Analyse von 53000 Datensätzen zeigt: Bedeutung der qualifikatorischen Passung sinkt. Aber nicht überall und nicht für alle gleich…

Die Bedeutung der qualifikatorischen Passung sinkt, die der potenzialbezogenen steigt.

Diesen Gedanken formulieren wir ja bereits seit einiger Zeit und haben diesen deshalb ja auch noch einmal sehr grundlegend in dem Buch Recrutainment – Gamification in Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting dargelegt.

Übersetzt heißt dies ja in etwa so viel wie: Weniger auf formelle Abschlüsse und in der Vergangenheit erworbene und gezeigte Fähigkeiten zu schauen, sondern darauf, was in der Person steckt, um zukünftige (und bislang vielleicht auch noch gar nicht genau zu beschreibende) Tätigkeiten erfolgreich ausführen zu können.

Es geht also in der Tendenz immer weniger darum, was jemand schon kann, sondern zunehmend darum, was jemand können kann.

Das liegt zum einen daran, dass bei den sich immer schneller ändernden Inhalten beruflicher Tätigkeiten immer schlechter von den in der Vergangenheit erworbenen Kenntnissen und gezeigten Leistungen auf die zukünftige Performance geschlossen werden. Zum anderen – und das ist mE. eine große Chance – öffnet sich dadurch auch eine große Tür für Quereinstiege. Nach Menschen zu schauen, die eine Tätigkeit durchaus erfolgreich ausfüllen können, auch wenn sie in der Vergangenheit etwas anderes gemacht haben, macht sinnbildlich den “Trichter für´s Recruiting wieder breiter”.

Und so finden sich auch immer mehr Belege und Daten für diese Entwicklung.

Beispielsweise finden sich im Trendence HR Monitor entsprechende Hinweise…

Auch zeigte eine wirklich sehr umfangreiche Harvard-Analyse von mehr als 51 Millionen Stellenanzeigen, dass die Bedeutung formeller Abschlüsse bei den genannten Anforderungen (relativ deutlich) sinkt…

Harvard-Analyse von mehr als 51 Millionen Stellenanzeigen zeigt: Bedeutung formaler Abschlüsse sinkt

Und auch eine Untersuchung des IW Köln gemeinsam mit dem Personaldienstleister Hays, bei der rund 53000 Datensätze analysiert wurden, scheint diesen Trend zu bestätigen:

Das Ziel der Analyse war festzustellen, ob die Kompetenzprofile der Bewerber bei erfolgreicher Vermittlung mit den Anforderungen der Stellen übereinstimmten. Es wurde auch untersucht, bei welchen Berufsbildern, Branchen und Altersgruppen diese Übereinstimmung nicht gegeben war oder im Laufe der Zeit abnahm.

D.h. man hat die in Stellenanzeigen formulierten Anforderungen extrahiert und dann im Nachgang geschaut, in wieweit die Personen, die den Job bekommen haben, diese Anforderungen auch erfüllten. Da es sich bei den extrahierten und analysierten Anforderungen um formelle Merkmale wie Abschluss, bisherige Berufserfahrung (Dauer, Inhalt) etc. handelte, ist die Auswertung am Ende als Indiz dafür zu werten, wie stark Arbeitgeber noch auf die Erfüllung dieser Merkmale achten bzw. deren (vollständige) Erfüllung letztlich noch voraussetzen (oder durchsetzen können…;-)).

Das Resultat?

Insgesamt zeigt sich ein Trend, dass die Werdegänge der Kandidaten immer weniger mit den ausgeschriebenen Stellenprofilen der Unternehmen übereinstimmen.

Es zeigt sich aber auch ein sehr breitgestreutes Bild:

Es gibt also durchaus eine Menge Besetzungen, bei denen die letztlich rekrutierte Person mehr oder weniger gar keine der in der Ausschreibung formulierten (formellen) Merkmale erfüllte und es gibt nach wie vor eine Menge Besetzungen, bei denen quasi an alle diese Merkmale ein Haken gesetzt werden konnte. Und alle möglichen Abstufungen dazwischen…

Es zeigt sich aber auch ein hinsichtlich Tätigkeit und Branche sowie bzgl. des Alters der rekrutierten Personen sehr unterschiedliches Bild:

Je spezialisierte die Tätigkeit, desto mehr formelle Kriterien werden auf der einen Seite formuliert sowie auf der anderen Seite auch erfüllt. Das zeigt sich dann z.B. an Jobs aus dem Bereich “IT-Fachkräfte”, wo z.B. die Kenntnis gewisser Programmiersprachen relativ klar als Voraussetzung formuliert werden kann und deren faktisches Vorhandensein dann auch einstellungsrelevant wird. Allerdings reden wir auch hier im Schnitt nur über einen Erfüllungsgrad der Merkmale zwischen 50 und 70%…

Und – und das halte ich für einen sehr spannenden Befund – je jünger die betrachtete Person, desto weniger spielen die formellen Kriterien eine (große) Rolle. So zeigt sich etwa bei ControllerInnen unter 30 Jahren nur noch ein durchschnittlicher Erfüllungsgrad formeller Merkmale von um die 40%, während dieser für ControllerInnen über 50 Jahren bei rund 70% liegt. Heißt: Je älter eine Person, desto mehr Gewicht erhält der qualifikatorische Match. Je jünger, desto weniger scheint man diesen für wichtig zu halten.

Aber auch diese Aussage gilt nicht in gleichem Maße für alle Berufsbereiche. Bei LogistikerInnen zeigt sich dieser Alterseffekt so gut wie gar nicht.

Fazit:

In der Tendenz bestätigt auch diese Analyse die Vermutung, dass die Bedeutung qualifikatorischer Passung eher abnimmt. Ob dies der Erkenntnis der Unternehmen entspringt, dass man auch erfolgreich rekrutieren kann, wenn jemand etwas noch nicht “fertig mitbringt” und man es dieser Person dann durch Up- und Reskilling schon beibringen kann oder ob dies schlicht daher rührt, dass der Arbeitsmarkt und das Arbeitskräfteangebot nicht “mehr hergegeben haben” bleibt hier offen.

Aber wahrscheinlich sind beide Effekte am Werk und es ist letztlich auch egal, woher es rührt – Unternehmen sind gut beraten, das starre Festhalten an formellen Anforderungen und vorhandenen Qualifikationen zu überdenken und stattdessen in deutlich stärkerem Maße auch potenzialbezogene Merkmale als Grundlage für die Passungsbeurteilung heranzuziehen.

Mit der Überprüfung von Problemlösekompetenz (also kann eine Person, Probleme lösen, die sie vorher noch nicht kannte?) sowie der (Leistungs-)Motivation (also will diese Person diese Probleme auch lösen und sich das dafür erforderliche Wissen auch draufschaffen?) wäre auf jeden Fall schon sehr viel erreicht.

Wenn dann auch noch ein hohes Maß an vorhandenen Vorkenntnissen und Qualifikationen hinzukommt – vielleicht weil sich der Arbeitsmarkt etwa aus konjunkturellen Gründen wieder dreht – umso besser. Aber bauen würde ich auf diese “Entspannung” eher nicht…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert