Von „hyperaktivem Stillstand“ zur „Ketchupflasche“? Wo steht die Personalgewinnung gerade?

„Wie siehst du den Markt gerade?“, „wie schätzt du die aktuelle Situation ein?“, „was sind aus deiner Sicht die Trends?“, „wo geht die Reise hin?“.

Fragen wie diese bekomme ich aktuell sehr häufig gestellt. Und um ehrlich zu sein, ich stelle sie mir auch. Ich bewege mich seit mehr als einem Vierteljahrhundert im Bereich der Personalgewinnung und beschäftige mich wirklich viel mit Themen rund um Personalmarketing, Employer Branding und (E-)Recruiting. In diese Zeit fielen Verwerfungen wie das Platzen der Dotcom Blase, die Finanzkrise oder eine globale Pandemie, aber eine Situation wie zur Zeit habe ich noch nicht erlebt.

Die Gemengelage aus geopolitischen Verwerfungen, Herausforderungen durch den Klimawandel, Kriegen in Europa und Nahost, Rechtsruck und technologischer Disruption zeichnet ein derart verwaschenes Bild, das keiner so recht überblickt.

Und konkret auf die Personalgewinnung bezogen mündet dies dann in Fragen wie:

  • Bauen wir Personal ab, weil die Konjunktur schlecht ist oder wir Produktion ins Ausland verlagern oder haben wir Arbeitskräftemangel und müssen uns richtig Mühe geben bei der Personalakquise?
  • Müssen wir alle mehr arbeiten, um den Wohlstand zu sichern und uns die Arbeitskräfte ausgehen oder ist weniger arbeiten angesagt („4-Tage Woche“…), weil wir sie sonst gar nicht gewinnen können?
  • Wird KI eine Rolle spielen, wie wir zukünftig arbeiten und rekrutieren werden? Ja, sicher, aber welche? Welche der zahllosen Lösungen werden wir brauchen und welche Regeln gilt es dabei zu beachten („KI Verordnung“…)?

Man ahnt, dass die Antworten auf die Fragen weder ja oder nein lauten, sondern irgendwie sehr viel komplizierter, differenzierter, individueller und kreativer ausfallen müssen.

Irgendwie kann keiner sagen, wie das neue Bild fertig aussehen wird. Noch kann irgendjemand konkret beschreiben, welche Schritte zu gehen sind, um beim neuen Ist anzukommen.

Und deshalb ist die aktuelle Situation so geprägt davon, dass alle sich irgendwie umschauen und links und rechts rückversichern wollen. Es wird unheimlich viel geredet, hinterfragt und versucht, sich einen Reim auf alles zu machen. Die einschlägigen Events sind jedenfalls gut besucht und an Interesse an Themen und Ideen mangelt es nicht.

Mir kommt dies – und dieses Bild habe ich dafür ja schon mehrfach bemüht – wie ein voller Bahnhof vor: Ganz viele Menschen stehen abfahrtbereit auf dem Bahnsteig und tauschen sich intensiv aus. Auf den Gleisen stehen auch jede Menge abfahrtbereite Züge mit dampfenden Kesseln.

Aber keiner der Züge fährt los, denn niemand steigt ein. Es haben zwar alle das Gefühl, dass man jetzt los muss und den Zug nicht verpassen darf, aber man traut sich nicht einzusteigen, denn man will ja auch auf keinen Fall im falschen Zug sitzen.

Das Interesse an all den neuen Dingen ist groß, die Angst irgendeinen falschen Schritt zu machen aber auch.

Und so entsteht das, was ich Hyperaktiven Stillstand nenne…

Aber so kann und wird es ja nicht dauerhaft bleiben können.

Mein Prognose: In den nächsten 6-12 Monaten wird sich der Knoten lösen. Und ich befürchte, dies wird nicht kontrolliert und sortiert passieren, sondern wie die gute alte Ketchupflasche: Erst schüttelt und schüttelt man und es kommt nichts und dann kommt auf einmal alles in einem großen Schwall.

Ich kann es förmlich schon sehen: Projekte, über die monatelang gesprochen, diskutiert, konzipiert, analysiert, geprüft wurde, ohne dass es wirklich los ging, sollen dann auf einmal alle möglichst gestern fertig sein…

Wie gesagt, ich vermute, dies wird in den kommenden 6-12 Monaten passieren.

Mark my words… 😋

Ein Gedanke zu „Von „hyperaktivem Stillstand“ zur „Ketchupflasche“? Wo steht die Personalgewinnung gerade?

  1. „Man ahnt, dass die Antworten auf die Fragen weder ja oder nein lauten, sondern irgendwie sehr viel komplizierter, differenzierter, individueller und kreativer ausfallen müssen.“ So ist das!!!

    Wenn man allerdings die Top Voices und HR Influencer auf LinkedIn verfolgt ist das dort leider noch nicht bei allen angekommen :-) Hier muss ein Regenbogen und ein Selfie als kritischer Content genügen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert