“Job fort”? Bundeswehr umwirbt aktiv gekündigte Ford-Mitarbeiter. Darf sie das?

Der Autobauer Ford baut massiv Personal ab und die Bundeswehr nutzt die “Gunst” der Stunde und umwirbt diese Zielgruppe aktiv und provokant mit Anzeigen in der Kölner Tagespresse und damit die Botschaft auch ankommt zur Sicherheit auch noch durch ein vor dem Kölner Ford-Werk platziertes mobiles Plakat.

Provokant deshalb, weil man das Ganze unter den Slogan “Job Fort?” stellte, wobei das Wort “Fort” dem Signet des Autoherstellers nachempfunden war.

Die Aufregung war groß! Die Frage, die im Raum steht: Darf die Bundeswehr das?

Ausgehend von dieser Frage, entspann sich gestern über den Tag und dann intensiv am Abend eine rege Diskussion auf Twitter, die sich dieser Frage widmete aber nebenbei auch sehr spannende Aspekte wie “Sinnhaftigkeit” von Arbeit und Unternehmen, Nutzen oder Unsinn von Arbeitgeberrankings, den Unterschied zwischen Attraktivität und Beziehungstauglichkeit, Guerilla-Aktionen im Personalmarketing und auch die passende Größe von Rieslinggläsern behandelte. Für mich eine persönliche Twitter-Sternstunde…

Sehr schön auch, dass sich daran nicht nur viele übliche Verdächtige aus der HR-Marketing-/Recruitingszene beteiligten, sondern auch Stimmen “von außen” zu Wort meldeten, allen voran der @BendlerBlogger Sascha Stoltenow.

Dieser hatte sich die Aktion in einem Beitrag im Bendler Blog bereits vorgenommen und diese wie ich finde sehr sachlich und gut begründet “zerpflückt”.

Ich sehe es dennoch ein wenig anders.

Klar, man kann an der Arbeitgeberkommunikation der Bundeswehr vieles kritisch sehen. Die Inszenierung des Soldatenberufs als großes Abenteuer gehört für mich dazu. Der Job mag sicherlich oft abenteuerlich sein, aber das darf meines Erachtens nie der Aufhänger sein.

In dem Zusammenhang sehe ich auch das deutliche Zukurzkommen ganz maßgeblicher Aspekte, die zu diesem Berufsbild dazugehörigen. Und damit meine ich allem voran die Tatsache, dass der Beruf in letzter Instanz beinhalten kann, dass man dabei tötet oder getötet wird. Es wird viel – zu Recht – von Sinn gesprochen, aber es gibt nur ganz wenige andere Berufe, bei denen wie beim Soldaten die “ultimative Opferbereitschaft” dazugehört. Das muss kommuniziert werden. Wie man das sehr geschickt machen und erlebbar machen kann, ohne dabei allzu morbid zu werden, zeigt das seinerzeit bahnbrechende Beispiel “Who Cares” der schwedischen Streitkräfte.

Auch kann man es unfair finden, dass die Bundeswehr nun als im Prinzip steuerfinanzierter Wettbewerber mit sehr sehr tiefen Taschen im Arbeitsmarkt auftritt. Awards-gewinnende Kommunikation á la “Die Rekruten” muss man ja sich ja auch leisten können. Und im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen muss die Bundeswehr die hierfür erforderliche Kohle eben nicht erst “verdienen”.

Und nun ja, selbst die Kölner Aktion bei Ford kann man aus kreativer Perspektive durchaus kritisch sehen. Der Slogan “Job Fort” ist genauso wie sein Vorgänger “Jetzt Job fürs VOLK WAGEN” eben bestenfalls gehobenes Prakti-Niveau.

Aber es ist nun mal so, die Bundeswehr hat ein massives Recruitingproblem zu lösen. Allen voran der faktische Wegfall der Wehrpflicht hat der Bundeswehr das wirksamste Rekrutierungsinstrument aus der Hand genommen. Bei gleichzeitig zweifelsfrei gestiegenen An- und Herausforderungen (Auslandseinsätze etc.), strukturellen Themen (Altersdurchschnitt, neuen Kompetenzbedarfen wie Cyberabwehr usw.) und allein schon aufgrund der schieren Größe des Ladens (wir reden hier über rund eine Viertelmillion militärische und zivile Beschäftigte) ist der Job eben nicht gerade ein Selbstläufer. Dass man da im Personalmarketing neutral ausgedrückt “umtriebig” sein muss, liegt auf der Hand.

Und da muss man in einem letztlich endlichen Markt auch mal provozieren und woanders wildern. Sixt macht das in seinem Produktmarketing seit Jahren und wird dafür in aller Regel gefeiert. Und auch im Personalmarketing ist das nun wahrlich nicht neu. Ich denke da etwa an die Telekom vor einigen Jahren oder jüngst gerade vor ein paar Tagen die apoBank.

Auch dass es da zuweilen mal etwas “politisch unkorrekt” oder “mit britischem Humor” zugeht, haben wir schon gesehen, wie diese Aktion von Careerbuilder in New York zu Zeiten der Bankenkrise zeigt.

Und auch das vermeintliche “Ausnutzen” von Schicksalen (wie hier dem Verlust des Arbeitsplatzes) hat die Bundeswehr sicher nicht erfunden. Aus #jimdoquit wurde hier eben einfach nur #fordquit…

Zumal man das ja auch genau umgekehrt sehen kann. Statt den Verlust des (alten) Arbeitsplatzes kann man bei der Betrachtung natürlich genauso die Perspektive auf einen neuen betonen. Alles eine Frage der Perspektive.

Ich finde auf jeden Fall bevor der Betriebsrat eines entlassenden Unternehmens darüber meckert, dass jemand anderes Personal sucht (und dafür wirbt), wäre aus meiner Sicht erstmal zu diskutieren, warum das eigene Unternehmen überhaupt soviel Personal abbaut. Das kann man der Bundeswehr nun sicher nicht zum Vorwurf machen.

Auf jeden Fall hat die Aktion der Bundeswehr und ihrem “Recruitingproblem” einiges an Aufmerksamkeit gebracht.

All das müsste aber wahrscheinlich gar nicht diskutiert werden, wäre die Bundeswehr nicht mehr oder weniger gezwungen, am Arbeitsmarkt genauso zu agieren wie jeder andere Arbeitgeber auch. Nein, ich plädiere nicht für die Wiederinkraftsetzung der WEHRpflicht. DIE habe ich schon vor knapp 30 Jahren nicht für sinnvoll gehalten, als ich den Wehrdienst verweigerte, um stattdessen 15 Monate im Altersheim zu schaffen. Aber grundsätzlich nach der Schule einen “Dienst an der Gesellschaft” zu leisten? Warum nicht? Das kann man dann von mir aus bei der Bundeswehr machen, aber genauso beim THW, der Feuerwehr, in der Pflege, in der Erziehung, im Krankenhaus, völlig egal wo. Das ist persönlichkeitsbildend, erweitert den Horizont und gibt definitiv Orientierung – sowohl im Sinne der Berufs- als auch der allgemeinen Lebensorientierung. Und selbst wenn man so einen Dienst an der Gesellschaft nicht verpflichtend machen möchte oder kann, könnte man diesen so attraktiv machen (inhaltlich und finanziell), dass er eben für viele junge Menschen ein willkommenes Gap Year zwischen Schule und “dem Leben danach” darstellen würde. Ich kann dieser Idee von Klaus Hurrelmann auf jeden Fall eine ganze Menge abgewinnen.

Dann hätte die Bundeswehr darin auch einen viel besseren Recruitingkanal und wir müssten uns nicht über Guerillaaktionen wie jetzt in Köln unterhalten.

Aber bis es ggf. zu so einem sinnvollen Gap Year kommt, bleibt uns erstmal nichts anderes übrig. “Job Fort” wird am Ende auch nach dem Erfolg zu beurteilen sein. Der Zweck heiligt natürlich nicht alle Mittel, aber meines Erachtens hat die Bundeswehr keine ethische, moralische oder sonst wie rote Linie überschritten – wir reden hier ja nicht von Free (Bl…) Jobs -.

Ein Gedanke zu „“Job fort”? Bundeswehr umwirbt aktiv gekündigte Ford-Mitarbeiter. Darf sie das?

  1. “Und damit meine ich allem voran die Tatsache, dass der Beruf in letzter Instanz beinhalten kann, dass man dabei tötet oder getötet wird.”

    ….das hast du ungünstig formuliert. Ein Großteil der Soldaten/Offiziere kommt nie in Situationen, wo man eine Waffe nutzen muss. Ein Offizier kann auch einen Großteil seiner Zeit einem Bürojob nachgehen. Dass die Bundeswehr das nicht kommuniziert, finde ich schade. Dann das sind eigentlich extrem likrative Jobs. Ebenso, wie die Möglichkeit, an einer der Bundeswehr Uni zu studieren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert