Ein kritischer Blick auf die Praxis vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion
Die Verwendung von Persönlichkeitstests im Recruiting wird aktuell viel diskutiert. Unternehmen hoffen, durch die Analyse der Persönlichkeitseigenschaften von Bewerbern, den passenden Kandidaten für eine Stelle zu finden.
Doch wie aussagekräftig sind diese Tests wirklich?
Dabei spielen die Aspekte Objektivität, Validität und Reliabilität eine zentrale Rolle.
1. Objektivität:
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- Durchführungsobjektivität: Der Test muss unabhängig vom Testleiter durchgeführt werden können. Das bedeutet, dass unterschiedliche Testleiter zu ähnlichen Ergebnissen kommen sollten.
- Auswertungsobjektivität: Die Auswertung der Testergebnisse sollte klar definiert sein und unabhängig von der Person vorgenommen werden können. Es sollte keine Interpretationsspielräume geben.
- Interpretationsobjektivität: Die Interpretation der Testergebnisse sollte ebenfalls klar definiert sein und für verschiedene Auswerter zu ähnlichen Schlussfolgerungen führen.
2. Validität: Ein Test ist valide, wenn er tatsächlich das misst, was er messen soll. In Bezug auf Persönlichkeitstests bedeutet das, dass der Test tatsächlich die relevanten Persönlichkeitsmerkmale erfasst, die für die erfolgreiche Ausübung einer bestimmten Tätigkeit wichtig sind. Es gibt verschiedene Arten der Validität:
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- Inhaltsvalidität: Der Testinhalt muss repräsentativ für das zu messende Konstrukt sein.
- Kriteriumsvalidität: Die Testergebnisse müssen mit anderen relevanten Kriterien (z.B. Arbeitsleistung) zusammenhängen.
- Konstruktvalidität: Der Test muss das theoretische Konstrukt, das er messen soll, tatsächlich erfassen.
- Soziale Validität: Der Test muss von der Zielgruppe verstanden und akzeptiert werden als Teil des Auswahlprozesses.
3. Reliabilität: Ein Test ist reliabel, wenn er bei wiederholter Messung unter gleichen Bedingungen ähnliche Ergebnisse liefert. Ferner muss er „in sich stimmig“ sein, d.h. z.B. dass das Antwortverhalten bei verschiedenen Items, die dasselbe Merkmal messen, auch ähnlich ausfällt („interne Konsistenz“). Die Reliabilität gibt an, wie genau ein Messinstrument ist.
Warum sind diese Kriterien so wichtig?
- Objektivität: Nur wenn ein Test objektiv ist, können die Ergebnisse verschiedener Personen vergleichbar gemacht werden.
- Validität: Nur wenn ein Test valide ist, können aus den Ergebnissen sinnvolle Rückschlüsse auf das Verhalten einer Person gezogen werden.
- Reliabilität: Nur wenn ein Test reliabel ist, können die Ergebnisse als stabil und zuverlässig angesehen werden.
Weitere Aspekte, die bei der Bewertung von Persönlichkeitstests zu berücksichtigen sind:
- Normierung: Die Testergebnisse sollten an einer repräsentativen Stichprobe normiert werden, um individuelle Ergebnisse einordnen zu können.
- Kulturfairness: Der Test sollte kulturell fair sein und keine bestimmten kulturellen Gruppen benachteiligen.
- Ethische Aspekte: Der Einsatz von Persönlichkeitstests muss ethischen Grundsätzen entsprechen. Die Datenschutzbestimmungen müssen eingehalten werden und die Testpersonen müssen über den Zweck des Tests informiert werden.
Die Big Five als wissenschaftlicher Maßstab
Ein zentraler Bezugspunkt in der wissenschaftlichen Diskussion um Persönlichkeitstests sind die sogenannten Big Five. Dieses Modell beschreibt die menschliche Persönlichkeit anhand fünf grundlegender Dimensionen:
- Offenheit für Erfahrungen: Neugier, Kreativität, Interesse an neuen Dingen
- Gewissenhaftigkeit: Ordentlichkeit, Zuverlässigkeit, Perfektionismus
- Extraversion: Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Aktivität
- Verträglichkeit: Kooperationsbereitschaft, Altruismus, Empathie
- Neurotizismus: Ängstlichkeit, Nervosität, emotionale Labilität
Aufgrund der Anfangsbuchstaben dieser fünf Merkmale in der englischen Übersetzung wird das Big Five-Modell zuweilen auch als „OCEAN“-Modell bezeichnet. Diese Dimensionen sind gut erforscht und gelten als relativ stabile Persönlichkeitsmerkmale. Tests, die auf dem Big-Five-Modell basieren, bieten daher eine solide wissenschaftliche Grundlage für allgemeinen Persönlichkeitsmodelle, sind aber nicht berufsbezogen. Ihnen fehlt z.B. der beruflich sehr relevante Bereich der Motivation. Da Skalen wie Neurotizismus (oder negative Emotionalität) eher klinisch sind, sollten diese zudem in berufsbezogenen Persönlichkeitstests angepasst werden. Im PersonalityMatcher gibt es daher statt Neurotizismus „Anpassungsfähigkeit und Stressresistenz“ (umgedreht gepolt natürlich…).
Diese Anpassung dient vor allem dem Hauptgütekriterium, der Inhaltsvalidität. Es dient aber auch dem zunehmend wichtiger werdenden Nebengütekriterium der Akzeptanz (soziale Validität). Man könnte Akzeptanz in Zeiten des Arbeitskräftemangels auch mittlerweile als eine Art „kleines Hauptgütekriterium“ beschreiben.
Der PersonalityMatcher (bzw. die Variante JobPersonality für unternehmensindividuelle Online-Assessments) weist insgesamt eine sehr hohe Korrelationen zu den Big Five Konstrukten auf:
(siehe im Detail: https://blog.recrutainment.de/2018/04/20/aktuelle-studie-zusammenhang-zwischen-berufsbezogenen-persoenlichkeitsmerkmalen-und-big-five-konstrukten-ocean).
MBTI und DISG: Beliebte, aber umstrittene Alternativen
Neben Tests die auf den Big Five basieren, gibt es eine Vielzahl weiterer Persönlichkeitstests, die in der Praxis häufig eingesetzt werden. Zwei der bekanntesten sind der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI) und das DISG-Modell.
- MBTI: Der MBTI teilt Menschen in 16 verschiedene Persönlichkeitstypen ein. Obwohl er sehr beliebt ist, wird er von vielen Wissenschaftlern kritisch betrachtet, da seine theoretischen Grundlagen und seine Reliabilität und Validität umstritten sind.
- DISG: Das DISG-Modell basiert auf vier Verhaltensstilen (Dominanz, Einfluss, Stetigkeit, Gewissenhaftigkeit). Auch hier gibt es Zweifel an der wissenschaftlichen Fundierung und der Aussagekraft der Ergebnisse.
Beides sind sog. Typentests, die versuchen, Menschen in eine festgelegte Anzahl sog. Typen einzuteilen. Dazu werden Antworten auf einer zweipoligen Skala erfasst, die die Probanden zu einer Entweder-oder-Struktur zwingt, es werden keine Ausprägungen erfasst, Personen werden immer einem Pol zugeordnet.
Typentests liefern ein einfaches und hübsch aufbereitetes Ergebnis. Allerdings wirkt hier oft der sog. Barnum Effekt (auch Forer Effekt genannt): Die Ergebnisse sind vage und allgemein oder sogar zweideutig, so dass sich jeder sofort darin wiederfindet. Der Begriff leitet sich von dem amerikanischen Zirkusunternehmer P.T. Barnum ab, dessen Showkonzept darin bestand, quasi für jeden Besucher etwas im Programm zu haben. Die Rückmeldung in Typentests ist daher immer positiv und immer festen Polen zugeordnet. Solche Tests haben in Bezug auf beruflichen Erfolg meist keine Aussagekraft.
Weitere interessante Aspekte und Kritikpunkte zu Typentests in der Personaldiagnostik finden sich z.B. bei in einer schönen Folge 15 Minuten Wirtschaftspsychologie von Kanning…
…sowie in dem aktuellen brand eins Artikel „Sie lächeln zu wenig“ (brand eins 09/2024, Bellinghausen, Yves), dem Beitrag „Aus der Mottenkiste der Diagnostik“(Skeptiker 2021/2, Schwertfeger, Bärbel) oder in diesem Podcast…
Die Rolle von Persönlichkeitstests im Recruiting
Persönlichkeitstests können ein wertvolles Instrument in der Personalauswahl sein, wenn sie richtig eingesetzt werden. Sie können beispielsweise helfen,
- Kandidaten besser kennenlernen: Persönlichkeitstests können einen tieferen Einblick in die Motive, Werte und Arbeitsweisen von Bewerbern geben.
- Die Passung zwischen Kandidat und Stelle verbessern: Durch den Vergleich der Persönlichkeitsprofile von Bewerbern mit den Anforderungen einer Stelle können Unternehmen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, passende Kandidaten zu finden.
- Entwicklungspotenziale identifizieren: Persönlichkeitstests können Hinweise auf Stärken und Schwächen geben, die für die berufliche Entwicklung relevant sind.
Fazit
Persönlichkeitstests können ein nützliches Werkzeug in der Personalauswahl sein, sollten aber nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage dienen. Es ist wichtig, sich nicht nur auf die Beliebtheit eines Tests zu verlassen, sondern auf seine wissenschaftliche Fundierung. Die Ergebnisse sollten zudem immer im Kontext weiterer Informationen (z.B. Lebenslauf, strukturierte Interviews, Assessment Center) bewerten. Zudem ist es wichtig, die Grenzen der Tests zu kennen und mögliche Verzerrungen zu berücksichtigen.