Ende November hatte ich es im Rahmen meines Artikels über Content Marketing und Storytelling ja schon angekündigt, dass ich „in Kürze“ ein sehr eindrucksvolles Beispiel nachschieben werden, wie Content Marketing über Twitter funktionieren kann. Nun, es hat dann im Jahresend-Trubel doch noch ein bisschen gedauert, aber hier ist es nun.
Am 9. Oktober letzten Jahres fand in Hamburg die Social Media Recruiting Conference statt. Ich hatte diese Tagung im Vorwege als Veranstaltungstipp kommuniziert im wesentlichen aus zwei Gründen: einer war der Vortrag über die zunehmende Bedeutung von Algorithmen im Recruiting von Jan Kirchner, der andere war die Vorstellung der Fallstudie #24hPolizei durch Yvonne Tamborini, Hauptkommissarin der Polizei Berlin.
Um eben jenes Projekt geht es mir heute.
Was hat die Berliner Polizei gemacht?
Am 6. und 7. Juni 2014, in der Zeit von 19 bis 19 Uhr, wurde über den Twitterkanal PolizeiBerlinEinsatz (@PolizeiBerlin_E) unter dem Hashtag #24hPolizei live aus der Einsatzleitzentrale getwittert. Die Einsatzleitzentrale ist der Ort, an dem alles zusammenläuft, was über 110 der Polizei gemeldet wird und von wo die Beamten im Einsatz koordiniert werden. Die Berliner Einsatzleitzentrale ist dabei mit rund 1,34 Mio. Notrufen pro Jahr und täglichen Spitzenwerten von bis zu 5000 Notrufen die größte ELZ in Deutschland. Rund 50% der eingehenden Notrufe führen zu Einsätzen.
Die Idee hinter der Aktion #24hPolizei war es nun, ganz typische 24 Stunden „im Leben“ der Polizei hautnah erlebbar zu machen und zwar indem über Twitter vom laufenden Geschehen berichtet wird.
Die „Stories“ (wir reden hier ja über Storytelling…) schrieb dabei also das Leben selbst, in Echtzeit.
Ein paar Beispiele:
(Weitere Skurrilitäten gibt es als Storify hier…).
Teilweise gingen dann auch Hinweise aus der Bevölkerung direkt über Twitter ein und wurden wiederum retweetet.
Oder es entwickelten sich kuriose Dialoge über Twitter…
Neben den Zielen, authentische Einblicke in den Polizeialltag zu gewähren und somit auch das Image der Polizei („Bürgernähe“) positiv zu beeinflussen, ging es bei der Aktion aber auch ganz explizit um Nachwuchswerbung.
Zum Hintergrund: Die Polizei Berlin stellt pro Jahr etwa 400 Ausbildungsplätze bereit, davon knapp die Hälfte (180) im gehobenen Dienst mit Studium. Es gehen jährlich gut 21000 Bewerbungen ein (davon knapp 60% mit Abitur).
Man kann also nicht wirklich von einem Zulauf- und Interessenproblem sprechen, was sich ja auch mit der jährlich immer wieder durch Trendence bestätigten Attraktivität des Berufsbilds „Polizist“ deckt.
Und sieht man mal von runkelrübigen Entgleisungen ab, sind die Uniformierten im Personalmarketing auch gar nicht so schlecht unterwegs…
Aber: Wie bei vielen Berufen zeichnet sich auch das des Polizisten durch unheimlich viele falsche und stereotype Vorstellungen aus.
Diesen einen ehrlichen, direkten und unverstellten Einblick entgegenzusetzen, das gelang der Berliner Polizei mit der Twitter-Aktion mustergültig.
Der Erfolg:
Binnen eines Tages stieg die Zahl der Follower des Kanals von rund 5000 auf beachtliche 20000 an! Inzwischen liegt die Zahl bei über 38000! Wer meiner alle drei Monate erscheinenden Statistik von Corporate Career Twitterkanälen folgt, der kann ungefähr ermessen, was das bedeutet. Zum Vergleich: Der langjährige Spitzenreiter Deutsche Bahn (@DBKarriere) kommt aktuell auf knapp 12000 Follower. Für den Anstieg von gut 2000 Followern auf den aktuellen Wert brauchte man hier allerdings nicht 24 Stunden, sondern beinahe viereinhalb Jahre…!
Die im Rahmen der Aktion #24hPolizei in 24 Stunden gut 1000 abgesetzten Tweets führten zu knapp 15000 Retweets, wurden gut 8000 Mal favorisiert und generierten mehr als 2700 Replies.
Neben einer unheimlich breiten und prominenten Berichterstattung vieler Leitmedien über die Aktion (z.B. ZEIT, SPIEGEL, Tagesspiegel, Süddeutsche, Wollmilchsau und heute dann natürlich im Recrutainment Blog ;-)) erreichte die Aktion aber auch ihre Ziele in Bezug auf die Arbeitgeberkommunikation der Polizei Berlin.
Es gingen also etwa 6800 Bewerbungen bei der Polizei mit direktem Bezug zu der Twitter-Aktion ein. Für die Ausbildung im mittleren Dienst der Schutzpolizei waren es allein mehr als 3800, was rund 40% des normalen Jahresaufkommens an Bewerbungen entspricht! Zu der Qualität der Bewerbungen konnte Yvonne Tamborini im Herbst noch nichts sagen, aber meine Vermutung wäre, dass diese zumindest in Bezug auf einen Punkt so schlecht nicht sein kann:
In Bezug auf eine realistische Vorstellung des Berufsbilds und typischer Tätigkeiten.
Wer der Polizei im Prinzip 24 Stunden virtuell folgt und so von Kneipenschlägereien, entlaufenen Hasen und entflogenen Graupapageien, seelsorgerischen Besuchen einsamer Menschen oder Männern ohne Hose weiß, der kann sich anschließend wohl kaum noch darauf berufen, das nicht gewusst oder es sich anders vorgestellt zu haben.
Insofern ist die Aktion 24hPolizei ein mustergültiges Beispiel für Storytelling und Content (Personal-)marketing über Social Media sowie den Einsatz von Realistic Job Preview in der Arbeitgeberkommunikation. Authentischer geht es kaum noch. Man könnte meinen, die Berliner Polizei hat die Tipps von Boolean Black Belt vorher gelesen…
Und noch was: Der Twitter-Kanal wird explizit „zu bestimmten Anlässen“ gepusht. Nicht nur, dass dieses groß im Headerbild des Accounts steht, sondern man erkennt dies auch daran, dass insg. bis dato 1935 Tweets abgesetzt wurden, wovon ja allein mehr als die Hälfte auf #24hPolizei und ein Großteil des Rests auf die Nachfolgeaktion #12hWache im Dezember entfielen. Ich finde, das unterstreicht eigentlich sehr schön, dass man Twitter sehr wohl aktions- bzw. aktionszeitraumsweise bespielen kann, auch wenn das zuweilen anders gesehen wird…
Ich gratuliere der Berliner Polizei zu diesem Coup. Wenn also mal wieder Frage aufkommt, „was für Geschichten man denn mal erzählen könne“, dann, naja, siehe oben…
Schöne Idee und toll umgesetzt. In der Tat: Von der Blaulichtwerbung könnte sich manche Personalabteilung eine Scheibe abschneiden. Wobei auch dieses Mal, lieber Jo, die Frage aller Fragen gestellt werden muss: „Wer hat’s erfunden“?! Eben… http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Die-Stadtpolizei-Zuerich-twitterte-24-Stunden-lang-/story/15188526