Hohe Akzeptanz von (Online-)Tests – und zwar beim Bewerber

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Das Recrutainment-Blog feiert ein kleines Jubiläum – dieses ist unser 300ster Beitrag seit wir im Februar 2007 unter die Blogger gegangen sind. Dass heute auch der 2.000ste Tweet von meinem Twitter-Account @recrutainment abgesetzt wurde und unsere Facebook-Seite www.facebook.com/CYQUEST den 150 Fan verzeichnete rundet diesen Jubiläumstag ab.

Wir wollen den heutigen Artikel einer in der Eignungsdiagnostik sehr alten, aber nichts desto weniger immer noch hochaktuellen Frage widmen:

Wie steht es eigentlich mit der Akzeptanz von Leistungstests, speziell wenn diese als eAssessment über das Internet durchgeführt werden?

Ist es tatsächlich so, dass diese – wie auf dem „300“ Filmplakat links zu lesen – dem Kandidaten „nicht gefallen“?

Grundsätzlich bescheinigt die Forschung Leistungstests eine eher mittelmäßig hohe Akzeptanz. Auf einer Skala von 1 (niedrigste Akzeptanz) bis 3 (höchste Akzeptanz) erreichten Leistungstests in einer Untersuchung durch Schuler et al. (2007) einen durchschnittlichen Wert zwischen 1,9 und 2,0 – etwa vergleichbar mit biografischen Fragebögen. Strukturierte Interviews zum Vergleich schnitten mit 2,8 (durchgeführt durch die Personalabteilung) und 2,9 (Fachabteilung) deutlich besser ab.

Akzeptanz wird allgemein beeinflusst durch die folgenden vier Faktoren:

  • Transparenz (kann ich die Bewertungsregeln nachvollziehen?)
  • Partizipation / Ich-Beteiligung (kann ich wahrgenommen die Entscheidung beeinflussen?)
  • Feedback (wie habe ich abgeschnitten und was heißt das für mich?)
  • Information (fühle ich mich informiert, über das wofür der Test überhaupt durchgeführt wird, also die Aufgabenbereiche und Anforderungen der Tätigkeit?)

Leistungstests schneiden in diesen Dimensionen traditionell eher schlechter ab als Auswahlinstrumente, die wie Interviews oder ACs per Definition z.B. einen höheren Grad der Ich-Beteiligung haben.

Doch gilt dieser Befund nun eigentlich auch für eAssessments, also Leistungstests, die über das Internet durchgeführt werden?

Diese Bedenken werden uns gegenüber in nahezu allen Online-Assessment Projekten geäußert: „Schrecken wir durch den Einsatz von Online-Tests nicht unsere Bewerber ab? Verlieren wir nicht insb. die „Guten“ dadurch, weil die das nicht nötig haben?“

Die Antwort lautet ganz klar „Nein“!

Zunächst einmal gibt es eine Reihe von Argumenten, warum Online-Assessments nicht nur gut für das Unternehmen sind (Kosten-, Zeitersparnis, Verbesserung der prognostischen Validität), sondern auch und gerade für den Kandidaten:

  • Die Tests können durchgeführt werden, WANN der Kandidat möchte: Innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums (z.B. 14 Tage) kann der Kandidat den Online-Test zu einem selbstgewählten Zeitpunkt bearbeiten. Nachtarbeiter machen es Nachts, frühe Vögel am Morgen usw. Die Kandidaten sind nicht auf einen vom Unternehmen vorgegebenen Termin („kommen Sie Montag um 9.15 Uhr in die XY-Strasse und melden sich am Empfang“) angewiesen.
  • Die Tests können im EIGENEN, STRESSFREIEN UMFELD durchgeführt werden: Wenn es dem Kandidaten besser gefällt und er es als weniger stressig empfindet, kann er den Test im Schlafanzug auf dem Bett sitzend absolvieren. Wenn während der Testbearbeitung auf einmal der kleine Bruder durchs Zimmer tobt, kann der Test unterbrochen werden und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es wieder ruhiger ist, an der gleichen Stelle fortgesetzt werden (zumindest bei CYQUEST Tests…). Die Gestaltung des Umfelds liegt völlig beim Kandidaten und kann den individuellen Vorlieben angepasst werden.
  • Die Tests sind per Definition „objektiv“, d.h. KEIN „NASENFAKTOR“ bei der Beurteilung: Jede Personalbeurteilung durch Menschen unterliegt subjektiven Einflüssen (gefällt das Foto? Wie tritt der Kandidat auf? usw.). Online-Assessments kennen diese Subjektivität nicht. Das Verfahren misst für alle Kandidaten absolut gleich und unbestechlich. Ein „social bias“, nachdem etwa Recruiter lieber Kandidaten nehmen, mit denen sie sich sozial verbundener fühlen, kann es hier nicht geben. Die Gefahr einer systematischen Benachteiligung von Kandidaten aus schwierigen sozialen Umfeldern ist beim Online-Assessment ausgeschlossen.
  • Sehr NIEDRIGER AUFWAND für den Kandidaten (Reise-, Zeitaufwand etc.): Insb. wenn Kandidaten in der Bewerbungsphase noch stark in andere Tätigkeiten eingebunden sind (z.B. Führungsnachwuchs-Kandidaten, die noch ihre Thesis beenden müssen etc.), ist es enorm wertvoll, nicht für einen Vorauswahlschritt einen ganzen Tag quer durch die Republik reisen zu müssen. Wir haben einige Kunden, die das Online-Assessment über große geografische Räume hinweg einsetzen (Russland, Brasilien etc.). Hier wäre die Anreise für den Kandidaten oft mit erheblichem Aufwand verbunden.

Wird das Online-Assessment zudem nach Recrutainment-Gesichtspunkten gestaltet, wird es zudem noch informativ, bekommt einen konkreten Unternehmensbezug und macht sogar Spaß! Wir haben ja schon oft über die zunehmende Bedeutung des Aspekts „Selbstauswahl“ geschrieben. Es ist daher absolut nicht einleuchtend, wenn ein Unternehmen auf der einen Seite große Anstrengungen im Employer Branding unternimmt und dann in der Personalvorauswahl einen staubtrockenen und langweiligen Online-Test von der Stange einsetzt. Tests, die als bloße Aneinanderreihung von Testformularen daherkommen, verspielen eine große Chance: Nämlich die hohe Aufmerksamkeit und Konzentration des Kandidaten auszunutzen, um ihm – neben den Tests – auch wichtige Personalmarketingbotschaften zu vermitteln und über das Unternehmen zu informieren.

Speziell dieser Aspekt ist uns im Rahmen eines unserer eAssessments  – für den Kunden Unilever – einmal eindrucksvoll bestätigt worden. Das Statement des Bewerbers (zudem ein aus Unternehmenssicht höchstbegehrter Verfahrensingenieur) ist eindeutig:

>>Das Programm finde ich übrigens sonst wirklich sehr gelungen. Es lässt die sonst eher nervigen Fähigkeitstests angenehmer erscheinen und trägt m.E. auch zu einer guten Präsentation der Firma Unilever bei. Ich denke, es ist auch ein recht geschicktes Recruiting-Instrument. Die ganzen Infos über das Unternehmen, die man sich sonst evtl. nicht unbedingt einholt, bekommt man hier praktisch unterbewusst mit. Mir fällt da gerade das Beispiel mit dem Text ein, den man mit best. Aussagen vergleichen muss („Unilever bietet betriebliche Weiterbildung, Karrierecoaching“ usw.).<<

Unilever_eAssessmentTchibo_eAssessmentGottwald_eAssessment

CYQUEST Online-Assessments sind immer individuell auf das Unternehmen angepasst. Das heisst zum einen, dass natürlich Gestaltungsvorgaben / CI-Richtlinien des Unternehmens berücksichtigt werden, zum anderen aber auch, dass oft individuelle informativen „Welten“ geschaffen, in die Testelemente eingefügt werden. Virtuelle Unternehmensrundgänge und reale Charaktere vermitteln eine ganze Reihe von Employer Branding Botschaften (Dresscodes, Diversity, Kultur, Work-Life-Balance usw.). Auch die Testinhalte werden mit einem gewissen Branchen- und /oder Unternehmensbezug versehen, so dass der Kandidat auch besser nachvollziehen kann, warum ihm jetzt gerade „so eine Aufgabe“ gestellt wird (das geht übrigens nicht zu Lasten der Testgüte, was wir wissenschaftlich überprüft haben!). Auch werden häufig simulative Testverfahren eingesetzt, die stärkeren Arbeitsprobencharakter haben und denen auch die Wissenschaft eine höhere Akzeptanz attestiert (Mertin et al., 2007).

Insg. lässt sich so eine erstaunlich hohe Akzeptanz von Online-Assessments erzielen. In einer Untersuchung an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr konnte dieser Effekt auch quantifiziert werden. Dort erreichte das untersuchte eAssessment die gleichen, z.T. sogar höhere Akzeptanzwerte wie zum einen das mit den gleichen Kandidaten durchgeführte strukturierte Telefoninterview als auch zum anderen das abschließend im Unternehmen durchgeführte (Präsenz-)Assessment-Center (vgl. Heuke, 2005).

Die Angst, dass Online-Assessment abschrecken, kann man also getrost vergessen. Wohlgemerkt: Sofern man bei der Gestaltung des Online-Tests die Zielgruppe im Auge behält und nicht nur stur auf den Auswahlprozess guckt!

2 Gedanken zu „Hohe Akzeptanz von (Online-)Tests – und zwar beim Bewerber

  1. Eine Reduzierung des Stress als (störende) Moderatorvariable hat zunächst einmal zur Folge, dass geringere Teile des Ergebnisses auf eben diesen zurück zu führen sind. Wenn man zahlengebundene Denkfähigkeit messen möchte, dann sollte der Test auch genau dies tun. Wenn man Stressresistenz messen möchte, dann sollte der Test das tun. Ein wenig anders sieht es in Simulationen oder Arbeitsproben aus, wo ggf. ein Konstrukt, z.B. Planungsfähigkeit, unter Nebenbedingungen wie „stressenden“ Störeinflüssen gemessen wird. Grundsätzlich gilt: Je weniger Stress, desto dichter kommt das Testergebnis an die „wahre“ Leistungsfähigkeit – eben bezogen auf das zu messende Konstrukt – heran.

    Zu dem zweiten Einwand: Absolut korrekt! Ein Online-Assessment kann und wird kein reales „Mensch-Mensch“-Auswählen ersetzen (können). Soll es aber auch gar nicht. Es dient grundsätzlich der sog. Negativselektion am Anfang des Auswahlprozesses (Fragestellung: „Wer ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit NICHT?“). Die Positivselektion („Wer ist es?“) ist in späteren Phasen der Auswahl (auf dann kleinerer Fallzahl) von Menschen zu treffen, weil dort auch Kriterien der Passung eine wichtige Rolle spielen, die ein automatisierter Test nicht wirklich abbilden kann.

  2. Akzeptanz kommt immer dort zustande, wo erkennbar eine gewisse effizienz vorhanden ist. Ob „RECRUITAINMENT“ eine gute Variante des Online Assessments ist, kann als Geschmackssache gelten. Einige fühlen sich durch die zum Teil aufdringlichen und „doofen“ Bilder genervt, andere finden das gut. Die Zielgruppe „Alter >35“ fühlt sich sicher eher belästigt, als die jüngeren. Das kann Strategie sein, die, auch wenn sie irgendwie nicht mit AGG zusammen schmeckt, durchaus Sinn machen kann.

    Online Assessments eröffnen zusätzliche Einblicke und sind als Stichwortgeber für den Bewerbungsprozess äußerst sinnvoll. Sehr gute Online Assessments in Verbindung mit einem Rückmeldegespräch sind bereits durchschnittlichen Assessment Centern weit (!) überlegen. Sie greifen aber tief in die Prozesse ein, wenn sie denn sinnvoll eingesetzt werden wollen (DIN 33430). Die Vorstellung „Ach dann mach ich jetzt mal ein Online Assessment für diesen Bedarfsfall!“ geht an der strategischen Fähigkeit und Bedeutung dieser Instrumente für Nachfolgeplanung und Auswahlsystematik vorbei, weil sie so nicht dafür sorgen würden, dass auch der Fehler 2.Art deutlich reduziert wird.

    STRESS ist für manche Online Assessments ein wichtiges Kriterium, das untersucht wird. (IMDE/PEP oder Harrison Assessments). Stress als Einflussfaktor auf das Testergebnis ist ein Problem, das vor allem bei sehr durchsichtigen normativen Tests eine große Rolle spielen kann, in denen viele kleine Einzelaufgaben über 40 und mehr Minuten die Kandidaten nerven.

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