Nun, „die“ Zukunft kann natürlich niemand mit Sicherheit voraussagen, aber es gibt im Recruiting sicherlich ein paar „lange Linien“, die sich abzeichnen und die Personaler und Personalerinnen in ihre Überlegungen einbeziehen sollten. Und wichtig: Wenn ich hier von „Recruiting“ spreche, dann meine ich die Personalgewinnung als Ganzes, also auch Berufsorientierung, Employer Branding und Personalmarketing mit, da diese immer zusammen mit der eigentlichen Auswahl durch die Unternehmen – also dem Recruiting im engeren Sinne – gedacht werden müssen.
Wohin geht es also mit dem Recruiting?
Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass das Internet sich immer weiter „Scheibchen für Scheibchen“ weitere Elemente der Recruiting-Wertschöpfungskette einverleibt: Printstellenanzeigen wurden durch Online-Jobboards verdrängt, Papiertests durch Online-Assessments, Interviews sind heute – auch durch Corona beschleunigt – vielfach Online-Interviews usw.
Diese Digitalisierung des Recruitings wird sich fortsetzen und es ist durchaus wahrscheinlich, dass auch beobachtungsbasierte Auswahlverfahren – also z.B. Assessment Center – ins Internet umziehen werden: Stichwort „Metaversum„…
Punkt 2: Eine immer stärkere Machtverschiebung in Richtung der Bewerberseite.
Wir reden nicht mehr nur noch von IT-Fachkräftemangel, sondern der Mangel hat sich zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel ausgewachsen, quer über alle möglichen Branchen und Berufsbilder. Und wer rar ist, ist begehrter und kann mehr fordern…
Zu was führt das?
Erstens: Die Personalgewinnung beginnt beim Arbeitnehmer.
Während früher der Ausgangspunkt der Personalgewinnung das Unternehmen war, das eine Stelle zu besetzen hatte, steht zukünftig am Anfang die Frage des individuellen Arbeitnehmers „Was will ich tun?“. Und diese Frage müssen Unternehmen, die Mitarbeiter suchen und gewinnen wollen, möglichst klar und präzise beantworten. Es geht also los mit der Selbstselektion.
Zweitens: Die Personalgewinnung wird viel personalisierter.
Das heißt zum einen, dass individueller kommuniziert wird („jedem seine eigene Karriere-Website“) – man könnte dies „Spotification“ nennen. Das heißt zum anderen aber auch, dass der Zuschnitt der Arbeitsangebote an sich (also Arbeitszeiten, -orte, -inhalte usw.) viel stärker an den Wünschen und Fähigkeiten der jeweiligen Person ausgerichtet wird.
Kommen wir zu Punkt 3: Weniger qualifikatorische Passung, mehr Potenzialbetrachtung und Cultural Fit.
Weil sich Berufsbilder und deren Anforderungen immer schneller verändern, nimmt die Bedeutung vergangenheitsorientierter Bewerbermerkmale – also fachlicher Skills – immer stärker ab. Es geht immer weniger darum, was jemand schon kann, sondern in zunehmendem Maß darum, was jemand „können kann“. In der Personalauswahl wird folglich viel stärker auf das Potenzial geschaut.
Und es wird immer stärker darauf ankommen, dass Unternehmen und Mitarbeiter auf der Werteebene zueinanderpassen – Stichwort Cultural Fit. Dieser steigert nicht nur die Produktivität, sondern er wird auch zunehmend von der Arbeitnehmerseite eingefordert und – wir erinnern uns an die Machtverschiebung – „durchgesetzt“. Wenn es also nicht passt oder der Arbeitgeber sich keine Mühe gibt, es passend zu machen, dann geht man und wechselt zum nächsten Unternehmen…
Schließlich – Punkt 4 – wird die Bedeutung des Matchings deutlich steigen.
All die oben genannten Punkte der Selbstselektion, der Personalisierung, der Bedeutung von Potenzial und Passung usw. machen es noch viel wichtiger als bisher, dass die dafür erforderlichen Informationen und Datenpunkte vorliegen, richtig interpretiert werden und zu richtigen Vorschlägen und Entscheidungen führen.
Auch wenn hier ganz sicher nicht alles Gold ist was glänzt und auch wenn die technologischen Entwicklungen dringend sehr kritisch unter methodischen, ethischen und juristischen Gesichtspunkten begleitet werden müssen, wird die Personalgewinnung zukünftig noch viel stärker als heute von Algorithmischen Entscheidungssystemen (im Volksmund oft „KI“ genannt…) geprägt sein.
Und wenn dies gut gelingt, dann könnte dadurch sogar wieder Zeit freiwerden, die man in den direkten „Mensch-zu-Mensch“-Kontakt zwischen Bewerbenden und Rekrutierenden stecken könnte: Mehr Menschlichkeit durch mehr Tech, das wäre was…
Mehr Menschlichkeit durch mehr Mensch! Das wäre was…
Jo Diercks schreibt zutreffend: „Es geht immer weniger darum, was jemand schon kann, sondern in zunehmendem Maß darum, was jemand “können kann”. In der Personalauswahl wird folglich viel stärker auf das Potenzial geschaut“. Das läuft auf eine möglichst fundierte Prognose hinaus, was natürlich bedeutet, dass wir Beurteilungsinstrumente für möglichst sicheres
Prognostizieren einsetzen müssen. Und genau hier hat sich immer schon die Spreu vom Weizen der Personalberater getrennt. Ich war selbst 25 Jahre im Executive Search tätig und weiss, wie schwierig sicheres Prognostizieren ist. Vielleicht wird uns Jo in Zukunft ein wenig über solche Prognoseinstrumente sagen.