Employer Matching: Eine Studie und ein Algorithmus zur Passung zwischen Persönlichkeit und Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren

Wer CYQUEST und den Recrutainment Blog ein wenig verfolgt, der weiß, dass wir einen sehr engen Austausch mit der akademischen Welt pflegen. Nicht nur dass wir selber regelmäßig in Fachbüchern und -Magazinen publizieren oder namhafte Wissenschaftler als Speaker unserer Veranstaltungen einladen – zuletzt etwa Uwe Kanning beim ZEIT für HR Edge Event -, sondern wir halten auch regelmäßig selber Vorträge und Vorlesungen an verschiedenen Hochschulen wie der Leuphana Universität Lüneburg, der Uni Marburg, der Hochschule Fresenius, der FH Westküste oder der FOM.

In diesem Zusammenhang stehen wir auch in regelmäßigem Austausch mit der SRH Fernhochschule, mittlerweile auch unter dem Namen “The Mobile University” bekannt, hier vor allem mit Prof. Lars Jansen, akademischer Leiter des Studienzentrums Hamburg und Leiter des Studiengangs Wirtschaftspsychologie, Leadership und Management (M.Sc.)

Wir tauschen uns hierbei insb. zum Thema “Passung” aus, was ja letztlich als Leitfrage über allem steht, was wir bei CYQUEST tun:

Wie finden die Königskinder (Bewerber, Interessenten, Kandidaten auf der einen Seite und Arbeitgeber auf der anderen) besser zueinander? Und wie kann man dieses Zueinanderfinden (positiv) beeinflussen?

In diesem Zusammenhang berichtete Lars mir von einem sehr spannenden Forschungsprojekt, das einer seiner Masteranden im Rahmen seiner Master-Thesis durchgeführt hat:

„Inwieweit existieren Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung von Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren und der Persönlichkeit eines Individuums?“

Das fand ich höchst interessant, weil es nicht nur thematisch große Nähe zu unserem Herzensthema “Cultural Fit” hat, sondern auch einen aus meiner Sicht für das Arbeitgebermarketing der Zukunft extrem wichtigen Aspekt adressiert: Personalisierung.

Dass da richtig Musik drin steckt, das zeigte ja vor einiger Zeit schon einmal der Vorteils-Finder, mit dem die Schweizer BLS 2017 den HR Excellence Award abräumte.

Aber ich will nicht zu viel vorwegnehmen. Denn besagter Masterand – Junias Engelke – hat sich einmal die Mühe gemacht, sowohl sein Forschungsprojekt als auch das daraus entstandene Tool (er ist nämlich nicht nur Wirtschaftspsychologe, sondern auch (Wirtschafts-)Informatiker!!!) zu beschreiben.

Junias, deine Bühne…!

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Gastbeitrag von Junias Engelke:

Stellen wir uns als Einstieg folgende Situation vor:

Max Mustermann ist auf Jobsuche. Er ist gut gebildet, hat zwei wissenschaftliche Abschlüsse und hatte einen guten Arbeitsvertrag, bis das Unternehmen massiv Stellen kürzen musste. Auf der Suche nach einem neuen Job ist er nun insbesondere über Jobportale, aber natürlich auch über Stellenanzeigen. Immer wenn er von einem Job liest, der inhaltlich passend erscheint, studiert er danach das Unternehmen.

Was für eine Kultur haben Sie? Was können Sie mir anbieten? Habe ich die Möglichkeit, Home-Office zu machen? Das ist für ihn als Familienvater besonders wichtig. Er liest Bewertungen auf kununu, holt über jedes Unternehmen genaueste Informationen ein, um bewerten zu können, ob das Unternehmen die Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren, die für ihn wichtig sind, auch bietet.

Die andere Seite der Medaille: Erika Mustermann ist Personalchefin und sucht händeringend nach guten Mitarbeitern. Der hohe Aufwand der Personalsuche gepaart mit den häufigen Absagen der Bewerber machen ihr das Leben jedoch schwer. Viel Zeit geht vor allem dadurch verloren, dass Mitarbeiter andere Erwartungen an das Angebot an Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren haben als das Unternehmen von Erika anbietet.

Zudem kann Erika auf den Jobportalen und auf der eigenen Karrierewebsite die Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren nicht individuell je potenziellem Bewerber präsentieren, so wie Sie es sonst auf Karrieremessen macht, die jedoch sehr zeit- und kostenintensiv sind.

Vor dem Hintergrund der geschilderten Beispiele stellt sich folgende Frage:

Lässt sich eine Passung zwischen den angebotenen Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren und dem Bewerber bereits bei der Suche nach Jobs errechnen?

Und wenn ja, auf welcher Basis? Und ist die Individualisierung des Employer Brandings und des Recruitings überhaupt schon so weit, als dass diese eingesetzt werden könnte?

Bereits 2017 hat Joachim Diercks vier Ecksteine für ein zukünftiges Recruiting und Employer Branding in diesem Artikel identifiziert:

Selbstselektion, Personalisierung, Matching und Service.

Mit dem zweiten Eckstein der Personalisierung ist u.a. gemeint, dass Online-Personalmarketingaktivitäten insbesondere über die eigene Karriereseite deutlich individualisierter werden müssen. Händler wie Amazon zeigen schließlich auch nicht jedem Kunden die gleiche Startseite an.

Wenn die Entwicklung anhält, dass Bewerber immer stärker “ihr“ Unternehmen auswählen (und nicht anders herum), müssen die Unternehmen den Bewerber verstärkt individuell ansprechen. Da dies heute noch mit einem sehr hohen personellen Arbeitsaufwand betrieben werden müsste, liegt es nahe hier über ein automatisiertes Matchmaking nachzudenken. Dabei wird es insbesondere wichtig sein die Kommunikation der Arbeitgebermarke individuell an die Bewerber anzupassen.

Im Rahmen meiner Master-Thesis an der SRH Fernhochschule – The Mobile University habe ich mich zusammen mit Prof. Dr. Lars Jansen mit genau dieser Frage beschäftigt. Die Leitfrage der Thesis war „Inwieweit existieren Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung von Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren und der Persönlichkeit eines Individuums?“

Auf der theoretischen Basis der Big-Five von McCrae und Costa sowie auf einer selbstständig durchgeführten Operationalisierung des Konstrukts „Arbeitgeberattraktivität“ mit 35 identifizierten Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren habe ich die Leitfrage anhand einer quantitativen Studie untersucht.

Dabei wurde einerseits der B5T von Dr. Satow eingesetzt und andererseits wurde abgefragt, wie wichtig die 35 identifizierten Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren auf einer vierstufigen Likert-Skala für die Teilnehmer sind.

Anhand der Stichprobe von 1.072 auswertbaren Datensätzen ist einerseits die allgemeine Wichtigkeit der Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren untersucht worden und andererseits die Korrelation der fünf Faktoren des Big-Five-Modells zu den 35 Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren.

Das Kernergebnis sagt aus, dass viele der Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren kleine (.01 – .03) bis mittlere (.03 – .05) Korrelationen zu den Big-Five aufweisen. Dabei weisen insbesondere die Persönlichkeitsmerkmale „Offenheit für Erfahrungen“, „Extraversion“ und „Verträglichkeit“ viele Korrelationen auf, während „Gewissenhaftigkeit“ und „Neurotizismus“ in keinem hohen Zusammenhang zur Bedeutsamkeit von Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren stehen.

Ich konnte im Rahmen der Studie anhand von Partialkorrelationen zeigen, dass die identifizierten Korrelationen statistisch unabhängig von demographischen Daten sind.

Doch wie hilft dieses Ergebnis nun Max bei der Jobsuche und Erika bei der Online-Ansprache von Bewerbern?

Mittels eines Algorithmus, welcher die generelle Wichtigkeit der Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren in Relation setzt zu den Korrelationen zwischen den Faktoren und den Big-Five habe ich eine Web-App entwickelt, die genau diese Passung errechnet.

Dabei füllt ein Jobsuchender oder ein potenzieller Bewerber einen Persönlichkeitsfragebogen aus, mithilfe dessen sich die Ausprägungen der Big-Five errechnen lassen. Im Hintergrund wird mit Zuhilfenahme der demographischen Daten individuell errechnet, welche Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren besonders wichtig sind.

Wie diese Abbildung zeigt, wird die Person beim ersten Aufruf und nach dem Login gefragt, ob sie den Persönlichkeitsfragebogen ausfüllen möchte, wenn noch keine Daten vorliegen.

Nachfolgend kann der Persönlichkeitstest ausgefüllt und ausgewertet werden.

Die Auswertung zeigt im ersten Schritt die Ehrlichkeit auf einer Skala an, die mithilfe von vier Kontrollfragen gemessen wird (vgl. nachfolgende Abbildung). Im nächsten Schritt können die Ergebnisse des Persönlichkeitsfragebogens sowie die individuelle Auswertung der wichtigsten Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren angesehen werden.

Wie Abbildung 4 zeigt, ist es hierbei nun auch möglich, die demographischen Daten zu ändern oder mittels der Schieberegler eine andere Persönlichkeit zu „simulieren“. Dabei werden rechts in der Box in Echtzeit die individuelle Wichtigkeit der jeweiligen Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren berechnet. Natürlich lassen sich dann auch noch weitere Infos über alle Faktoren einsehen (vgl. folgende Abbildung).

Die Web-App befindet sich aktuell noch in einem ersten Beta-Stadium und ist auf Deutsch und Englisch entwickelt worden. In der nächsten Iterationsstufe ist denkbar, weitere Erhebungen zur Messung der Persönlichkeit, bspw. über Apply Magic Sauce von der University of Cambridge, einzubinden und den Algorithmus weiter zu entwickeln.

Grundsätzlich sind jedoch mithilfe dieser Methodik zwei „Problemstellungen“ lösbar: Einerseits das Problem von Max, andererseits das Problem von Erika.

So ist es vorstellbar, dass auf Jobportalen Max einen Persönlichkeitsfragebogen ausfüllt und Unternehmen hinterlegen, welche Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren angeboten werden. Idealerweise können diese von aktuellen Mitarbeitern auch noch bewertet werden. In der Jobsuche werden Max dann nur Unternehmen angezeigt, die, zumindest theoretisch, genau solche Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren bieten, die Max aufgrund seiner Persönlichkeit auch besonders wichtig sind.

Zudem ist es auch möglich, dass auf Karriereseiten von Unternehmen die potenziellen Bewerber ihre „Persönlichkeitsdaten“, natürlich anonym, hinterlassen; sei es über einen Fragebogen oder über Tools wie Apply Magic Sauce. So könnten Unternehmen ihre Jobwebseiten individualisieren und genau auf die potenziellen Bewerber zuschneiden. Idealerweise bekommt Erika dadurch mehr Bewerber, sowohl über die eigene individualisierte Jobwebsite als auch über Jobportale, wo ihr Unternehmen jetzt viel besser die angebotenen Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren vermarkten kann.

Ein Gedanke zu „Employer Matching: Eine Studie und ein Algorithmus zur Passung zwischen Persönlichkeit und Arbeitgeberattraktivitätsfaktoren

  1. Die deutsche Persönlichkeitst-Test-Szene ist mittlerweile einige Jahhe hinterher. Der aktualisierte Goldstandard der Big Five nennt sich “Aspektskala” und wurde 2007 von Dr. Jordan Peterson und Team in’s Leben gerufen. Das Ursprungspaper wurde seitdem über 1300 zitiert – Hierzulande kennt das Verfahren aber noch kaum jemand. Weitere Informationen finden sich auf understandmyself.de MFG

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