Das Wochenende begann am Freitagabend sehr erfreulich, flatterte uns doch ein schöner Auftrag herein, der – wenn fertiggestellt – sicherlich einen substantiellen Beitrag leisten dürfte, die Studienwahlentscheidungen von Studieninteressierten in Deutschland zu verbessern.
Mir ist in diesem Zusammenhang noch einmal sehr deutlich geworden, vor was für einer Herkulesaufgabe junge Menschen heute eigentlich stehen, wenn sich deren Schulzeit dem Ende zuneigt und die Frage „was will ich werden?“ immer drohender Gestalt annimmt.
Buchstäblich zigtausend Möglichkeiten
Man könnte ja meinen, dass die omnipräsente Verfügbarkeit an berufsorientierender Information im Internet die Situation für junge Menschen vereinfacht hätte – unsereins hatte ja seinerzeit tatsächlich nicht viel mehr als das persönliche Umfeld und den berühmt-berüchtigten Besuch im BIZ (gab es dafür in der Oberstufe nicht einen Tag frei…?).
Weitgefehlt.
Das Problem mit der Berufsorientierung heutzutage ist nicht ein „zu wenig“ an verfügbarer Information, sondern ein „viel zu viel zu viel zu viel“. Wer heute z.B. im Alter von sagen wir mal 16-17 Jahren mit der Perspektive eine Hochschulzugangsberechtigung zu ergattern (also z.B. ein Abitur) vor der Frage steht, welchen Weg er denn mal beruflich einschlagen könnte, dem stehen aktuell (festhalten!) 9.318 grundständige Studienangebote an über 400 Hochschulen (gut 100 Universitäten, gut 200 Fachhochschulen, gut 50 Kunsthochschulen etc.) sowie aktuell 345 anerkannte (d.h. im dualen System ausgebildete) Ausbildungsberufe und nochmal einige Dutzend weitere (außerhalb des dualen Systems z.B. an Berufsfachschulen ausbildende) Ausbildungsberufe zur Auswahl. Hinzu kommt die ständig steigende Anzahl an dualen Studiengängen mit und ohne Kammerabschluss und eine verwirrenden Vielfalt an akademischen Abschlüssen wie Bachelor of Arts, Bachelor of Engineering oder Bachelor of Science (jeweils „in XYZ“).
Man könnte meinen, dass die Studienorientierung bei gut 9000 verschiedenen Studiengängen gegenüber der Ausbildungsorientierung mit „nur“ etwa 400 Berufsbildern der schwierigere Job sei. Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass es bei den 9300 Studiengängen ja nicht um wirklich 9000 verschiedene Studiengänge handelt, nur weil sie verschieden heißen. Diese Liste lässt sich sehr gut clustern und auf etwa 100 wirklich distinkte Richtungen verdichten. Ausbildungsberufe lassen sich zwar auch bündeln; mehr als Reduzierung der 400 Berufe auf die knappe Hälfte ist hierbei aber nicht möglich.
Noch mehr Vielfalt? Gut.
Dank des ECTS, also des European Credit Transfer Systems sind Studienleistungen im Rahmen des Bologna Prozesses inzwischen im Europäischen Hochschulraum transferierbar, d.h. man kann Teile seines Studiums hier machen und die erbrachten Leistungen nach dort mitnehmen und anerkennen. Im Prinzip eine absolut begrüßenswerte Entwicklung. Die Komplexität der Entscheidung, welchen Weg man gehen will, erhöht es aber auch noch einmal dramatisch, weil der Möglichkeitenraum dadurch gefühlt eben auch ganz Europa mit seinen vielen Formen der Hochschulausbildung mit umfasst. Mit dem ECVET, also dem European Credit System for Vocational Education and Training entsteht seit einigen Jahren analog ein System, mit dem auch erreichte Qualifikationen der beruflichen Aus- und Weiterbildung europaweit vergleichbarer werden sollen.
Am Anfang steht die Frage: Was will ich eigentlich?
Zu all diesen prinzipiellen Möglichkeiten, die unserem 16-17-jährigen Abiturienten in spe offen stehen gibt es im Internet (und natürlich nicht nur dort) Informationen. Vom Bund, von Ländern, von Regionen, von Einrichtungen, staatlichen wie privaten, von Medien und Blogs und natürlich auch Unternehmen. Alles gut, alles sinnvoll, aber eben auch verwirrend. Wer sich einfach mal so auf Suche macht nach dem Motto: „ich lass mich mal inspirieren“, der wird sehr schnell frustriert abbrechen. Es besteht die Gefahr, dass man ob der Vielfalt an verfügbarer Informationen resigniert und seine Berufsentscheidung letztlich doch wieder von der „Klassikern“ leiten lässt: Eltern, Geschwister, Freunde oder Stereotypen… Nicht dass ich falsch verstanden werde – das sind alles auch wichtige Sparringspartner bei der Berufswahl. Aber letztlich entscheidend sind immer die Fragen: „Was will ICH werden?“, „was passt zu mir?“
Hilfestellung durch (berufliche) Interessentests und interaktive Berufsorientierungstools
Bei der Beantwortung der Frage, was einen persönlich eigentlich interessiert und vor allem, was dazu passende (Ausbildungs-)Berufe und Studiengänge sein können, kann ein entsprechender Interessentest helfen. Wir haben einen solchen vor einiger Zeit entwickelt. Wer das mal ausprobieren möchte, der kann dies z.B. auf der Website der HAW Hamburg (im Kontext des Studienangebots der HAW), bei RWE (im Kontext des Ausbildungsangebots von RWE) oder beim Stark-Verlag (übergreifend über alle Studienbereiche) ausprobieren. Ein solcher Interessentest ersetzt nicht die weitere Informationssuche und Recherche (z.B. über ein persönliches Gespräch), aber er kann enorm helfen, aus den 360° an Möglichkeiten einen großen Teil auszublenden, um die verfügbare Energie gleich auf die möglicherweise besser passenden Bereiche zu lenken. Dieser Interessentest wird im Laufe des Jahres nun auch in zwei reichweitenstarke und überregionale Informationsangebote integriert (besagter Auftrag, von dem ich eingangs sprach).
Zum anderen können auch interaktive Berufsorientierungstools, SelfAssessment, Spiele und virtuelle Studienberatungen bei der Suche nach dem bestpassenden Berufsweg helfen. Ich habe vor etwa zwei Jahren erstmals aufgelistet, für welche Berufe wir solche Tools für verschiedenste Kunden schon entwickelt und umgesetzt haben. Diese Liste von damals etwa 30 Berufen habe ich dann vor einem Jahr aktualisiert (wodurch der Umfang dann auf nahezu 100 Berufe, Ausbildungen bzw. Studienrichtungen gestiegen ist). In den letzten zwölf Monaten sind nun natürlich wiederum einige hinzugekommen bzw. gerade dabei fertig zu werden:
- Agrarwissenschaftler, Bachelor und Master of Science (Kunde: Universität Göttingen)
- Chemieingenieur, Bachelor of Engineering (Kunde: Hochschule Niederrhein)
- Designer, Bachelor of Arts (Kunde: Hochschule Niederrhein)
- Ethnologe, Bachelor of Arts (Kunde: Universität Göttingen)
- Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung (Kunde: RWE)
- Fachinformatiker für Systemintegration, Fertigstellung Ende März (Kunde: RWE)
- Geschlechterforscher, Bachelor of Arts (Kunde: Universität Göttingen)
- Health Care Manager, Bachelor of Science (Kunde: Hochschule Niederrhein)
- IT-Systemkaufmann, Fertigstellung Ende März (Kunde: RWE)
- Konstruktionsmechaniker, Fertigstellung Ende März (Kunde: RWE)
-
Politikwissenschaftler, Bachelor of Arts (Kunde: Universität Göttingen)
- Sozialwissenschaftler, Bachelor of Arts (Kunde: Universität Göttingen)
- Soziologe, Bachelor of Arts (Kunde: Universität Göttingen)
- Sportwissenschaftler, Bachelor of Arts (Kunde: Universität Göttingen)
- Textil- und Bekleidungstechniker, Bachelor of Science, Fertigstellung April (Kunde: Hochschule Niederrhein)
- Wirtschaftsinformatiker, Bachelor of Science (Kunde: Hochschule Niederrhein)
- Zerspanungsmechaniker (Kunde: RWE)
Wir haben uns damit nicht nur mit quasi allen Studien- und Ausbildungsberufen einmal inhaltlich befasst, sondern auch für ca. 120 davon interaktive Orientierungstools gebaut. Von der Hoffnung, wirklich den gesamten Kosmos an Berufswegen in dieser Form abbilden zu können, muss man sich ob der schieren Menge aber wohl verabschieden. Das wäre auch eine Aufgabe für Herkules…
Autor: Jo Diercks
6 Gedanken zu „Ein (Berufs-)leben und zigtausend Möglichkeiten. Herkulesaufgabe für junge Menschen: Finde den richtigen Beruf!“