Der What´sMeBot checkt´s (nicht) – Berufsorientierung: Bundesagentur für Arbeit lässt junge Menschen über WhatsApp mit einem Bot chatten…

Berufsorientierung? Beruuufsorientierung? Das ist doch soooo 2014!

Ja, stimmt. 2014 hatten wir zum Jahr der Berufsorientierung ausgerufen und damit seinerzeit ordentlich am Baum gerüttelt. Danach haben dann alle die Köpfe in andere Richtungen gedreht, um der Sau dem Thema nachzustarren, die das als nächste(s) durchs HR-Dorf gejagt wurde… Candidate Experience oder Robot Recruiting oder so…

Aber halt: Ganz so ist es eben doch nicht. Die berufliche Orientierung junger Menschen ist (nicht erst seit 2014 und auch nicht erst seit unserer damaligen Blogparade) bei vielen Arbeitsmarktakteuren inzwischen ganz oben auf der Agenda. Man denke nur an die zahlreichen Matching-Tools, die Verbände anbieten (und damit Preise gewinnen…) und viele Unternehmen (z.B. Allianz, Postbank, Deloitte, METRO etc.) sich auf die Karriere-Websites stellen oder Berufsorientierungsspiele und “Online-Praktika” (z.B. Peek&Cloppenburg, Commerzbank, Lidl uvm.) für etliche Ausbildungsberufe.

Nein, natürlich ist hier noch unheimlich viel zu tun, aber dass sich alle wieder schlafen gelegt hätten, um erst vom lauten Artillerie-Knallen im War for Talent wieder aufgeweckt zu werden, das kann man hier wirklich nicht sagen.

Gut so.

Und nun hat sich offenbar sogar die gute altehrwürdige Bundesagentur bewegt und gleich ordentlich einen rausgehauen:

Berufsorientierung. Per WhatsApp. Präsentiert von YouTuber Julien Bam. Und dann auch noch über einen Chat-Bot!

Das sind ja gleich drei, ne sogar VIER Buzzwords Dinge auf einmal. Entsprechende Resonanz scheint bei einer solchen Kombination sicher. Aber taugt das ganze auch inhaltlich? Grund genug, sich das einmal genauer anzuschauen…

Wie funktioniert der What´sMeBot?

Sehr einfach.

  1. Man öffnet WhatsApp (was sagt eigentlich der Datenschutzbeauftragte der BA dazu? Egal, klammern wir erstmal aus, mehr dazu unten…)
  2. Man speichert in seinen Kontakten eine bestimmte Telefonnummer (zu finden unter dasbringtmichweiter.de)
  3. Man startet einen WhatsApp-Chat mit diesem neuen Kontakt, indem man schreibt:

Hallo

Umgehend antwortet mir mein neuer Kontakt, der wohlgemerkt ein Chat-Bot ist. Er stellt mir nachfolgend insgesamt acht Fragen. Ein Beispiel:

Zu dieser Frage erhalte ich vier vorgegebene Antwortmöglichkeiten, aus denen ich dann meine favorisierte auswählen soll. Das besondere: Ich kann antworten, indem ich jeweils das zu der Antwortalternative vorgegebene Emoji sende…

Noch ein Beispiel? Gern.

Was kommt am Ende raus?

Die acht Antworten dienen dazu, mich einem von vier Berufstypen zuzuordnen. Künstlerisch-kreative Typen sind hier z.B. “Kreative Anpacker”…

Außerdem gibt es noch “Handwerklich-technische”, “Kaufmännisch-verwaltende” und “Sozial-pflegerische”.

In diese Berufstypen kann man dann etwas tiefer einsteigen und sich weiter informieren. Aber alles kurz, knackig (man könnte auch sagen: knapp) und verschlagwortet.

Und? Was ist da jetzt von zu halten? Meine Bewertung…

Die Umsetzung…

Chapeau, Bundesagentur. Die Applikation ist spielend einfach und gestalterisch sehr ordentlich umgesetzt. Man setzt mit WhatsApp auf eine sehr populäre Kommunikationsform und auch die UX (User-Experience) überzeugt mich. Ich habe zwar zuweilen nach den jeweiligen Emoji ein wenig suchen müssen, aber ich kann mir vorstellen, dass die eigentliche Zielgruppe hier flotter unterwegs ist. Und über “mobile first” muss man hier ja auch nicht viele Worte verlieren, das liegt bei WhatsApp ja auf der Hand…

Umsetzung also: Gelungen.

Datenschutz…

Tja, da bin ich ehrlich gesagt mehr als erstaunt, dass das der Datenschutzbeauftragte einer deutschen Behörde durchgewunken hat. Klar, alle nutzen WhatsApp, warum dann nicht auch die BA? Und ja: Die Inhalte bei WhatsApp sind alle End-zu-End-verschlüsselt.

Aber man kann und muss WhatsApp speziell unter Datenschutzgesichtspunkten sehr kritisch sehen. WhatsApp ist End-zu-End-verschlüsselt, aber wer glaubt denn ernsthaft, dass da keine Back-Door eingebaut ist? Damit teilt man zumindest möglicherweise einem amerikanischen Datenkonzern (WhatsApp gehört zu Facebook) mit, dass man eher so der “künstlerisch-kreative Typ” ist. Auf dem Silbertablett. Und wenn es Facebook weiß, wer sagt dann, dass es nicht auch die NSA erfährt? Und wer sagt, dass diese Information dann nicht auch verwendet wird? Zum Beispiel gibt es das Arbeitsvisum für die USA dann halt nicht, weil der amerikanische Arbeitsmarkt gerade keine “Künstlerisch-kreativen” brauchen kann… Ach stimmt ja: So ein Visum bekommt man eh nicht mehr – (in) Amerika wird ja gerade wieder groß gemacht…

Zugegeben: Ein etwas konstruiertes Beispiel, aber allemal bedenkenswert. Und eine deutsche Behörde empfiehlt quasi die Nutzung eines aus Datenschutzerwägungen eher kritisch zu beurteilenden Dienstes

Datenschutz also: Tja, naja…

Inhalt bzw. Berufsorientierung:

Darum geht es ja bei dem Tool letztlich.

Schaut man auf das Bearbeitungsergebnis, also die vier Berufstypen, fällt dem geschulten Blick natürlich sofort eines auf: Fünf der sechs Interessendimensionen aus dem sog. RIASEC-Modell von John Holland findet man wieder.

Die Dimension R (“Realistic”) steht dort grob gesprochen für handwerklich-technische Interessen. A (“Artistic”) für künstlerische, S (“Social”) für soziale, E (“Enterprising”) für unternehmerische, was häufig mit kaufmännisch assoziiert wird und C (“Conventional”) für verwaltende Interessen. Nur das I (“Investigative”) aus dem Holland-Modell taucht nicht auf, was aber inhaltlich vertretbar ist, da man sich hier offenkundig auf berufliche Interessen von Schülern konzentriert hat und das “investigative” Interesse oft eher mit Forschungsberufen in Verbindung steht.

Man hat sich also an einem anerkannten Modell orientiert.

Aber!

Mit acht Fragen ist eine Rückmeldung auf fünf Faktoren nicht möglich. Wäre cool, wenn den Verantwortlichen von der BA eine solche magische Kugel gelungen wäre, aber meine “Hausfrauentests” mit dem Tool bestätigen nach Augenschein eher meine Befürchtung. Ich mag eine künstlerisch-kreative Ader haben, aber jeder halbwegs seriös konstruierte Holland-Test hat mir immer ein führendes “E” bescheinigt. Mein kaufmännisches Interesse überwiegt mein künstlerisches nun einmal. Außerdem berücksichtigt das RIASEC-Modell beim Matching auf Berufsbilder immer mehrere Interessendimensionen gleichzeitig. Erst deren Kombination macht eine Passungsaussage zu Berufen möglich. Ansonsten bleibe ich so weit an der Oberfläche, dass die Aussage “du interessierst dich für Technik, dann such dir einen technischen Beruf” wäre. Hilft niemandem wirklich weiter…

Soweit zum Augenschein. Aber ich bezweifle auch, dass es zu dem hier hinterlegten Algorithmus entsprechende Gütekriterien gibt, die für einen Test geltenden Ansprüchen genügen.

Naja, man könnte sagen, das macht ja nichts. Es geht hier vielleicht ja nur um eine erste Orientierung, eine Heuristik. Aber die sollte dann zumindest nachweislich auch stimmen. Und das gilt insbesondere für eine Institution wie die Bundesagentur für Arbeit. Denn: die jungen Menschen glauben das am Ende noch! Nach dem Motto:

Der “Test” bei der BA hat gesagt, dass ich “künstlerisch-kreativ” bin und dass ich Steinmetz werden soll. Dann wird das ja wohl stimmen…

Sorry, da hilft auch Fancy-WhatsApp-Emoji-Mobile First-ChatBot nicht. Das ist das Niveau von “Du bist gern an der frischen Luft, dann…

Das ist insbesondere deshalb schade, weil hier mehr gegangen wäre. Warum denn nur acht Fragen? Wir betreiben seit ein paar Jahren einen (auf dem RIASEC-Modell aufgebauten) Studieninteressentest für die Hochschulrektorenkonferenz und DIE ZEIT, der über 70 Fragen umfasst.

Und hält das die jungen Menschen davon ab, diesen zu nutzen? Jährlich wird der SIT von rund 160.000 Ratsuchenden komplett durchlaufen. Das entspricht ca. 30% (!) aller Studienanfänger pro Jahr in Deutschland. Insgesamt sind es seit Anfang 2014 nun schlappe 500.000. Bei EINSTIEG gibt es ein entsprechendes Pendent zur (ausildungs-)beruflichen Orientierung. Auch dieser Test ist inzwischen von einer deutlich sechsstelligen Zahl junger Menschen genutzt worden – aufgrund der bevorstehenden Messen in Köln und Hamburg gerade jetzt sogar ganz besonders intensiv… Dass also “der Jugend” keine solide Diagnostik mehr zuzumuten ist, ist einfach ein Märchen. Klare Abstimmung mit den Füßen…

Ich will nicht sagen, dass der What´sMeBot zwingend 70 Fragen stellen muss, aber ein paar mehr als acht wären a. sicherlich zumutbar gewesen und b. für eine vernünftige, fundierte und nur so letztlich helfende Rückmeldung schon nötig gewesen…

Warum musste nur schon wieder alles Geld in die Verpackung statt in die Schokolade Eignungsdiagnostik gehen…?

Ich bleibe dabei, was ich ja vor ein paar Monaten schon über Chat-Bots im Recruiting schrieb:

Spannend ist hierbei für mich nicht, einen Chatbot nach „passenden“ Jobs fragen zu können, spannend ist die Qualität der Antwort und wie und wo diese herkommt!

3 Gedanken zu „Der What´sMeBot checkt´s (nicht) – Berufsorientierung: Bundesagentur für Arbeit lässt junge Menschen über WhatsApp mit einem Bot chatten…

  1. Habe Zwei Nummern von diesen Whats me bots und beide antworten nicht und reagieren nicht auf das „hallo“ oder sonstiges. Kompetenz sieht anders aus

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