MySkills – Test zur Kompetenzmessung von Flüchtlingen (u.a.) ist fertig

Es gibt so Artikel, bei denen man vorher weiß, dass man sich damit auf dünnes Eis bewegt. Dieser ist so einer. Denn dieser berührt zwei Themen, die bei vielen Menschen reflexartig den Blutdruck hochtreiben. Und das schon einzeln. Hier kommt es noch verknüpft:

Fachkräftemangel und Flüchtlinge bzw. Migration…

Nun, da aber beide Themen auch zu den großen gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit zählen, müssen diese auf´s Tableau. Und zwar so sachlich wie möglich.

Als die Flüchtlingsfrage vor zwei/zweieinhalb Jahren das scheinbar alles beherrschende Thema war, habe ich mich in verschiedenen Beiträgen der Frage gewidmet, wie es eigentlich mit der Kompetenzmessung bei den Menschen ausschaut, die die weltpolitischen Verwerfungen in so großer Zahl unter anderem nach Deutschland getrieben haben.

Denn es ist ja klar: Man kann die Frage, ob Migranten nun eine Belastung oder ein Segen für die deutschen Sozialsysteme sind, nicht diskutieren, wenn man nicht die Frage der Employability, der Arbeitsmarkttauglichkeit dieser Menschen beantwortet. Ist diese schlecht, wirkt Migration belastend. Ist sie gut, hingegen allein schon wegen der demografischen Entwicklung in Deutschland entlastend.

Und die Frage der Employability hängt natürlich direkt damit zusammen, was diese Menschen können oder besser „können können“. Es geht also um Kompetenzfeststellung.

Und das ist in der Tat gar nicht so einfach.

Als ich mir die Frage Anfang 2016 vorgenommen hatte, gab es ganz wenige empirisch belastbare Antworten. Die Nicht-Vergleichbarkeit von Abschlüssen war da nur der kleinste Teil des Problems. Vielfach gab und gibt es nämlich gar keine Dokumentation individueller Bildungs- und Berufskarrieren mehr, weil Zeugnisse und Zertifikate in den Herkunftsländern vernichtet wurden oder auf der Flucht verloren gingen. Noch häufiger existieren derartige Belege gar nicht erst, weil diese Länder keine vergleichbar zertifikatsgetriebenen Bildungs- und Berufstraditionen haben wie in Deutschland. Wer zehn Jahre in der Bäckerei des Schwagers gearbeitet hat, der hat darüber nicht wie selbstverständlich ein qualifiziertes Zeugnis bekommen. Und Befragungen der Betroffenen waren oft schon rein sprachlich schwierig. Aber selbst wenn dieses (lösbare) Problem gelöst wurde; was fängt man mit der Antwort „Ich habe gekocht“ denn an? Ist derjenige ausgebildeter Koch mit jahrzehntelanger Erfahrung in internationalen Hotels, hat er jahrelang einen Köfte-Imbiss in der Altstadt von Homs betrieben oder hat er gelegentlich mal einen aushilfsweise einen Kochlöffel in der Hand gehabt? Und was hat er dabei genau gelernt?

Um die Verwendbarkeit für den deutschen oder österreichischen Arbeitsmarkt beurteilen zu können, braucht es hierbei objektive Maßstäbe. Wenn jemand hierzulande sagt „Ausbildung zum Koch, Ende erstes Lehrjahr, hier sind meine Zeugnisse“ dann weiß jeder Küchenchef, Restaurantbesitzer oder Recruiter im Hotel ziemlich genau, was derjenige kann und was nicht. Zumindest weiß man dann auch, dass diese Person zu den nur etwas über 50% gehört, die die Ausbildung nicht abgebrochen hat. Die Ausbildung zum Koch gehört hier leider zu den unrühmlichen Spitzenreitern dieser eher bedenklichen Statistik. Und deshalb gehört auch die Gastronomie zu denjenigen Branchen, die am meisten unter dem Fachkräftemangel leiden bzw. spiegelbildlich das größte Interesse an qualifizierter Zuwanderung haben.

Nur wie gesagt: Jeder der „qualifizierte Zuwanderung“ sagt, der muss auch Antworten liefern und sagen, was genau „qualifiziert“ ist: Welche Kompetenzen und wieviel davon?

Vor diesem Hintergrund wurde vor rund zweieinhalb Jahren bei der Bertelsmann-Stiftung ein Projekt ins Leben gerufen, das sich zum Ziel gesetzt hat, schnell und valide Niveau-Einschätzungen vorhandener Kompetenzen von und bei Flüchtlingen feststellen zu können.

Sinnvollerweise wurde die Zielgruppe für das zu entwickelnde Testverfahren dabei aber nicht nur auf Flüchtlinge verengt, sondern man adressiert generell „Menschen ohne Berufsabschluss“. Da der deutsche (und österreichische) Arbeitsmarkt von einer sehr zertifikatsorientierten Tradition geprägt ist, in der man ohne Abschluss als „ungelernt“ gilt, ist die Problematik Kompetenzniveaus einzuschätzen nämlich nicht nur auf Flüchtlinge beschränkt.

Gleichwohl tritt das Problem dort aber natürlich in besonderem Maße auf.

MySkills – Kompetenzmessung für Menschen ohne Berufsabschluss

Nun ist der Test fertig. Oder besser: Die ersten Tests sind fertig. Denn es gibt nicht den einen Test für alles. Vielmehr sind die Tests berufsspezifisch ausgelegt. In der ersten Ausbaustufe wurden Tests für folgende acht Berufe fertiggestellt:

* Maurer (Hochbaufacharbeiter)
* Koch
* Landwirt
* Fachkraft für Metalltechnik (Fachrichtung Konstruktionstechnik)
* Tischler
* Verkäufer
* Maler
* Kfz-Mechatroniker (PKW-Technik)

Perspektivisch sollen es über die nächsten Monate 30 abgebildete Berufe werden.

Die Tests werden durch die Bundesagentur durchgeführt, d.h. unter Aufsicht vor Ort in einer Arbeitsagentur (wie genau zeigt dieses Video).

Das besondere an den Tests ist, dass hier bewusst nicht auf Konstruktebene (also z.B. Intelligenz oder Persönlichkeit) gemessen wird, sondern vielmehr vorhandenes Fachwissen und fachliche Skills („Handlungswissen“) überprüft werden:

Die Teilnehmer bekommen dabei Inhalte aus der Berufspraxis zu sehen und es wird für verschiedene Wissensbereiche geschaut, ob der Testteilnehmer damit etwas anfangen kann oder nicht. Der Test für Köche umfasst bspw. etwas über 100 Fragen zu berufstypischen Handlungssituationen. Diese werden über Texte, Bilder oder Videos dargestellt. Die Iteminhalte wurden dabei primär durch berufsfachliche Experten (Ausbilder, Meister, Berufsschullehrer, Prüfungsausschussmitglieder etc.) der jeweiligen Berufe erarbeitet, unterstützt und wissenschaftlich begleitet durch renommierte Eignungsdiagnostiker (unter anderem vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung sowie von den Unis Ulm, Potsdam und Berlin – FU und HU).

Insg. stehen für die Bearbeitung bis zu vier Stunden Zeit zur Verfügung.

Das Ergebnis ist ein detaillierter Report, der eine Niveaueinschätzung auf den verschiedenen Handlungsfeldern bietet.

Für Köche also z.B. Spül- und Reinigungsarbeit, Salate und Vorspeisen vorbereiten und herstellen, Beilagen und Suppen vorbereiten und herstellen usw.. Dieser Report gibt einem Unternehmen dann sehr schnell ein Gefühl dafür, was eine Person fachlich schon so draufhat.

Die Tests sind in sechs Sprachen verfügbar. Neben Deutsch sind das Englisch, Arabisch, Farsi, Russisch und Türkisch.

Insb. die sehr praxisnahen Items, die auf konkrete Berufssituationen abzielen, sind hierbei bemerkenswert. Andere Tests, die versucht haben, die vorhandene Lücke der Kompetenzfeststellung zu füllen (z.B. Caidance-R von HR Diagnostics) gehen hier nämlich am Ziel vorbei. Da handelt es sich großteils um vorhandene diagnostische Tests, nur eben in andere Sprachen übersetzt. Es werden aber eben grundsätzliche Fähigkeiten und Potentiale gemessen (Schlussfolgern, Konzentration etc.), kein Kenntniswissen. Es ist stark zu bezweifeln, dass ein Tischlermeister „glaubt“, dass das Ergebnis eines Matrizen- oder Schlüsselbarttests ihm sagt, ob ein junger Mann aus Syrien tischlerische Fähigkeiten hat, schon gar nicht auf welchem Niveau. Das Geld kann sich der Tischlermeister sparen, zumal er die Ergebnisse des MySkills-Tests gratis erhält. Die Projektkosten, die MySkills gekostet hat, sind als Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration zu verstehen und sollen nicht über Gebühren wieder eingespielt werden.

Ein besonderes Schmankerl rund um das das MySkill Projekt: Für eine Reihe von Berufen gibt es unter meine-berufserfahrung.de frei verfügbare Selbsttests, die den Kompetenztests von MySkills ähneln (ebenfalls in sechs Sprachen). Hier kann jeder vorab und anonym einmal reinschauen bevor er sich auf den Weg zur Arbeitsagentur macht, um den eigentlichen Test zu absolvieren.

Fazit

Nein, MySkills löst weder die Probleme der Migration oder Integration noch das Problem des Fachkräftemangels im Alleingang. Das wäre ja auch naiv zu glauben.

Aber MySkills leistet einen ganz erheblichen Beitrag dazu, dass ein für die Lösung dieser Probleme im Weg stehendes Hindernis kleiner wird. Nämlich die Beurteilung dessen, was Menschen ohne Berufsabschluss „können“. Damit bekommen Menschen, die aus Sicht potentieller Arbeitgeber zunächst gänzlich „konturlos“ sind ein Profil.

Denn dass in vielen Berufsbildern heute nicht mehr Arbeitslosigkeit das Primärproblem ist, sondern vielmehr der Mangel an (qualifizierten) Bewerbern, zeigen ja nicht nur so spektakuläre Aktionen wie jene von Glasermeister Sterz vor ein paar Wochen. Nein, das kann jeder an den langen Wartezeiten und gestiegenen Preisen ablesen, der einen Klempner, Gärtner, Maler, eine Reinigungskraft etc. braucht. Von wirklichen Mangelberufen wie Erziehern oder Pflegern fange ich hier jetzt gar nicht erst an…

Ich bin gespannt, wie die ersten Evaluationsergebnisse von MySkills dann so aussehen werden.

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