Online Videointerviews als Instrument der webbasierten Vorauswahl

Ein idealtypischer eRecruiting Prozess sieht wie folgt aus:

1. Über Instrumente des webbasierten Employer Brandings, z.B. im Social Web, wird ein attraktive Arbeitgebermarke aufgebaut.
2. In Online-Stellenmärkten werden vakante Stellen angezeigt und findbar gemacht.
3. SelfAssessments- und Realistic Job Previews helfen dabei, die Bewerberselbstauswahl zu verbessern. Viele Unpassende Kandidaten selektieren sich selber aus.
4. Die Kandidaten bewerben sich über ein bewerberfreundliches Online-Bewerbungsinstrument, das alle relevanten – aber auch nur die – Daten abfragt und dem Unternehmen zur komfortablen Datenbank-gestützten Selektion bereitstellt. Stichwort: Bewerber-Management-System.
5. Kandidaten, die die erste – zumeist auf biografischen Kriterien beruhende – Selektionshürde überstehen, werden zu einem webgestützten Auswahltest – „eAssessment“ – eingeladen, der effizient Eigenschafts- und Verhaltensmerkmale misst. Die Einladung zum Online-Test erfolgt direkt aus dem Bewerber-Management-System heraus und nach Absolvierung der Tests werden die Ergebnisse über eine Schnittstelle wieder an das Bewerber-Management-System übergeben. Dort können dann analog zu den übrigen Bewerberdaten auch auf den Testergebnissen datenbankunterstützte Selektionen durchgeführt werden. Zu der Beschreibung einer solchen Schnittstelle siehe hier.

Bis hierhin hat sich oft die Anzahl der noch im Prozess befindlichen Bewerber bereits soweit reduziert, dass zu Mensch-Mensch-Auswahlprozessen übergegangen werden kann. Oftmals ist das „e“-Recruiting an dieser Stelle vorbei.

Häufig ist es aber trotzdem an dieser Stelle noch nicht sinnvoll oder praktikabel, alle verbliebenden Kandidaten zu einem persönlichen „Präsenz-Interview“ oder einen Auswahltag / Assessment Center einzuladen. Das kann simple Kostengründe haben, kann aber auch am Handling (Terminkoordination), nicht verfügbaren Räumlichkeiten oder auch am Zeitdruck liegen.

Aus diesem  Grund schloss sich jetzt hier in der Vergangenheit oft erstmal ein Telefoninterview an. Das ist zwar „Mensch-Mensch“, aber neben dem gesagten und der Stimme steht dem Recruiter kein weiteres Beurteilungskriterium zur Verfügung. Ferner ist das gesagte zumeist im nächsten Moment passé bzw. bestenfalls reduziert auf eine Gesprächsnotiz des Interviewers, weil die wenigsten Telefoninterviews mitgeschnitten werden.

Diese Defizite lassen sich nun beseitigen und die eRecruiting-Prozesskette noch um eine weitere, die sechste Stufe erweitern: Das Online-Video-Interview.

Im Bewerber-Management-System d´vinci von delphi ist so eine Lösung zur Durchführung von Online-Video-Interviews integriert. Es handelt sich dabei um die Applikation Interlounge. Wir haben uns das mal erklären lassen:

Die Einladung zu dem Online Interview erfolgt per E-Mail oder über den Candidate Self Service, indem sich der Kandidat in das Bewerberportal einloggt. Dem Bewerber kann falls nötig eine Webcam und ein Headset zur Verfügung gestellt werden.

Nach dem Login im System sehen Interviewer und Interviewter jeweils folgenden Screen. Der Gesprächspartner wird dabei jeweils auf dem rechten Screen angezeigt. Den eigenen Monitor findet man zur Kontrolle am linken Rand:

Beide können während der Webkonferenz dem Gesprächspartner über die Chat-Funktion (unten links) Nachrichten zukommen lassen. Auch eine Aufzeichnung des Gesprächs ist möglich. Voraussetzung dafür ist, dass der Bewerber der Aufzeichnung zustimmt. Somit steht das Gespräch auch zu einem späteren Zeitpunkt zur Verfügung und kann auch Kollegen o.ä. gezeigt werden, die mit am Prozess beteiligt sind, aber nicht an dem Online Interview teilnehmen konnten. Durch einen entsprechenden Hinweis beim Betätigen des Buttons „Gespräch aufzeichnen“ werden sowohl der Personalreferent als auch der Bewerber informiert. Das aufgezeichnete Gespräch steht anschließend in der Bewerberakte im Reiter „Online-Interviews“ zur Verfügung. Nach Beendigung des Gespräches können beide Gesprächsteilnehmer das Interview über den Button „Raum verlassen“ beenden.

Es wird sich zeigen, ob sich diese Form des Interviewings auf breiter Fläche durchsetzen wird. Da jedoch zur Zeit häufig auf Telefoninterviews zurück gegriffen wird, würde ich vermuten, dass Online-Videointerviews eine gute Chance haben. Den eindeutigen Vorteilen (man hat nicht nur die Stimme, sondern auch ein Gesicht „zum Kandidaten“ und das Gespräch kann dokumentiert werden, anderen Kollegen zugänglich gemacht werden und beliebig häufig erneut angesehen werden) steht eigentlich nur die Einschränkung gegenüber, dass (noch) nicht jeder Kandidat die erforderliche Hardware hat (Webcam). Dies kann zwar behoben werden, in dem ihm dieses zugeschickt wird, was aber wiederum den Prozess verlangsamt und sicherlich ein wenig mehr kostet als ein (Telefon-)Anruf.

3 Gedanken zu „Online Videointerviews als Instrument der webbasierten Vorauswahl

  1. Den Bloginhalt finde ich gut und die Vorteile gut herausgearbeitet – allerdings hätte das Resumée nicht unbedingt einschränkend sein müssen:

    nur die Einschränkung gegenüber, dass (noch) nicht jeder Kandidat die erforderliche Hardware hat (Webcam). Dies kann zwar behoben werden, in dem ihm dieses zugeschickt wird, was aber wiederum den Prozess verlangsamt und sicherlich ein wenig mehr kostet als ein (Telefon-)Anruf.

    Eine Prozessverlangsamung ist bei gleichzeitigen zusenden einer gebrandeten Webcam nicht zu erwarten.

    Das Online-Interview soll m. M. eher einen Termin vor Ort ersetzen, als ein Telefoninterview – und hier sind die Kosten sicherlich auf Seiten des Online Interviews!

  2. Dem ersten Teil des Beitrags stimme ich absolut zu. Insbesondere auch die Bewerberfreundlichkeit der Online-Instrumente sollte gewährleistet sein.

    Allerdings vermisse ich diesen Aspekt ein wenig beim Online-Video-Interview. Zwar können den Personalern zusätzliche Bewertungskriterien an die Hand gegeben werden, jedoch entsteht dadurch wohlmöglich eine stärkere Verunsicherung bei den Bewerbern.

    Ich kann mir gut vorstellen, dass sich jemand unwohl fühlt, wenn er sich einem potenziellen Arbeitgeber quasi im eigenen Wohnzimmer präsentiert. So ist nicht nur auf die eigene Kleidung und Körpersprache zu achten, auch Technik und Gestaltung sowie Zustand der privaten Sphäre (eben dieses Wohnzimmers) werden im Rahmen des Interviews relevant und lassen sich kaum ausblenden.

    Auch ist die Frage, welche Kriterien für die Auswahl relevant sein sollen: Ist es vll. sinniger zu beurteilen, wie souverän sich Kandidat bzw. Kandidatin in den Geschäftsräumen des Unternehmens als bei sich zu Hause geben?

    Wahrscheinlich sollte der Kandidat eine neutrale und ruhige Umgebung mit guter Internetverbindung aufsuchen. Aber steht ein solcher Platz einem jeden Bewerber zur Verfügung?

    Ein Online-Video-Interview finde ich aber auf alle Fälle dort sinnvoll, wo die Kandidaten auch in ihrem späteren Arbeitsalltag mit vergleichbaren Techniken und Situationen umgehen müssen (internationales Umfeld, virtuelle Teams). Dies ginge auch wieder ein wenig in Richtung „Realistic Job Previews“.

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