Am morgigen Donnerstag werde ich im Rahmen der HRMC in München die Podiumsdiskussion zum Thema Mobile Recruiting moderieren. Neben der gestrigen Vorstellung einer aktuellen Studie der Leuphana Uni Lüneburg und der Personalberatung TOPOS in einem separaten Gastbeitrag von TOPOS-Geschäftsführer Florian Koenen möchte ich das zum Anlass nehmen, hier einmal ein paar grundlegende Gedanken zu diesem Thema zu formulieren:
Ein Plädoyer für eine differenzierte Diskussion…
Technische Fragestellungen
Mein Eindruck beim Mobile Recruiting ist der, dass schon alle irgendwie verstanden haben, dass das Thema zunehmend wichtig wird oder bereits ist, es dabei aber nicht – wie vor ein paar Jahren Social Media – zum Hypethema taugt.
Irgendwie – so mein Eindruck – sind doch die meisten Personalmarketing- und Recruitingverantwortlichen von dem Thema ein wenig eingeschüchtert. Im Gegensatz zum Thema Social Media ist Mobile Recruiting nicht völlig unbeschwert; man nähert sich diesem nicht mit so viel ungezwungenem Entdeckergeist wie damals dem Aufsetzen von Karriereseiten bei Facebook. Es hat zwar inzwischen jeder ein Smartphone und viele auch Tablets, so dass sich auch mittlerweile jeder etwas unter einer “mobilen Nutzererfahrung” vorstellen kann. Gleichzeitig impliziert Mobile Recruiting jedoch auch ganze Reihe technischer Probleme:
Responsive Design oder verschiedene Versionen für Desktop, Tablet und Smartphone? Kann der User selber entscheiden, welche Version er nutzen möchte oder bestimmt das die Browser Detection? Javascript ja oder nein? Bildschirm kippen ja oder nein? Anbindung an vorhandene (und über Jahre mühsam und teuer implementierte) Bewerber-Management-Systeme? Cross-Browser-Betriebssystem-Kompatibilitäten? Native App vs. Web-App? App ja, aber nur für iOS oder auch Android oder auch Windows Phone? Können externe Inhalte via I-Frame integriert werden und bleiben sie dann auch responsive? Und so weiter…
Das war bei Social Media anders, weil hier die vorhandene Technik der Social Media Plattformen in den meisten Fällen den Rahmen vorgab. Selbst das Aufsetzen und Betreiben eines eigenen Blogs ist keine Rocket Science. Oder anders: Man konnte ins Social Abenteuer starten, ohne besondere IT-Kenntnisse haben oder die IT-Abteilung einbeziehen zu müssen.
Technische Fragen wie die oben genannten machen aber nicht soo viel Spaß (zumindest den meisten Personalmarketeers nicht…), weshalb beim Thema Mobile irgendwie keine Euphorie aufkommt…
Vermengung der Thematiken “Mobile Recruiting” und “War for Talent”
Neben den technischen Problemfeldern, kommt aber bei der aktuellen Debatte um Mobile Recruiting noch ein anderer, eher inhaltlicher Aspekt hinzu: Die oft unsachgemäße Vermengung der Thematiken Mobile Recruiting und War for Talent. Und das ist definitiv nicht immer hilfreich. Klar, ganz trennen wird man diese Themen nicht können, aber der Bedeutungszuwachs von Mobile Recruiting liegt vor allem in der zunehmenden mobilen Internetnutzung, NICHT darin, dass es teilweise zu Angebotsengpässen auf den Arbeitsmärkten kommt. Wenn beide Themen direkt zusammengehören würden, dann bräuchten Arbeitgeber in Spanien bei mehr als 50% Jugendarbeitslosigkeit sicherlich keine nutzerfreundlichen mobilfähigen Karriere-Websites…
Nur weil es (vermeintlich) inzwischen in vielen Zielgruppen zu einem echten Bewerbermangel kommt, wird oftmals argumentiert, dass man ohne Cutting Edge Mobile Performance im Prinzip den Kampf um die besten schon verloren hat. Und vor allem müssten bei der “Zielgruppe, die alles von morgens bis abends nur noch mobile macht”, auch alle so gestrigen Bewerbungsbarrieren eingerissen werden. Wenn man also als Unternehmen nicht heute schon für alle eine One-Click-Bewerbung per Handy ermöglicht, dann – so zumindest die Lesart vieler Äußerungen – ist man im besten Hoëcker´schen Sinne “raus”.
Hierbei wird oft verkannt, dass gewisse Barrieren im Bewerbungskontext oft sinnvoll sind. Im Gegensatz zum eCommerce, wo jede Barriere im Kaufprozess eine Conversion senkende Abbruchkante darstellt (wir sprechen von High Risk Interaction Points…), können, ja müssen, im Recruitingprozess zuweilen Barrieren aufgebaut werden. Jedem möglichen Interessenten einen Button anzubieten, mit dem dieser mal so im Vorbeigehen ein wie auch immer geartetes Interesse an einer Stelle zum Ausdruck bringt, sorgt erstmal nur dafür, dass die Anzahl an (vermeintlichen) Bewerbern ansteigt. Für einen besseren Recruitingerfolg sorgt das per se erstmal natürlich noch nicht. Es entsteht zunächst einmal nur mehr Noise, was wiederum die Erkennung des Signal schwieriger macht.
Oder anders: Der Aufwand, ernstgemeinte und ernstzunehmende Bewerbungen von denen zu separieren, die “nur mal so auf Like gedrückt” haben steigt und er steigt vor allem auf Seiten des Unternehmens. Klar: Diesen Aufwand zu treiben kann sinnvoll sein, nämlich dort, wo es sich um echte Mangelprofile handelt. Überall sonst dürfte dieser Aufwand aber vor allem zu einem führen: Weniger Zeit und Ressourcen für die letztlich wirklich interessanten Kandidaten. Denn bei aller Liebe: Die Recruitingprozesse von Azubis und auch den meisten Traineeprogrammen sind in aller Regel keine Mangelprozesse, sondern echtes Mengengeschäft. Hohe fünfstellige Bewerberzahlen und Selektionsquoten im niedrigen einstelligen Prozentbereich (oder sogar im Promillebereich) sind hier keine Seltenheit. Einzelne Recruiter müssen mehrere Hundert oder Tausend Bewerbungen sichten, vorselektieren, weiterqualifizieren und am Ende mit hoher Trefferquote die richtigen Kandidaten auswählen. Von daher sind Barrieren oftmals eine sinnvolle Sache, insbesondere dann, wenn sie einen Reflektionsprozess auf Seiten des Kandidaten anstoßen nach dem Motto: “Will ich mich wirklich auf die Stelle bewerben?”
Ich habe Anfang des Jahres in dem Beitrag “Warum ich nicht glaube, dass eine “One-Click-Bewerbung” wirklich zielführend ist…” einmal bewusst etwas überspitzt den Vergleich einer Bewerbung zu einer Beziehungsanbahnung im zwischenmenschlichen Sinne gezogen. Das war bewusst etwas polemisch, weil ich mir tatsächlich Konstellationen vorstellen kann, in denen es einem Unternehmen wirklich vollkommen egal sein sollte, ja muss, über welchen Weg sich ein potentieller Kandidat zu erkennen gibt, Hauptsache er gibt sich überhaupt zu erkennen. In diesen Fällen echter Mangelprofile gilt es in der Tat, alle Barrieren so niedrig wie möglich zu machen und soviele “Fuchsfallen” wie möglich aufzustellen, damit sich alle darin verfangen, die evtl. in Betracht kommen, das nur vielleicht selber noch gar nicht wissen. Diesen Kandidaten muss dann das Recruiting des Unternehmens aktiv nachgehen. Dafür müssen dann auch die (personellen/zeitlichen) Ressourcen da sein (oder geschaffen werden) und vor allem auch das nötige Mindset bei den handelnden Recruitern entwickelt sein – Active Sourcing ist eher Vertrieb als Einkauf…
In den meisten Recruitingprozessen jedoch ist es sehr hilfreich, wenn auch der Bewerber eine gewisse Ernsthaftigkeitsbarriere überwinden muss. Nein, damit meine ich NICHT ein stundenlanges Ausfüllen, langsam reagierender und dann zu einem ungünstigen Moment abstürzender Webformulare. Aber damit meine ich eben doch mehr, als eben nur mal auf “hey liebes Unternehmen, ich finde deinen Job spannend, jetzt kümmere du dich dochmal und versuch mich zu erreichen…” zu klicken. Wollmilchsau Alexander Fedossov hat vor einiger Zeit mal den sehr spannenden Vorschlag gemacht, kleine Mini-Assessments zwischenzuschalten, quasi eine Art “Two-Click-Bewerbung” zu inszenieren. Das hat definitiv Charme…
Ich hätte meinen damaligen Beitrag also besser “Warum ich nicht glaube, dass eine One-Click-Bewerbung im Normalfall zielführend ist” nennen sollen…
Heißt:
Nein, ich will auf keinen Fall missverstanden werden! Mobile ist ein wichtiges Thema und gehört dringend auf die Agenda der Themen, denen sich Employer Branding, Personalmarketing und auch Recruiting widmen müssen. Mobile sollte keine unnötigen Barrieren aufbauen. Aber: Nur weil alles mobile wird, heißt das eben auch nicht, dass wir keine Barrieren mehr brauchen oder dass Bewerbung etwas wird/werden sollte, was man mal “so eben im Vorbeigehen (im wahrsten Wortsinne)” tun sollte. Simple Erkenntnis aus der (zwischenmenschlichen) Beziehungsanbahnung: “Was sich anbiedert, ist unattraktiv!”
Also – so auch mein Plädoyer – es verlangt nach differenzierten Antworten und differenzierten Lösungen. Sowohl inhaltlich, als auch hinsichtlich der umfangreichen technischen Implikationen (siehe oben).
Ein aus meiner Sicht ganz hervorragendes Beispiel dafür, was ich meine , ist der “Fast Apply-Button” des neuen und in vielen Belangen tatsächlich revolutionären Mobile Recruiting-Aufschlags der Allianz SE, über den man sich dort quasi mit einem Click (nicht ganz, ein paar wenige Informationen sind schon noch nötig) auf einen Stelle bewerben kann.
Dieser auf Deutsch “Jetzt bewerben-Button” kann nämlich wahlweise einer mobilen Stellenanzeige hinzugefügt werden, und zwar vom jeweils verantwortlichen Recruiter. Hat dieser das Gefühl, dass ein Mangelprofil zu besetzen ist, er infolgedessen dankbar für jede eingehende Bewerbung ist und er auch willens und fähig ist, den über diesen Weg eingehenden Bewerbungen nachfolgend aktiv nachzugehen (sprich: den Interessenten evtl. direkt zu kontaktieren, weitere Informationen aktiv zu erfragen und zu ergänzen usw., also im Prinzip “dem Bewerber viel Arbeit abzunehmen”), DANN gibt es eine Art “One-Click-Bewerbung”, und NUR dann. Nicht für alle, nicht als Default-Einstellung. Handelt es sich um ein Mengen- oder Massenprofil, dann wird der Recruiter diesen Button sicher nicht aktivieren. Wozu Öl ins Feuer gießen, wenn es schon lichterloh brennt… Hier ist man oft über jede (unpassende) Bewerbung, die NICHT erfolgt, ganz froh. Und wenn ein Kandidat von einer Bewerbung absieht, weil er eben keine Lust, sich eine gewisse Mühe zu geben, dann kann sicherlich in vielen Fällen die “ernste” Frage berechtigt sein, wie “ernst” eine solche Bewerbung denn gemeint gewesen wäre…
Es gibt inzwischen durchaus einige Unternehmen, die sehr brauchbare (Hamburgisch für “Gut”…) mobile Karriereauftritte hingelegt haben. Neben der Allianz fallen mir hier z.B. die Deutsche Bahn, Tchibo oder OTTO ein. Jeder geht dabei einen etwas anderen Weg. Und DAS ist gut so, weil “je Jeck is anders” (Kölsch für “jede Arbeitgebermarke ist einzigartig”) und folglich verlangt es auch nach individuellen Mobile Recruiting Strategien.
Ich freue mich auf die Diskussion morgen nachmittag!
Moin Jo,
herzlichen Dank für diesen sehr guten, differenzierten Blick auf das Thema. Hier braucht echt kein unnötiger Druck aufgebaut werden. Denn sind wir mal ehrlich: Die meisten Bewerber leben wie die Unternehmen auch immer noch im 20. Jahrhundert. Und solange alle noch die klassischen Bewerberratgeber lesen (und das tun die meisten, weil es den War for Talents eben doch vielfach nicht gibt), werden sich die meisten auch noch brav “richtig” bewerben. Ein paar wenige, die “richtig bewerben” nicht nötig haben, die nehmen gerne die One-Click-Bewerbung. Und auf die können sich Unternehmen, siehe Allianz, ja einstellen.
Also, sehr guter ARtikel, vielen Dank! Und viel Erfolg beim Moderieren.
VG, Henrik
Hi Jo,
mensch, da hätte ich den Artikel, den Dominik für uns geschrieben hat, mal lieber früher online gestellt. :)
Darin erklärt er die Funktionen der Allianz-App und vergleicht sie mit jener der Telekom. Seine Synthese: in Sachen Mobile Recruiting sind HRler ausnahmsweise mal nicht die “Getriebenen”. :)
Link: https://www.jobnet.de/news/mobile-recruiting-bereitschaft
In unseren Newsletter nächste Woche wird es dazu noch einiges mehr geben – zum Beispiel, was die großen Konzerne zZ in Sachen Mobile haben und planen.
BG,
Daniel