Wie finde ich bloß den „richtigen“ Ausbildungsberuf oder Studiengang?

Diese Frage bewegt Jahr für Jahr Hunderttausende (junge) Menschen.

Es ist ja auch einer der (oder sogar die?) entscheidenden Fragen, den man sich im Leben gegenüber sieht, weil davon alles weitere so maßgeblich beeinflusst wird.

Es ist aber auch eine der schwierigsten Fragen, denen man sich stellen muss. Erstens schlicht aufgrund der Tatsache, dass es so unglaublich viele Optionen gibt. Zweitens aber auch, weil der Abgleich zwischen den eigenen Interessen, Wünschen und Zielen und den Anforderungen und Inhalten der unendlich vielen Optionen so komplex ist.

Wer kann schon trennscharf sagen, was genau einen interessiert, wo genau die eigenen Stärken liegen und womit man sich heute, morgen und übermorgen den Großteil der Wachzeit beschäftigen möchte? Und selbst wenn einem dies halbwegs gelingt, wer kann sagen, in welchen Berufen und in welchen Unternehmen diese Interessen bedient werden und man diese Stärken auch einbringen kann?

Berufsorientierung ist also im wahrsten Sinne Selbsterkundung und Lebensorientierung.

Und – das werde ich nicht müde zu betonen – Berufsorientierung ist einer DER Schlüssel zur Bewältigung des allgemeinen FachArbeitskräftemangels. Ich habe das „Fach“ absichtlich durchgestrichen, weil wir wenn man ehrlich ist mittlerweile nicht mehr nur einen Mangel an Spezialisten haben, sondern es mangelt zunehmend auch an LKW-FahrerInnen, Reinigungskräften, ZustellerInnen, Pflegekräften, HandwerkerInnen etc. Es also auf die immer wieder zitierten IT-ler zu reduzieren, wird der Tragweite des Problems nicht gerecht.

Wir haben mit der dualen Berufsausbildung eigentlich eine Wunderwaffe im Repertoire, dieses Problem lösen zu können, leisten uns aber gleichzeitig immer noch „den Luxus“ von durchschnittlichen Abbruchquoten um die 25%, sowohl in der dualen Berufsausbildung als auch der hochschulischen Ausbildung. Ein Großteil dieser Abbrüche lässt sich letztlich durch eine mangelnde Orientierung im Vorwege erklären. Gelänge es diese Zahl (deutlich) zu senken, stünden dem Arbeitsmarkt jedes Jahr etliche Zehntausend Menschen mehr zur Verfügung. Nicht falsch verstehen: Berufsorientierung erhöht nicht die Zahl an Menschen, aber sie sorgt dafür, dass mehr qualifizierte Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und nicht in letztlich überflüssigen Warteschleifen ihre Kreise drehen.

Doch wie kann das Problem gelöst oder zumindest reduziert werden?

Hierzu habe ich kürzlich ein paar Gedanken und konkrete Lösungen und Tools in einem Artikel für das Trendence Magazin formuliert. Ihr könnt den Beitrag (neben einigen interessanten Beiträgen – u.a. von Eva Stock, Tim Verhoeven oder Stefan Theisen – und spannenden Arbeitgeberrankings) dort gern lesen. Wem das jetzt doch Klick zuviel ist, für den habe ich den Text hier noch einmal eingefügt:

Wie finde ich bloß den für mich „richtigen“ Ausbildungsberuf oder Studiengang?

„Du kannst alles werden! Die Welt steht dir offen!“ Unter diesem Motto ist eine ganze Generation groß geworden. Und trotz Brexit oder coronabedingt zeitweise geschlossener Grenzen ist es ja auch richtig: Jahrzehnte der Globalisierung haben die Welt kleiner gemacht – Auslandsjahr in Kanada, Work&Travel in Australien oder Au Pair in Frankreich, für die Generationen Y, Z und Alpha ist das nichts Außergewöhnliches. Und selbst wenn man den Blick gar nicht in die weite Welt schweifen lässt, sondern sich erstmal „nur“ der Frage widmet, was denn nach der Schule kommen soll, also z.B. ein Studium oder eine Berufsausbildung, ist die Welt bunt und voller Optionen.

Tja, und genau da liegt das Problem.

Die Frage „Ausbildung oder Studium“ ist ja schon mal eine, die sich gar nicht so leicht beantworten lässt. Und damit nicht genug, gibt es doch mittlerweile mit den unterschiedlichsten Formen dualer Studiengänge auch jede Menge Mischformen zwischen klassischem Studium und Berufsausbildung. Und dann kommt die schier unglaubliche Vielzahl an jeweiligen Möglichkeiten hinzu:

Wer sich für ein Studium interessiert, der kann allein in Deutschland aktuell aus rund 12000 (!) grundständigen Studiengängen an mehr als 400 Hochschulen auswählen. Wer eine Berufsausbildung anstrebt, dem stehen, je nach Zählweise, zwischen 300 und 600 Ausbildungsberufe zur Auswahl, angeboten von ca. 400.000 Ausbildungsbetrieben. Die Zahl dualer Studiengänge kennt niemand so genau. Es wäre auch fast müßig diese zu zählen, ändert sich das Angebot doch eh buchstäblich täglich. Wer soll das alles überblicken und vor allem, wie soll man da den richtigen Weg für sich finden?

Auch wenn es für alles und jeden unheimlich viel an Informationen gibt – „im Internet steht doch alles!“ -, die schiere Menge an Informationen ist nicht zu verarbeiten. Der Ratschlag „schau dir das doch alles mal an und dann entscheidest du dich“ ist vielleicht gut gemeint aber natürlich komplett unpraktikabel und weltfremd.

Und so ist es auch wenig überraschend, dass die Berufs- und/oder Studienwahl am Ende doch wieder stark von Stereotypen geprägt ist („Ich geh zum Staat, da ist der Job sicher“ oder „Altenpflege? Das ist doch nichts für Jungs“) oder durch das Umfeld bestimmt bzw. mindestens stark beeinflusst wird („alle meine Freunde machen das!“, „Papa sagt, ich soll lieber eine Ausbildung machen, hat ihm auch nicht geschadet“ oder „wer nicht studiert, bringt es zu nix!“).

Die eigentlich entscheidende Frage „was passt eigentlich zu mir, was will ich eigentlich?“ wird entweder zu selten gestellt oder es scheitert an der schwierigen Antwort: Denn selbst wenn man halbwegs beschreiben könnte, was einen interessiert, heißt das ja noch lange nicht, dass man dann auch das dazu passende Angebot kennen würde, geschweige denn beschreiben könnte. Dass im Schnitt (!) immer noch über ein Viertel aller begonnenen Ausbildungen oder Studiengänge vor Abschluss abgebrochen werden, liegt vor allem daran, dass diese die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnten oder anders formuliert: Dass vorab einfach nicht erfüllbare Erwartungen und falsche Vorstellungen vorlagen.

Interessentests, Matching-Tools und virtuelle Praktika können helfen

Um eines vorweg zu nehmen: Es gibt keine Instrumente, die die oben beschriebenen Probleme vollständig zu lösen im Stande wären. Aber, das ist die gute Nachricht, es gibt Tools, die sehr wohl helfen können, das Problem deutlich zu verringern. Und dabei sogar Spaß machen.

So bieten bspw. verschiedene Plattformen, die sich der Berufs-/Studienorientierung widmen, sog. „Interessentests“. Bspw. findet sich auf der Website des Anbieters von Ausbildungsmessen „EINSTIEG“ ein kostenloser Berufswahltest, dessen Bearbeitung nur wenige Minuten in Anspruch nimmt. Das Ergebnis ist ein Befund der persönlichen Ausprägung auf sechs berufsrelevanten Interessendimensionen (technisches Interesse, soziales Interesse, künstlerisches Interesse usw.). Und dieses Ergebnis kann dann per Knopfdruck übersetzt werden in zu diesen persönlichen Interessen passenden Ausbildungsberufen. Mit dem Berufstest“ bietet die Plattform Lehrberuf.info das entsprechende Pendant für Österreich.

In eine ganz ähnliche Richtung geht ein Angebot, das sich auf ZEIT ONLINE bzw. der von der Hochschul-Rektoren-Konferenz betriebenen Website Hochschulkompass findet. Der „Studium-Interessen-Test“ (SIT) misst Studieninteressen und übersetzt diese in zu den Interessen passende Studiengänge. Kombiniert mit weiteren Filterkriterien wie der Wunschregion oder der favorisierten Hochschulform wird so ganz schnell aus 12000 theoretisch möglichen Studiengängen ein überschaubares Set weniger Angebote, die man sich dann auch im Detail anzuschauen im Stande ist. Angebote wie der Berufswahltest oder der SIT dienen also selber noch nicht dem Zweck, den einen perfekt passenden Ausbildungsberuf oder Studiengang zu finden, sondern dazu die Auswahl so weit einzugrenzen, dass man sie überhaupt überblicken kann. Über 300.000 (Berufswahltest) bzw. ca. 180.000 (SIT) Nutzungen pro Jahr zeigen, dass Angebote wie diese offenkundig einen zentralen Bedarf junger Menschen bedienen.

Das gilt auch für sog. „Matching-Tools“ wie sie immer mehr Unternehmen im Rahmen ihrer Personalmarketing- und Berufsorientierungsbemühungen einsetzen, etwa auf der Karriere-Website des Unternehmens, in Social Media oder auf Karrieremessen.

Hierbei bekommen die NutzerInnen eine sehr überschaubare Anzahl an Aussagen (oft kombiniert mit Bildern) präsentiert und sollen diese durch Zustimmung oder Ablehnung bewerten. Nicht ganz zufällig spricht man daher bei diesen Tools oft auch vom „Tinder for Jobs“-Prinzip. Die Antworten auf die Aussagen dienen dazu, das jeweilige vom Unternehmen angebotene Spektrum an Ausbildungsberufen oder dualen Studiengängen für die/den einzelne(n) NutzerIn in eine individuelle Passungsreihenfolge zu bringen und die Menschen so schneller zu den richtigen Einstiegsmöglichkeiten zu führen. Zahlreiche Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen setzen solche Tools mittlerweile eine, etwa die Berliner Verkehrsbetriebe („BVG-Ausbildungsmatcher“), der Krankenhauskonzern Sana („Sana-Raketenstart“), EDEKA Südwest („Berufsmatcher) oder die Deutsche Telekom („Karrierematcher“).

Diese Matching-Tools dienen genauso wie die oben beschriebenen Interessentests vor allem dem Zweck, den Blick schnell und zielgerichtet auf die mit höherer Wahrscheinlichkeit passenden Einstiegsmöglichkeiten zu lenken. Detaillierte Informationen oder Einblicke in die Berufs- oder Studieninhalte und –realitäten bieten sie jedoch nicht.

Das zum Ziel haben wiederum sog. „Berufsorientierungsspiele“ (oft auch als „virtuelle Praktika“ bezeichnet) oder deren Pendents auf Hochschulseite – die sog. „Online-Self-Assessments“ (OSA).

Virtuelle Praktika

Hier geht es darum, sich mit konkreten Inhalten und Aufgabenstellungen aus den jeweiligen Berufen (bzw. Studiengängen) zu befassen bzw. diese selber zu bearbeiten. Natürlich sind die zu übernehmenden Aufgaben gegenüber der Berufs- bzw. Studienrealität vereinfacht. Und natürlich setzen sie auch kein Fachwissen voraus, das man erst in der jeweiligen Ausbildung erlernt. Es geht vielmehr darum, soz. am eigenen Leib zu erfahren, wie sich der jeweilige Job oder Studiengang „anfühlen“ würde, wenn man sich denn für diesen entschiede: Mit welchen Inhalten beschäftige ich mich da? Kann ich das? Vor allem aber: „Will ich das?“. Stellt man bei dieser Selbstüberprüfung fest, dass das Gesehene nicht das richtige für einen selber ist, ist das vollkommen okay! Man hat ja außer ein paar Minuten Lebenszeit nicht viel investiert und kann sich der nächsten Option zuwenden. Das ist auf jeden Fall viel besser als wenn man nach sechs Monaten im Job oder Studium feststellt, dass man auf´s falsche Pferd gesetzt hat.

Auch für diese Form der Berufs- bzw. Studienorientierung gibt es zahlreiche Beispiele, etwa das „Abenteuer apoBank“, die „10 Minuten Online-Praktika“ von Deloitte, „Probier dich aus“ von der Commerzbank, die „Praxis-Checks“ von Peek & Cloppenburg oder „C!You – start learning@hamburg“ der Freien und Hansestadt Hamburg.

Hochschulseitig wären bspw. die „Online-Studienorientierungen“ der Uni Göttingen, die „HAW-Navigatoren“ der HAW Hamburg oder die „HSNR-Navigatoren“ der Hochschule Niederrhein zu nennen.

Allen genannten Ansätzen ist hierbei gemeinsam, dass die erzielten Ergebnisse, ob in Selbsttest, Matching-Tool oder Orientierungsspiel, ausschließlich die/der jeweilige NutzerIn zu sehen bekommt, nicht die dahinterstehende Firma oder Hochschule. Denn ganz wichtig: Es handelt sich um Self-Assessments, nicht um (verkappte) Auswahltests.

Natürlich können die in diesem Beitrag beschriebenen Lösungen das Problem mangelhafter Orientierung nicht im Alleingang lösen. Aber sie können helfen, das Problem deutlich zu reduzieren, denn sie setzen an der entscheidenden Stelle an: Beim einzelnen Ratsuchenden und dessen Interessen und Wünschen.

2 Gedanken zu „Wie finde ich bloß den „richtigen“ Ausbildungsberuf oder Studiengang?

  1. Ich finde die Entscheidung auch schwer. Das Angebot ist unüberschaubar, daher danke für die vielen Links, werde das mal durchgehen.

  2. Sehr gute Zusammenfassung der Tools für die Berufsorientierung. Die Pille der Erkenntnis ist es nach wie vor nicht. Um die Bereitschaft zur Selbst-Reflektion und Beschäftigung mit der Frage:“Was will, was ist mir wichtig und kann ich das auch (ggfs. auch erlernen) und wo in welchem Umfeld kann ich mir das vorstellen, kommt keiner herum. Obwohl die Erfahrung durch ausprobieren und das Zufallsprinzip nicht zu unterschätzen ist. Denn die meisten Menschen habe auch ein Intuition, ohne sich dessen bewußt zu sein.
    Danke für diese umfängliche Recherche-Arbeit.

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