Auf in die 20er! Die überragende Bedeutung von (Berufs-)Orientierung und Passung. Oder auch: “Spotification” der Personalgewinnung…

Das neue Jahr ist nun schon ein paar Tage alt, aber ich finde man kann trotzdem noch ein frohes neues Jahr wünschen!

Dieses Jahr kommt ja noch die Besonderheit hinzu, dass nicht nur ein neues Jahr, sondern gleich ein neues Jahrzehnt angefangen hat. Folglich quillt das Netz auch über vor lauter Prognosen darüber, was das Jahr(zehnt) denn nun an neuen Entwicklungen und Trends so bringen wird. Recruiting und Personalmarketing sind hier natürlich keine Ausnahme und folglich finden sich auch etliche Ausblicke, die sich alle irgendwie um Fachkräftemangel, Digitalisierung, Demografie und selbstverständlich auch um Algorithmen, Matching und KI drehen…

Das ist alles richtig und das sind ja auch alles Themen, mit denen wir uns hier im Blog in schöner Regelmäßigkeit befassen. Aber keine Angst, dem Bonmot entsprechend “es wurde alles schon gesagt, nur noch nicht von jedem” möchte ich dem keine weitere Auflistung hinzufügen.

Berufsorientierung – jetzt auch offizielle Strategie der BA

Ich komme viel mehr mit einem Thema, das wir schon vor ein paar Jahren auf die Bühne gehoben hatten, das aber offenkundig aktueller denn je ist. Vielleicht kann sich der eine oder andere noch daran erinnern: Vor genau sechs Jahren rief ich das Jahr 2014 zum Jahr der Berufsorientierung aus. Daran knüpfte sich eine Blogparade, an der nachfolgend etliche andere Autoren und Blogger teilnahmen, was dem Aufschlag insgesamt doch eine gewisse Sichtbarkeit verschaffte.

Mit etwas Schmunzeln, aber auch einer doch nicht unerheblichen Genugtuung nahm ich nun vor ein paar Tagen zur Kenntnis, dass Berufsorientierung jetzt – sechs Jahre später – Bestandteil der offiziellen Strategie der Bundesagentur zur Fachkräftesicherung wurde.

Besser spät als nie könnte man meinen, würde dabei aber verkennen, dass sich auch in den letzten Jahren im Bereich der Orientierung insgesamt schon sehr viel getan hat.

Stapelweise Orientierungshilfen

Just während ich hier sitze habe ich z.B. gerade die Freistellungserklärung für meine Tochter für den Girls´Day im März auf dem Schreibtisch. Berufsorientierung hat in vielen Bereichen Einzug in die Schulen gehalten, bis hin dazu, dass daraus ein richtiges Schulfach wurde.

Ein sehr schönes aktuelles Beispiel kommt vom HIBB – dem Hamburger Institut für Berufliche Bildung. Das Portal “Der nächste Schritt” bietet jungen Menschen eine Menge an Informationen über verschiedene Berufswege und führt den Nutzer buchstäblich Schritt für Schritt durch diesen Prozess.

Im Rahmen dieses Projekts ist auch eine sehr schöne Broschüre entstanden, die sich an die für viele Orientierungsfragen sehr wichtige Sekundärzielgruppe Eltern richtet. Zu dieser habe ich die Freude gehabt, ein paar Inhalte beisteuern zu dürfen.

Aber natürlich dreht es sich nicht nur um Informationsangebote. Auch all die vielen – massiv genutzten – Orientierungs-, Matching- und Selbsttesttools zur beruflichen Orientierung, angeboten von Karriereplattformen, Beratungseinrichtungen und natürlich auch Unternehmen, leisten einen wichtigen Beitrag.

Ich sage mal ganz eitel: Daran haben wir auch einen gewissen Anteil…

So erreicht etwa der von uns entwickelte Berufswahltest auf der Plattform Einstieg.com im Jahr beinahe 300.000 junge Menschen und hilft bei der Suche nach einem passendem Ausbildungsberuf – bei gut 500.000 pro Jahr begonnenen Ausbildungsverhältnissen ist das schon ein substantieller Anteil…

Oder der spezielle Studieninteressentest SIT, den wir für die Hochschul-Rektoren-Konferenz und ZEIT ONLINE gebaut haben und betreiben: Dieser wird pro Jahr von ca. 170.000 Studieninteressierten genutzt auf der Suche nach dem richtigen der ca. 11.000 in Deutschland angebotenen grundständigen Studiengänge.

Der berufsbezogene Persönlichkeitstest, der auf der Plattform BOA von ZEIT ONLINE Hochschulabsolventen dabei hilft, zu ihrer Persönlichkeit passende Berufe und Stellen zu finden, hat um den Jahreswechsel herum die magische Grenze von 100.000 Nutzungen überstiegen, was bedeutet, dass rund 50.000 Menschen diesen pro Jahr nutzen – etwa jeder zehnte Absolvent dieses Jahrgangs.

Ich könnte diese Liste noch um einige weitere Beispiele ergänzen, insb. um die zahlreichen Orientierungsinstrumente, die von Unternehmen angeboten werden, um Menschen zu helfen, den bestpassenden Weg einzuschlagen. Das lasse ich hier mal weg – wer mag, der kann/sollte diesem Link folgen und sich kann sich einen schönen Überblick über etliche Beispiele der jüngeren Vergangenheit verschaffen.

Und? Betrifft das nur die “jungen Generationen”? Die Y, Z und alpha…?

Ich habe in den letzten Tagen einiges an Presseanfragen beantwortet, die sich alle in irgendeiner Form mit der Frage beschäftigten, ob es eigentlich so etwas wie Unterschiede zwischen den Generationen gibt, wenn es um Trends in der Personalgewinnung geht. Bzw. ob es überhaupt so etwas wie klar abgrenzbare Generationen gibt.

Da ich weiß, dass nachher immer nur ein sehr kleiner Teil der Statements den Weg in die Veröffentlichungen findet, habe ich daher meine Gedanken hierzu nachfolgend einmal aufgeschrieben. Denn: Die große Bedeutung der Berufsorientierung ist untrennbar verbunden mit dem einen Thema, das für mich der alles überragende Trend in der Personalgewinnung des kommenden Jahrzehnts sein wird:

PASSUNG!

Eines vorweg: Ich bin immer etwas zurückhaltend, von DEN Generationen zu sprechen – Generationen, deren Menschen innerhalb alle gleich sind, die sich aber trennscharf von anderen Generationen unterscheiden, die gibt es nicht. Wahrscheinlich entscheidender als das Alter sind die jeweiligen Lebensumstände (z.B. Stadt oder Land) oder auch – speziell im Berufsleben – immer noch das Geschlecht.

Es gibt aber sehr wohl ein paar lange Linien, anhand derer man Veränderungen in der Personalgewinnung erkennen kann. Und diese Veränderungen haben – neben anderen Meta-Effekten wie Fachkräftemangel oder Digitalisierung – sicherlich auch damit zu tun, dass sich Einstellungen und Werte in der Gesellschaft im Allgemeinen und der Erwerbsbevölkerung im Speziellen ändern. Und davon lässt sich sicher auch einiges auf nachrückende jüngere Generationen zurückführen. Aber wie gesagt: Vorsicht mit Verallgemeinerungen…

Passung, Passung, Passung!

Ich beobachte insg. eine enorm gestiegene Bedeutung von „Passung“. Menschen suchen viel stärker als früher nach Betätigungen, in denen sie auch Sinn sehen, und zwar über den Sinn des Lebensunterhalts hinaus. Mit Passung ist aber auch gemeint, dass Arbeiten gut mit den übrigen Lebensumständen vereinbar sein soll und vor allem dass auch eine gewisse Werteübereinstimmung vorliegt – Stichwort „Cultural Fit“.

Daraus leitet sich entsprechend ein viel stärkerer Wunsch nach „Hilfestellung zur Beurteilung von Passung“ ab. Menschen wollen vorher wissen, ob ein Arbeitgeber und ein Job passen oder nicht. Trotz aller omnipräsenter Information beobachten wir eine dramatische Nachfragezunahme nach Orientierungshilfen. Das sind wie oben beschrieben z.B. Matching-Tools oder Orientierungstests, damit meine ich aber auch ganz simpel klare und transparente Information.

Eine „gute“ Employer Brand ist kein Bullshit-Bingo, sondern grenzt ganz klar ab, wofür das Unternehmen steht. Und wofür NICHT! Eine gute Employer Brand ist nicht Everybody´s Darling, sondern macht unterscheidbar. Warum? Damit diejenigen, die passen auch wissen das sie passen (und sich bewerben) und diejenigen, die nicht passen, es lassen.

All dies wird ganz sicher zu einer viel stärkeren Individualisierung in der Personalgewinnung – von der Kommunikation bis zum Zuschnitt der jeweiligen Stellen – führen. So individuell mit der Stream meiner Musik bei Spotify….

Nennen wir es mal die „Spotification“ der Personalgewinnung!

Allerdings beobachte ich auch – und das mag mit der durch Fachkräftemangel bewirkten Machtverschiebung hin zum Arbeitnehmer zu tun haben – eine gewisse Anspruchshaltung auf Bewerberseite. Das ist der Ruf nach solchen eben genannten Orientierungshilfen, der manchmal dann auch über etwas das Ziel hinausschießt. Nämlich dann, wenn es zu der Attitüde führt, dass es ja nicht das eigene Problem ist, einen für sich und sein Leben passenden Job zu finden, sondern sich doch bitte jemand darum kümmern mag.

Sinngemäß: „Da gibt es doch sicher eine App für, die mir den passenden Job beim passenden Unternehmen liefert“ oder „liebes Unternehmen, dann sag mir doch mal, warum ich für dich arbeiten sollte“. Das ist bis zu einem gewissen Maß nachvollziehbar und auch legitim, aber es darf nicht soweit gehen, dass die Menschen die Verantwortung für sich und ihr Leben delegieren…

Insgesamt bedeutet das, dass die Personalgewinnung (und damit meine ich Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting und Onboarding und Retention!) noch sehr viel stärker an dem Leitbild ausgerichtet werden wird, Passung herzustellen – Beratung, Orientierung, Diagnose usw., das „Topf-Deckel-Prinzip“ eben. Wenn es – wie es zu erwarten ist – noch enger auf dem Arbeitsmarkt wird, dann ist dies der entscheidende Hebel, um die Friktionen zu reduzieren und das Zueinanderfinden zu verbessern.

Und nein, all das sind keine Phänomene, die sich nur auf die jungen Generationen, die Y´ler-, Z´ler- und Alphas, beziehen. Passung – und die Passung fördernde Orientierung – sind Dinge, die alle betreffen! In diesem Sinne: Auf in die passenden 20er!

2 Gedanken zu „Auf in die 20er! Die überragende Bedeutung von (Berufs-)Orientierung und Passung. Oder auch: “Spotification” der Personalgewinnung…

  1. Hallo Jo,

    das die Berufsorientierung “jetzt – sechs Jahre später – Bestandteil der offiziellen Strategie der Bundesagentur zur Fachkräftesicherung wurde” würde ich so nicht unterschrieben. Schließlich ist die Berufsorientierung schon seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, ein zentrales Aufgabengebiet der BA und als gesetzlicher Auftrag verankert (siehe SGB III). Dies spiegelt sich auch in den Kooperationen der BA und den Bundesländern auf Landesebene wieder.

    Beste Grüße

  2. Hallo Sascha, na klar. Die Formulierung war bewusst ein wenig überspitzt. Allerdings ist der Stellenwert des Themas, das die BA natürlich schon immer betrieb, nun offenkundig noch einmal deutlich gestiegen und als eine DER Stellschrauben benannt worden, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Das ist mE. eine neue Qualität. Also: Berufsorientierung betrieben hat die BA schon immer. Es als eines der entscheidenden Instrumente im Arbeitsmarkt zu definieren, das ist neu.

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