Recrutainment in Personalmarketing und Recruiting – Was das ist. Und was nicht (z.B. Spiele als Auswahltest)…

Man könnte meinen, Recrutainment – dieser aus Recruiting und Entertainment zusammengesetzte Kunstbegriff – sei ein Modethema der letzten Jahre, begegnen einem doch regelmäßig Schlagzeilen wie „Zocken für den Wunschberuf“ (Wirtschaftswoche, 2012), „Computerspiel statt Vorstellungsgespräch“ (FAZ, 2019) oder „Spielend zum Erfolg“ (Personalwirtschaft, 2018).

Zu glauben, Recrutainment sei ein aktuelles Modethema, wäre jedoch falsch, denn ganz so neu ist das Thema nicht. Bereits Anfang des Jahrtausends erschienen zahlreiche Beiträge in überregionalen Medien wie beispielsweise WELT („That’s Recrutainment“), Süddeutsche Zeitung („Das Erfolg-Reich-Spiel“), Frankfurter Rundschau („Reise nach Nouvopolis oder Einzug in die virtuelle Wohngemeinschaft“) oder WELT am Sonntag („Das virtuelle Assessment Center“), die damals neu erschienene Online-Events wie die „Karrierejagd durchs Netz“ oder Siemens´ „Challenge Unlimited“ zum Inhalt hatten; Formate, die erstmals konsequent Personalmarketingbotschaften und eignungsdiagnostische Testverfahren in eine Spielgeschichte einbetteten.

Wie hängen die Begriffe Recrutainment und Gamification zusammen?

Wie beim Thema Gamification werden auch beim Recrutainment spielerische Elemente oder Methoden auf einen Bereich angewendet, der selber kein Spiel ist – die Personalgewinnung.

Insofern kann man argumentieren, dass Recrutainment ein sehr spezieller Teilbereich, wenn man so will eine besondere „Spielart“ der Gamification ist. Gleichzeitig umfasst Recrutainment jedoch auch Facetten, die sich nicht mehr wirklich mit den Merkmalen der Gamification vereinbaren lassen. Dies gilt insb. für diejenigen Teilbereiche des Recrutainment, bei denen es explizit um „Fremdauswahlinstrumente“ wie etwa Online-Assessment Verfahren und Auswahltests geht.

Recrutainment gestaltet sich daher nur partiell als eine Teilmenge von Gamification, bewegt sich zuweilen auch außerhalb davon wie folgende Abbildung zeigt:

Online- und Offline-Recrutainment. Und die Mischform: Blended Recrutainment

Innerhalb des Recrutainment können prinzipiell die beiden großen Bereiche „Online-“ und „Offline-Recrutainment“ unterschieden werden. Offline-Recrutainment-Events setzen dabei eine physische Zusammenkunft von Menschen voraus, während Online-Recrutainment auf Mensch-Maschine-Interaktionen beruht.

Prominente Beispiele für Offline-Recrutainment-Formate sind sog. “Escape Games”, bei denen sich Spieler durch das Lösen von Rätseln aus verschlossenen Räumen befreien müssen (dazu in den nächsten Tagen ein spannendes Beispiel…) oder „Hackathons“, die Unternehmen unter anderem deshalb veranstalten, um in Kontakt zu für sie aus Arbeitgebersicht interessanten IT-Entwicklern zu kommen. Das Ziel eines Hackathons, nämlich innerhalb der Dauer dieser Veranstaltung gemeinsam nützliche, kreative oder unterhaltsame Softwareprodukte herzustellen oder, allgemeiner, Lösungen für gegebene Probleme zu finden, wird hierbei erweitert um die Absicht, passendes Personal für sich zu begeistern bzw. zu identifizieren.

Selbstverständlich existieren inzwischen Recrutainment-Beispiele, die sowohl Online- als auch Offline-Merkmale bieten, entweder weil sie mehrstufig aufgebaut sind und beide Sphären dabei sequentiell zu verschiedenen Zeitpunkten berührt werden (siehe etwa die mehrstufigen Audit- und Tax-Challenges von EY) oder weil sie auf mobile Internetkomponenten setzen und somit oftmals gleichzeitig sowohl Mensch-Mensch- als auch Mensch-Maschine-Interaktionen umfassen. Bekannte Beispiele für solche hybriden Formen („Blended Recrutainment“) sind etwa Code-Cachings, bei denen Teilnehmer wie bei einer Schnitzeljagd Rätsel lösen und dabei sowohl Hinweise aus der realen Welt wie auch dem Smartphone berücksichtigen.

Was fällt in den Bereich “Online-Recrutainment”? Self-Assessments und Online-Auswahltests (“Online-Assessment”)

Innerhalb des Teilbereichs „Online-Recrutainment“ sind dann im Wesentlichen zwei Themen zu unterscheiden, die einem häufig im Kontext Employer Branding und Recruiting begegnen:

Zum einen ist hier der Bereich Self-Assessment, zum anderen der Bereich Online-Assessment zu nennen.

Beide Bereiche dienen letztlich dem übergeordneten Zweck, dass möglichst passende Kandidaten auf der einen Seite und möglichst passende Unternehmen und Stellen auf der anderen Seite zueinanderfinden.

Jedoch unterscheiden sich Self-Assessments und Online-Assessments in ihrer grundlegenden Zielsetzung:

Unter SelfAssessments versteht man entweder Übungen, die unterschiedliche Personenmerkmale nach eignungsdiagnostischen Kriterien überprüfen („Selbsttests”) oder Aufgaben, die berufs- oder studientypische Aspekte „erlebbar“ machen (Berufsorientierungsspiele, „Realistic Job Previews“). Auf jeden Fall wird aber bei Self-Assessments die Qualität des Bearbeitungsergebnisses NUR dem Kandidaten rückgemeldet. Das jeweilige Unternehmen erhält keinen Einblick in das Resultat, denn Self-Assessments sind Instrumente zur Verbesserung der Selbstselektion.

Es gibt etliche spannende Beispiele für solche Self-Assessments:

Beispielsweise bieten zahlreiche Unternehmen sog. „Matching“-Tools auf ihren Karriere-Websites an. Dabei werden dem Nutzer in kurzweiliger Form Fragen gestellt, deren Antworten dann zu einem berufsorientierenden Feedback führen. So können etwa Schüler und Ausbildungsinteressierte herausfinden, welcher der von einem Unternehmen angebotenen Ausbildungsberufe am besten zu den eigenen Interessen und Fähigkeiten passt. Oder man kann mit Hilfe eines „Kulturmatchers“ herausfinden, in wieweit die eigene Wunsch-Unternehmenskultur mit der bei einem Unternehmen vorhandenen Unternehmenskultur übereinstimmt („Cultural Fit“).

Davon zu unterscheiden sind SelfAssessments, die eher im Sinne eines Spiels oder einer Simulation zu kommunizierende Aspekte „erlebbar“ machen.

Hier heißt es sinnbildlich: „Schön, dass Sie da sind, dann übernehmen Sie mal…“. Bei dieser Art „Berufsorientierungsspiel / Serious Game“ lassen sich die Aufgaben zwar auch „unterschiedlich gut“ lösen, so dass der Nutzer in der Regel auch ein Feedback erhält, doch liegt der eigentliche Hauptnutzen weniger im Feedback als vielmehr im Spiel selbst. „Der Weg als Ziel“ hilft die Frage zu beantworten, ob man „zu so etwas Lust hat“ oder „so etwas kann“. Diese Form von Self-Assessments fällt in die Kategorie der „Realistic Job Preview Verfahren“, weshalb einem zuweilen auch die Bezeichnung “Virtuelles Praktikum” begegnet.

Bei Online-Assessments hingegen handelt es sich um Fremdauswahlinstrumente zum Zwecke der beruflichen Eignungsabschätzung, die über das Internet durchgeführt werden. Die Teilnahme an Online-Assessments ist im Gegensatz zu Self-Assessments nicht anonym und in aller Regel nur auf explizite Einladung durch das rekrutierende Unternehmen möglich.

Die Ergebnisse dieser zumeist orts- und zeitunabhängig durchgeführten Onlinetests fließen dann auch direkt in die Auswahlentscheidungen des Unternehmens ein.

Auswahltests können spielerisch “verpackt” werden, aber Spiele sind keine Auswahltests: Der Unterschied zwischen Game-based- und Gamified Assessment

Online-Assessments sind eignungsdiagnostische Verfahren, die selbst dann, wenn sie nach Recrutainment-Gesichtspunkten gestaltet werden, keine oder lediglich rudimentäre „Game-Elemente“ in sich tragen. Die oftmals von journalistischer Seite vorgetragene Vorstellung, dass es sich bei Recrutainment um reale Spiele handele, die zu Auswahlzwecken eingesetzt werden und bei denen aus dem Spielverhalten auf auswahlrelevante Personenmerkmale geschlossen würde, ist mithin nicht korrekt, was aufgrund der hohen Anforderungen an Auswahlinstrumente aus ethischer, rechtlicher und testdiagnostischer Sicht auch nicht wirklich verwunderlich ist.

Auch wenn es inzwischen Anbieter gibt, die behaupten, die von ihnen entwickelten Spiele seien (sinngemäß) die “besseren Tests” und selbst wenn diese dann Gütekriterien lieferten, die eine ausreichende Messqualität belegten (was sie allerdings in aller Regel nicht tun), bliebe immer noch die Frage, was denn das Aufpumpen von Ballons oder das Beschießen von Strandkrabben mit Wasserbomben mit irgendeinem Job zu tun haben soll. Mindestens am Anforderungsbezug und der Akzeptanz durch den Bewerber können solche Instrumente nur scheitern.

Es mag in einem Blog, der “Recrutainment” heißt, verwundern das zu lesen, aber nach allen vorliegenden Erkenntnissen ist von solchen “Game-based Assessments” (nicht zu verwechseln mit “Gamified Assessment”!, dazu gleich mehr) nur abzuraten.

Oder um Katharina Lochner, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der University of Applied Sciences Europe, zu zitieren (Personalwirtschaft, Sonderausgabe E-Recruiting, 11.2018, S.-18-20):

“Wer sich für eine Stelle bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bewirbt, fühlt sich wahrscheinlich nicht ernst genommen, wenn er im Auswahlprozess in einem Spiel eine Stadt vor einem Alien retten soll.”

Die Zielsetzung von Online-Assessments mit Recrutainment ist vielmehr, neben den nach den üblichen Qualitätskriterien entwickelten und evaluierten Onlinetests eine unterhaltsame, benutzerorientierte und somit akzeptierte Darbietung zu ermöglichen.

Diese Verfahren sind als Teil der Arbeitgebermarkenkommunikation unternehmensspezifisch gestaltet und konzipiert. Analog zu realen Auswahltagen, an denen Kandidaten neben Tests und anderen Auswahlverfahren typischerweise auch einige Informationen über das Unternehmen in zumeist möglichst freundlicher Atmosphäre erhalten, steht bei Online-Assessments mit Recrutainment die Benutzerorientierung im Fokus. Das bedeutet, dass Kandidaten bei aller Anspannung, die eine Testsituation typischerweise mit sich bringt, trotzdem etwas über das Unternehmen und die Anforderungen erfahren und letztlich sogar Spaß haben dürfen. Ernsthaftigkeit von Online-Tests und eine Anreicherung mit Infotainment-Anteilen zur Steigerung der Benutzerakzeptanz ergänzen sich dabei im Recrutainment. Solche Formen des Gamified-Assessments, wo also die eigentliche Messung weiterhin durch ein validiertes Testinstrument erfolgt, aber der Rahmen drumherum informativ, unterhaltsam und simulativ-spielerisch daherkommt, solche machen aus vielerlei Hinsicht absolut Sinn (Candidate Experience, Akzeptanz, Arbeitgebermarke, Stresssenkung usw.).

Selbstverständlich gibt es auch Online-Tests, die keine Recrutainment-Elemente umfassen. Diese Verfahren sind typischerweise als eine vergleichsweise nüchterne Aneinanderreihung von Testverfahren konzipiert. Im eingangs präsentierten Schaubild ist daher ein Bereich des Online-Assessment außerhalb von Recrutainment dargestellt.

Diese Einsortierung verschiedener Stoßrichtungen und Ausgestaltungen in den Kontext Gamification vorweggeschickt, lässt sich der Begriff Recrutainment wie folgt umreißen:

  • Recrutainment bezeichnet den Einsatz spielerisch-simulativer und benutzerorientierter Elemente in Berufsorientierung, Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting.
  • Recrutainment dient der Verbesserung des Zusammenfindens von „passendem“ Kandidat und „passendem“ Arbeitgeber bzw. „passender“ Ausbildungseinrichtung.
  • Unterhaltung ist im Recrutainment kein Selbstzweck. Wichtig ist immer der konkrete Bezug zu einem Arbeitgeber, einer Ausbildungseinrichtung, Berufen/Berufsbildern oder Berufs- und Bildungswegen.
  • Unter Recrutainment fallen Self-Assessment Verfahren wie Selbsttests und Berufsorientierungsspiele, Events mit Interaktionselementen und Auswahlverfahren und –tests („Assessment“) mit Unterhaltungs-, Informations- und/oder Simulationscharakter – Online und Offline.

Und wer das Ganze auch zitierfähig braucht (z.B. weil darüber eine Bachelor- oder Masterarbeit zu verfassen ist), dem sei das Buch “Recrutainment” ans Herz gelegt…

Ein Gedanke zu „Recrutainment in Personalmarketing und Recruiting – Was das ist. Und was nicht (z.B. Spiele als Auswahltest)…

  1. Lieber Jo, das ist mal wieder ein sehr gelungener Artikel. Er regt zum Nachdenken und zur Diskussion an. Auch wenn ich dir in vielen Punkten zustimme, möchte ich die Lanze für Game-Based Assessment brechen. Ich denke, dass wir Game-Based Assessment zum einen differenzierter betrachten müssen. Zum anderen sollten wir die aktuelle wissenschaftliche Forschung zu dem Thema mit einbeziehen.

    Recrutainment – oder ein bisschen internationaler auch Serious Games im Recruiting – hast du klar definiert und ausführlich dargestellt. Deshalb gehe ich da nicht weiter drauf ein. Game-Based Assessment kommt allerdings zu kurz. Da müssen wir differenzierter ran. Ich unterscheide dafür zwischen zwei Arten von Game-Based Assessment, die ich in der Literatur wiederfinde: (1) Spiele, die spezielle Verhaltensweisen aktivieren und dann messen; (2) Spiele, die zum reinen Entertainment entwickelt und dann zur Verhaltensmessung “zweckentfremdet” werden.

    (1) Erstere finden sich in der Literatur z.B. unter den Begriff “Experimental Tasks” wieder. Diese Tasks werden i.d.R. für das neuropsychologische Assessment von Patienten eingesetzt, um bspw. kognitive Beeinträchtigungen festzustellen (dazu zählen auch IQ Tests). Ein Task folgt dabei einem definierten Regelsatz, wobei der Spieler innerhalb der Regeln frei ist. Das gezeigte Verhalten wird dann ausgewertet. Das findet bspw. so beim Balloon Analogue Risk Task (BART; dem Ballon Spiel; vgl. Lejuez et al., 2002 [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12075692]) statt – den du als Beispiel anführst –, um Entscheidungsverhalten unter Ungewissheit zu erfassen. Der BART wurde ausführlich in verschiedenen Kontexten und Versionen zur Messung von Risikoverhalten eingesetzt und validiert. Solche Experimental Tasks zu hinterfragen ist gut. Dennoch scheint hier mit zweierlei Maß gemessen zu werden, wenn auf der einen Seite kognitive Leistungstests empfohlen [https://blog.recrutainment.de/2017/06/05/wie-gut-sagen-verschiedene-personalauswahlverfahren-eigentlich-berufserfolg-voraus-diese-methoden-bringen-es-wirklich/] und auf der anderen Seite Experimental Tasks als „Spiele“ degradiert und abgelehnt werden. Den Anforderungsbezug und die Nutzerakzeptanz solcher Tasks pauschal zu negieren halte ich ebenfalls für schwierig. Am University College London wurden im Rahmen von „The Great Brain Experiment“ [http://www.thegreatbrainexperiment.com/] solche Tasks bewusst als Minispiele entwickelt, um eine höhere Nutzerakzeptanz zu erreichen. Allerdings war hier der Fokus auf klinischer Forschung und weniger auf Recruiting. Wichtig bleibt selbstverständlich, dass dem Bewerber die Ergebnisse in den Tasks reflektiert und im Kontext der Bewerbung eingeordnet werden. Das sollte klar sein. Dann kann auch ein Anforderungsbezug hergestellt und die Nutzerakzeptanz gefördert werden.

    (2) Zweitere, also Spiele, die eigentlich für reines Entertainment entwickelt und dann für das Assessment der Fähigkeiten und Persönlichkeit der Spieler “zweckentfremdet” werden, fallen unter den recht breiten Begriff “Game Analytics”. Innerhalb der Game Analytics gibt es eine Strömung die sich mit Behavioral Profiling auseinandersetzt (vgl. Drachen, 2017 [https://andersdrachen.com/2017/11/24/announcing-games-user-research-the-book/]; Blogbeitrag mit Querverweisen zu Publikationen). Über Spiele können laut bisheriger Studien kognitive Fähigkeiten wie IQ (z.B. Kokkinakis et al., 2017 [https://doi.org/10.1371/journal.pone.0186621]), aber auch teilweise Persönlichkeitsmerkmale (z.B. van Lankveld et al., 2011 [https://doi.org/10.1109/CIG.2011.6032007]) und Teamkompetenzen festgestellt werden (z.B. Kim et al., 2017 [https://doi.org/10.1145/2998181.2998185]). Selbstverständlich ist die Grundgesamtheit die über Entertainment-Spiele “bewertet” werden können, deutlich eingeschränkt. Die Forschung ist in diesem Bereich zudem noch sehr jung, aber bietet nicht zu unterschätzende Chancen (z.B. Lazer et al., 2009 [https://doi.org/10.1126/science.1167742]). Was ebenfalls fraglich bleibt, ist hier der Anforderungsbezug und die Nutzerakzeptanz! Dass zweckentfremdete Spiele heute für Eignungsdiagnostik nutzbar sind, bezweifle ich – da sind wir uns sicherlich einig. Nur lass uns dem Ganzen mal noch 3-5 Jahre geben, dann sieht das sicher anders aus. Denn, soweit ist das dann auch nicht weg:

    Beispiel 1: Das Recruiting-Game der US Army – America’s Army [https://www.americasarmy.com] – ist eine realistische Simulation von Kampfsituationen in First-Person Perspektive. Es ist naheliegend die vielen Datenpunkte, die spielende Interessenten generieren direkt in das Assessment einfließen zu lassen. Risikobereitschaft, Teamfähigkeit, Kreativität u.ä.; Dass dieses Recruiting-Game und ein solches Assessment auf dem deutschen Markt (heute) keinen Bestand hätte ist klar – aber die Möglichkeit gibt es.

    Beispiel 2: Flappy Bird oder auch Candy Crush sind Mobile Games, die extrem populär sind. Daten aus diesen Spielen können genutzt werden, um die Frusttoleranz und Durchhaltevermögen (Flappy Bird) oder auch die Kombinationsfähigkeit/ Mustererkennung (Candy Crush) zu erfassen. Mobile Games nutzen diese Daten bereits, um die Schwierigkeit der Spiele adaptiv anzupassen. Gleichzeitig bietet sich hier aber auch Potenziale für den Einsatz im Recruiting. Wobei hier ganz klar der Anforderungsbezug in der Reflektion der Ergebnisse stattfinden muss. Ob es sich durchsetzt, dass Mobile-Gaming-Daten für Behavioral Profiling außerhalb des jeweiligen Spiele-Titels eingesetzt werden, muss sich zeigen. Mit Medien-Giganten wie z.B. Tenecent ist das aber nicht so weit weg, wie man vielleicht hofft.

    Warum sind Game-Based Assessments also nicht einfach abzuweisen?

    Wie oben gezeigt, gibt es ausreichend Hinweise in der Forschung, dass Game-Based Assessment Potenziale für die Diagnostik bietet. Auch Anforderungsbezug sowie Nutzerakzeptanz können hergestellt werden. Ein pauschales Abraten ist folglich falsch. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema kann hingegen Chancen eröffnen. Erstens, wächst die Anzahl der Video- und Mobile-Gamer in allen Bevölkerungsgruppen stetig (vgl. game – Verband der deutschen Games Branche, 2019 [https://www.game.de/fast-10-millionen-gamer-in-deutschland-sind-50-jahre-und-aelter/]). Zweitens, können in Spielen bzw. Simulationen Verhaltensweisen beobachtet werden, anstatt dass Persönlichkeit (was per Definition ein Produkt und Faktor von Verhalten ist) über fehleranfällige Fragebögen angenähert werden müssen (vgl. Baumeister et al., 2007 [https://doi.org/10.1111/j.1745-6916.2007.00051.x]). Drittens, durch Daten über mehrere Spielrunden hinweg lässt sich die Verhaltensvarianz statt nur die Mittelwerte auswerten, wo letztere ein unvollständiges oder gar verzerrtes Bild über den Teilnehmer abgeben (vgl. Fleeson, 2001 [https://doi.org/10.1037/0022-3514.80.6.1011]).

    Abschließend: Ich sehe, dass das Ausfüllen von Fragebögen und Assessments generell von Bewerbern häufig als Spiel wahrgenommen wird. Dabei werden Grenzen ausgetestet: Wie viel kann ich mich verstellen, ohne dass es jemand merkt? Wie kann ich den Test austricksen? Nur werden diese Verhaltensweisen (die übrigens positiv als Kreativität ausgelegt werden könnten) pauschal nicht erfasst.

    Also bietet uns Game-Based Assessment Chancen, die eine einfache Gamification von klassischen Fragebögen/Assessments nicht unbedingt bieten kann. Das Experimental Tasks wesentlich nützlicher im Recruiting-Kontext sind als „zweckentfremdete“ Videospiele muss nochmal betont werden. Grundsätzlich sollte ein Journalist natürlich nicht Recrutainment mit Game-Based Assessment vermischen, weil die beiden doch so unterschiedliche Stärken und Schwächen mit sich bringen. Aber auch Game-Based Assessment benötigt eine differenzierte Betrachtung.

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