Die oder der eine oder andere wird es vielleicht schon gehört haben: Aktuell schreibe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Kristof Kupka, der bei uns die psychologische Verfahrensentwicklung leitet und Prof. Lars Jansen von der Hamburger Fern-Hochschule, Leiter des dortigen Studiengangs Wirtschaftspsychologie, an der zweiten Auflage unseres Buches Recrutainment, das im kommenden Jahr bei Springer Gabler erscheinen wird.
Während die erste Auflage noch zu einem großen Teil aus Praxisbeispielen bestand, die uns eine Reihe von GastautorInnen (z.B. Robindro Ullah, Jörg Buckmann, Prof. Andreas Eckhardt u.a.) zugeliefert haben, wird die zweite Auflage deutlich mehr den Anspruch haben, ein Lehrbuch zu sein. Keine Angst, es wird weiterhin jede Menge praktischer Recrutainment-Cases geben, aber wir wollen dem Thema “Recrutainment” auch eine der inzwischen erheblich gestiegenen Relevanz entsprechende begriffliche Verortung und wissenschaftlichen Unterbau geben: Was ist Recrutainment, was nicht? Was unterscheidet Self-Assessment von Online-Tests? Lassen sich Tests “gamifizieren”, und wenn ja wie? Was unterscheidet “Game-based” Assessment von “Gamified” Assessment usw.
D.h. wir stecken aktuell tief in den Überlegungen, welche Rolle spielerische Ansätze in HR haben können.
Während wir uns dabei vor allem auf den Teilaspekt der “Personalgewinnung” konzentrieren (also Berufsorientierung, Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting) wenden andere sich intensiv der Frage zu, wie spielerisch-simulative Formate sich in den Bereichen Learning, Training und Development sinnvoll und gewinnbringend einsetzen lassen.
Ein aus meiner Sicht sehr ambitionierter Anbieter ist hierbei das niederländische Startup SkillFull. Deshalb habe ich Tatjana Cassel, von Haus aus Psychologin und bei SkillFull für Business Development zuständig einmal gebeten, uns ein paar Antworten auf die Frage zu geben, warum wir “spielend lernen” sollten und – naja auch – welche Lösungen SkillFull dafür im Repertoire hat.
Tatjana, deine Bühne!
>> Gastbeitrag, Tatjana Cassel:
Man lernt ein ganzes Leben lang. Lernen ist ein lebenslanger Prozess. Man lernt nie aus. Bekannte Phrasen – in denen viel Wahrheit liegt.
Ein Kind im Sandkasten schlägt einem anderen Kind mit einer Schaufel auf den Kopf. Alle Umstehenden reagieren aufgebracht. Eltern schimpfen hier und trösten da, versuchen dem Sprössling zu erklären, was er falsch gemacht und wie er sich alternativ zu verhalten habe.
Von außen betrachtet ließe sich aber auch feststellen: Schön! Das Kind wird jetzt richtig viel lernen. Durch die Beobachtung des Gegenübers, die Reaktionen der Erwachsenen, eventuelles Zurückgeschlagen werden oder sozialen Ausschluss.
Dies soll natürlich nicht heißen, dass jedes Kind mindestens einmal ein anderes Kind geschlagen haben sollte. Für das Verstehen von sozialer Aktion und Reaktion und den Aufbau benötigter Sozialkompetenzen hat die Situation dennoch viel zu bieten.
Wie bewertet man erfolgreiches Lernen?
Schulnoten machten in der Vergangenheit häufig Aussagen darüber, wie gut jemand Vokabeln und Fakten (= kristalline Intelligenz) auswendig lernen, beziehungsweise wie unauffällig jemand spicken oder abschreiben konnte. Heutzutage setzt man in Schulen dagegen darauf, die Schüler*innen zum Lernen zu motivieren, sie anhand ihrer Interessen und Fähigkeiten zu fördern, ihr Selbstvertrauen zu stärken und sie auf das Arbeitsleben des 21. Jahrhunderts vorzubereiten. In Dänemark existiert beispielsweise das Schulfach „Empathie“. An viele Schulen wird der Frontalunterricht durch Gruppenarbeiten und Projektlernen verdrängt. In Hessen gibt es seit 2019 die Möglichkeit, dass Schulen Zeugnisse mit schriftlichen Bewertungen anstelle von Zensuren versehen.
Es ist nicht mehr zeitgemäß, die jungen Menschen in kleine Wissens-Roboter zu verwandeln. Computer nehmen uns heute die geistige Anstrengung ab. Größere Datenmengen speichern wir nicht mehr auf der zerebralen Festplatte, sondern auf der dezentralen. Der Speicherplatz des semantischen Gedächtnisses ist schließlich begrenzt.
Zudem kann ich genauso gut Siri, Google oder Alexa fragen, was „nichtsdestotrotz“ auf Englisch heißt oder was die Hauptstadt der Marshallinseln ist.
Heutzutage konzentriert man sich darauf, die sogenannten 21st century skills zu lehren und zu fördern. Es handelt sich hierbei unter anderem um Kompetenzen wie kritisches Denken, Kreativität, Zusammenarbeit und Kommunikation, Technologiekompetenz und Flexibilität, sowie um Führungskompetenzen, Initiative und soziale Fähigkeiten.
Viele dieser Fertigkeiten, die heute relevant sind, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sein zu können, zählt man zu den Soft Skills.
Darunter versteht man persönliche, soziale und methodische Kompetenzen, die eher fachübergreifenden Charakter besitzen. Mehr von der Schaufel-auf-Kopf ähnlichen Art des Lernens also.
Wie bringt man Lernenden diese wichtigen Kompetenzen bei?
Anhand der Lernpyramide lassen sich Aussagen über die Nachhaltigkeit und Effektivität des Lernens machen. Aus ihr lässt sich ableiten, dass Informationen, die mittels passiver Lehrmethoden (Frontalunterricht, Lesen, audio-visuelle Angebote – darunter auch einfache e-Learnings) gelernt werden, weniger lang im Gedächtnis behalten werden als wenn die Informationen mittels partizipatorischer Methoden erlernt würden.
Da Soft Skills eng verknüpft sind mit Persönlichkeitsmerkmalen, emotionalen und sozialen Kompetenzen und damit verbundenem Verhalten, lassen sie sich weniger gut erfassen und trainieren als Hard Skills. Kreative und zuverlässige Methoden müssen her.
An Universitäten setzt man bereits seit Jahren auf partizipatorische und interaktive Lehrmethoden wie das Problem-based Learning oder das etwas dynamischere Project-based Learning. Diskussionsrunden sind dabei genauso Bestandteil des Lernprozesses wie die flexible Herangehensweise an das Problem und die aktive Suche nach Lösungsstrategien. Durch die praktische Auseinandersetzung mit konkreten wissenschaftlichen Problemen sollen Lernende aktiviert und motiviert werden und das erlernte Wissen so dauerhaft im Gedächtnis gespeichert werden.
Bedeutung der Digitalisierung für das partizipatorische Lernen
Warum sollten wir uns nicht zusätzlich die Möglichkeiten, die uns durch Digitalisierung und Technik zur Verfügung stehen, zunutze machen? Das Internet macht es uns möglich, über den gesamten Globus Lehr- und Trainingsprogramme synchron einzusetzen. Somit könnten beispielsweise Teams aus internationalen Konzernen über alle Zeitzonen hinweg zeitgleich von zu Hause aus einem e-Learning Modul folgen.
Was vor Kurzem noch Zukunftsmusik war, wurde im Frühjahr 2020 durch Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa schnell Realität. Durch das obligatorische Arbeiten im Homeoffice mussten viele Unternehmen eilig nachrüsten in den Bereichen technische Ausstattung, benötigte Computerprogramme und Software, Kommunikation auf Distanz und Schulung der Mitarbeiter*innen in Bezug auf all jene Veränderungen und Herausforderungen des „neuen Normals“.
In der Personalentwicklung wurden viele Investitionen in die Arbeitskräfte auf Eis gelegt, unter anderem aus finanziellen Beweggründen, aber auch, weil die entsprechenden Computerprogramme und Onlineangebote zur Weiterentwicklung zunächst fehlten. Um die Krise wirtschaftlich überstehen zu können, war dies sicher notwendig und sinnvoll. Im Hinblick auf die Fürsorge für die Mitarbeiter auf lange Sicht ist dies jedoch das größere Übel, wenn man bedenkt, dass motivierte und gesunde Arbeitnehmer*innen das wichtigste Gut eines erfolgreichen Unternehmens sind.
Die Trends im Bereich e-Learning sind so schnelllebig wie in allen technologischen Bereichen. Vermutlich gerade deshalb setzen einige Entwickler von Lernsoftware auf die überschnelle Produktion von attraktiv wirkenden und effizienten Lernprogrammen – leider auf Kosten der Wissenschaftlichkeit und Validität der Methoden.
Begriffe wie Algorithmen oder Künstliche Intelligenz (KI) werden verwendet, um besonders wissenschaftlich und fortschrittlich zu wirken. Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich diese vermeintlichen Algorithmen teilweise als simple Korrelations- oder Regressionsanalysen. In einigen Fällen haben sie sogar einen negativen Effekt (adverse impact) für bestimmte Personengruppen, beispielsweise ethnische Minderheiten (Vgl. Chander, A. (2017). The racist algorithm?).
Kein Wunder also, dass viele Unternehmen zunächst zögern bei der Wahl eines neuen Lernprogramms.
Wo bleibt der Spaß?
Dass spielerische und moderne Lehrmethoden eine motivationssteigernde Wirkung haben, wurde bereits ausreichend wissenschaftlich nachgewiesen.
Spaß und nachhaltiges Lernen – das grundlegende Prinzip von Serious Games.
Serious Games sind Spiele, die nicht allein der Unterhaltung dienen, sondern darüber hinaus einen seriösen Zweck erfüllen. Somit finden sie im HR-Kontext häufig als „SJT 2.0“ ihren Einsatz in der Personalauswahl oder Personalentwicklung. Situational Judgment Tests (SJTs) wiederum gelten im Personalwesen längst als valide Instrumente und werden aktuell in Zusammenhang mit innovativen Lernmethoden, wie unter Einsatz von Virtual Reality-Brillen, untersucht (Rijsdijk, J., Born, M.Ph, Koch, B.P.N., & Hiemstra, A.M.F., 2021).
In der Lernpyramide lassen sich Serious Games in der Kategorie Practice-by-doing verorten.
Damit sich nun auch Generation Y und Z in der Arbeitswelt der Zukunft nicht digital unterfordert fühlen, wird die Qualität entsprechender Games konstant verbessert. In der riesigen Gamification-Landschaft dann noch den Überblick zu behalten, ist gar nicht so leicht.
Woran erkenne ich ein gutes Serious Game? Ein Beispiel aus der Praxis
Das wahrscheinlich wichtigste Kriterium eines guten Serious Games ist das wissenschaftliche Fundament. Solide Forschung und eine ausgiebige Validitätsstudie sind unabdingbar, um nachweisen zu können, dass mit dem Game tatsächlich das gemessen wird, was vorhergesagt werden soll.
Darüber hinaus ist eine qualitativ hochwertige Produktion ein wichtiger Faktor für den Entschluss, das Spiel überhaupt zu kaufen sowie für das letztendliche Spielerlebnis. Eine spannende Story und das gefühlte Eintauchen in diese sorgen während des Spielens für hohe Motivation und Aktivität beim Spieler bzw. der Spielerin, und erzielen einem höheren Lerneffekt.
Damit die Partizipation nicht zu kurz kommt, hat man bei SkillFull aus dem Leadership Game für Führungskräfte kurzerhand ein ganzes Training entwickelt – die Leadership Challenge. Hierfür wurden multimodale Lern- und Übungsmodule in die Online-Lernumgebung integriert.
Direktes Feedback (entspricht im Sandkasten-Szenario etwa „Nicht mit der Schaufel hauen!“), welches ebenfalls ausschlaggebend für die Wirksamkeit des Trainings ist, wird automatisch an den Spieler bzw. die Spielerin rückgemeldet, unter anderem mittels eines E-Coaches.
Die adaptive Handlung des Spiels macht das Erleben der authentischen Situationen noch realistischer. Somit reagieren die Teammitglieder dem gezeigten Führungsverhalten entsprechend und die Handlung des Spiels nimmt einen individuellen Verlauf.
Um die Individualität und die Ganzheitlichkeit des Trainings zu optimieren, sind Coachinggespräche mit einem zertifizierten Jobcoach via Videochat in die Leadership Challenge integriert. Hierdurch ist die Möglichkeit gegeben, Fragen zu stellen („Was sollte ich denn am besten tun, wenn ich die Schaufel haben möchte?“) und das Training individuell auf die persönliche Arbeitssituation zu übertragen. Der Transfer des Erlernten wird durch den Bezug zur persönlichen Situation am Arbeitsplatz erleichtert („Mit meinen Kollegen und Kolleginnen sollte ich Schaufeln also lieber teilen“). Ersetzen Sie die Schaufel einfach durch etwas, das zu Ihrem Arbeitskontext passt.
Zusammenfassende Erkenntnisse
- Im Idealfall lernen wir auf partizipatorische Weise und mit direktem Feedback
- Es ist nicht unbedingt die buchstäbliche Schaufel auf dem Kopf notwendig. Lernen kann und darf (und muss aktuell) auf Abstand stattfinden
- Interaktivität ist dabei möglich und wünschenswert
- Auch Erwachsene dürfen und sollen spielen
Fazit: erfolgreiches und nachhaltiges Lernen ist (k)ein Kinderspiel.