Wir bieten bei CYQUEST Online-Tests an, die im Rahmen der Auswahlprozesse zur Bewertung von KandidatInnen zum Einsatz kommen – sog. Online-Assessments.
Eine der am häufigsten gestellten Fragen hierbei ist: „Wie stellt man sicher, dass die Testperson bei der Testbearbeitung nicht schummelt?“. Gemeint ist, ob man sich etwa von jemandem helfen lässt oder unerlaubte Hilfsmittel einsetzt, wie etwaige Lösungslisten oder KI-Assistenten wie ChatGPT oder Co-Pilot. Zu der Frage, ob einem KI bei diesen Tests eigentlich überhaupt hilft (oder nicht vielmehr nur glaubwürdig so tut…), habe ich ja in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal was geschrieben und in Kürze wird es dazu hier was aktuelles aus der Forschung geben. Doch das an dieser Stelle nur am Rande.
Nun, wir wissen, dass bei unbeaufsichtigten Tests geschummelt werden kann, aber dass es sich dabei um ein erheblich kleineres Problem handelt, als oft so landläufig vermutet wird. Das liegt auch daran, dass es sehr clevere und wirksame Schutzvorrichtungen gibt, die Schummeln erheblich erschweren sowie teilweise erkennbar machen. Ob man also gut beraten ist, bei solchen Tests zu schummeln, sei einmal stark dahingestellt.
Was mich bei der gestellten Frage jedoch immer am meisten wundert ist, dass dieses Problem bei Online-Assessments oft sofort aufgemacht wird, während man alle anderen Elemente der Bewerbung wie selbstverständlich glaubt. Stimmen die Angaben im Lebenslauf überhaupt? Liegen die behaupteten Berufserfahrungen und Abschlüsse überhaupt vor? Sind die mitgeschickten Zeugnisse echt? All das können Recruitingverantwortliche meist überhaupt nicht einschätzen.
Und hierbei muss man gar nicht soweit denken, wie bei Gert Postel oder anderen spektakulären Fällen, bei denen etwa jemand jahrelang als Arzt praktiziert, ohne jemals sein Medizinstudium abgeschlossen zu haben oder als Anwalt tätig ist, obwohl das Jura-Studium nach sechs Semestern ohne Abschluss abgebrochen wurde. Nein, „Schönungen“, Ungenauigkeiten, Unwahrheiten bis hin zu handfesten und vorsätzlichen Falschangaben in Bewerbungsunterlagen sind erheblich weiter verbreitet als viele glauben. So wird ein Urlaub schnell zu einem Work&Travel oder ein Praktikum zu einer Junior-Position… In einer Untersuchung von cvapp.de gaben knapp 60% (!) der Bewerber zu, im Lebenslauf bereits einmal gelogen zu haben. Rechnet man noch die dazu, die dies nicht zugaben, kommt man sicherlich auf noch erheblich höherer Werte.
Diesem Thema wollte ich einmal etwas mehr auf den Grund gehen und habe mir deshalb einen echten Experten zum Interview gesucht – Michael Platen, Geschäftsführer der auf sog. Background Checks spezialisierten Firma aequivalent aus der Schweiz.
Michael, toll dass du Zeit für mich hast, lass uns starten…
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Lieber Michael, Ihr seid bei aequivalent auf sog. „Background Checks“ im Recruiting spezialisiert. Was genau muss man sich darunter vorstellen? Überprüft Ihr die Echtheit von Zeugnissen oder reicht das bis zu detektivischer Überwachung…?
Vielen Dank, Jo, für die Einladung zu diesem Interview und die Möglichkeit, die Art und Weise, wie wir Hintergrundprüfungen durchführen, zu entmystifizieren. Natürlich überprüfen wir, ob Arbeitszeugnisse echt sind, aber wir sind keine Detektive. In Wirklichkeit sind alle von uns durchgeführten Überprüfungen für die Kandidaten transparent und Teil eines standardisierten, digitalisierten Verfahrens, das von unseren Kunden festgelegt wird. Standardprogramme umfassen in der Tat Überprüfungen der Berufserfahrung bei früheren Arbeitgebern, können aber je nach den Verpflichtungen der Kundschaft auch Überprüfungen des Strafregisters und der finanziellen Integrität, E-Reputation-Überprüfungen oder medizinische Überprüfungen umfassen.
Im Sommer habe ich eine Studie von cvapp.de gelesen, nach der 58,5% der Bewerber zugaben, im Lebenslauf schon einmal gelogen zu haben. Bei Männern waren es sogar 71%. Bei euch habe ich gelesen, dass 73% der in Lebensläufen angegebenen Arbeitserfahrungen „inaccuracies“ beinhalten, also die Angaben sagen wir mal nicht ganz korrekt sind bzw. geschönt. Was meint Ihr mit „Ungenauigkeiten“? Habt Ihr dazu mal ein-zwei Beispiele?
Ja, natürlich. Bewerbende können beispielsweise unterschiedliche Berufsbezeichnungen verwenden, die auf andere Verantwortlichkeiten hindeuten, ungenaue Angaben zu den Beschäftigungsdaten machen oder nicht erwähnen, dass es sich um eine Teilzeitbeschäftigung handelte. Bei der Überprüfung von Diplomen kann eine Ungenauigkeit beispielsweise das Bildungsniveau betreffen.
Das ist schon interessant, wenngleich ich sagen würde, dass ein gewisses „Herausputzen“ für die Bewerbung wahrscheinlich normal und nachvollziehbar ist. Die Unternehmen stellen sich ja auch oftmals „geschönt“ dar. Bis zu einem gewissen Grad dürfte dies also eingepreist sein. Wo wird die Grenze zum Betrug überschritten? Und wer definiert dies? Ich habe gesehen, dass 5,5% der Bewerbenden wirkliche Falschangaben in ihren Bewerbungen machen, also z.B. Abschlüsse vorgaukeln, die sie gar nicht haben. Das ist dann ja schon kein Kavaliersdelikt mehr, oder?
Du hast recht, Jo. Deshalb unterscheiden wir zwischen gelben und roten Flaggen. Die gelben Flaggen weisen auf diese Unterschiede im Lebenslauf hin, deren Bewertung wir unseren Kunden überlassen. Die roten Flaggen sind jedoch eindeutig Elemente, bei denen Kandidaten etwas angeben, das nach einer Überprüfung der Fakten nicht wahr ist. Zum Beispiel, dass kein Diplom erworben oder sogar ein Diplom oder ein Arbeitszeugnis gefälscht wurde. Die Warnsignale treten häufiger in den Erklärungen der Kandidaten zu finanzieller Redlichkeit, Nebentätigkeiten oder Vorstrafen auf, was bedeutet, dass Kandidaten potenzielle Probleme oder Aktivitäten, die er oder sie hatte, nicht angegeben hat.
Wir sind ja ein Anbieter von Online-Tests. Als solcher werden wir immer wieder gefragt, ob Bewerbende bei den Tests nicht schummeln, insb. dann, wenn sie diese remote und unbeobachtet durchführen. Aus der Forschung und eigenen Messungen, z.B. über vor Ort durchgeführte Re-Tests, wissen wir, dass nur ein sehr geringer Teil der Testpersonen schummelt. Wir reden hier über niedrige einstellige Prozentzahlen. Dass offenkundig aber auch an anderen Stellen der Bewerbung betrogen und gelogen wird, das problematisieren Recruitingverantwortliche nach meinem Eindruck hingegen meist nicht. Ich vermute, Background-Checks wie Ihr sie anbietet, werden wahrscheinlich nur für ausgewählte Hires überhaupt durchgeführt, denn diese sind ja bestimmt auch mit Aufwand und Kosten verbunden. Bei Ausbildungsplatzbewerbenden wird man das ja wahrscheinlich kaum als Standardprozess vorsehen. Oder täusche ich mich da?
Hintergrundüberprüfungen dienen heute zwei Zwecken. Einerseits bieten sie Sicherheit für Personalvermittler, für sensible Aufgaben oder, wie man sie auch nennen könnte, „Vertrauenspositionen“, oder systematischer in regulierten Branchen wie beispielsweise Finanzdienstleistungen oder Luftfahrt. Wenn es in diesen Positionen und Branchen nicht gelingt, die 5 % der nicht vertrauenswürdigen oder unqualifizierten Einstellungen zu eliminieren, kann dies für den Arbeitgeber sehr schmerzhaft und kostspielig sein oder sogar seine Existenz gefährden. Andererseits werden die Hintergrundprüfungen heute durch digitalisierte Prozesse und eine gesicherte Anwendung und API’s wie Aequivalent genutzt, um die Mitarbeiterdossiers während eines Onboarding-Prozesses zu dokumentieren, was das Leben für alle einfacher macht. Tatsächlich wollen und müssen Personalvermittler heutzutage sehr schnell sein. Sie wollen die Einstellungszeit verkürzen und haben keine Zeit, das Dossier vollständig zu dokumentieren, und noch weniger, alles zu überprüfen. Deshalb wird dies in der (Vor-)Onboarding-Phase erledigt.
Ihr überprüft aber ja nicht nur die Angaben aus der Bewerbung, Ihr schaut ja auch auf Online-Profile und prüft dort, ob sich aus dem Auftritt der Person ein Reputationsrisiko für das Unternehmen ergeben kann. Wie muss man sich das vorstellen? Was überprüft Ihr da und wie ergibt sich die Risikobewertung?
Wir haben Fokusgruppen mit Personalleitenden abgehalten und untersucht, welche Elemente für Arbeitgebende im öffentlichen Online-Profil von Bewerbenden oder Mitarbeitenden relevant sind. Wir haben sieben Elemente identifiziert, bei denen ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ruf der Arbeitgebenden und dem Ruf der Arbeitnehmenden besteht. Dazu gehören falsche Angaben zu den Qualifikationen der Kandidaten, beispielsweise in einem LinkedIn- oder Xing-Profil. Aber auch die Veröffentlichung sensibler Informationen wie Fotos vom Arbeitsplatz, Kundennamen oder vertraulicher Dokumente. Dazu gehören auch wiederholte Hinweise auf Gewalt, sexuelle Inhalte oder Drogen- und Alkoholkonsum. Wir überlassen es den Kunden, das Reputations- oder Regulierungsrisiko zu bewerten.
In welchem Rahmen lässt der Datenschutz das zu? Was dürft Ihr überprüfen? Was kann und darf nachher auch möglicherweise gegen einen Bewerber verwendet werden?
Alle Arbeitgebenden haben das Recht, eine Due-Diligence-Prüfung durchzuführen und Informationen über die Person oder die Lieferanten zu sammeln, mit denen er einen Vertrag abschließen möchte. In einigen Funktionen und Branchen ist es sogar Pflicht, Personen mit „gutem Ruf“ einzustellen. In unserem Fall überprüfen wir nur die öffentliche Internetpräsenz und relevante Elemente für einen Arbeitsvertrag. Außerdem erhält der Kandidat die Möglichkeit, sich dem zu widersetzen, bevor wir mit der Analyse beginnen. Wir stellen auch sicher, dass wir die richtige Person haben und nicht eine Person, die beispielsweise nur den gleichen Namen trägt. Wir empfehlen unseren Kunden, alle umstrittenen Ergebnisse mit ihren Kandidaten zu besprechen und zu prüfen, ob sie ein großes Sicherheits- oder Reputationsrisiko darstellen und/oder gelöst werden können.
Letzte Frage: Bewerbende setzen ja in zunehmendem Maße KI bei Ihrer Bewerbung ein. Überprüft Ihr, ob Inhalte einer Bewerbung mit Hilfe von KI erstellt wurden. Und: Ist das überhaupt „verdächtig“, wenn jemand das tut oder wird KI auch in diesem Kontext ein ganz normales Hilfsmittel, wie es ja auch bisher schon der Einsatz von Bewerbungsratgebern, Musteranschreiben oder auch der Rechtschreibkontrolle für das Anschreiben war?
In unserem spezifischen Tätigkeitsbereich ist es nicht so wichtig, wie das Ergebnis zustande kam, sondern nur, ob die Fakten wahr sind oder nicht. Die übrigen Bewertungen im Einstellungsprozess überlassen wir unseren Kunden 😊.
Lieber Michael, wirklich spannend! Ich sage Merci vielmals! Und wie gesagt, insb. die letzte gestellte Frage, inwieweit KI zum „Schummeln“ eingesetzt wird, werden wir hier demnächst nochmal aufgreifen. Dazu habe ich nämlich eine sehr frische wissenschaftliche Studie gefunden… Also, stay tuned (und folgt mir bei LinkedIn und/oder abonniert den Newsletter…📧, dann verpasst Ihr nix…).