Um das vorab einmal klarzustellen: „Amtliche Helden“ ist nicht der Name der neusten trashigen RTL II Doku-Soap, und wenn es so wäre, würden wir an dieser Stelle sicherlich nicht darüber bloggen. „Amtliche Helden“ hat auch tatsächlich etwas mehr drauf als eine schlecht geskriptete Doku-Soap. Um was es genau geht, habe ich mir mal angeschaut. Im Selbstversuch, sozusagen.
Das Handy-Game „Amtliche Helden“ findet man als App im Play-Store und ist genau genommen ein Simulationsspiel der Agentur für Arbeit.
Als sich die App öffnet, beginnt mein Handy an zu zwitschern und meine Kollegen fragen mich ganz erschrocken, woher das Geräusch kommt. Bei regnerischem Hamburger-Schiet-Wedder erwartet man eben kein Vogelgezwitscher. Aber leider ist es auch gar kein echtes Vogelgezwitscher, sondern nur ein Sound-Effekt, um das atmosphärische Bild eines Gebäudes mit Agentur-für-Arbeit-Logo, umsäumt von grünen Bäumen und Wiesen in einem simpel gehaltenen Spiele-Design zu untermauern.
Ein Play-Button lädt dazu ein, angetippt zu werden und nach kurzer Ladezeit wirbelt ein Zeitungsartikel des „Posemuckel Postillon“ auf meinem Display, mit der reißerischen Titelstory „Kleinstadt Posemuckel stürzt ab!“. Und um die negative Publicity noch zu unterstreichen, steht im Untertitel: „Offiziell Stadt mit höchster Arbeitslosigkeit“. Gleich darauf folgt ein weiterer Artikel, der verkündet, dass es in der Agentur für Arbeit nun eine neue Geschäftsführung gibt! Kommt jetzt die ersehnte Kehrtwende?
Das schreit ja gerade so nach einer Herausforderung für mich.
Die neue Geschäftsführung bin jedenfalls ich und im nächsten Schritt kann ich mir einen Avatar aussuchen, mein Geschlecht bestimmen und mir einen Vor- und Nachnamen geben. Wow!
Manche Avatare sehen aus wie Elvis, Jesus, und Tina Turner und erstaunlich viele erinnern mich an Wikinger oder tibetische Mönche. Dem Thema Diversity wurde an dieser Stelle jedenfalls Rechnung getragen, da kann sich echt niemand beschweren. Haar- und Hautfarben existieren in den unterschiedlichsten Nuancen und fast jeder hat eine andere Frisur: braver Mittelscheitel, Vokuhila, Dauerwelle, Rasterlocken oder strenge Hochsteckfrisur. Bei so viel Diversity kann ich mich gar nicht entscheiden! Am Ende entscheide ich mich für die Dame mit der Mütze und dem engagierten Gesichtsausdruck. Die soll die Stadt Posemuckel mal in den Griff bekommen.
Nun erscheint auf meinem Handy-Display etwas, das auf den ersten Blick wie eine Müllhalde aussieht. Auf den zweiten Blick erkennt man dann verschiedene Räume und Flure, die mit Büromöbeln und kleinen Umzugskartons gefüllt sind. Das ist dann wohl die Draufsicht auf die Agentur für Arbeit der Stadt Posemuckel von innen. Durch kleine blinkende Animationen erfahre ich, wo ich als nächsten drauftippen soll. Es ist ein Icon, der aussieht, wie ein kleines Formular.
Ich werde als neue Geschäftsführerin begrüßt und soll eine Rezeptionskraft einstellen. Die Rezeptionskraft ist mit 500 Posemuckel-Talern ein echter Schnapper. Etwas negativ fällt mir an dieser Stelle auf, dass Berufsbezeichnungen hier, wie zuvor auch schon bei Auswahl meines Avatars, im generischen Maskulin stehen und frage mich, wie der Diversity-Gedanke an dieser Stelle wohl verloren gegangen ist. Als Prämie für die neu eingestellte Rezeptionskraft erhalte ich jedenfalls 250 Posemuckel-Taler. Läuft bei mir!
Nach und nach werden Instruktionen eingeblendet, die einem die grundlegenden Spielmechanismen erklären. Diese bestehen hauptsächlich aus Symbolen, die man antippen und gedrückt halten kann, um eine Aktion auszulösen. Als nächstes stelle ich eine Arbeitsvermittlung (m / w) ein, damit meine Agentur ihre Türen für die arbeitslosen Posemuckler öffnen kann. Eine Arbeitsvermittlung (m /w) kostet unterschiedlich viel Posemuckel-Taler, je nachdem wie gut sie für den Job qualifiziert ist, also wie im echten Leben. Da meine Stadt ja derzeit am Abgrund steht, kann ich mir „nur“ einen Quereinsteiger (m / w) leisten. Also gut… eingestellt!
Und schon trudeln auch schon die ersten Posemuckler ein und wollen einen Job. Nach zwei Minuten Spielzeit ist der Wartebereich voll und über den Posemucklern blinken kleine rote Sanduhren. Das heißt dann wohl, dass die kein Bock mehr haben zu warten, na was für eine Überraschung, ist ja wirklich wie im echten Leben!
Nun übernehme ich also die Rolle von meiner neuen Arbeitsvermittlung (m / w), die dem Avatar nach eine Frau zu sein scheint, aber ganz sicher bin ich mir da nicht. Die wartenden Posemuckler, die im Spiel zu meiner Verwirrung übrigens „Kunden“ genannt werden, kommen einer nach dem anderen ins Büro gestürmt, um einen Job vermitteln zu bekommen. Hierbei öffnet sich ein kleines Profil, welches mir anzeigt, welchen Beruf (an dieser Stelle sogar gegendert!) die Person früher ausgeübt hat und ich muss zwischen einer ganzen Reihe von Branchen die passende dazu auswählen. Daraufhin wird eine mal mehr, mal weniger lange Liste mit möglicherweise geeigneten Jobs aus dieser Branche angezeigt, aus denen ich dann einen passgenauen für den arbeitslosen Posemuckler bestimmen kann. War meine Auswahl passend, erhalte ich Erfahrungspunkte und wenn nicht, verlässt der Posemuckler empört meine Agentur.
Ganz so einfach, wie das auf den ersten Blick vielleicht klingen mag, ist es nicht, da jeder „Kunde“ nach 30 Sekunden ohne einen neuen Job die Agentur wieder verlässt. Viel Zeit sich alle 29 Branchen durchzulesen und die richtige Entscheidung zu treffen, bleibt einem da nicht. Doch mit der Zeit lerne ich, welche Auswahl an Branchen mir zur Verfügung steht und erhalte ein gutes Gefühl dafür, wo in welcher Branche ich wahrscheinlich einen passenden Job finde, sodass ich nach kurzer Zeit schon treffsicherer in meinen Entscheidungen werde.
Plötzlich steht meine neue Arbeitsvermittlerin einfach auf und verlässt ihr Büro um eine Kaffeepause zu machen, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Ganz schön frech finde ich das, wie soll man denn so den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt Posemuckel voranbringen! Aber wir wollen mal nicht so sein. Mit einem Klick auf ihr Profil erfahre ich sogar, dass sie Frau Bremer heißt und stelle mit Verwunderung fest, dass ihre Berufsbezeichnung an dieser Stelle nun doch wieder gegendert wurde. Außerdem fällt mir auf, dass ich mich auch um die Ankömmlinge an der Rezeption kümmern und diesen eine Arbeitsvermittlung zuweisen muss, bevor sie sich ins Wartezimmer setzen.
Mit Elan vermittle ich einen Job nach dem anderen. Dem ehemaligen Rechtsanwalt verpasse ich eine Stelle als Staatsanwalt und die Modenäherin wird zur Bürstenmacherin, was besseres gab’s halt leider nicht. Nur wenn ich es schaffe, auch tatsächlich genau den richtigen Beruf aus den vielen Möglichkeiten auszuwählen, sind meine Posemuckler richtig zufrieden. Bei dem Sonderpädagogen lande ich einen Volltreffer, denn der bekommt die Stelle an der Waldorfschule und ich werde mit Erfahrungspunkten belohnt, aber dass ich dem Notfallsanitäter eine Stelle als medizinischem Fachangestellten vermittle, war dann leider nicht so ganz richtig. Frau Bremer braucht schon wieder einen Kaffee und die Arbeitslosigkeit in Posemuckel ist trotz meiner Bemühungen auf 62,8% gestiegen. Du meine Güte…
Nach und nach erhalte ich immer neue Instruktionen, die mir helfen im Spiel voranzukommen. Hierzu gehören zum Beispiel die Weiterbildung von Frau Bremer und das Einstellen neuer Arbeitsvermittlungen (m / w). Der erste Kollege von Frau Bremer heißt Herr Fuhrmann und wird in seinem Profil auch als Arbeitsvermittlerin bezeichnet (…). Durch die erfolgreiche Vermittlungsarbeit erhalten die Arbeitsvermittlungen (w) Medaillen, mit denen ich deren Kenntnisse erweitern kann. Diese werden durch verschiedene Farben im Profil der Kunden angezeigt und helfen mir dabei, den richtigen Job zu finden, indem die Branchen im Profil „Kunden“ vorsortiert und die jeweils zu ihm passenden Branchen ganz oben in der Liste angezeigt werden. Auch wenn nun ein Posemuckler an der Rezeption steht, kann ich diesem bereits hier aufgrund seiner Fähigkeiten die passende Arbeitsvermittlerin zuordnen, der sich mit eben diesen Fähigkeiten auskennt. So geht die Vermittlung doch gleich viel schneller und auch die Arbeitslosigkeit in Posemuckel ist schon unter 60% gesunken.
Je weiter ich die Kenntnisse meiner Arbeitsvermittlerinnen ausbaue, desto mehr Zusatzinformationen erhalte ich, um den passenden Beruf für die arbeitslosen Posemuckler herauszufinden. Ab der zweiten Ausbaustufe werden die Fähigkeitsbereiche durch bestimmte Attribute ergänzt, die dann auch bei der jeweiligen Berufsbezeichnung erscheinen.
Meine nächste Aufgabe ist es, einen Personalmanager einzustellen und ich bin gespannt, was der so kann. Jetzt kommt ein bisher ungenutztes Feature meiner Personalvermittlungs-Crew zum Einsatz, nämlich die Personal-Trainings. Über den Personalmanager kann ich nämlich Trainings freischalten, die von den Personalvermittlern dann in Anspruch genommen werden können. Ich entscheide mich als erstes fürs Diversity-Management, schließlich klappt das mit den Gendern ja noch nicht so richtig. Was das genau für eine Auswirkung in meinem Spiel hat, erfahre ich leider nicht. Die Kaffeepausen von Frau Bremer erscheinen mir mittlerweile immer länger und länger, während das Wartezimmer immer voller wird.
Es stehen weitere Aufgaben an, die ich zu lösen habe, zum Beispiel der Ausbau des Wartebereichs und des Pausenraums. Außerdem stelle ich noch einen Prozessmanager ein, damit die Abläufe in meiner Agentur noch besser funktionieren. Auch hier erschließt sich mir nicht so ganz die Auswirkung auf den Spielverlauf, aber die Kaffeepausen von Frau Bremer erscheinen mir jetzt wieder kürzer. Mittlerweile finde ich auch für meine zahlreichen „Kunden“ immer häufiger genau die richtigen Jobs, manchmal bleibt mir aber auch nichts anderes übrig als sie „zu vertagen“ oder ihnen im Eifer des Gefechts ganz seltsame Jobs zu geben, wie zum Beispiel der Postbotin, die von mir die Stelle als Hubschrauber-Pilotin bekommt oder dem Textilreiniger, den ich zum Bestatter werden lasse. Aber Hauptsache ist doch, die Posemuckler sind zufrieden und den Smiley, der über dem Textilreiniger erscheint, als dieser aus der Agentur marschiert, interpretiere ich als außerordentliche Begeisterung. Außerdem beträgt die Arbeitslosigkeit in Posemuckel nur noch 30%, ich habe also schon ganze Arbeit geleistet und als ich die 30%-Schwelle unterschreite, erhalte ich eine Auszeichnung für meine hervorragende Vermittlungsarbeit mit den besten Glückwünschen der Stadt Posemuckel. Zufrieden klopfe ich mir auf die Schulter.
Meine Auszeichnung enthält außerdem einen Link auf die Webseite amtliche-helden.de, wo ich mich über die verschiedenen Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten bei der Agentur für Arbeit informieren kann.
Also zugegebenermaßen: Ähnlich stressig wie dieses Spiel kann ich mir den Arbeitsalltag bei der Arbeitsagentur schon vorstellen. Jedenfalls hatte ich beim Spielen das Gefühl, dass ich mich um alles und jeden gleichzeitig kümmern muss und trotzdem niemandem gerecht werde. Auch die Tatsache, dass Arbeitskräfte für die eigene Agentur einfach so erkauft werden und dann je nach Qualifikation einen anderen Preis haben, finde ich nicht so gut gelungen, da dadurch meiner Meinung nach ganz unterschwellig ein sehr wertendes Menschenbild bekräftigt wird. Umso besser gefällt mir die Bemühung, dem Diversity-Gedanken gerecht zu werden, auch wenn das Gendering an der einen und anderen Stelle noch nicht ganz so durchdacht wurde. Man erhält durch das Spiel durchaus einen kleinen Einblick in die Komplexität der Arbeitsvermittlung, indem man mit den vielfältigen Branchen und Berufsbezeichnungen konfrontiert wird. Allerdings fällt es ohne Vorwissen in diesen Bereichen umso schwerer, sich mit den Begrifflichkeiten zurecht zu finden. Sehr realistisch jedoch empfinde ich die Tatsache, dass manche Stellen sogar mehrfach für eine Vermittlung verfügbar sind, aber kein passender Kunde mit der entsprechenden Qualifikation vorbeikommt oder genau andersherum, dass die auf die Qualifikation des Kunden passende Stelle gerade nicht verfügbar ist, sodass man eine angemessene Alternative finden oder den Kunde wieder wegschicken muss.
Insgesamt startet das Spiel zunächst ereignisreich und schnell, verliert letztendlich aber auch schnell seinen Reiz, da nach recht kurzer Zeit keine neuen Anreize zum Weiterspielen gesetzt werden. Ob sich „Amtlichen Helden“ tatsächlich eignen, um einen realistischen Einblick in die Welt der Arbeitsagentur zu geben, könnte vermutlich nur ein wahrer Insider einschätzen. Ich habe zumindest so meine Zweifel daran, dass das Spiel die geeignete Werbung für offene Ausbildungsstellen bei der Arbeitsagentur ist. Denn der Realität können die im Spiel skizzierten Abläufe nicht gerecht werden, wenn eine wahllose Zuordnung von Arbeitssuchenden zu Stellen ohne weitere Informationen als Entscheidungsgrundlage vorgenommen wird. Rundum kann man die App durchaus mal ausprobieren, zum Beispiel um sich die U-Bahn-Fahrt mit Daddeln zu vertreiben und besonders, wenn man mal eine Alternative zu Candy-Crush & Co. braucht.
Viel Spaß dabei!
Danke für diesen Einblick. Auch, wenn das Spiel nicht perfekt scheint, so wird doch versucht, im Recruiting einen neuen Weg auszuprobieren. Und das ist ja schon einmal positiv. Ob die App wirklich häufig installiert wird, daran zweifle ich gerade noch ein wenig.
Um ehrlich zu sein: Ich auch. Lt. BA sind es rund 30.000 Installationen. Das wäre allerdings schon ein Erfolg. Wobei ich glaube, dass eine Web-App, die etwas weniger so tun würde, als wäre sie ein Spiel und dafür etwas mehr „Realistic Preview“ bieten würde, erheblich reichweitenstärker wäre. Bei der grundsätzlichen Verbreitungsreichweite der BA allemal…
Super geschriebener und informativer Artikel :-). Eine sehr gute Aufstellung. In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen 🙂