Potentialpark-Studie: Bewerber suchen Orientierung und Einblicke, kein Recruiter-Sprech und Corporate Lingo…

Seit knapp 20 Jahren, naja das ist jetzt etwas geprahlt – konkret seit Mai 1999, befassen wir uns nun mit (E-)Recruiting. Vieles haben wir kommen sehen, fast genauso viel auch wieder verschwinden. Es gibt aber auch so ein paar Konstanten, die uns mehr oder weniger die ganze Zeit über begleitet haben.

Dazu zählen für mich definitiv die jährlichen Potentialpark-Studien.

Viele von Euch werden diese kennen – “wegen der Rankings”… Zum Beispiel der besten Karriere-Websites und so weiter.

Nun, ich bin diesbzgl. immer ein wenig hin- und hergerissen. Ich finde die Verdichtung auf Rankings speziell im Zusammenhang mit der “Qualität der Arbeitgeberkommunikation und Personalgewinnung” auch schwierig, weil ich auch hier grundsätzlich finde, es gibt eigentlich nicht “gut oder schlecht”, sondern vielmehr “passend oder unpassend”. Und das ist eben kontextual für jedes Unternehmen etwas anderes. Auf der anderen Seite wissen wir ja auch wie das Spiel funktioniert: Die Wahrnehmung mag es einfach und klar und nicht differenziert im Sinne der typischen Juristenantwort “es kommt darauf an”… Insofern erhalten Rankings naturgemäß mehr Aufmerksamkeit und klar, in vielen Unternehmen hängen auch Budgets davon ab, ob der Chef sich über eine gute Platzierung freuen darf oder wegen einer nicht so guten Platzierung für´s nächste Jahr mehr Geld raus haut.

Die Verdichtung auf die Rankings wird dabei aber der eigentlichen Qualität der Potentialpark-Forschung nicht gerecht. Der eigentliche Nutzen der Untersuchungen liegt nämlich jenseits der Ranglisten. Jedes Jahr befragt Potentialpark weltweit mehrere Zehntausend junge Menschen danach, was sie von einem potentiellen Arbeitgeber wissen wollen, wie dieser kommunizieren soll, über welche Kanäle usw. Daraus entsteht ein umfangreicher Datensatz und viele Erkenntnisse darüber, wie man sein Employer Branding und Recruiting zukünftig ausrichten sollte oder könnte.

Jedes Unternehmen ist also gut beraten, sich mit diesen “Merkmalen der Arbeitgeberkommunikation” (bei Potentialpark heißen die “Features”) zu beschäftigen. Nicht nach dem Motto “was brauchen wir davon alles, damit wir im Ranking oben stehen?”, sondern geleitet von “was brauchen wir, damit wir unsere Zielgruppen bestmöglich bedienen?”.

Anfang März stellte Potentialpark die aktuellen Ergebnisse der OTaC-Studie für Deutschland vor. Die jährliche Potentialpark Conference fand diesmal bei OTTO in Hamburg statt. In dem Zusammenhang habe ich mir Julian Ziesing, Partner bei Potentialpark einmal geschnappt und mit ihm ein paar der Takeaways diskutiert. Sehr spannend und eines vorweg: Das “Jahr der Berufsorientierung” (2014…?) scheint noch nicht einmal halb vorbei zu sein…

Nun aber, Julian wollen wir…?

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Hi Julian,

Lt. Eurer Erhebungen hat ein Großteil der Befragten sich schon einmal ganz explizit gegen eine Bewerbung entschieden – soweit ich die Zahl im Kopf habe waren es mit 56% fast doppelt so viele wie vor drei Jahren. Warum ist das so? Was sind die Gründe?

Richtig, etwa die Hälfte hat nach dem Besuch einer Karrierewebseite schon mal entschieden, dieses Unternehmen ist nichts für mich. Und davon wiederum etwa die Hälfte hat als Grund angegeben, dass die Seite so schlecht gemacht war. Man muss sich das mal vorstellen: Vielleicht passt das Unternehmen, es gibt auch offene Stellen, aber weil der Online-Auftritt mich nicht informiert und inspiriert, spare ich mir das und gehe zum Wettbewerber.

Auch etwa eine Hälfte hat als Grund für einen Abbruch angegeben, dass es keine passenden Stellen gab. Das kann bedeuten, dass wirklich grad nichts da war. In unserer guten Konjunktur und bei immer geringeren harten Ausschlusskriterien ist es aber ebenso wahrscheinlich, dass ein Unternehmen offene Stellen hatte, der Kandidat sie aber nicht als solche für sich erkannt hat.

Gerade junge Bewerber sind oft überfordert vom Angebot, von langen Listen mit Stellenanzeigen, vom Recruiter-Sprech und kryptischen Abteilungs-Bezeichnungen und generell vom Mangel an Einblicken in die möglichen Karriere-Pfade der Unternehmen. Es fehlt ihnen vor allem an einem: Orientierung im Karriere-Dschungel.

Das heißt es liegt nur zum Teil an schlechter Usability oder Funktionalitäten auf der Karriere-Website oder im Bewerbungsprozess, also an sagen wir mal „nicht gemachten Hausaufgaben“ auf Seiten der Unternehmen. Vor allem liegt es daran, dass der Bewerber bei dem betreffenden Unternehmen einfach nichts für ihn passendes findet?

Ja, nehmen wir mal eine herkömmliche Stellenbörse, oder die Jobliste auf der Seite eines Unternehmens. Wonach kann ich filtern? In den seltensten Fällen nach Abschluss, Skills oder Interessen. Also dem, was ich weiß. Sondern nach Funktionen und Abteilungen bei den Unternehmen, die ich nicht kenne. Zu Beginn meiner Karriere oder in Zeiten einer Umorientierung kommen viele Rollen in Frage, besonders wenn ich etwa BWL oder Mathematik studiert habe oder nach der Realschule eine Ausbildung suche. Woher soll ich wissen, 1) welches Unternehmen nach Leuten wie mir sucht, 2) welche Stelle die richtige für mich ist und 3) warum diese besser ist als dieselbe Stelle beim Wettbewerber? Das ist eine Marketing-Herausforderung.

Menschen wollen nicht einfach Jobs, sondern sich verwirklichen, entwickeln und Spaß haben. Wir unterschätzen leicht die große Hürde der Berufsfindung. Und wie wenig die mittlerweile altmodischen Mechanismen der Jobsuche darauf vorbereitet sind.

Jetzt könnte man ja meinen, wenn ein Kandidat feststellt, dass es bei einem Unternehmen nichts passendes für ihn gibt und er sich daraufhin auch nicht bewirbt, dann ist das doch eigentlich ein gewollter Effekt – Stichwort „gelungene Selbstselektion“. Also alles in Butter? Die Orientierung gelingt?

Ja, alles in Butter, solange man von seinen Fans leben kann. Automobilkonzerne hatten lange Zeit mit die schlechtesten Online-Auftritte (mit Ausnahmen), denn sie hatten es schlicht nicht nötig.

Wenn manche Stellen aber immer länger unbesetzt bleiben und wenn ganze Zielgruppen wie Programmierer, technisch begabte Schulabgänger und Männer (bei Kosmetik-Konzernen) oder Frauen (bei Banken) sich “selbst raus-selektieren”, wie du so schön sagst, kann man ja nicht sagen “die passen halt nicht zu uns”, sondern dann muss man sich dem stellen. Der Wettbewerb um Talente führt dazu, dass der munterere Arbeitgeber gewinnt.

Außerdem schauen wir uns bei Potentialpark jedes Jahr tausende Karriere-Webseiten von Unternehmen an, in Deutschland und in aller Welt, und ich kann dir sagen, selbst mit unserer Erfahrung können wir am Inhalt der Seite oft nicht erkennen, wen das Unternehmen eigentlich sucht. Selektion funktioniert natürlich nur, wenn die verschiedenen Bereiche und Möglichkeiten im Unternehmen auch distinktiv und greifbar präsentiert werden. Und nicht nur das Unternehmen insgesamt, nach dem Motto, “hier mal kurz about us”.

Von den 51 Kriterien, die Kandidaten auf einer Karrierewebsite erwarten landen etwa die folgenden zwei unter den Top10:

  • Informationen zum typischen Tagesablauf und den Aufgaben
  • Informationen zu den Funktionen und Rollen im Unternehmen

Ja, das hatte ich befürchtet… Was müssen die Unternehmen denn aus Eurer Sicht tun, damit die Orientierung besser gelingt? Noch mehr Einblicke über Instagram und Snapchat? Chatbots? Influencer?

Ja, alles mögliche Ideen. Im Kern würde ich sagen: mehr Content, aber guter. Einblicke ins Unternehmen, die Interessenten helfen, sich mit einem Bereich des Unternehmens zu identifizieren, und ihnen die Stellen-Auswahl erleichtert. Es hilft zum Beispiel, verschiedene Abteilungen, Rollen und Karrierepfade vorzustellen, besonders die, bei denen es die größten Recruiting-Probleme und Missverständnisse gibt. Aber auch die Standorte und ihre Vorzüge, die Arbeitskultur, Aufgaben, den Arbeitsalltag und die Entwicklungsmöglichkeiten.

Zum Beispiel wünschen sich 49% der Befragten unserer Studie Testimonials von Mitarbeitern aus verschiedenen Abteilungen, und nur 5% ein Statement vom CEO. Wer kann es ihnen verübeln?

Social Media kann mit frischen Blicken in den Alltag besonders diejenigen erreichen helfen, die noch keine Fans des Unternehmens sind, und den Traffic zur Karrierewebseite erhöhen. Und diese kann im besten Fall die Conversion von Interessenten zu Bewerbern erhöhen, ganz im Sinne des Marketings beim e-Commerce.

Wenn ich es richtig verstehe, wäre die Stellenanzeige doch ein guter Ansatzpunkt, die Orientierungsdefizite zu verbessern, steht diese doch immer noch im Mittelpunkt des Interesses und zieht viel Traffic. Warum schreiben denn die Arbeitgeber hier nicht einfach rein, was sie suchen, was nicht, was passt und was nicht?

Tolle Idee, nur scheitert das oft schon daran, dass ich die richtige Stelle erst mal finden muss. Und selbst dann sind die meisten Bewerber-Management-Systeme zu restriktiv, die Recruiter keine professionellen Texter und die Content-Welten nicht umfassend genug, um jede Stellenanzeige passgenau und marketinggerecht zu bestücken. Hier verändert sich gerade viel zum Guten, Arbeitgeber haben die Stellenanzeigen als Arena für Employer Branding entdeckt, aber ein Matching kann schon früher stattfinden.

Je mehr Zeit etwa der Besucher einer Karrierewebseite mit dem Content verbringt, desto wahrscheinlicher, dass er sich bewirbt, und desto wahrscheinlicher, dass er sich auf die richtige Stelle bewirbt.

Unser Eindruck über die letzten Jahre: Interessenten und Bewerber brauchen konkrete Hilfestellungen, um die Frage beantworten zu können, welches Unternehmen, welche Kultur, welche Stellen konkret zu ihnen passen und welche nicht. Also im Prinzip Instrumente, die ihnen – ausgehend von „so bin ich“ – sagen, was zu „diesem ich“ passt. Daher boomt ja auch seit Jahren das Geschäft mit Selbsttests, Matching-Tools und Orientierungsinstrumenten. Jüngstes Beispiel: Bertelsmann betreibt sehr erfolgreich ein Traineeprogramm für Geisteswissenschaftler – das Creative Management Program. Die Resonanz und die Bewerberzahl sind enorm. Aber es bewerben sich eben auch sehr viele darauf, die nicht passen. Die lesen „Geisteswissenschaftler“ und „Creative“ und überlesen das „Management“, holen also nicht durch, dass es eben auch hier sehr stark um Betriebswirtschaft und Führung geht. Deshalb haben wir einen Matcher gebaut, der einem mit 10 kurzen Fragen beantwortet, ob das CMP was für einen ist oder nicht.

Was meinst du, helfen solche Instrumente und könnt Ihr an Euren Analysen nachvollziehen, dass und wie sie wirken?

An dem Beispiel kann man schön erkennen, dass Menschen mit Vorurteilen und Scheuklappen in die Jobsuche gehen. Aus unserer Erfahrung ist die beste Wirkung, die ein Matching-Tool haben kann, dass es Augen öffnet für etwas, das der Nutzer vorher nicht gesehen hat. Also Interesse und Neugier wecken, Aha-Erlebnisse schaffen, Missverständnisse ausräumen. Am Ende bleibt es ein menschlicher Akt, eine Stelle interessant zu finden oder nicht, und das ist etwas, das Algorithmen und Tests uns (noch) nicht abnehmen können. Insofern empfehlen wir, Tools etwas ergebnis-offen einzusetzen und Menschen zu befähigen, sich informierter zu entscheiden.

Wenn Ihr jetzt in Euren Erhebungen (mal wieder) feststellt, dass hier immer noch sehr vieles im Argen liegt, dann freut mich das aus CYQUEST-Sicht natürlich, weil es bedeutet, dass es hier noch viel zu tun gibt (…), aber auf der anderen Seite ist es natürlich aus neutraler Perspektive nicht so erfreulich, wenn anscheinend bei der Orientierung immer noch so große Defizite zu beobachten sind. Kann hier die Technik helfen? Also sowas wie „personalisierter Content“, der sich automatisch auf jeden Besucher anpasst. Stichwort: Amazonisierung von Karriere-Content?

Schon in den letzten zehn Jahren gab es hier dynamische Webseiten, die sich nach den Profilen der Kandidaten neu aufbauen, aber das war oft noch etwas holzschnitzartig und fordete zu viel vom Besucher.

Hier erwarten wir in Zukunft mehr IT-gestützte Lösungen, die Interessenten basierend auf ihrem Verhalten im richtigen Moment die richtigen Angebote aufzeigen, um sie zu motivieren, sich zu bewerben. Wenn ich von einem Posting auf Facebook kam, das von internationalen Karrieremöglichkeiten handelt, und jetzt ein Video zum Einstieg für Absolventen schaue, wäre das ja die Gelegenheit zu sagen “wir stellen gerade für das europäische Trainee-Programm ein, klicke hier”.

Dabei darf man Usern nicht das Gefühl geben, dass sie beobachtet, bedrängt oder zugespamt werden.

Solche Lösungen sind in der Entwicklung, wir wissen, dass einige (auch deutsche) Arbeitgeber daran basteln.

Dafür kann es nicht schaden vorzusorgen, indem man seinen Content ausbaut, denn Amazons berühmtes Matching funktioniert auch nicht, wenn es nur fünf Bücher gibt.

Ich habe „Personalisierung“ als eine der „langen Linien“ bezeichnet, die aus meiner Sicht die Personalgewinnung der Zukunft – das “Recruiting2030” kennzeichnen werden. Für gute Personalisierung braucht man aber natürlich Daten. Daten, die eine Unterscheidbarkeit ermöglichen, damit passender Content und passende Angebote überhaupt definiert werden können. Was meinst du, werden die Unternehmen diesen Weg einschlagen? Und ist das eine Frage von 1-3 oder eher von 10-15 Jahren?

Daten sind wie Zirkustiere, man kann sie im Käfig halten, aber ihre Wirkung entfalten sie erst, wenn ein Dompteur sie trainiert und durch die Manege führt. Daten gibt es immer mehr. Es fehlen die Dompteure.

Mein Tipp ist, dass Arbeitgeber gemeinsam mit Agenturen hier in den nächsten 1-2 Jahren erste interessante Lösungen bauen, basierend auf den Fußabdrücken von Webseiten-Usern, Google Analytics, Profilen im ATS und anderen Daten, die Unternehmen vorliegen. Diese Infrastruktur ist schon da oder im Bau. Nun kommt die Kreativ- und Tüftelarbeit, um Daten mit Jobs oder anderen Content-Angeboten zu verbinden und die User Experience alltagstauglich zu machen. Sehr spannend!

Gleichzeitig arbeiten kleine App- und Plattform-Entrepreneure an Datenbanken und Algorithmen. Ich kann mir ehrlich gesagt nur vorstellen, dass das funktioniert, wenn ein Platzhirsch wie LinkedIn, Xing oder Google sie aufkauft und an seine großen Maschinen anschließt, sonst war alles, was ich gesehen habe, bisher zu grob und spielerisch und mit zu wenig Daten dahinter. Gern lass ich mich vom Gegenteil überzeugen, aber all das schätze ich als langsamer und weiter weg ein als die eigenen Lösungen von Arbeitgebern.

Da im HR-Bereich aber nicht Bücher an flanierende Wochenend-Shopper verkauft, sondern Lebensentscheidungen getroffen werden, bleibt glaube ich auf lange Zeit immer noch ein großer menschlicher Faktor, ein Rest-Bereich der Entscheidung, in der der Bewerber auf sich gestellt ist und sich entscheiden muss, und wo man sein Verhalten nicht vorhersagen kann. Personaler ziehen meiner Meinung nach ihre Existenzberechtigung nicht daraus, dass sie Technologie und Datenanalyse besser als andere verstehen, sondern Bewerber, und dass sie Erstere für Letztere sinnvoll einsetzen, um einander schneller und relevanter zu informieren.

So gesehen bleibe ich eher beim Bild mit dem “Pfad durch den Dschungel”: Daten können es leichter machen, laufen müssen wir noch selber.

Julian, es gäbe noch so viel hierzu zu besprechen. Speziell die Frage der Daten(-qualität und –herkunft) wird uns glaube ich noch intensiv beschäftigen. Aber für heute entlassen wir den Leser mal vorerst. Ich bin jetzt schon gespannt, wo diese Themen nächste Jahr stehen werden. Spätestens dann sprechen wir uns wieder!

Immer gern, vielen Dank!

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