EMBRACE kauft Milch & Zucker. Was steckt dahinter? Exklusiv-Interview mit Gero Hesse und Ingolf Teetz

Leise pfiffen es die Spatzen ja schon vom Dach, nun ist es offiziell:

Bertelsmann EMBRACE kauft 100% von Milch & Zucker.

Am 30. November hatte das Fachblatt new business ja bereits in diese Richtung kommuniziert, nur war es zu dem Zeitpunkt noch ein Gerücht, wenngleich ein durchaus handfestes, war dies doch aus einer Bekanntmachung der Bundeswettbewerbsbehörde in Österreich abgeleitet. Die Personalwirtschaft hat diese Meldung dann am 4. Dezember einem breiteren Kreis bekanntgemacht.

Seit heute ist es kein Gerücht mehr, sondern Tinte auf dem Vertrag, der zum 1.1.24 in Kraft treten wird.

Ohne dass ich da jetzt irgendwelches Insiderwissen gehabt hätte, habe ich sofort gedacht, dass dieser Kauf total Sinn macht.

Warum?

In beiden oben genannten Berichten wurde Milch & Zucker als (Spezial)Agentur bezeichnet und da ja auch EMBRACE seine Wurzeln als Agentur für Employer Branding und Personalmarketing hat, lag wahrscheinlich für viele der Schluss nahe, dass hinter dem Deal das Agenturgeschäft im Vordergrund stand.

Daneben betreibt Milch & Zucker mit Jobstairs ein relativ großes Jobboard, auf dem die Stellen vor allem (sehr) großer Unternehmen wie Porsche, Deutsche Bahn, Bayer, Bosch oder der Telekom veröffentlicht werden. Auch hier könnte man von außen vermuten, dass das ein Treiber hinter dem Kauf war, umfasst das Portfolio von EMBRACE doch auch verschiedene zielgruppenspezifische Job-Portale, allen voran sicherlich Ausbildung.de.

Diese beiden Punkte haben sicherlich beim Kauf nicht gestört, aber ich dachte sofort, dass hinter der Übernahme sicherlich etwas anderes entscheidend war:

Denn MuZ ist vor allem ein sehr starker HR Tech Player. Rund um die Software BeeSite bieten die Gießener nämlich eine überaus performante Lösung für Bewerbermanagement, Stellenposting, (Bewerber)Community-Management und Talent Relations oder das Erstellen von Stellenanzeigen. Was viele nicht wissen: Bei MuZ hat man sehr früh begonnen, KI-Features in die Software zu integrieren, so dass man hier wirklich sehr weit ist. Nicht zuletzt deshalb habe ich Olena Linnyk und Ingolf Teetz ja auch gebeten, uns bei der #HREdge24 am 07. März 2024 mehr über “KI im ATS – wie funktioniert das wirklich?” zu erzählen.

Und genau das, also das Bauen eines umfassenden HR Tech-Ökosystems ist ja die explizit formulierte Zielsetzung, mit der Gero Hesse und EMBRACE im Frühjahr im Rahmen von Bertelsmann Investments an den Start gegangen sind.

Und für ein funktionierendes Ökosystem braucht man m.E. ein gemeinsames Rückgrat, eine Basis auf die dann vieles, was es so an HR Tech Lösungen gibt, aufbauen kann bzw. woran diese Lösungen andocken können. Wir docken ja bspw. mit unseren Diagnostik- und Assessment-Tools häufig an das ATS eines Kunden an, um hier einen durchgehenden Prozess zu schaffen – u.a. auch an die BeeSite von Milch & Zucker (z.B. bei BARMER, KfW etc.). Und ich glaube, diese Form der Verknüpfungen wird ein entscheidendes Thema der nächsten Jahre werden. Denn Kunden werden immer weniger dazu in der Lage sein, eine Vielzahl von nebeneinanderstehenden Einzellösungen sinnvoll zu konzertieren.

BeeSite ist aus meiner Sicht eine sehr gute Basis, ein sehr ausgereiftes Rückgrat für ein solches Ökosystem.

Nun, soweit meine externe Interpretation. Doch ich wollte es etwas genauer wissen und da der Draht ja zu beiden hier beteiligten Playern ein sehr kurzer ist, habe ich mir einmal die CEOs beider Unternehmen – Gero Hesse von EMBRACE und Ingolf Teetz von Milch & Zucker – zum Interview geschnappt und sie mit ein paar Frage gelöchert…

Also, Gero, Ingolf, wollen wir…?

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Moin Gero, moin Ingolf, da habt Ihr ja richtig einen rausgehauen! Hättet Ihr gedacht, dass sich eure Wege nochmal auf diese Art kreuzen würden? Es dürfte ja locker zwanzig Jahre her sein, dass Milch & Zucker die Karriere-Website für Bertelsmann umgesetzt hat…

Gero: In der Tat haben wir uns im Sommer 2000 kennengelernt, als ich für Bertelsmann auf der Suche nach einer Agentur für die Karrierewebsite war. Den Pitch hat damals milch & zucker gewonnen. Und danach haben wir fast acht Jahre erfolgreich zusammengearbeitet, bis ich bei Bertelsmann die Chance bekam, als Intrapreneur EMBRACE zu gründen. Seitdem waren wir, wie man so schön sagt, Marktbegleiter. ;-)

Ingolf: Der Bertelsmann Pitchgewinn war damals ein großes Ding für uns. Mit der Deutschen Bank-Karrierewebsite als Referenz im Gepäck konnten wir uns durchsetzen, auch wenn wir zu dem Zeitpunkt irgendwas zwischen 15 und 20 Mitarbeitende waren. Seit dem kennen wir uns und die Karrierewebsite war nicht die einzige, die wir dann in den folgenden acht Jahren für Bertelsmann machen durften.

Wie kam es dazu, dass Ihr jetzt wieder gemeinsame Sache macht?

Gero: Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass EMBRACE als eines von drei Wachstumsfeldern bei Bertelsmann Investments identifiziert wurde. Die Idee: in den nächsten Jahren ein führendes HR-Tech-Ökosystem aufzubauen. Wir orientieren uns am Employee Life Cycle, von Attract über Hire bis Retain und beabsichtigen, Arbeitgeber in Fragen rund um Recruiting und Retention mit Services und Produkten zu unterstützen.

Wir tun dies ja insbesondere in den Feldern Attract und Hire auch heute schon, als Impulsgeber mit unserem Festival, Whitepapern und Webinaren, als Enabler mit der EMBRACE.Agency und eben auch als Heimat für HR-Tech Unternehmen wie bislang Ausbildung.de.

Im Sommer hat Bertelsmann Investments mit Studyflix die erste Akquise für EMBRACE getätigt. Zusammen mit Ausbildung.de ist so ein extrem reichweitenstarkes Angebot mit > 8 Millionen monthly active users für junge Zielgruppen entstanden – innerhalb von EMBRACE das Young Talent Vertical, welches wir noch weiter ausbauen werden.

Wenn man aber in den Feldern Attract und Hire auch zielgruppenunabhängig stark sein möchte, kommt man an einem Bewerbermanagementsystem nicht vorbei. Und so haben wir uns den Markt nach möglichen Playern angeschaut. milch & zucker ist zwar schon sehr früh in der Diskussion als Name gefallen, da ich Ingolf ja aber schon so lange kenne, habe ich nicht gedacht, dass milch & zucker überhaupt ein realistisches Asset für einen Kauf sein könnte.

Unsere tatsächliche Zusammenarbeit hat sich dann ganz anders ergeben…

Ingolf: Genau. Ich war im November 2022 bei Gero zum SAATKORN Podcast eingeladen. Die ursprünglich an einem Donnerstag aufgenommene Folge war technisch verunglückt, so dass wir beschlossen, in aller Ruhe Samstags morgens bei einem Tässchen Kaffee erneut aufzunehmen. Nach der eigentlichen Aufnahme sind wir dann tiefer ins Gespräch gekommen und ich habe Gero gefragt, was er denn heutzutage so bei EMBRACE macht.

Gero: Da habe ich Ingolf natürlich von der damals bereits vorhandenen Idee, aus Bertelsmann Investments heraus ein führendes HR-Tech-Ökosystem aufzubauen, erzählt.

Ingolf: Und das fand ich in der Tat sehr spannend, waren wir doch schon vor der Covid-Phase auf die Suche nach einem Investor gegangen, um unser bisher organisches Wachstum einen Gang höher schalten zu können. Mit ARCUS Capital hatten wir seit 2021 auch eine Beteiligungsgesellschaft an Bord, die uns unterstützt hat. Mit dem, was Gero erzählte, kam mir schnell die Idee, dass man aus dem, was bei uns vorhanden ist und den Möglichkeiten der angestrebten Strategie bei EMBRACE sehr viel gemeinsam machen könnte. Die Idee eines HR-Tech-Ökosystems, das den Namen verdient, ist in jeder Hinsicht eine starke Weiterentwicklung all unserer Ideen, Produkte und Dienstleistungen.

Gero, ich habe in meiner Einleitung ja ein bisschen über eure Beweggründe, MuZ zu kaufen, spekuliert. Liege ich richtig? Was hat euch am meisten getrieben? Ich nehme an, das Agenturgeschäft stand nicht im Vordergrund, oder? Die Technik? Die Kunden?

Gero: Unsere Vision bei EMBRACE ist: Jeder Mensch verdient den bestmöglich passenden Job und Arbeitgeber. Und wenn man diese Vision Realität werden lassen möchte, dann geht das heutzutage nur mit einem guten Mix aus Technologie, Daten und Purpose. Und bislang fehlte uns das technologische Backbone für unser Ziel, ein führendes HR-Tech-Ökosystem aufzubauen. Und genau das bringt jetzt milch & zucker mit in die EMBRACE Familie. Unter anderem.

Ingolf: Wir von milch & zucker bringen im Kontext HR-Tech mehr als „nur“ ein ATS mit: es gibt eine Reihe von Produktmodulen wie beispielsweise das Multiposting-Tool JobHub, die Candidate Experience Lösung GlobalJobboard oder AI-Module wie den AI Writer für Stellenanzeigen oder BetterAds für die AI gestützte Optimierung von Jobads, um nur einige paar Module zu nennen. Und wir hatten uns schon vorher auf den Weg gemacht, die BeeSite stärker mit einem template-basierten Ansatz zu versehen. Also das System nicht leer, sondern vorkonfiguriert ausliefern zu können.- Auf Basis unserer 25 Jahre Erfahrung in den verschiedensten Branchen. Damit möchten wir nicht nur ganz große Arbeitgeber, sondern auch Kunden im Segment 1.000-5.000 Mitarbeiter besser erreichen. Unser Ziel ist es, den Markt vom gehobenen Mittelstand bis zum Konzern oder große Behörden abdecken zu können.

Aber sicher hat es auch nicht geschadet, dass MuZ auch im Agentur- und Portalgeschäft erfahren ist, oder? Ich kenne es ja selber, dass die Verzahnung von Dienstleistung und “Kunden sehr individuell verstehen” und Tech ziemlich gut funktionieren kann.

Gero: Ja klar, das schadet ganz und gar nicht. Die Jobplattform JobStairs und die milch & zucker Agentur mit einem deutlich anderen Portfolio als in unserer bereits vorhandenen EMBRACE.Agency ergänzen das Portfolio perfekt, waren aber nicht die Treiber für die Akquise.

Ingolf, darf ich fragen, was euch bewogen hat zu verkaufen? Ich meine, außer dem dicken Scheck natürlich… ;-) Hattet Ihr das schon im Hinterkopf als Arcus 21 bei euch eingestiegen ist? Oder war der Investor sogar der Treiber? Ihr wart ja nun seit einem Vierteljahrhundert unabhängig – meinst du, dass man dann überhaupt noch konzernkompatibel sein kann?

Ich würde es mal als Window of Opportunity bezeichnen. Unsere Vision, dass Menschen und ihre Arbeitgeber passgenau zusammenfinden, passt sehr gut zur Vision von EMBRACE. Für uns ist es eine große Chance, unsere Kunden in ihren Recruiting-Prozessen noch besser und umfangreicher zu unterstützen. Wir möchten unsere Ideen schneller als bisher auf die Straße bringen können, indem wir wachsen.

Wir hatten ja erste Erfahrungen mit einem Nicht-Gründungseigentümer mit ARCUS gemacht, die sehr gut waren. Aber ARCUS war in unserem Fall eben auch kein klassischer Investor, sondern hat Anteile eines Alteigentümers übernommen. Arcus war auch nicht der Treiber.  Der Vorschlag, ob sie sich einen Verkauf Ihrer Anteile vorstellen könnten, kam von mir. Wir haben uns das Verkaufsthema sicherlich nicht einfach gemacht.

Für mich ist das nach 25 Jahren ein wenig so als wenn ein Kind auszieht. Es wird erwachsen, man bleibt aber der Vater und man kann stolz sein, wenn es sich gut entwickelt. Und wo kann es das  besser als bei einem strategischen Käufer? Du kannst mir aber glauben, ich habe im vergangenen Jahr mehr als einmal nachts wach im Bett gelegen und überlegt, ob das alles so richtig ist. ABER mittlerweile bin ich sicher: es ist der absolut richtige Schritt, um die nächste Stufe, gemeinsam mit EMBRACE zu erklimmen.

Und was das Konzernthema angeht, gehen wir da zumindest nicht ganz blauäugig dran. Unsere jetzige Kundenstruktur ist sehr konzernlastig, es ist also nicht so, dass wir nur Mittelstand kennen. Bestimmt ist es nochmal etwas Anderes, jetzt fest eingebunden zu sein, auch wenn wir durch unsere ISO- und TISAX-Zertifizierungen schon lange mit strengen Regeln leben (müssen).

Apropos “dicker Scheck”: Zum Kaufpreis macht Ihr wahrscheinlich keine Angaben, oder?

Gero: Jo, es ist ja klar, dass Du die Frage für die Leser:innen stellst. Aber genauso klar ist, dass wir dazu keine Angaben machen. 😉

Wie muss man sich das Konstrukt denn zukünftig vorstellen? Wird MuZ in EMBRACE eingegliedert? Bleibt MuZ eigenständig und agiert auch autonom? Wie ist das mit Unternehmensnamen und -Management?

Gero: Das EMBRACE Gesamtkonstrukt nennt sich EMBRACE.Family. Zu dieser „Familiy of Brands“ gehörten bislang die EMBRACE.Agency sowie Ausbildung.de und Studyflix. Nun ergänzen wir die Familie um milch & zucker. Die Grundphilosophie ist bei allen Zukäufen dieselbe: Brand und rechtliche Einheit bleiben bestehen. Das halten wir für die Identifikation und Motivation der Mitarbeitenden für wichtig, wir wollen ja dauerhaft erfolgreich zusammenarbeiten. Wir alle können aber nun unseren Kunden ein viel umfangreicheres Portfolio anbieten. Das funktioniert beispielsweise zwischen Ausbildung.de und Studyflix schon jetzt sehr gut.

Gero, wenn die Technologie von Milch & Zucker euer primäres Kaufargument war – Stichwort “BeeSite als Backbone” -, was siehst du denn dadurch für Anknüpfungspunkte für andere HR Tech-Themen, z.B. People Analytics, Skill-Assessment und -Management von Bewerbenden bzw. Mitarbeitenden, Up-/Re-Skilling, Benefits, Performance-Marketing, Sourcing usw.?

Gero: Jo, das überlasse ich Deiner Fantasie – da geht theoretisch alles, was Du gerade erwähnt hast. Unser Fokus liegt nun erstmal darauf, milch & zucker mit Marketingpower im eben von Ingolf schon erwähnten Segment von Kunden mit 1.000 bis 5.000 Mitarbeitenden und dem neuen, Template-basierten BeeSite-Ansatz zu unterstützen. Da wollen wir 2024 richtig Meter machen. Hier haben wir bereits ein gemeinsames Team aufgestellt, David Rosenberg, COO von milch & zucker und Ana Fernandez-Mühl, VP Synergies & Collaboration bei EMBRACE, werden sich darauf fokussieren.

Nach Studyflix und Milch & Zucker wird bei EMBRACE ja noch nicht Schluss sein, oder? Welcher Zutat für das HR Tech Ökosystem von EMBRACE wollt Ihr euch denn als nächstes zuwenden?

Gero: Es gibt derzeit eine Menge Ideen und auch einen ganz konkreten Ansatz, der heute aber noch nicht spruchreif ist. Aber wie gesagt: jetzt stehen erstmal der Marketing- und Sales-Ansatz für die neue, templatebasierte BeeSite und die Integration von milch & zucker in die kaufmännischen Abläufe von Bertelsmann im Fokus.

Wie muss man sich das denn dann zukünftig vorstellen, wenn der Kreis der Beteiligungen wächst? Wandert irgendwann alles unter ein Dach, ein “powered by”? Und fördert Ihr dann den aktiven Austausch zwischen den Beteiligungen, um entsprechende Synergien zu heben oder die einzelnen Bausteine auch zu einem marktattraktiven Ganzen werden zu lassen?

Gero: Ein aktiver Austausch wird definitiv gefördert. So treffen sich die Führungskräfte der EMBRACE.Family Mitte Februar in Gütersloh. Uns ist wichtig, die weiteren Aktivitäten gemeinsam zu entwickeln und die unterschiedlichsten Perspektiven bei der Weiterentwicklung zu berücksichtigen. Ich habe irgendwo mal gesagt, dass wir die Avengers der HR-Szene aufbauen wollen, mit starken Persönlichkeiten, die sich trotz aller Unterschiedlichkeit für ein gemeinsames Ziel, nämlich das EMBRACE HR-Tech-Ökosystem einsetzen.

Es gäbe sicher noch eine ganze Menge mehr zu fragen. Aber wem es wirklich unter den Nägeln brennt, der sei hier nochmal explizit auf die #HREdge24 hingewiesen. Denn als hätte ich es geahnt, wird dort erstens Ingolf einen Vortrag zu KI halten und EMBRACE als Eventsponsor den Gästen den Signature Drink ausgeben. Wer also noch nicht angemeldet ist -> hier lang!

Lieber Ingolf, lieber Gero, ich wünsche euch nun erstmal nach dem ganzen Trubel ein paar geruhsame Feiertage und dann Attacke im neuen Jahr!

Gero: Das wünschen wir Dir auch, Jo!

Ingolf: Danke Dir auch. Ich werde definitiv in den nächsten Tagen erstmal erleichtert tief durchatmen, das waren schon spannende Wochen und Monate. Aufs neue Jahr und auf Eure Veranstaltung freue ich mich dann aber auch schon sehr.

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