Was ist bei “Remote Interviews” zu beachten? Fünf wichtige Fragen, fünf Antworten.

Das alte Jahr hatte ich quasi mit einem Beitrag im Rahmen der Blogparade von Tim Verhoeven beendet, in dem ich ein paar Learnings zusammengetragen hatte, wie Corona sich auf die Recruitingprozesse der Unternehmen ausgewirkt hat.

Ein kaum überraschender Punkt dabei: Die Bedeutung von Video-Interviews hat stark zugenommen.

Dieses Thema möchte ich nun noch einmal aufgreifen und ein paar wichtige Fragen zu beantworten, wie solche Remote Interviews aussehen sollten, worauf dabei zu achten ist und welche Fehler man versuchen sollte zu vermeiden.

Was sind die drei wichtigsten Tipps, um ein Remote Interview durchzuführen?

Das wichtigste zuerst: Das Interview muss im Sinne der eignungsdiagnostischen Güte „gut“ sein. Das gilt für remote Online-Interviews genauso wie für Face-to-Face Interviews.

D.h. in erster Linie, dass das Interview einen möglichst stabilen Kern an standardisierten Fragen und Interviewinhalten beinhalten sollte, die sich auf beurteilungsrelevante Inhalte beziehen und für die ein klares Raster für die Bewertungen der Antworten vorliegt.

Das bedeutet auch, nicht allzu viel in Aspekte hineinzuinterpretieren, die nicht beurteilungsrelevant sind oder für die der Interviewte gar nichts kann, z.B. ggf. schlecht ausgeleuchtete Bilder oder Tonaussetzer während der Übertragung.

Dann sollte für die Durchführung eine stabile, funktionale und möglichst auch einfach bedienbare Technik eingesetzt werden. Stress beim Kandidaten dadurch zu erzeugen, dass er nicht weiß, wie das Interview-Tool zu bedienen ist, wäre sehr problematisch, weil es einen großen Bias in die Beurteilung bringen kann. Und nur weil der Interviewer vielleicht 10 Gespräche am Tag über Webex durchführt, heißt das noch lange nicht, dass der Kandidaten sich damit genauso gut auskennt.

Schließlich: Transparenz! Wie für alle anderen Aspekte der Auswahl gilt auch für das Video-Interview, dass man dem Kandidaten möglichst klar den Prozess kommuniziert: Uhrzeit, Einwahldaten, Gesprächsinhalte, Beteiligte, weiteres Vorgehen usw. Auch das gilt im Prinzip für Offline-Interviews genauso, aber für viele Bewerber ist online eben noch nicht so gelernt.

Bei einem Video-Interview fehlen häufig nonverbale Eindrücke (wie Handshake, Sitzhaltung, Etikette), die vermeintlich Aufschluss über den Charakter eines Kandidaten geben. Wie kann das virtuell trotzdem geschafft werden?

Ich wäre eh sehr vorsichtig, diese „Eindrücke“ all zu hoch zu hängen. „Ich kann das am Händedruck erkennen, ob der passt“ oder „der hat mich gar nicht direkt angeschaut bei der Antwort, der ist zu unsicher“ sind eher küchenpsychologische Methoden der Charakter- oder Persönlichkeitsanalyse.

Der eine bewertet den laschen Händedruck als Zeichen für „Schwäche“, der andere empfindet festen Händedruck als „anmaßend“. Und beides wäre nichts anderes als subjektiver Nasenfaktor, der in einem guten Interview so wenig Relevanz haben sollte wie möglich.

Dass es hiervon remote vielleicht sogar weniger gibt, ist eigentlich sogar eine ganz gute Botschaft, weil sich so der Fokus stärker auf das Gesagte legt.

In diesem Zusammenhang empfehle ich auf jeden Fall mal einen Blick in die neue DIN SPEC PAS 91426 zu werfen, die Qualitätsanforderungen für video-gestützte Methoden der Personalauswahl formuliert. Nicht rechtlich bindend, aber ein hilfreicher roter Faden.

Fauxpas: Was sollten Kandidaten nie während eines Video-Interviews tun?

Das wichtigste dürfte sein, dass Kandidaten ein Video-Interview ganz genauso wichtig nehmen wie ein „herkömmliches“ von Angesicht zu Angesicht. Der größte Fehler wäre aus meiner Sicht, das Online-Interview nur so nebenbei zu machen, weil es ja „nur“ am Bildschirm stattfindet. Das bedeutet bspw. dass natürlich auch hier möglichst nicht nebenbei aufs Handy oder in die E-Mails geguckt wird oder nebenbei noch andere Gespräche stattfinden. Also im Prinzip all die Dinge, auf die man auch bei einem Face-To-Face-Interview nicht im Traum kommen würde, wenn man es ernst meint.

Was ist seit COVID-19 bzgl. einer guten Candidate Experience anders?

Corona hat vieles enorm durchgeschüttelt, auch die Recruitingprozesse vieler Unternehmen.

Vieles ist von Jetzt auf Gleich ins Internet verlagert worden. Dadurch geht natürlich auch einiges an persönlichen Eindrücken für Kandidaten verloren: Wie sieht es beim Unternehmen aus? Wie ist die Empfangs- und Meetingkultur? usw.

Es ist aber wichtig, dass auch der Bewerber- und Kandidatenseite die Möglichkeit gegeben wird, sich ein Bild vom Unternehmen zu machen. Das heißt, dass all diese Themen auf anderen Wegen, an anderer Stelle transparent gemacht werden müssen: Über die Begleitkommunikation rund um die Bewerbung, über Social Media, über die Karriere-Website und natürlich auch indem diesen Punkten Raum innerhalb der Video-Interviews eingeräumt wird.

Schließlich: Wie steht es um den Datenschutz?

Ja, sehr wichtiger Punkt. Vielleicht kann sich der eine oder andere noch daran erinnern, dass es vor einiger Zeit hieß, Videointerviews seien nicht mit der DSGVO vereinbar.

Die Landesdatenschutzbeauftragten der Länder Berlin und NRW hatten nämlich genau das im Frühjahr 2017 behauptet. Die Begründung (ganz stark abgekürzt): Video-Interviews sind deswegen nicht zulässig, weil es andere Auswahlinstrumente gibt, die das gleiche Ergebnis bringen, dabei aber datensparsamer sind und weniger stark in den persönlichen Bereich des Kandidaten eingreifen. Statt also Bewerber zu einem Video-Interview über das Internet einzuladen, müsse man diese zu einem Präsenz-Interview einladen.

Wirkt natürlich aus heutiger Sicht und vor dem Hintergrund behördlich verordneter und natürlich absolut sinnvoller Kontaktbeschränkungen arg abwegig.

Und: Es ist auch juristisch so gar nicht richtig.

Allerdings hat die juristische Begründung, dass Videointerviews sehr wohl zulässig sein können, nichts mit der Ausnahmesituation “Corona-Pandemie” zu tun. Oder anders: Nur weil es momentan eben nicht anders geht, darf man auch Videointerviews durchführen. Nein, die juristische Begründung hat etwas mit Eignungsdiagnostik zu tun: WEIL Videointerviews eben NICHT das gleiche sind wie Face-to-Face-Gespräche, dürfen sie auch datenschutzrechtlich nicht 1:1 miteinander verglichen werden.

Wer das vertieft nachlesen möchte, der findet hier oder hier kurze Zusammenfassungen und hier (falls die Rechtsabteilung oder der Datenschutzbeauftragte es genau wissen wollen) den auf dem juristischen Gutachten aufbauenden Fachaufsatz aus der DuD.

Bei den KollegInnen von Capterra erschien übrigens parallel der Beitrag “Experten-Tipps für ein erfolgreiches Online Vorstellungsgespräch und Onboarding“, zu dem ich neben anderen bekannten HR-BloggerInnen wie Eva Stock, Stefan Scheller, Marcel Rütten und Marcus Reif ein paar Gedanken beisteuern durfte und in dessen Zusammenhang die obigen Zeilen entstanden. Wer also noch mehr Tipps zu Remote Interviews und Onboarding in Zeiten der Kontaktbeschränkung haben möchte, der sollte dort auf jeden Fall einmal vorbeischauen!

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