Ja, Ihr habt schon richtig gelesen: „erfolgreich reduziert„.
Das klingt sicherlich für viele erst einmal überraschend, definieren sich doch immer noch viele Unternehmen bzw. deren Personalmarketer und Recruiter vor allem über die Menge an generierten Bewerbungen. Manche mögen es sogar für schier skandalös und überheblich halten, gilt es doch in Zeiten von War for Talent und Fachkräftemangel als ausgemachte Sache, dass man als Unternehmen froh sein muss, überhaupt noch Bewerbungen zu erhalten…
So hört man in diesem Zusammenhang immer wieder zwei Forderungen: Erstens möge man Bewerber doch bitte wie Kunden behandeln und zweitens sollen doch bitte alle Hürden aus den Bewerbungsprozessen entfernt werden.
Hierzu mal ein paar Anmerkungen:
Bewerber müssen anständig, mit Respekt, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Freundlichkeit behandelt werden. Richtig. Insoweit gilt für Bewerber genau das gleiche wie für Kunden. Und eigentlich jeden anderen Menschen auch…
Aber…
Bewerber sind keine Kunden. Während man nämlich Kunden eigentlich nie genug haben kann oder anders formuliert der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens sich darüber definiert, möglichst viele Kunden zu haben, gilt das für Bewerber nicht. Man möchte die richtigen, die passenden Bewerber haben und das in für eine gute Auswahl hinreichender Menge. Um eine Stelle zu besetzen, reicht in der Theorie ein einziger guter und passender Bewerber. Um noch ein wenig auswählen zu können von mir aus auch zwei, drei oder fünf. Aber nicht Hundert. Erstens kann man nicht allen Hundert den Job geben (nein im Gegenteil, 99 Prozent bekommen am Ende im Prinzip eine negative Botschaft) und zweitens wird es immer schwieriger den richtigen und passenden Bewerber auch zu identifizieren, je größer der Stapel an Bewerbungen wird. Man kann das hochtrabend „Signal-Noise-Ratio“ oder etwas umgangssprachlicher „Nadel im Heuhaufen“ nennen, das Problem dürfte jedem einleuchten.
Womit wir bei den Hürden wären.
Zunächst mal: Es ist ja arg weltfremd zu argumentieren, dass Kunden nicht auch Hürden zu überwinden hätten, bevor sie einen Kauf abschließen. Auch sie müssen Suchen, Vergleichen, sich durch Auswahlmenüs und Konfiguratoren kämpfen, Daten eingeben, Vertragsbedingungen prüfen usw. Wie gesagt gilt es diese aus Sicht des Unternehmens so niedrig wie möglich zu machen, denn man möchte ja möglichst viele Kunden, aber ganz vermeiden lassen sie sich natürlich nicht.
Bei Bewerbern ist es so, dass es auch Hürden gibt und sogar geben muss. Ein Recruiting nach dem Prinzip „der erste der anruft, bekommt den Job“ kann ja wohl kaum einer für sinnvoll halten. Wenn man so dächte, dann müsste man ja nur den arbeitgeberseitig schon unterschriebenen Arbeitsvertrag in die Stellenanzeige packen und wer diesen zuerst gegengezeichnet zurückschickt, hat den Job. Nein, man möchte den Job ja möglichst gut besetzen und das bedeutet, dass es Hürden geben muss. Das sollten natürlich keine unsinnigen oder unnötigen Hürden sein (eine schlechte Stellenanzeige, ein mieses Bewerbungsformular, zu viele und vor allem schlechte Interviews, all das muss natürlich nicht sein), aber solche Hürden, die beiden Seiten helfen, die eigentlich entscheidende Frage zu beantworten, nämlich „wer ist der passende Kandidat für welche Stelle bei welchem Unternehmen?“, die sind sinnvoll.
Sinnvolle Hürden für Initiativbewerbungen
Und damit kommen wir zu BMW.
Initiativbewerbungen sind ja so ein Thema. Sie sind einerseits natürlich frei Haus geliefertes Potential. Sie lassen sich aber auch prinzipiell schlecht verarbeiten, weil sie keiner Stelle zugeordnet sind.
Ließe man also gar keine Initiativbewerbungen mehr zu, dann würde man sicherlich vielen Menschen die Tür vor der Nase zu schlagen, für die das Unternehmen aber möglicherweise sehr gute Verwendung hätte. Würde man andersherum Initiativbewerbungen forcieren, schaffte man sich enorm viel Aufwand im Unternehmen (mit entsprechend weniger Ressourcen an anderer Stelle) und forcierte beinahe zwangsläufig negative Marketingbotschaften, weil a. die Candidate Experience allgemein leidet und b. vielen Menschen abgesagt werden muss.
Ein Dilemma.
BMW hat das auf wie finde sehr clevere Weise gelöst und ein Win-Win daraus gemacht.
Wie? Mit einer eignungsdiagnostischen Hürde… Und spätestens jetzt dürfte auch klar sein, warum dieses Thema im Recrutainment Blog erscheint.
Wie geht das konkret?
Interessenten, die in der Jobbörse bei BMW nichts passendes finden werden mit einem gezielten Absprungpunkt abgeholt.
Dort werden sie mit einem kurzen Introvideo begrüßt, in dem ihnen Maximilian Mendius, bei BMW zuständig für Personalauswahl, in wenigen Worten erklärt, wie das mit der Initiativbewerbung bei BMW funktioniert.
Und zwar erwartet einen als Initiativbewerber ein Tool, das sich aus drei Bausteinen zusammensetzt, die man über ein zentrales Dashboard ansteuern und verwalten kann.
Der erste Baustein ist ein Interessen“test“ bzw. konkreter: eine Abfrage der Interessen- und Fähigkeitsgebiete des Bewerbers. Dies hilft BMW, um besser zu verstehen, in welchen Bereich der Interessent passen könnte. Dies hilft aber auch dem Bewerber besser zu verstehen, was die richtigen Stellenbezeichnungen für ihn sein könnten.
Der zweite Baustein des Tools ist eine Batterie an verschiedenen kognitiven Leistungstests. Das lässt jedem Eignungsdiagnostiker das Herz höher schlagen aber es macht auch total Sinn. Der Bewerber kann „gratis“ einen kognitiven Leistungstest nutzen, und so a. im Sinne eines Self-Assessments einmal schauen, wo er denn so steht und b. sich mit solchen Tests vertraut machen, die ja inzwischen zahlreiche Unternehmen im Rahmen ihrer Auswahlprozesse einsetzen. Für das Unternehmen liefern diese Testdaten – sofern der Bewerber diese später freigibt – eine immens wichtige Einschätzung hinsichtlich der kognitiven Fähigkeiten des Nutzers, handelt es sich dabei doch um ein Bewerbermerkmal mit sehr hoher prognostischer Güte zur Vorhersage des späteren Berufserfolgs.
Drittens schließlich umfasst das Tool einen Baustein zur Überprüfung des Cultural Fit. Dies wurde hier über sog. Situationsbeurteilungen gelöst, die sich auf die fünf BMW-Unternehmenswerte Offenheit, Wertschätzung, Vertrauen, Transparenz und Verantwortung beziehen. Dieser dient ausschließlich der Selbstselektion und geht in keinem Fall später an BMW.
Das Resultat der drei Bausteine ist ein umfangreicher Feedback-Report für den Nutzer.
Und bis hierhin ist alles, was der Nutzer ins Tool hineingegeben hat, noch nicht an BMW gegangen. D.h. entschließt sich der Nutzer an dieser Stelle, sich doch vorerst nicht bei BMW zu bewerben, dann ist alles, was im Tool passiert ist, zunächst einmal nur ihn selbst – Stichworte: Selbsterkenntnis, Self-Assessment usw.
Entschließt sich der Nutzer allerdings, die Daten nun als „Initiativbewerbung“ an BMW zu übergeben, so ist diese Bewerbung nicht mehr vage und undefiniert, sondern durch die Informationen zu Interessen und Fähigkeiten sehr aussagekräftig – die zentrale Voraussetzung, um Passung überhaupt beurteilen zu können.
Fazit:
Ja, man macht es Initiativbewerbern bei BMW schon ein wenig schwerer sich zu bewerben. Eine Bewerbung nach dem Motto „hier bin ich, habt Ihr was für mich?“ gibt es nicht mehr. Das führt natürlich dazu, dass es weniger werden. Aber erstens bekommen die Nutzer dieser „Bewerbung“ eine ganze Menge zurück und zwar in Form von Einblicken und Feedback. Und zweitens liefern sie BMW Informationen, die es dem Unternehmen erheblich vereinfachen zu überprüfen, ob und vor allem wofür der Bewerber passen könnte. Die Gretchenfrage „welcher Bewerber passt auf welche Stelle“ kann viel schneller und gezielter beantwortet werden.
Und DAS ist im Interesse des Unternehmens UND des Kandidaten.
P.S.: Ich habe der sprachlichen Einfachheit halber im Artikel immer die männliche Sprachform (Bewerber, Kunde, Nutzer, Kandidat etc.) verwendet. Selbstverständlich sind alle anderen Geschlechtsformen gleichrangig mitgemeint!
Sehr gut! Und DANKE DANKE für das P.S.. :-)