Den passenden Ausbildungsberuf oder Studiengang – wie findet man den bloß?

Studien- und Berufswahl – eine große Herausforderung

„Du kannst alles werden! Die Welt steht dir offen!“ – die Globalisierung macht die Welt kleiner und eröffnet viele Möglichkeiten. Ein Auslandsjahr in Kanada, Work&Travel in Australien oder Au Pair in Frankreich. Für die Generationen Y, Z und Alpha ist das nichts Außergewöhnliches. Die Frage nach einem passenden Studium oder einer Berufsausbildung hingegen stellt viele aufgrund der Vielfalt an Optionen vor ein Orientierungsproblem.

Allein die Frage „Ausbildung oder Studium“ lässt sich bereits gar nicht so leicht beantworten. Mittlerweile gibt es auch viele unterschiedliche Studiengänge, die eine Mischform zwischen dem klassischen Studium und einer Berufsausbildung darstellen. Insgesamt können Interessierte in Deutschland aktuell aus rund 12.000 (!) grundständigen Studiengängen an mehr als 400 Hochschulen auswählen. Wer eine Berufsausbildung anstrebt, hat (je nach Zählweise) eine Auswahl von 300 bis 600 Ausbildungsberufen, welche von ca. 400.000 Ausbildungsbetrieben angeboten werden. Die genaue Anzahl dualer Studiengänge kennt niemand (man schätzt zwischen 1200 und 2000), aber das verändert sich auch andauernd. Wer soll da den Überblick haben und den richtigen individuellen Weg finden?

„Im Internet steht doch alles!“ Stimmt wahrscheinlich, hilft aber nicht wirklich, denn die große Menge an Informationen aus dem Internet ist kaum zu verarbeiten. Ratschläge wie „schau dir das doch alles mal an und dann entscheidest du dich“ sind gut gemeint, aber unpraktikabel und weltfremd. Denn fängt man an einem Ende an, hat sich am anderen schon wieder alles mögliche verändert. Und immer bleibt das ungute Gefühl, doch nicht alles (entscheidende) gesehen zu haben.

Es ist daher wenig überraschend, dass die Berufs- und/oder Studienwahl am Ende doch wieder stark von Stereotypen geprägt ist („Ich geh zum Staat, da ist der Job sicher“ oder „Altenpflege? – Das ist doch nichts für Jungs“) oder durch das Umfeld stark beeinflusst wird („Alle meine Freunde machen das!“, „Papa sagt, ich soll lieber eine Ausbildung machen, hat ihm auch nicht geschadet“ oder „wer nicht studiert, bringt es zu nix!“).

Dabei wird die entscheidende Frage „was passt eigentlich zu mir, was will ich eigentlich?“ zu selten gestellt oder es scheitert an der schwierigen Antwort. Selbst wenn man halbwegs beschreiben kann, was einen interessiert, heißt das noch lange nicht, dass man auch das dazu passende Angebot kennen würde oder beschreiben könnte. Im Schnitt werden immer noch über ein Viertel aller begonnenen Ausbildungen oder Studiengänge vor Abschluss abgebrochen, da vorab einfach nicht erfüllbare Erwartungen und falsche Vorstellungen vorlagen. Dies führt bei angehenden Auszubildenden und Studierenden zu Frustration. Für Unternehmen und Hochschulen entstehen dadurch betriebswirtschaftliche Auswirkungen, die im Idealfall frühzeitig verhindert werden können. Häufig sind falsche oder unerfüllbare Erwartungen an einen Studiengang, ein Berufsbild oder an einen Arbeitgeber der entscheidende Grund für Unzufriedenheit und geringere Leistungen im Job.

(Spielerische) Orientierungshilfen

Die Entscheidung für die Studien- und Berufswahl ist sehr individuell und enthält viele nicht kontrollierbare Variablen. Daher gibt es keine Instrumente, die alle oben beschriebenen Probleme vollständig lösen können. Aber zur Verringerung des Problems können Interessentests, Matching-Tools und virtuelle Praktika helfen. Das Beste daran: diese Tools machen sogar Spaß.

Interessentests werden von verschiedenen Plattformen angeboten, die sich der Berufs- und Studienorientierung widmen.

Der Anbieter von Ausbildungsmessen „EINSTIEG“ bietet z.B. einen kostenlosen Berufswahltest an. Hierbei handelt es sich um eine speziell auf die berufliche Orientierung im Kontext der dualen Berufsausbildung zugeschnittene Variante des von CYQUEST entwickelten Interessentest zur Berufswahl „interest_job“. Dieser baut auf dem „RIASEC-Modell“ von John Holland (1997) auf und unterscheidet sechs grundlegende Interessenbereiche (kreativ-kulturelle Interessen, soziale Interessen, wirtschaftlich-unternehmerische Interessen, administrativ-verwaltende Interessen, technisch-praktische Interessen sowie theoriegeleitet-forschende Interessen).

Innerhalb von acht bis zehn Minuten erhalten NutzerInnen nach der Bearbeitung des Tests ihr persönliches Interessenprofil, welches die persönlichen Ausprägungen auf den sechs berufsrelevanten Interessendimensionen zeigt. Nachfolgenden wird dieses individuelle Profil mit etwa 600 Ausbildungsberufs- sowie Studienfeldern abgeglichen und zu einer Passungsrückmeldung verdichtet – entweder bezogen auf Berufsausbildungs- oder auf Studienangebote.

Der Berufstest von Lehrberuf.info unterstützt in Österreich dabei, junge Menschen ihre persönlichen beruflichen Interessen besser zu verstehen und in die passenden Lehrberufe zu übersetzen. Hierbei handelt es sich um eine sehr spielerisch – wie in einem Messenger-Chat – gehaltene Kurzversion des oben genannten Interessentests.

In eine ganz ähnliche Richtung geht auch ein Angebot, welches sich auf der von ZEIT ONLINE bzw. der von der Hochschulrektorenkonferenz betriebenen Webseite Hochschulkompass findet: Der „Studium-Interessen-Test“ (SIT) misst Studieninteressen und übersetzt diese in zu den Interessen passende Studiengänge. Der SIT besteht aus 72 Interesseneinschätzungen und basiert auf einer speziell auf Studieninteressen adaptierten Version des CYQUEST Interessentests, dem „interest_st“.

Nach maximal 15 Minuten Bearbeitungszeit gelangt man zum Ergebnis, welches eine allgemeine Rückmeldung zu den sechs Interessendimensionen enthält. Dieses Ergebnis kann nun als Filterkriterium bei der Studiengangssuche eingesetzt werden. In der Suchmaske kann dabei der gewünschte Grad der Übereinstimmung zwischen den persönlichen und den von einem konkreten Studiengang auch bedienten Interessen einstellen (als Default-Einstellung gelten hierbei 80% Übereinstimmung). Die Anzahl an Treffern wird dabei dynamisch und fortlaufend verändert. Als weitere Filterkriterien können Studienbereiche, Wunschregion oder die favorisierte Hochschulform eingestellt werden. Am Ende wird aus den theoretisch möglichen 12.000 Studiengängen ein überschaubares Angebot weniger Angebote, auf das man dann seine Energie konzentrieren kann.

Berufswahltests oder der SIT dienen selbst noch nicht dem Zweck, den perfekt passenden Ausbildungsberuf oder Studiengang zu finden. Sie verfolgen die Zielsetzung, die Auswahl an Angeboten einzugrenzen und einen Überblick zu verschaffen. In Kombination mit Detailinformationen zu den ausgewählten Berufsbildern oder Studiengängen helfen Interessentests dabei, das jeweils passenden Angebote zu finden und die Wahrscheinlichkeit eines Ausbildungs- oder Studienabbruchs zu senken.

Jährlich über 300.000 (Berufswahltest bei EINSTIEG), ca. 180.000 (SIT) bzw. über 70.000 (Lehrberuf.info) Nutzungen zeigen, dass diese Angebote einen zentralen Bedarf junger Menschen bedienen.

Matching-Tools

Die gleiche Zielsetzung verfolgen auch sog. „Matching-Tools“, die immer mehr ihren Einsatz bei Unternehmen im Rahmen ihrer Personalmarketing- und Berufsorientierungsbemühungen auf der Karriere-Website, in Social Media oder auf Karrieremessen finden.

NutzerInnen bekommen eine überschaubare Anzahl an Aussagen (oft kombiniert mit Bildern) präsentiert und sollen diese durch Zustimmung oder Ablehnung bewerten. Bei diesen Tools spricht man auch vom „Tinder for Jobs“- oder “Wahl-O-Mat”-Prinzip. Die Antworten der Aussagen dienen dazu, das Angebot an Ausbildungsberufen oder dualen Studiengängen für die/den NutzerIn in einem individuelle Passungsreihenfolge zu bringen. Ziel ist es, Interessierte schneller und auf eine unterhaltsame und kurzweilige Weise zu den richtigen Einstiegsmöglichkeiten zu führen.

Zahlreiche Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen setzten solche Tools mittlerweile ein, etwa Liebherr (“Liebherr Job-Check“), die Berliner Verkehrsbetriebe („BVG-Ausbildungsmatcher“), die Deutsche Telekom („Karrierematcher“) oder der Krankenhauskonzern Sana („Sana Raketenstart“).

Der Raketenstart z.B. bietet SchülerInnen Unterstützung dabei, im großen Sana Universum über 20 Ausbildungsberufe und duale Studiengänge aus den Bereichen Pflege, Medizinisch-Technischer Dienst, Management & Verwaltung sowie Technik und Informationstechnik kennen zu lernen, die teilweise nicht sofort mit einem Krankenhaus assoziiert werden. Die Handhabung des Matchers ist einfach und intuitiv, die 22 kurzen und prägnanten Aussagen können per Daumen hoch oder Daumen runter bzw. durch entsprechendes Swipen nach rechts oder links werden. Insgesamt beansprucht die Bearbeitung nur wenige Minuten, die NutzerInnen erhalten nach dem Abschluss ihr persönliches Ergebnis mit einem prozentualen Ranking aller Berufe. Zusätzlich lässt sich eine Kurzbeschreibung des jeweiligen Berufsbilds ausklappen, sodass bereits erste Informationen angesehen werden können. Detaillierte Informationen sind über die Schaltfläche „Mehr Infos“ und dem Absprung zur Sana Karriereseite einsehbar. Ebenso besteht die Möglichkeit sich für einen Ausbildungsplatz gleich unmittelbar zu bewerben.

Diese Matching-Tools dienen genauso wie die Interessentests vor allem dem Zweck, den Blick schnell und zielgerichtet auf die mit höherer Wahrscheinlichkeit passenden Einstiegsmöglichkeiten zu lenken. Detaillierte Informationen und Einblicke in die Berufs- und Studieninhalte und -realitäten können hierdurch nicht geleistet werden.

Übrigens: Auch solche Matching-Tools bzw. Selbsttests kommen bei der Zielgruppe sehr gut an. Lt. der Studie Azubi-Recruiting-Trends 2022 würden es 90% der SchülerInnen begrüßen, solche Instrumente bspw. auf der Karriere-Website der Unternehmen vorzufinden…

Virtuelle Praktika

Detaillierte Informationen und Einblicke in die Berufs- oder Studieninhalte und -realitäten ermöglichen sog. „Berufsorientierungsspiele“ (oft auch als „virtuelle Praktika“ bezeichnet) oder deren Pendants auf Hochschulseite – die sog. „Online-Self-Assessments“ (OSA).

Konkrete Inhalte und Aufgabenstellung aus den jeweiligen Berufen bzw. Studiengängen ermöglich es den NutzerInnen, sich selbstständig mit diesen Themen auseinanderzusetzen und diese selbst zu bearbeiten. Die zu übernehmenden Aufgaben sind im Vergleich zur Berufs- und Studienrealität vereinfacht dargestellt und setzten kein Fachwissen heraus, welches in der jeweiligen Ausbildung erlernt wird.

Es wird vielmehr die Zielsetzung verfolgt, den NutzerInnen einen Eindruck zu vermitteln, wie sich der jeweilige Job oder Studiengang „anfühlen“ würde, wenn man sich denn für diesen entscheidet: „Mit welchen Inhalten beschäftige ich mich da?“, „Kann ich das?“, vor allem aber: „Will ich das überhaupt?“. Stellt man bei der Selbstüberprüfung fest, dass das Geschehen doch nicht das Richtige für einen selbst ist, kann dies genauso zielführend sein, wie eine Entscheidung dafür.

Lieber ein paar mehr Minuten in diese Überprüfung investieren, als nach mehreren Monaten im falschen Job oder Studium festzustellen, dass man nicht die richtige Wahl getroffen hat.

Auch für diese Form der Berufs- bzw. Studienorientierung gibt es zahlreiche Beispiele, etwa das „Porsche Bewerbungs-Navi“ , die „10 Minuten Online-Praktika“ von Deloitte, “Probier dich aus” von der Commerzbank, der “TenneT Berufsinsider” oder „C!You – start learning@hamburg“ der Freien und Hansestadt Hamburg.

Hochschulseitig wären bspw. die “HAW-Navigatoren” der HAW Hamburg oder die „HSNR-Navigatoren“ der Hochschule Niederrhein zu nennen.

Das Berufsorientierungsspiel „Porsche Bewerbungs-Navi” gibt als virtuelles Praktikum spannende und interessante Einblicke in den Alltag und die Herausforderung des Ausbildungsberufsbild “Kfz-Mechatroniker für System- und Hochvolttechnik”. User durchlaufen dabei 10 Aufgaben zu Themen rund um die Ausbildung und erhalten nach der Beantwortung jeweils eine kurze Erklärung zu den Aufgaben in der Ausbildung. Über die Bearbeitung der Aufgaben sammeln die User zudem Punkte, die dann zum Ende hin summiert und als Gesamt-Feedback ausgespielt werden.

Das Berufsorientierungsspiel unterteilt sich in drei inhaltliche „Stopps“ und startet im Ausbildungszentrum in der Produktion in Stuttgart Zuffenhausen, indem die Auszubildenden einen Mix aus Classroom und Praxisarbeiten in der Ausbildungswerkstatt erwartet. Die erste Aufgabe beginnt mit einem kleinen Quiz mit Fragen rund um das Berufsbild, wie hoch z. B. die Spannung in einem Porsche Taycan ist oder was die Besonderheiten an einem Hybrid-Fahrzeug sind. Weiter geht’s mit einer Aufgabe zur Verschaltung eines Bremslichts. Das Bremslicht muss dabei so verschaltet werden, dass bei Betätigung der Bremse das Licht aufleuchtet.

In anderen Aufgaben müssen z.B. verschiedene Werkzeuge entsprechend ihren Bezeichnungen zugeordnet und die richtige Spannung auf einem Multimeter eingestellt werden oder Arbeitsschritte in der Produktion in der richtigen Reihenfolge ausgewählt werden und Bauteile sowie Komponenten von Verbrennungsmotoren und E-Maschinen ihren entsprechenden Antrieben zugeordnet werden.

Durch unterschiedliche Spielemechaniken (z.B. Single Choice, Schieberegler, Memory-Spiel) wird auch ein hoher Anteil der Gamification der Anwendung erzielt. Dadurch bietet die Anwendung Spielspaß und erzielt positive Wirkungen in Bezug auf das Arbeitgeberimage.

Übrigens: Demnächst wird ein Recruiting-Game einer großen LEH-Kette für das Berufsbild “Fleischerei-FachverkäuferIn” erscheinen; ein ganz schönes Beispiel dafür, dass sich diese Kommunikationsmethode buchstäblich für alle Formen von Berufsbildern eignet…

Fazit

Selbsttests, Matching-Tools und Orientierungsspiele haben alle gemein, dass die erzielten Ergebnisse in den Anwendungen ausschließlich von den jeweiligen NutzerInnen einsehbar sind und nicht von den dahinterstehenden Firmen oder Hochschulen. Denn ganz bedeutsam in diesem Kontext: es handelt sich bei allen Anwendungen um Self-Assessments und nicht um (etwaige getarnte) Auswahltests.

Natürlich können die in diesem Beitrag beschriebenen Lösungen das Problem mangelhafter Orientierung nicht im Alleingang lösen und jungen Menschen die Entscheidung, welchen Weg sie letztlich einschlagen sollen, komplett abnehmen. Aber diese Anwendungen können helfen, die komplexe Welt so vorzusortieren, dass junge Menschen ihre Energie der Detailorientierung und Informationssuche widmen können und gezielt auf diejenigen Angebote gelenkt werden, die auch mit hoher Wahrscheinlichkeit passend für sie sind.

Denn sie setzen an einer entscheidenden Stelle an: Beim einzelnen Ratsuchenden und dessen Interessen und Wünschen. Somit wird der Fokus der Problemlösung bereits frühzeitig adressiert und kann noch vor dem Eintreten ins Arbeits- oder Studierendenleben thematisiert werden, nämlich bereits vor einer etwaigen Bewerbung.

Und nicht nur junge Menschen profitieren von diesen Tools. Auch Unternehmen und Hochschulen profitieren von solchen Selbsttests, da sie den Person-Job- und den Person-Organization-Fit testen. Im Idealfall landen so weniger junge Menschen in Berufen/Unternehmen oder Studiengängen, zu denen sie nicht passen. Aus der Unternehmens- und Hochschulperspektive betrachtet stellt man so also besser passende MitarbeiterInnen oder Studierende ein, die eine bessere Performance, niedrigere Fluktuation und mehr Zufriedenheit mitbringen. Die individuelle Passung zu einem Unternehmen oder einem Berufsbild bzw. Studiengang wird zukünftig in zunehmendem Maße entscheidend sein bei der gegenseitigen Auswahl von KandidatInnen/Studierenden und Unternehmen/Hochschulen.

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P.S. Wer noch tiefer in diese Thematik einsteigen und vor allem noch seeehr viel mehr Beispiele und Fallstudien sehen möchte, dem sei das Buch Recrutainment – Gamification in Employer Branding, Personalmarketing und Personalauswahl (Jansen, Diercks, Kupka, 2023, SpringerGabler) sehr ans Herz gelegt…

Ein Gedanke zu „Den passenden Ausbildungsberuf oder Studiengang – wie findet man den bloß?

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