Anfang des Jahres habe ich „2015 zum Jahr der Kandidaten!?“ ausgerufen und eine entsprechende Blogger-Challenge dazu gestartet. Der Kern des Ganzen: Bevor wir alle immer über den Fachkräftemangel lamentieren, sollten wir beginnen, unsere Kandidaten in Summe etwas besser zu behandeln.
Klar, zu behaupten, alle Kandidaten würden von den Unternehmen unprofessionell und wenig wertschätzend behandelt ist eine genauso unzulässige Pauschalisierung wie zu postulieren, dass es den Fachkräftemangel gebe oder nicht gebe. Die tatsächliche Wahrheit liegt natürlich irgendwo in der Mitte.
Inzwischen sind mit Wolfgang Brickwedde (ICR) und Gero Hesse (Saatkorn) bereits zwei namhafte HR-Blogger der Challenge gefolgt (man wird immer jeweils einzeln nominiert), aktuell liegt der Staffelstab bei Christoph Athanas (metaHR). Darüber hinaus sind bereits mehr als ein Dutzend weitere Artikel mit Bezug auf das „Jahr der Kandidaten!?“ erschienen. Meine Hoffnung ist, dass am Jahresende ein Sammelwerk mit vielen guten Gedanken und Anregungen zur Verbesserung der Candidate Experience entstanden sein wird und wir damit dazu beitragen können, die Situation insgesamt zu verbessern.
Der Zusammenhang zwischen Candidate Experience und Unternehmenserfolg
Ich habe oft den Eindruck, dass viele das Thema Candidate Experience für ein Kuschelthema halten. Frei nach dem Motto
Die Kandidaten sollen sich mal nicht so anstellen bzw. da mussten wir auch durch
oder
Da kann man halt nichts machen, die Prozesse gibt IT vor
etc., wird wahlweise die Verantwortung abgewälzt oder der Handlungsbedarf grundsätzlich in Frage gestellt. Ich habe hierbei die Erfahrung gemacht, dass es bei vielen (auch im oberen Management) erst dann Klick macht, wenn man ihnen den Zusammenhang zwischen Bewerbungsprozess und – mal wirklich ganz platt gesagt – dem Verkaufserfolg der eigenen Produkte verdeutlicht.
Recruiter, Personalmarketer und auch Mitglieder der Geschäftsführung sind immer ganz schnell mit dem Argument zur Hand, dass es ja diejenigen Unternehmen viiiiel leichter mit der Personalgewinnung hätten, die eine starke Produktmarke haben. Joooahh, nicht ganz von der Hand zu weisen.
Aber diesen sog. „Spill-Over-Effekt“ gibt es auch in die andere Richtung!
Das ist so klar wie nur irgendwas, aber man muss es trotzdem oft erklären bzw. nachdrücklich betonen.
Ein Beispiel:
Wenn ein Unternehmen aus dem Einzelhandel im Jahr 70.000 Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz bekommt und sagen wir mal 3.500 davon am Ende wirklich einstellt, dann bedeutet das 66.500 Absagen = (im Prinzip) negative Marketingbotschaften. Daran lässt sich erstmal auch nicht viel ändern. Entscheidend ist aber die Art und Weise wie dieses für den nicht genommenen Bewerber letztlich negative Ergebnis zustande gekommen ist und wie er sich behandelt gefühlt hat. Denn: Die 66.500 abgelehnten Kandidaten (und deren Familienmitglieder, Freunde, Soziale Media Kontakte usw.) sollen natürlich auch weiterhin in den Geschäften des Einzelhändlers einkaufen! Und die Wahrscheinlichkeit, ob sie das weiterhin tun oder nicht, hängt direkt mit den im Bewerbungsprozess gemachten Erfahrungen zusammen.
Studienergebnisse zum Zusammenhang von Bewerbungsprozess und Unternehmensmarke
Diesen Zusammenhang hat nun übrigens auch eine Umfrage eindrucksvoll bestätigt und vor allem empirisch beziffert. Die durch Softgarden durchgeführte Studie „Bewerbungsprozess und Unternehmensmarke“ basiert immerhin auf mehr als 1500 Befragungsbefunden und zwar Befragungsbefunden echter Bewerber.
Eine ausführliche Zusammenfassung der Ergebnisse kann man sich bei Softgarden downloaden. Ich möchte an dieser Stelle nur ein paar Highlights herauspicken:
- Die allermeisten Bewerber bestätigen, dass die Erfahrungen im Bewerbungsprozess ihre Wahrnehmung des Unternehmens (und zwar des Unternehmens „an sich“, nicht nur des Unternehmens „als Arbeitgeber“) beeinflussen.
- Die Qualitätswahrnehmung des Bewerbungsverfahrens hängt vor allem vom Verhalten der handelnden Personen (Recruiter) ab. Hier sind es (das deckt sich auch mit den Ergebnissen der ´Candidate Experience Studie 2014´ von Peter M. Wald und Christoph Athanas) also Primärtugenden wie Verlässlichkeit, Wertschätzung und Freundlichkeit die entscheiden. Technische Aspekte (vor allem die Frage, ob man sich schon mobil bewerben kann) liegen zum Teil deutlich dahinter.
- Negative Erfahrungen werden weiter kommuniziert. Negative Mund-zu-Mund-Propaganda gab es zwar schon immer und war noch nie gut. In Zeiten von Social-Media und Arbeitgeberbewertungsplattformen sind die Auswirkungen, die eine negative Bewertung haben kann jedoch ungleich unangenehmer. Der Wirkungskreis ist erstens schlichtweg deutlich größer und zweitens werden diese Aussagen in irgendeiner Form „algorithmisch relevant“ (Suchmaschineninhalt ist das eine, die Wirkung auf Filter-Algorithmen der Sozialen Netzwerke und andere Big Data Scorings das andere…).
tldr: Will sagen: Ein guter Umgang mit Kandidaten ist nicht nur eine Frage, die vor dem Hintergrund der Employer Brand oder etwaiger Fachkräftemangel diskutiert werden darf. Das hat auch mit War for Talent nur zum Teil zu tun. Candidate Experience hat direkte Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Unternehmens- und Produktmarke. Wenn man die Kandidaten schon nicht als Mitarbeiter will, so will man sie aber ja nicht auch noch als Kunden verlieren…
Candidate Experience ist KEIN Kuschelthema.
Hallo Jo,
diese Ergebnisse bestätigen voll uns ganz was Prof. Peter Wald und ich bereits in unserer Studie nachgewiesen haben:
Die finale Candidate Experience beeinflusst die Wahrnehmung des Images des betreffenden Unternehmens (in beide Richtungen, je nach Fall ggf. positiv oder negativ).
Hier kann unsere Studie kostenfrei runtergeladen werden: http://www.metahr.de/candidate-experience-studie-2014/
Hi Christoph, ja das war auch mein erster Gedanke. Habe ich ja auch in den Artikel reingeschrieben. Ich finde auch, dass es so nahe liegt wie nur irgendwas, aber scheinbar muss man es doch immer wieder betonen bzw. beweisen…
„…eine genauso unzulässige Pauschalisierung wie zu postulieren, dass es den Fachkräftemangel gebe oder nicht gebe. Die tatsächliche Wahrheit liegt natürlich irgendwo in der Mitte.“
Wirklich? Gäbe (Konjunktiv!) es einen Fachkräftemangel, könnten wir das an drei Indikatoren ablesen:
1)
Die Fachkräfte würden ausschließlich über die operativen Anforderungen gesucht – unabhängig von Geschlecht, formaler Qualifikation, Herkunft, Hautfarbe und Alter.
2)
Im Ein-/Auspendelbereich um die ausgeschriebenen Stellen herum wären die Karteien an arbeitslosen und arbeitssuchenden (passenden) Fachkräften leer.
3)
Das Vergütungsniveau wäre deutlich überhöht – um Fachkräfte in bestehenden Arbeitsverhältnissen zu halten und um wechselwilligen Kandidaten einen Impuls zu geben.
Ich bin gespannt, wo das der Fall sein soll!
Vielen Dank für den Hinweis auf diese Studie und an dieser Stelle auch Danke sehr für diese Studie.
Ich selbst komme aus dem Automobilhandel eines Premium-Autoherstellers und bin gerade etwas verblüfft, dass diese Tatsache des negativen Erfahrungsaustausches im Bewerbungsverfahrens einerseits nicht schon früher untersucht wurde bzw. diese goldene Regel des Vertriebs nicht schon früher beachtet wurde.
Es gilt hier, wie auch so oft an anderen Stellen der Wirtschaft: „Man braucht eine Ewigkeit zum Aufbau eines guten Rufes, aber zerstört ist er binnen kürzester Zeit!“
Das würde ich als früherer Senior Recruiter und auch persönlich in Bewerbungsverfahren erfahrener Mensch, so auch für die Personalgewinnung herausstellen. Wer will schon in Unternehmen arbeiten, wo Recruiting als Prozess das Papier nicht wert ist, auf denen die Arbeitsanweisungen des HRs ausgedruckt wurde? ;-))
Aber es gibt ja auch löbliche Ausnahmen und allerhand Äußerungen zu Besserung der Recruiting-Situationen.