(Virtual) Realistic Job Preview – ein normaler Tag im Leben eines (Reserve-)Soldaten, per Datenbrille…

Schön war´s mal wieder, das HR Barcamp letzte Woche Donnerstag und Freitag in Berlin. Wie immer eine gelungene und überaus kurzweilige Mischung aus Klassentreffen und (immerhin zumeist) anspruchsvollen Inhalten.

Auch wenn jeder Teilnehmer natürlich so ein Event immer sehr individuell wahrnimmt, mehr noch als bei anderen “klassischen” Kongressen oder Tagungen, weil beim Barcamp immer auch ein gewisses “anarchisches Moment” (man denke nur an die bereits jetzt legendäre HR Fight Night zwischen Martin Gaedt und Tim Oliver Pröhm…) hinzukommt, möchte ich hier jetzt keinen Rückblick folgen lassen, sondern stattdessen auf diejenigen von Stefan Scheller, Henrik Zaborowski, Svenja Hofert, Dirk Steinmetz, Herwig KummerHenner Knabenreich und Organisator Christoph Athanas sowie die Inhaltszusammenfassung der Sessions im HRBC tumblr verweisen.

Heute soll es, wie der Beitragstitel ja auch schon andeutet, um etwas anderes gehen. Aber das hat doch wiederum auch etwas mit dem HRBC zu tun…

Ich hatte die Ehre, am Freitag mit meiner Session “Matching, Matching, Matching” nicht nur alle nach dem Mittagessen und mit bereits anderthalb anstrengenden Tagen in den Knochen noch einmal aufzuwecken, sondern danach dann quasi auch auf die Heimreise bzw. ins wohlverdiente Wochenende zu entlassen.

In der Session ging es einerseits um den momentan massiv um sich greifenden Trend hin zu immer neuen und variantenreicheren Matchingtools (wodurch wir in gewisser Weise an die Session zum Roboter-Recruiting von Jan Kirchner und Sandra Petschar am Vortag anknüpften).

Andererseits kam die Diskussion aber auch einmal mehr auf eine letztlich allen Matchingprozessen zugrunde liegende Thematik zu sprechen. Und die hat eigentlich gar nichts mit Technologie oder ausgefuchsten ontologischen Matching-Algorithmen zu tun: Nämlich, dass jedwede Form des Matchings eigentlich nur funktionieren kann, wenn ein Mindestmaß an Ehrlichkeit in der zu matchenden Information enthalten ist…

Unter anderem bedeutet das, dass die Unternehmen in ihrer Arbeitgeberkommunikation potentiellen Bewerbern eben “reinen Wein” einzuschenken haben. Wir reden also über das im Prinzip uralte Konzept des Realistic Job Preview, dessen Kernaussage es ist, “nicht nur die positiven, sondern auch die (vermeintlich) negativen Aspekte des Unternehmens oder der Stelle zu kommunizieren:

Realistic job previews (RJPs) are devices used in the early stages of personnel selection to provide potential applicants with information on both positive and negative aspects of the job (Premack & Wanous, 1985).

Wenn man dann in den Raum hinein sagt, dass man natürlich nur dann “Passung” erwarten kann (also einen “Match”), wenn man als Unternehmen auch klar macht, was denn passt (Accuracy of Expectations und so…), dann nicken immer alle…

Die Frage jedoch, warum Stellenanzeigen wie die Eierlegende Wollmilchsau (oder die der Kanzlei meiner Frau – siehe auszugsweise unten – … oder die der Rechtsanwalts-Kanzlei Oberthür) dennoch so gefeiert werden, obwohl sie eigentlich nur die Selbstverständlichkeit leisten, zu nennen, was das Unternehmen NICHT bietet, konnten mir die anwesenden Personaler auch wieder nur ausweichend mit “naja, das muss ja auch intern durch die Instanzen wie Geschäftsführung oder Unternehmenskommunikation” beantworten.

Stellenanzeige_DirksundDiercks

Frei übersetzt:

Authentische Kommunikation ja, aber bitte nur, wenn es sich auch gut anhört, oder: So authentisch nun wieder auch nicht…

Nun denn, ich bin lange genug in dem Geschäft, um zu wissen, das Rom auch nicht an einem Tag und so weiter… Also bohren wir weiter an dem dicken Brett.

In diese Gefühls- und Gemengelage passt ganz gut, was sich die British Army ausgedacht hat, um für sich als Arbeitgeber zu werben oder konkreter, um über das Berufsbild “Soldat/in der Reserve” informieren.

Insgesamt muss man sagen, dass das Militär in vielen Ländern zeichensetzend im Bereich der Personalwerbung ist. Ausnahmen (wie das “Klassikervideo” des österreichischen Bundesheeres) bestätigen die Regel, dass hier oft innovativ und mutig, vor allem aber “groß” gedacht wird. Sensationell ist beispielsweise die Aktion/Kampagne “Who Cares?” der schwedischen Streitkräfte gewesen. Ich habe selten etwas besseres gesehen, um einen für ein bestimmtes Berufsbild entscheidenden Wert zu vermitteln. Die grandiose Inszenierung – das Content Marketing drumherum – tat hier ihr übriges…

Die Kampagne “Normal Day” der British Army

In diesem Kontext definitiv auch erwähnenswert: die Kampagne “Normal Day” der British Army, die am 17. Januar startete und dabei gleich zum Start viel Aufsehen erregte durch diesen Spot:

Zentraler Inhalt der Kampagne: Möglichst authentische Einblicke zu geben und zwar in die Tätigkeit eines Soldaten der Reserve. Das kann man bei der British Army nämlich soz. im Nebenjob werden.

Die Kampagne dreht sich dabei explizit um die alltäglichen Einblicke, “normal days” eben… Dabei wurde auch mit moderner Technologie gearbeitet, z.B. Einblicken über Virtual Reality per Datenbrille.

Normal_Day

Beispielsweise wurden am Waterloo Bahnhof in London und in den Piccadilly Gardens in Manchester verschiedene Stände aufgebaut (wobei “Stände” klingt so unspektakulär, es war echtes militärisches Gerät…), an denen Passanten sich eine Oculus Rift Brille aufsetzen konnten und so buchstäblich in alltägliche Situationen eines Reservesoldaten schlüpfen konnten…

Oculus Rift ist übrigens die Datenbrille, die 2012 eine Crowdfunding-Finanzierung in Höhe von 2 Millionen Dollar über Kickstarter einsammelte und 2014 dann für 2 Milliarden Dollar von Facebook übernommen wurde. Man kann also davon ausgehen, dass Facebook relativ große Sachen mit Oculus Rift vor hat, und wer weiß, vielleicht ja auch im Bereich des Realistic Job Preview…

Was sind das so für “normale” Situationen, die man dann virtuell erleben kann?

Aktuell sind das zum Beispiel eine Feuerbekämpfungsübung oder die Markierung feindlicher Fahrzeuge mittels Laser-Tags aus einem Challenger 2 Kampfpanzer. Dabei kann dann jeweils mit anderen Soldaten (virtuell) kommuniziert werden. Weitere Situationen sind in der Entwicklung.

Nun, jetzt sind militärische Alltagssituationen sicherlich etwas anderes als der alltägliche Guerillakampf im Büro der meisten Unternehmen, aber ich hoffe Ihr bringt hinreichendes Abstraktionsvermögen auf, um mal zu überlegen, wie sich das auf das eigene Unternehmen und die eigenen “Storytelling”-Bemühungen übertragen lassen könnte.

Denn: “normal days” gibt es in jedem Unternehmen und in jedem Job. Vielleicht hilft es ja dem potentiellen Azubi schon immens weiter, einmal vorab in das Berufsbild des Kochs, Friseurs, LKW-Fahrers oder Gebäudereinigers reinschnuppern zu können. Die “Accuracy of Expectations” kann dadurch nur besser werden mit entsprechend positiven Auswirkungen auf die Abbruchquoten

Und das geht auch ohne Datenbrille schon ganz gut…

Ich habe leider keinen Mitschnitt der “Normal Days”-Situationen der British Army gefunden, aber ich kann jedem nur empfehlen, sich bei bietender Gelegenheit mal eine Oculus Rift aufzusetzen…

Es muss ja nicht unbedingt Battlefield 4 sein…

Wer sich selber mal eine Datenbrille aufsetzen möchte, um das eigene Kopfkino anzuregen und etwaige Verwendungsformen für das Personalmarketing zu ersinnen, der sei auf die HR-Edge am 10. September verwiesen. Da gibt es das mal zum ausprobieren…

9 Gedanken zu „(Virtual) Realistic Job Preview – ein normaler Tag im Leben eines (Reserve-)Soldaten, per Datenbrille…

  1. …wenn realistische CVs auf “Realistic Job Previews” treffen, dann wird alles gut! :-) Never ending story…

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