Was sind DIE Themen, mit denen sich die Personalgewinnung aktuell beschäftigen MUSS?

Nein, eines gleich vorweg: Dies wird kein Artikel nach dem Motto „KI wird wichtig…“.

Klar wird KI wichtig, aber die Debatte darüber wird erstens oft viel zu oberflächlich geführt – „KI ist eine Revolution, KI ist das nächste große Ding“ usw. Und dabei machen sich die wenigsten die Mühe, die wirklich entscheidenden Fragen zu stellen: „Wie funktioniert KI, was kann KI, was nicht, was sind die entscheidenden Vorarbeiten, bevor man mit KI arbeiten kann, welche KI für was?“. Und zweitens ist KI „an sich“ ja keine Aufgabe der Personalgewinnung, sondern möglicherweise ein Instrument zur Aufgabenerfüllung.

Nein, es wird also kein KI-Artikel, denn KI an sich ist nicht das entscheidende Thema. KI kann (und wird) aber bei der Arbeit an den eigentlich entscheidenden Themen ein wichtiges Werkzeug sein.

Also: Was sind die Themen, mit denen sich die Personalgewinnung aktuell beschäftigen MUSS?

1. Quality of Hire

Wenn man „hired“, dann tut man dies, um die möglichst richtige Person auf die möglichst richtige Stelle beim möglichst richtigen Unternehmen zum möglichst richtigen Zeitpunkt zu bringen. Das ist Sinn und Daseinsberechtigung des Hirings. Je besser dies gelingt, desto besser erfüllt das Hiring seine Aufgabe.

Eine Binsenweisheit.

In der Praxis entzieht sich dem Hiring jedoch in aller Regel die Kenntnis darüber, wie „gut“ eigentlich gehiret wurde. In den meisten Fällen findet gar keine metrische Betrachtung und Bewertung der Personalgewinnungs-Tätigkeiten statt, bei den fortschrittlicheren wird immerhin „Recruiting Analytics“ dahingehend betrieben, dass man solche Kennzahlen wie Time-to-Hire, Cost-per-Hire, Offer-Acceptance-Rate oder Candidate Experience irgendwie misst und beziffert.

Aber die letztlich entscheidende Metrik „wie gut wurde rekrutiert“ – die Quality of Hire –  bleibt in aller Regel irgendwie im Dunkel.

Da müssen wir ran. Es muss auch für die Personalgewinnung möglich sein, die eigene Leistung im Sinne eines Return on Invest beziffern zu können.

2. Skill-based-Hiring

Skill ist ein gemeines Wort. Denn Skill kann alles mögliche heißen: Fähigkeit, Fertigkeit, Qualifikation, Kompetenz, Potential, Wissen, Können usw. Und wenn Skill alles heißen kann, dann macht auch jeder im Hiring schon immer „skill-based“.

Dabei ist der Gedanke, der hinter dem Schlagwort steht, sehr wichtig: Wir müssen uns lösen von der starren Fixierung auf die sog. „qualifikatorische Passung“, also die Betrachtung dessen, was jemand im Lebenslauf stehen, also die beruflichen Stationen, Zeugnisse und Abschlüsse und uns darauf konzentrieren, was auf der zu besetzenden Stelle denn wirklich erforderlich ist. Oder wird! Die „potenzialbasierte“ und die „bedürfnisorientierte“ Passung werden entsprechend wichtiger. Das Ganze wird entsprechend manchmal auf die simple Formel gebracht:

Skill-based statt CV-based.

Soweit der Gedanke hinter dem Schlagwort. Die Kärrnerarbeit hinter Skill-based-Hring wird dabei die Definition dessen sein, was denn „wirklich erforderlich“ ist. Anforderungsanalyse (Ist) und -prognose (Soll) sowie Erkennung des aktuellen und zukünftigen („potenziellen“) Erfüllungsgrads, das sind die Herausforderungen.

Eignungsdiagnostik kann helfen. KI auch. Und hier kommt ein interessanter Twist ins Spiel:

Aktuell wird wieder viel über den vermeintlichen Widerspruch zwischen „empirischer Evidenz“ und „Intuition“ gestritten. Zur Erinnerung: Das ist nicht „irgendein“ Thema, dafür gab es schon Wirtschafts-Nobelpreise (Kahneman…). Guckt man sich dabei einmal an, wie moderne KI-basierte Skill-Matching-Tools wie Eightfold, Phenom etc. so funktionieren, dann beziehen diese Milliarden an Datenpunkten – aus Lebensläufen, Beurteilungen, Verhalten, Interaktionen, dem Social Graph, Arbeitsplatzbeschreibungen, Gehaltsentwicklungen und was weiß ich noch alles – in ihre Ähnlichkeits- oder besser Näheberechnungen und mathematischen Vektoren ein. Insofern ist das datenbasiert und empirisch. Hierbei finden sich dann unter den „betrachteten Skills“ auch Dinge wie „Humor“, „Glück“ oder auch nur sowas wie die Tageszeit, zu der jemand seinen Computer normalerweise einschaltet oder welche Apps verwendet werden. Und all diese Daten fließen dann am Ende ein in die Beantwortung der Frage, ob die „Skills“ einer Person mit den Skillanforderungen einer Stelle matchen – quasi kaum noch erklärbar, aber doch irgendwie „begründet“ – wie Intuition.

KI-basiertes Skill-Matching ist also tatsächlich so etwas wie „datenbasierte Intuition„…

Man erkennt aber auch: Diese Form von „Skill-based“ ist also sehr wohl auch „CV-based“, denn Lebensläufe und deren Inhalte fließen maßgeblich als Datenpunkte in die Modelle ein.

Wer in dieses Thema tiefer einsteigen möchte, der kann sich den Video-Podcast ansehen, den ich hier mit Ute Neher, Susann Klebig-Noesch und Udo Völke live auf der Schicht im Schacht ausgenommen habe…

3. Berufliche Orientierung

Ein absoluter Dauerbrenner.

Man denkt hierbei sofort an junge Menschen am Übergang von Schule in Beruf oder Studium. Und hier liegt in der Tat sehr vieles im Argen, was sich bspw. in der seit Jahrzehnten nahezu unveränderten Abbruchquote in der dualen Berufsausbildung oder bei grundständigen Studiengängen ausdrückt. Das ist und war schon immer blöd für jeden einzelnen, das ist und war schon immer teuer für die Unternehmen und die Hochschulen (also den Steuerzahler). Und das ist und war schon immer blöd für die Volkswirtschaft, weil hier Potenzial vergeudet wird und wurde. Neu ist aber, dass wir uns diesen Luxus als Volkswirtschaft immer weniger leisten können. Der demografische Wandel und der Eintritt der Boomer in den Ruhestand wird in den nächsten 5 Jahren so richtig reinkicken. Wenn dann immer noch mehr als ein Viertel aller jungen Menschen sich erstmal für eine nicht passende Ausbildung entscheiden und diese abbrechen, dann rauscht hier so viel wichtiges Potenzial ungenutzt durch den Schornstein, dass wir diese Lücke nicht annähernd werden schließen können.

Aber – und auch das ist in diesem Zusammenhang unglaublich wichtig – berufliche Orientierung ist nicht nur ein Thema für junge Menschen. Auch Berufserfahrene und ja, auch ältere Berufserfahrene brauchen berufliche Orientierung. Die Frage „welche Skills habe ich eigentlich?“ ist eine, die viele Menschen beschäftigt. Die Frage „und wozu passen diese Skills, auch womöglich außerhalb der Branche, in der ich bislang tätig war?“ wird immer wichtiger, wenn wir z.B. die Potentiale von Quereinsteigern heben wollen. Dass Menschen, die bisher in der nun kriselnden Automobilindustrie tätig waren, nun ggf. in der boomenden Rüstungsindustrie unterkommen, das liegt für viele ja evtl. noch nahe. Aber denken Zahntechniker an die Uhrenindustrie, wenn sie sich fragen, wo sie ihre „Skills“ einbringen können? Es gäbe etliche solcher Beispiele…

Und dass das Thema Quereinstieger immer wichtiger wird, belegen auch Zahlen wie etwa diejenigen der Index Anzeigendaten. Danach sind mittlerweile schon über 10% der Stellenanzeigen für Quereinstiege ausgeschrieben:

Lt. einer Analyse von JobLeads ist es hierbei in der Sportbranche am einfachsten, einen Quereinstieg zu finden, im Finanzwesen am wenigsten.

Es müssen also viel mehr und bessere berufliche Orientierungshilfen her. Für alle. Egal, ob dies auf Basis der Eignungsdiagnostik geschieht, mit Hilfe von KI oder mit beidem. Wenn wir in dem Zusammenhang auch noch solche unsäglichen Phänomene wie Altersdiskriminierung im Arbeitsmarkt beseitigt bekämen, umso besser!

Also:

Diese drei Themen – Quality of Hire, Skill-based-Hiring, berufliche Orientierung – müssen im Mittelpunkt aller Bemühungen in der Personalgewinnung stehen. Achtet mal auf die Themenschwerpunkte der aktuellen und nächsten Branchenevents – es geht genau um diese Themen… Mark my words…

Ein Gedanke zu „Was sind DIE Themen, mit denen sich die Personalgewinnung aktuell beschäftigen MUSS?

  1. Auch vor 10 Jahren standen gute Leute nicht Schlange – weder im Handwerk noch im Tech Bereich. Das wird leider immer wieder vergessen, weil im HR viel zu oft pseudo Trends losgetreten werden. Gleiches gilt für das Thema Migration und Arbeit (Qualifikation versus Orientierung). Hier wird zu oft alles in einen Topf geworfen mit einem 0,0 kritischen Blick.

    Fakt: Alle 3 Punkte sind und waren immer wichtig. Wer vor 15 Jahren nicht auf skills geschaut hat war eben ein schlechter Recruiter. As simple as that :-)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert