Arbeitsprobe (statt Anschreiben?): Das Beispiel whyapply zeigt wie das gehen könnte

Es kommt ja nicht so oft vor, dass sich verschiedene Dinge ganz zufällig und wunderbar passend zusammenfügen. Aber mein heutiges Thema ist so ein Beispiel.

Es ist erst ein paar Tage her, dass ich mir hier im Blog die Frage stellte, welchen Nutzen das gute alte Anschreiben eigentlich noch erfüllt. Gut, diese Frage ist nicht neu; sie zählt beinahe schon zu den Klassikern des HR-Boulevards… Der Beitrag – und insbesondere die mal wieder heftige Diskussion, die sich daraus entwickelte – zeigte wieder einmal, dass sich beim Anschreiben Fans und Gegner nicht nur etwa die Waage halten, sondern sich zudem auch noch ziemlich unversöhnlich gegenüberstehen. Wer mag, der kann ja gern mal einen Blick in die Diskussion unter meinem XING-Insider-Artikel werfen…

Was mich – ich habe im Zusammenhang mit dem Artikel mal recht intensiv recherchiert – allerdings am meisten verwundert hat, ist die Tatsache, dass es so gut wie keine wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Sinn oder Unsinn des Anschreibens gibt. Es gibt offenbar niemanden, der gesichert sagen könnte, wie es bspw. um die prädiktive Validität dieses Auswahlinstruments steht. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass die Debatte (so heftig und) nur auf Basis von Meinungen geführt wird.

Zweitens: Was nützt es, über die Unzulänglichkeiten des Anschreibens zu lamentieren, ohne Alternativen anzubieten? Klar, man kann das Anschreiben einfach weglassen, aber das ist etwas martialisch ausgedrückt so sinnvoll wie der Selbstmord aus Angst vor dem Tod: Lässt man das Anschreiben weg, weil es einem in vielen Fällen keinen Erkenntnisgewinn über die Eignung und Passung eines Kandidaten liefert, dann liefert es einem jenen Erkenntnisgewinn garantiert nicht mehr.

Aber irgendwie muss man einen Kandidaten ja eben doch bewerten. Möglichst ökonomisch, aber eben auch möglichst valide. Weglassen hilft bei „ökonomisch“. Bei „valide“ nicht.

Ich brachte darum in meinem Beitrag „Ist das ein Anschreiben oder kann das weg?“ die Idee einer mentalen Arbeitsprobe ins Spiel. Und zack – ja manchmal fügen die Dinge sich wie durch Zauberhand – präsentiere ich heute direkt ein Beispiel dafür.

Oder besser: Ich lasse präsentieren.

Denn es gibt ein Startup, das genau das anbietet: Mentale Arbeitsproben als Ersatz des oder Ergänzung zum Anschreiben. Nur dass diese Arbeitsproben auf der Plattform whyapply nicht Arbeitsproben, sondern JobChallenges genannt werden…

Dass das ganze auch was spielerisch-recrutainiges und viel mit dem Thema „Realistic Job Preview“ zu tun hat, nun das macht es nur noch passender für meinen Blog.

Nun, wie gesagt, ich „lasse präsentieren“, deshalb habe ich Michael Benz, den Gründer der Plattform, um einen Gastbeitrag gebeten, um uns whyapply einmal selber vorzustellen.

Michael, your stage!

>> Gastbeitrag von Michael Benz:

Das Anschreiben im Bewerbungsverfahren ist etwas, über das schon lange und heftig diskutiert wird. Es gibt Verfechter und Kritiker des Anschreibens – jeder mit eigenen Argumenten. Klar ist auch, dass es DIE Wahrheit in diesem Sinne nicht gibt. Spannender ist die Frage, in welchem Kontext das Anschreiben verwendet wird und welchen Mehrwert es bietet.

In unserer täglichen Arbeit sehen wir zwei Arten von Unternehmen:

Unternehmen, die eine hohe Anzahl (wie auch immer man diese definiert) an Bewerbungen erhalten und diejenigen, die keine oder sehr wenige Bewerbungen bekommen. Die erste Gruppe hat eher ein Problem mit der Qualität der Bewerbungen und die zweite Gruppe mit der Quantität.

Gehöre ich zur Gruppe derer, die eine Vielzahl an Bewerbungen erhält, bietet das Anschreiben für mich einen geringen Mehrwert. Denn mit steigender Zahl der Bewerbungen, erhöht sich auch die Zahl derer, die in ihrem Anschreiben auf die üblichen Floskeln zurückgreifen. Für diese Gruppe kann ich mit den Kandidaten Online-Assessments, strukturierte Interviews etc. durchführen und die Zeit für das Screening der Anschreiben einsparen. Meistens habe ich diese Instrumente im späteren Bewerbungsprozess ohnehin in der ein oder anderen Form.

Anders der Fall, wenn ich zur zweiten Gruppe gehöre, die kaum Bewerbungen erhalten. In dieser Position Forderungen an den Kandidaten zu stellen, klingt nicht logisch. Denn jeder Kandidat, der sich bewirbt, sollte wie ein rohes Ei behandelt werden und die volle Aufmerksamkeit von HR genießen. Also warum den Kandidaten nicht gleich in einem Telefoninterview kennenlernen? Immer unter der Voraussetzung, dass gewisse Kriterien wie fachliche Qualifikation passen.

Das Problem des Anschreibens ist, dass es für den Wunsch nach Authentizität und Individualität in einem eigentlich stark standardisierten Prozess steht. Aber wenn Stellenanzeigen derart generisch und austauschbar sind, wieso verlange ich als Unternehmen dann vom Bewerber etwas, das ich selbst nicht biete?

Alternative – worum es im Job wirklich geht

Ein Beispiel für eine Lösung ist der US-amerikanische Autobauer Tesla und dessen Vorstandschef Elon Musk: Ein Unternehmen mit einer sehr starken Arbeitgebermarke, bei dem man keinen Mangel an Bewerbungen vermutet. Anfang des Jahres suchte Tesla Spezialisten im Bereich KI für das autonome Fahren. Eine Zielgruppe, die sehr stark umkämpft ist und in aller Regel einen hochdotierten Job hat. Darüber hinaus existiert für diese Berufsgruppe, wie für viele andere Berufsgruppen auch, kein festes Anforderungsprofil, an welchem sich HR orientieren kann. Wie löste Tesla das Problem? Elon Musk selbst postete eine reale Aufgabe aus dem Bereich autonomes Fahren bei Twitter. Und zwar kein standardisierter Assessment Center Case, sondern eine reale Aufgabe aus dem Maschinenraum von Tesla, mit gerade einmal 970 Zeichen.

Er forderte die jeweiligen Spezialisten auf, ihre Lösung zu schreiben und direkt mit ihm persönlich in Kontakt zu treten – ein absolutes Novum. Man stelle sich diese Situation nur für Siemens oder Volkswagen vor. Das Ergebnis spricht für sich: 1.200 Nachrichten, 45.000 Likes und 5.000 Re-Tweets. Mit mehreren hundert KI-Spezialisten für das Thema autonomes fahren konnte er direkt in Kontakt treten. Nicht nur das Commitment dieser Zielgruppe ist sehr hoch, sondern auch das Branding für Tesla. Denn jeder Spezialist sieht, welche Bedeutung sein eigener Fachbereich bei Tesla genießt, wenn das Recruiting zur Chefsache wird. Die Kosten für diese Recruiting-Aktion lagen bei 0 €. Natürlich kann man jetzt sagen, dass nicht jedes Unternehmen die Reichweite eines Elon Musk auf Social Media hat, aber auch hierfür gibt es Lösungen.

Der Ansatz von whyapply: Klarer Aufgabenbezug ohne Anschreiben

Das Prinzip hinter unserer Plattform whyapply.de ist, dass Unternehmen mit echten Aufgaben hinter ihren offenen Vakanzen den Kandidaten eine realistische Vorschau auf die tatsächliche Tätigkeit bieten und ihn spielerisch dazu auffordern, eine kurze Idee abzugeben, wie er diese Herausforderung lösen würde. Diese Aufgabe, die sogenannte JobChallenge, formuliert in der Regel der Fachbereich in Abstimmung mit HR. Mit maximal 1.200 Zeichen ist sie so lang, dass sie mit 1x swipen am Smartphone auch unterwegs gelesen werden kann (was über 90% der User auch tun). Über Performance-Marketing erreichen wir die passenden Zielgruppen auf Social Media. Diese sehen die JobChallenge eines Unternehmens als bezahlte Werbung auf beispielsweise Instagram oder Twitter.

Der Clou daran ist, dass der Kandidat bzw. der User (noch ist er ja kein Kandidat) die Inhalte des Unternehmens sieht, bevor er dessen Stellenanzeige sieht. Durch die JobChallenge erhält der Kandidat einen realen Einblick in die offene Position. Durch seine Idee zur JobChallenge kann er direkt mit dem jeweiligen Ansprechpartner des Unternehmens in Kontakt treten. Das Unternehmen bekommt für seine Offenheit ein sehr viel höheres Commitment des Kandidaten, als dies bei einem Anschreiben oder einer regulären Bewerbung der Fall ist.

Warum whyapply?

Unser Zahlen zeigen, dass 97% aller geschriebenen Ideen vom Fachbereich als qualitativ hoch eingeschätzt werden und dass Unternehmen die Kontaktdaten anfordern. Die spannende Fragestellung ist dabei kein Eignungstest im eigentlichen Sinne, sondern mehr ein Werben des Unternehmens, weshalb der fachlich passende Kandidat sich bei genau diesem Unternehmen bewerben sollte. Eine häufig gestellte Frage ist dabei, warum die Zielgruppen, die ja in der Regel hochgefragt sind, sich den Aufwand machen sollten eine derartige Idee zu verfassen, wo sie doch täglich zehn Angebote bei Xing und LinkedIn bekommen. Die Antwort ist denkbar einfach: weil es ihnen Spaß macht. Eine halbe Seite zum eigenen Fachgebiet zu schreiben geht leichter von der Hand als ein standardisiertes Anschreiben.

Aktuell reichen zwischen 3-10 interessierte Kandidaten eine Idee zu einer JobChallenge ein und wollen in Gespräche mit dem Unternehmen gehen. Der Vorteil für das Unternehmens ist dabei, dass Kandidaten schneller sehen, ob die gestellten Aufgaben ihren Vorstellungen und Fähigkeiten entsprechen und dies vor einer offiziellen Bewerbung reflektieren können. Das reduziert zwar im ersten Schritt die Anzahl der Bewerbungen, erhöht dafür aber deren Qualität. Dadurch spart das Unternehmen Zeit, denn ich habe keine Blindbewerbung und kein Copy & Paste-Anschreiben. Eine Win-Win-Situation für beide Parteien. Ist mein Unternehmen nicht sehr bekannt, oder ich bekomme sonst eher wenige Bewerbungen, mache ich potenzielle Kandidaten mit einer kreativen Ansprache auf mein Unternehmen aufmerksam. Das ist vor allem für interessante, aber unbekannte Mittelständler ein Vorteil, die in ihrem Bereich immer mit spannenden Herausforderungen punkten können. Selbst wenn ein Kandidat keine Idee schreiben möchte, oder im Alltag nicht die Zeit dafür findet, sieht er dennoch aufgrund der JobChallenge, was für eine spannende Aufgabe es im Unternehmen gibt – inklusive einer einfachen Kontaktmöglichkeit. In jedem Fall stärkt die JobChallenge die Arbeitgebermarke.

Kundenbeispiel: Softwareentwickler

Ein aktuelles Beispiel ist ein Laborsoftware-Hersteller mit 40 Mitarbeitern, der sehr spezielle Softwareentwickler im Medizinbereich suchte. Das Unternehmen ist klein, besitzt keine starke Marke und sitzt an einem vergleichsweisen unattraktiven Standort. Mit einer JobChallenge haben sich drei Kandidaten beworben und allen drei Kandidaten konnten nach dem Bewerbungsprozess Vertragsangebote unterbreitet werden. Neben der hohen Qualität der eingereichten Beiträge sehen wir auch, dass 50% der Ideengeber gar kein Profil bei Xing oder LinkedIn besitzen. Also durch „normale“ Active Sourcing Maßnahmen nur schwer zu identifizieren sind. Die reale Aufgabe und die damit verbundene Arbeitsprobe lockt Spezialisten hervor und erhöht gleichzeitig die Eintrittshürde für Berufe, die noch sehr viele Bewerbungen verzeichnen. Ein Blick auf unsere Kunden zeigt, dass unser Ansatz für sämtliche Betriebsgrößen und Branchen funktioniert.

HR bleibt in der Pflicht

Wer nun allerdings glaubt durch eine kleine Arbeitsprobe wieder in die Rolle der fordernden Partei zu kommen, der wird enttäuscht sein. Denn die Arbeitsprobe ist, egal in welcher Form man sie präsentiert, nicht der Abschluss des Bewerbungsverfahrens, sondern vielmehr der erste Schritt bevor dieses überhaupt begonnen hat. Die Aufgabe und spannende Tätigkeit hinter einer Vakanz ist nur der erste Schritt, um das Interesse des Kandidaten zu gewinnen. Was wir deutlich sehen ist, dass die Kandidaten sehr genau die Karriereseite und Stellenanzeige des Unternehmens unter die Lupe nehmen. Erst wenn alles das überzeugt, bekomme ich als Unternehmen auch eine Bewerbung. Denn die Zielgruppe ist anspruchsvoll. Meistens ist mit der eingereichten Bewerbung dann das Anschreiben aber gar nicht mehr nötig.

2 Gedanken zu „Arbeitsprobe (statt Anschreiben?): Das Beispiel whyapply zeigt wie das gehen könnte

  1. Spannender Artikel. Hat man jedoch einen guten Headhunter der für die Nachfolgeregelung sorgt, ist es bestimmt vorteilhafter sowohl für den Bewerber als auch für das Unternehmen.

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