant finde ich auch, wie sich SchülerInnen am liebsten bewerben wollen: Per Formular oder per E-Mail. Manche sogar noch per Papierbewerbung. Über ein Video aber nicht.

Videointerviews

Und auch wenn wir alle – SchülerInnen und Azubis inklusive – im letzten Jahr alle seeeehr viel Zeit in Videokonferenzen zugebracht haben, bei der Frage, wie ein Vorstellungsgespräch am liebsten zu sein hat, präferieren nach wie vor beinahe 9 von 10 jungen Menschen das persönliche Gespräch vor Ort.

Heißt: Auch wenn manches (möglicherweise erzwungenermaßen) schnell digitalisiert wird, muss das nicht automatisch auch jeder gut finden…

Realistic Job Preview

Eines meiner Lieblingsthemen, wenn um die Azubi-Rekrutierung geht, ist das Thema der realistischen Tätigkeitsvorschau, der sog. “Realistic Job Previews”. Und hier liegt durchaus noch einiges im Argen. Fragt man Azubis, inwieweit die Realität, die sie im Ausbildungsbetrieb vorgefunden haben denn dem Bild entspricht, das sie vorher in der Orientierungs- und Bewerbungsphase gewonnen hatten, dann klafft hier durchaus eine gewisse Lücke. So stimmt nur ein Viertel der Azubis der Aussage voll zu, im Vorhinein eine klare und vor allem zutreffende Vorstellung der Arbeitsaufgaben gehabt zu haben.

Das Bild wird zwar besser, wenn man auch diejenigen mit dazu zählt, die hier zumindest “eher zustimmen”, aber insbesondere hinsichtlich der Arbeitsaufgaben lässt die Klarheit der Erwartungen doch sehr zu wünschen übrig. Zumindest sind die Unternehmen hier nicht so gut wie sie glauben zu sein…

Mobile Nutzung von Karriere-Websites

Auch spannend aus meiner Sicht ist die Frage nach der Nutzung von Karriere-Websites. Oder konkreter die Frage nach dem favorisierten Endgerätetypen zur Nutzung von Karriere-Websites. Hier zeigt sich, dass diese immer noch am häufigsten über Desktop-PCs oder Laptops aufgerufen werden, mit weitem Abstand vor Smartphones, die wiederum weit vor Tablets liegen.

Nein, das bedeutet nun natürlich nicht, dass man mit seiner 10 Jahre alten, nicht für mobile Endgeräte optimierten Karriere-Website doch noch punkten kann – Karriere-Websites müssen heutzutage auf jeden Fall mobiloptimiert sein! -, aber es bringt zum Ausdruck, dass junge Menschen die Berufsorientierung doch scheinbar für ein Thema halten, das man eher in Ruhe und nicht unterwegs oder nebenbei macht und bei dem man sich an einem Endgerät mit großer Darstellfläche offenbar wohler fühlt. Vielleicht ist am Smartphone doch immer noch eine gewisse Angst dabei, etwas wichtiges zu übersehen.

Schulnoten versus Tests

Eine sehr spannende Frage dreht sich um die Bedeutung von Schulnoten bei der Bewerberauswahl. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht, ich hatte im März mal ein paar wissenschaftliche Erkenntnisse zu Schulnoten und ihrer Vorhersagekraft für den Ausbildungserfolg zusammengetragen.

Befragt man Ausbildungsverantwortliche, welche Instrumente sie bei der (Vor-)auswahl von Azubis einsetzen, dann zeigt sich, dass Schulnoten nach wie vor eine sehr große Bedeutung zugemessen wird. Knapp die Hälfte hält diese für sehr wichtig, weitere 45% mindestens für teilweise wichtig. Und gut 2/3 der Ausbildungsverantwortlichen bezieht die Schulnoten auch immer in die Auswahlentscheidung ein.

Bemerkenswert – und erfreulich – finde ich allerdings, dass mit gut 63% auch mittlerweile fast genauso viele auf Einstellungstests zurückgreifen. Es scheint zwar (noch) nicht so zu sein, dass Einstellungstests statt Schulnoten zählen, aber zumindest so als wenn Einstellungstests zusätzlich zu einem Blick auf die Schulnoten eingesetzt würden. Das wäre eine sehr erfreuliche Entwicklung, weil so den bekannten Nachteilen von Schulnoten zumindest ein sehr gutes Regulativ an die Seite gestellt wird.

Befragt man die Azubi-Seite, so ist die Lage eh eindeutig. Entgegen der manchmal vermuteten Skepsis gegenüber Tests ist es vielmehr so, dass SchülerInnen / Azubis diese deutlich gegenüber Schulnoten vorziehen, wenn es darum geht, wonach ausgewählt wird. SchülerInnen und Azubis sind die offenkundigen Fairness-Vorteile von Tests scheinbar schon deutlich klarer als Personalern…

Alles in allem finde ich die Befunde der Azubi-Recruiting Trends 2021 sehr spannend und in Summe auch durchaus erfreulich. Insb. die offenbar inzwischen sehr hohe Bedeutung von Tests empfinde ich als Genugtuung, weil wir dies ja selber seit nunmehr deutlich über 20 Jahren mit missionarischem Eifer predigen.

Konkret hierzu will ich aber auch einen anderen Forschungsbefund nicht verschweigen, der hier doch zu deutlich abweichenden Erkenntnissen gelangt.

Der sog. Aivy Digital Assessment Monitor (kurz: ADAM), eine Befragung von rd. 800 Personalverantwortlichen aus 41 Branchen, berichtet nur von einem Anteil von 13% der Unternehmen, die Online-Assessments in ihren Auswahlprozessen einsetzen.

Diese Zahl hat mich sehr überrascht. Erstens deckt sie sich nicht mit meinem subjektiven Eindruck und den Signalen aus dem Markt, aber dieser Eindruck kann ja eben auch objektiv falsch sein. Zweitens aber kommen auch viele andere empirische Untersuchungen zu deutlich höheren Zahlen (siehe oben Azubi-Recruiting Trends, aber auch das Deutsche Assessment Barometer berichtete bereits 2016 von einem Verbreitungsgrad von Online-Assessments von 36%).

Eine Erklärung könnte darin liegen, dass nur rund 15% der für die ADAM-Zahlen befragten Personaler aus Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern kamen. Denn auch wenn Online-Assessments mittlerweile durchaus von kleineren Unternehmen nachgefragt und z.T. eingesetzt werden, so ist deren Bedeutung bei großen Unternehmen natürlich bislang noch erheblich größer. Digitalisierung macht sich auf größerer Skala natürlich schneller bezahlt und große Unternehmen haben mit diesen Dingen – auch dem Einsatz von algorithmenbasierten Auswahlentscheidungen – sicherlich erheblich früher begonnen als kleine.

Was die ADAM Zahlen allerdings auch zeigten – und das wiederum deckt sich mit meinen Eindrücken und anderen mir bekannten Analysen -, ist die nach wie vor große praktische Relevanz von Auswahlkriterien, die nur einen überschaubaren Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Vorhersage des beruflichen Erfolgs liefern.

Ganz vorn steht hiernach z.B. das Motivationsschreiben. Viele schwören drauf, viele halten es für einen längst überholten Anachronismus. Und die Diagnostik weiß dazu gar nichts. Es gibt quasi keine wissenschaftliche Untersuchung dazu, welche prognostische Validität das Motivationsschreiben eigentlich hat.

Danach kommen auch hier die Noten (hatten wir oben schon).

Und relativ weit unten rangiert dann mit Intelligenztests das Instrument, das für sich genommen die mit Abstand beste Prognostik aufweist. Der berühmte Science Practitioner Gap wieder einmal bestätigt…

Man sieht: Es bewegt sich etwas bei der Digitalisierung und Corona hat da wahrscheinlich seinen Anteil dran. Aber es ist eben auch nicht so als hätte uns die Pandemie von jetzt auf gleich durchdigitalisiert. Gut Ding braucht immer noch Weil…

2 Gedanken zu „Trends im (Azubi-)Recruiting: Aktuelle Studienergebnisse beleuchten (auch) Corona- und Digitalisierungseffekte

  1. Spannende Übersicht und vielen Dank für die Erwähnung des ADAM 2020, Jo!

    Als Anmerkung zu den 15 % Durchdringung von Online Assessments im deutschen Markt:

    Diese bezieht sich wie du richtig vermutest auf die representative Gesamtstichprobe.

    Wenn wir nur große Unternehmen in der Stichprobe anschauen, sehen wir ebenfalls eine Durchdringung von 34 %.

  2. Spannende Daten. DANKE!

    Schön zu sehen, dass selbst junge Menschen einfach gerne eine Gespräch führen ohne den ganzen pseudo Recruiting-Tech Hype.

    Viel wichtiger scheint mir noch Wertschätzung durch Politik, Presse und Gesellschaft. Am Ende kann nicht jeder zum Influencer werden oder BWL studieren.

    Ausbildung stärken! #respect

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