Gamification in der Berufsorientierung: Wie ALDI SÜD den Filialjob ins Wohnzimmer bringt – der Retaility Check

Tägliche Aufgaben des Filialalltags spielerisch kennenlernen – das verspricht der ALDI SÜD „Retaility Check“. Die Idee dahinter ist ganz einfach: In fünf „Challenges“ lernen Interessierte typische, alltägliche Aufgaben innerhalb einer ALDI SÜD Filiale kennen: Kannst du anpacken? Kannst du Zahlen? Kannst du organisieren?

Der „Retaility Check“ ist damit mehr als nur ein nettes Spiel: Er ist ein klassisches Beispiel für ein sogenanntes Self-Assessment-Verfahren. Solche Tools sollen Nutzenden dabei helfen, sich selbst besser einzuschätzen und herauszufinden, ob ein bestimmtes Berufsfeld oder Unternehmen zu ihnen passt. Sie ermitteln den sogenannten „Person-Job-Fit“ oder den „Person-Organization-Fit“.

Wer sich also für ein Unternehmen und/oder eine Stelle interessiert, kann sich bereits vor der meist aufwändigen Bewerbung ein Bild von seinem Job oder seinem Unternehmen machen. Am Ende hat der/die Interessierte ein Ergebnis, ob und zu welchen Jobs seine/ihre Stärken und Interessen passen und ob die Vorstellungen mit den tatsächlichen Gegebenheiten im Unternehmen übereinstimmen.

Self-Assessments bieten dabei Vorteile für beide Seiten: Interessierte erhalten einen realitätsnahen Eindruck vom Berufsalltag und können besser einschätzen, ob ein Job wirklich zu ihren Erwartungen und Fähigkeiten passt. Unternehmen profitieren wiederum von einer vorgelagerten Selbstselektion. Also davon, dass sich vor allem diejenigen bewerben, die gut zur Stelle und zur Unternehmenskultur passen. Das verbessert die Personalauswahl, spart Ressourcen im Recruitingprozess und kann langfristig die Zufriedenheit und Bindung neuer Mitarbeitender erhöhen.

Grob lässt sich zwischen zwei Arten von Self-Assessments unterscheiden: Recruiting Games, in denen Kanditat*innen ihr Unternehmen und ihre Arbeit auf eine spielerische Art und Weise kennenlernen sollen (wie z.B. beim Porsche Bewerbungs-Navi oder den Einstiegs-Checks von EDEKA) und Job-Matcher (wie der AGRAVIS Job-Matcher oder der Job-Kompass der Deutschen Bahn), die meist mit kurzen Fragen die Passung zu einem bestimmten Job oder mehreren Jobalternativen ermitteln soll. Manchmal werden auch beide Ansätze kombiniert, wie dies bei dem kürzlich vorgestellten Fielmann Ausbildungsmatcher der Fall ist.

Auch der „Retaility Check“ möchte Elemente beider Ansätze vereinen. Er zeigt konkrete Aufgaben für die Filialarbeit und hilft gleichzeitig bei der Orientierung im Ausbildungsangebot von ALDI SÜD.

Und wie schlägt sich der „Retaility Check“ nun in der Praxis? Zeit, genauer hinzuschauen: Was bietet das Tool? Wie fühlt es sich an, es zu spielen? Und wie gut erfüllt es seinen Zweck als Self-Assessment im Recruiting-Kontext? Wir haben den Test gemacht.

„Viel leisten. Viel verdienen.“ So begrüßt mich ALDI SÜD auf der Startseite. Im Collagenstil wird mit Geldscheinen geworfen, aber ich bin ja hier nur zur Berufsorientierung. Mit einem Klick auf „und los!“, geht’s los.

Stilistisch ist der erste Eindruck gut. Der Collagenstil zieht sich durch. Fotos von echten Mitarbeitenden treffen auf schwarz-weiße Illustrationen, knallige Farben und einfache Formen. Das Ganze wirkt abwechslungsreich und lebendig, aber trotzdem ordentlich und aufgeräumt. So entsteht ein frischer Look, den man aus vielen modernen Kampagnen kennt. Nur eben im eigenen ALDI SÜD-Stil.

Inhaltlich drehen sich die Challenges um die fünf Kernkompetenzen in den ALDI SÜD-Filialen:

  • Übersicht bewahren,
  • Anpacken können,
  • körperliche Anstrengung,
  • Zahlenverständnis und Ordnung bewahren.

Die Kompetenzbereiche sind klar definiert. Doch entscheidend ist, wie diese im Tool tatsächlich erlebbar gemacht werden.

Denn Recruiting Games haben vor allem eins gemeinsam: das Spielerische. Bei Porsche verbinde ich die Schaltkreise im Elektroauto, bei EDEKA sortiere ich die virtuellen Waren in die Frischetheke ein. Und ALDI SÜD? Der Discounter-Konzern lockt mich mit „spannenden Challenges“, doch auf den ersten Blick fehlt uns das ein wenig: Die Challenge.

Luca zeigt in der ersten Challenge, wie man Produkte nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum sortiert.

Luca führt mich in der ersten Challenge in die Welt des Mindesthaltbarkeitsdatums ein. Die Aufgabe: Produkte entsprechend ihrem Datum sortieren. So weit, so klar. Doch dann fragt man sich: Wo ist denn dieser Kühlschrank, bei dem man die Produkte nach Mindesthaltbarkeitsdatum sortieren soll? Wo ist dieses angebliche Regal, aus dem man  die Einzelteile in der zweiten Challenge rausnehmen soll? Zunächst denkt man, die Challenges bestünden lediglich aus kurzen Videosequenzen, in denen Mitarbeitende die jeweilige Aufgabe demonstrieren. Danach soll man seine Einschätzung abgeben: „Easy“, „Ging so“ oder „Ging gar nicht“.

Zu diesem Zeitpunkt fehlt uns noch das Gefühl eines echten Spielerlebnisses. Die erhoffte Gamification erschließt sich zunächst nicht. Unser erster Eindruck ist deshalb eher zurückhaltend.

Erst bei der vierten Challenge fällt der Groschen. „Deine Aufgabe: Hole das Kleingeld und die Geldscheine aus deinem Portemonnaie. Rechne den Gesamtbetrag im Kopf zusammen.“

Achso! Man soll das in echt machen? Also physisch? So richtig vom Bildschirm weg und ran an den eigenen Geldbeutel? Plötzlich ergibt alles Sinn.

Liebes ALDI SÜD-Team, das ist wirklich ein Top-Ansatz! Nur, wenn ihr wollt, dass man die Aufgaben in meiner realen Umgebung erledigt, dann sagt das doch irgendwo… Bei „Nimm alle Einzelteile aus dem Regal heraus und lege sie auf den Boden. Räume sie so schnell wie möglich, aber trotzdem sorgfältig, einzeln wieder ein.“ versteht sicher nicht jeder direkt verstehen, dass man sich ein Regal im eigenen Zimmer suchen soll? Da hätte ein solcher Hinweis sehr geholfen. Auf der Startseite oder kleingeschrieben unter „Deine Aufgabe“, einfach irgendwo. Wir haben uns erst etwas halbherzig durch drei Challenges geklickt, um dann bei der vierten erst zu verstehen, dass wir da eigentlich ganz anders hätten mitmachen sollen.

Mit diesem Aha-Moment, wird der „Retaility Check“ plötzlich interessant. Nun wird aus einem eher trockenen Matching-Tool im gamifizierten Gewand etwas völlig Neues: ein analoges Self-Assessment mit digitalen Impulsen. Der Filialalltag findet plötzlich in den eigenen vier Wänden statt. Man kann ihn nachempfinden. Erspüren, ob die Körperlichkeit etwas für einen ist, ob man mit Kleingeld umgehen kann. Bücken, sortieren, schleppen. All das wird greifbar.

Und am Ende: Hat man die meisten Challenges mit „Easy“ beantwortet, ist man ALDIprofi. War man mehr im „Ging so“-Bereich, ist man ALDIaufsteiger. Beide Ergebnisse liefern mir einen individuellen Code, den ich direkt bei meiner Bewerbung im Einzelhandel angeben kann. Mit nur einem Klick finde ich zudem passende Stellenangebote in meiner Nähe.

Keinen Code erhält man, wenn man überwiegend auf „Ging gar nicht“ geklickt hat. Aber dann ist vielleicht eine Ausbildung in der Logistik, Verwaltung oder ein duales Studium das richtige für mich?

Wie auch immer man abschneidet, ALDI SÜD hat den passenden Karriereplan mit Verlinkung auf die Karriereseite bereit. So muss Self-Assessment funktionieren.

Der „Retaility Check“ zeigt, wie Berufsorientierung heute aussehen kann: kurzweilig, visuell ansprechend und nah dran am echten Job. Statt trockener Stellenbeschreibungen gibt’s Aufgaben für das echte Leben. Und die Entscheidung, ob das zu einem passt, bleibt bei den Nutzenden. Das ist im Sinne des Self-Assessment-Ansatzes genau richtig gedacht.

Was noch etwas hakt, ist die Nutzendenführung. Wer nicht sofort versteht, dass er aktiv mitmachen soll, klickt sich schnell mal am eigentlichen Konzept vorbei. Ein kurzer Hinweis gleich zu Beginn würde die Aufgabe noch eindeutiger machen und sich positiv auf die Usability auswirken.

Dennoch: Als Self-Assessment erfüllt der „Retaility Check“ seinen Zweck. Er bietet Orientierung, ist sympathisch gestaltet und senkt die Hemmschwelle zur Bewerbung. Wer sich noch unsicher ist, bekommt hier einen ersten Eindruck und wer sich wiederfindet, kann direkt durchstarten.

Wer das selber einmal ausprobieren möchte, der kommt hier zum Retaility Check von ALDI Süd

Autor: Till Heinsohn

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