Einwurf: Fängt Active Sourcing an zu nerven?

Okay zugegeben, die Headline-Frage ist reißerisch. Aber ich bin in letzter Zeit wiederholt auf entsprechende Stimmen gestoßen.

Da waren wir uns im Prinzip alle einig: Der zunehmende Fachkräftemangel, die gefühlt zunehmende Knappheit an geeignetem Personal, der demografische Wandel, all diese Dinge führen dazu, dass sich Unternehmen zunehmend in der Rolle des “sich Bewerbenden” wiederfinden. Oder anders: Das Paradigma des Waschkorbs, also die Hunderte von ins Haus flatternden Bewerbungen, aus denen der Recruiter gleichsam einer Lottofee nur noch einen Glücklichen herausangeln muss, um diesem dann seinen Gewinn – den Job – angedeihen zu lassen, hat ausgedient. Gefordert wird in zunehmendem Maße der Recruiter 2.0, oder auch “Recruiter Next Generation“, der sich aktiv auf die Suche nach potentiell geeigneten Kandidaten macht, dabei die gesamte Klaviatur des Sozialen und mobilen Netzes beherrscht und der – vor allem – Recruiting auch vertrieblich begreift, sprich: Der die Haltung verinnerlicht, dass man den Job an den Mann (oder natürlich die Frau) bringen muss, anstatt diesen nur zu verteilen oder dessen Verteilung zu administrieren. Eine hübsche Gegenüberstellung der beiden Typen des Recruiters findet sich übrigens hier beim Institute for Competitive Recruiting.

Ich glaube, dass das auch im Prinzip alles genauso ist. Selbst wenn es vielleicht nicht die Demografie oder Defizite der Berufsausbildung oder was auch immer sein werden, die zu einer Verknappung von geeigneten Bewerbern führen, so ist es aus meiner Sicht dennoch völlig klar, dass Recruiting in Zukunft viel stärker den Aspekt “Passung” betonen muss und wird. Statt also nur nach fachlicher Eignung zu suchen, wird Recruiting zukünftig vor allem eine Disziplin des Beziehungsmanagements sein, damit eben auch langfristig dem Unternehmen helfende Mitarbeiter ins Haus geholt werden.

Soweit so gut.

Anscheinend hat sich diese Erkenntnis inzwischen doch auch auf breiterer Front durchgesetzt, als man dachte. So hat LinkedIn inzwischen weltweit angeblich etwa 13000 Lizenzen des LinkedIn Recruiters verkauft, der je nach Version einen hohen dreistelligen bis mittleren vierstelligen Jahresbeitrag kostet und Recruitern erweiterte Such- und Ansprachemöglichkeiten innerhalb des Netzwerks bietet. XING konnte sein Konkurrenzprodukt, den Talentmanager, angeblich seit September 2012 insg. 1500 Mal an Unternehmen verkaufen, was bei einem monatlichen Preis von etwa 250 € erklärt, warum Social Recruiting inzwischen einen substantiellen Anteil zum XING Betriebsergebnis beisteuert. Man könnte insoweit argumentieren, dass die ursprünglich sehr elitäre Disziplin des Executive Search, oder auch Headhunting, zunehmend “demokratisiert” wurde und sich nunmehr auch auf deutlich breitere Zielgruppen wie unteres Management, Young Professionals, Trainees oder sogar Auszubildende erstreckt.

Nun aber mehren sich – zumindest nehme ich es subjektiv so wahr – doch die Stimmen von Usern, die ob dieser permanenten Bedrängung durch verschiedenste Recruiter genervt fühlen. So berichtet der Wiener Social Media Berater Michael Rajiv Shah, Autor des Buchs “XING  LinkedIn – Die besten Erfolgsstrategien im Business Networking”, davon dass vor allem stark nachgefragte High-Potentials sich von den ständigen Anfragen belästigt fühlen würden. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem “überfischten Markt“. Das verwundert auch gar nicht so sehr, kommen doch bspw. in Österreich bei XING auf einen Recruiter nur 44 XING-Mitglieder. Dass da häufiger Avancen eingehen, liegt schon allein in der Stochastik…

(Quelle: Horizont)

Ein anderes Beispiel: Vor kurzem hat meine Frau im Social Media Recht die recht vielbeachtete Artikelreihe “Active Sourcing & Talent Relationship Management rechtlich betrachtet” gestartet. Als Reaktion auf Teil 1 der Serie kam über Twitter aus der Zielgruppe (in diesem Fall wohl das, was man als High-Potential Juristen bezeichnen würde und damit wohl die Klientel, nach der bevorzugt die juristischen Großkanzleien gerne fischen) folgende Reaktion:

“total nervig. regelmäßig e-mails von kanzleien oder post an den lehrstuhl. kommt beides in den papierkorb.”

Total nervig_2

Nun, sicherlich sind das subjektive Meinungen und vielleicht Einzelstimmen. Und an der grundsätzlichen Richtigkeit des Aktiven Recruitings sollte man aus meiner Sicht deshalb auch nicht zweifeln. Was allerdings bei der all der Euphorie und Aktionismus rund um´s Active Sourcing nicht vergessen werden darf ist (neben den rechtlichen Restriktionen), dass es nach wie vor auf die richtige Ansprache, in der richtigen Tonalität, mit dem richtigen Angebot, zur richtigen Zeit ankommt.

Viel hilft hier wohl eher nicht so viel…

11 Gedanken zu „Einwurf: Fängt Active Sourcing an zu nerven?

  1. Stimmt genau. Auch hier ist es mal wieder nicht die Frage, ob man etwas macht, sondern wie man es macht. Und viele, die Xing als Recruitingtool nutzen, stellen sich einfach selten dämlich an. Sorry. Aber die jenigen, die sich jetzt über Recruiter aus Unternehmen aufregen, also neben den Kontaktierten die “Headhunter” selber, tragen aufgrund ihres unprofessionellen Vorgehens zu dieser Katerstimmung bei. Auch die richtige Ansprache will eben gelernt sein. Dann klappt’s auch mit dem Kandidaten :-)

  2. Ich nehme diese Bewegung in der täglichen Arbeit war. Wo sich anfangs die Angesprochenen nur genervt gefühlt haben und die Anfrage in den Papierkorb klickten, so nehmen derzeit die genervten Rückmeldungen merklich zu. Zum einen muss auf die Art und Weise geachtet werden, zum anderen denke ich dass es einfach zu viel Suchende und zu wenig Ansprechbare gibt.

  3. Danke für den Beitrag – ist mir wieder aus dem Herzen geschrieben.

    Aber ich gehe davon aus, dass Sie nicht SOURCING meinen, sondern die negative Form des SEARCHINGs. Vor 3 Jahren habe ich die beiden Begriffe auch verwechselt. Dann habe ich aber verstanden, dass das ganz konsequent unterschiedliche Begrifflichkeiten sind und diese aus der Welt der Materialwirtschaft stammen.

    Nur kurz zur Erklärung: ‘Sourcing’ (in USA People Sourcing oder Talent Sourcing genannt) findet nach den Regeln des Social Webs statt und hat bei der Kontaktaufnahme das Ziel des Netzwerkes (im Hinterkopf darf das schon auch die Stellenbesetzung sein). Es ist kein systematischer Prozess des Suchen und Finden und Gewinnes, während dem Searching diese Zielrichtung fehlt und es meist mit der Schrotflinte betrieben wird.

    Ich finde dieses Negativ-Searching mit Copy-and-Paste-Rundschreiben mit vielfach abwerbenden Charakter ist nicht nur nervig, sondern es bringt wieder eine ganze Branche in Misskredit. Wieder, weil wir Personalberater eine ähnliche Situation schon mal 1998 hatten.

    Damals war es der Siegeszug des Internets, der Mobiltelefone und Email-Bewerbungen. Ergebnis: Researcher, die im Akkord ‘telefonierten’ – bis dann die erste gerichtliche Klärung ein Stoppschild aufstellte. Ich unke mal auch hier, dass wir nicht mehr sehr weit davon weg sind, dass das Recruiting-Miteinander auch wieder rechtlich geklärt werden muss… leider …

    Ich habe gerade heute parallel einen ausführlichen Blogartikel (Webinarbericht) genau darüber, dass Sourcing nicht Searching ist geschrieben, und ausführlich die Unterschiede erkärt und auch warum dieses unseriöse Verhalten nicht professionelles Recruiting ist (www.intercessio.de).

    Einen schönen Abend
    Beste Grüße
    Barbara Braehmer

  4. … wohl wahr, was hier geschrieben wird. Zudem verbietet das LG Heidelberg nach jüngstem Urteil wettbewerbswidrige Abwerbeversuch über XING.

    Unternehmen müssen aufpassen, ob und wie sie Bewerber über XING ansprechen. Gesetzliche Konflikte drohen.

  5. Es ist tatsächlich die Art und Weise. Ich habe in meinem Xing-Profil ziemlich deutlich drinstehen, dass ich die Branche wechseln will und auch wo ich hin will. Trotzdem werde ich ständig von Personalvermittlern kontaktiert, die mir eine Stelle in meiner aktuellen Branche schmackhaft machen wollen. Ich schreibe dann immer freundlich zurück, dass mir die Stelle nicht zusagt und erläutere wie ich mir meine berufliche Zukunft vorstelle. Die meisten reagieren dann nicht mehr. Mit einer Dame hatte ich dann noch weiterhin Kontakt, wegen Alternativangeboten. Nur einmal hatte ich ein wirkliches Negativerlebnis Arbeitsplatz den ich nicht wollte und Umzug in eine Stadt, in die ich nicht wollte. Er hat mich auch nicht einfach nur angeschrieben, sondern gleich eine Kontaktanfrage geschickt, die ich abgelehnt habe, da ich keine Kontaktanfragen von Fremden annehme. Auf jeden Fall hatte ich einige Zeit später wieder eine Nachricht von ihm, in der er schrieb, dass ich seine Kontaktanfrage noch nicht bestätigt habe und dass er doch so tolle Stellen für mich hätte. Da fragt man sich dann schon was das soll.

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