Gibt es eigentlich überhaupt noch Soziale Netzwerke? Ist Social Media noch “social”?

Ich kann mich sehr gut daran erinnern: Mitte der Nullerjahre schwappte diese Riesenwelle durch die Employer Branding- und Recruitingszene, alles musste jetzt auf diese neuen Kanäle und Kommunikationsformen ausgerichtet werden – Social Media.

Der heißeste Shice waren Karriereseiten in Facebook – es wurde seinerzeit ernsthaft die Frage diskutiert, ob man denn überhaupt noch unternehmenseigene (Karriere-)Websites braucht… – und natürlich die Echtzeit-Karrierekommunikation über Twitter. Wir haben hier im Blog ja unter anderem über einen recht langen Zeitraum Twitterrankings veröffentlicht, wo wir die Entwicklung der Followerzahlen von Twitter-Karrierekanälen etlicher Unternehmen festhielten…

Wenig überraschend entstanden in diesem Zuge dann auch Branchenevents, die unter Namen wie Social Media Personalmarketing Conference oder Social Media Recruiting Conference die neuesten Entwicklungen in diesem Bereich auf die Bühne brachten. Da durfte man natürlich auch nicht fehlen, wenn man irgendwie mitreden wollte…

Und heute?

Nun, speziell die beiden oben genannten Social Networks sind ja momentan wieder in aller Munde. Allerdings weniger, weil man deren immense Relevanz diskutiert, sondern eher das Gegenteil.

Facebook spielt eine immer geringer werdende Rolle im Alltag der Menschen, flüchtet mit dem Metaverse in eine “vielleicht ja, vielleicht nein” Zukunftsvision und schmeißt mal so eben 11000 Beschäftigte raus. Twitter ist jetzt ein Spielzeug eines egomanen Superreichen und auch hier weiß keiner – offenkundig inklusive Elon Musk selbst -, ob und wie es mit der Plattform weitergeht.

Relevante Kommunikationskanäle für die Karrierekommunikation sind – von vereinzelten Ausnahmen abgesehen – diese Plattformen auf jeden Fall irgendwie nicht mehr.

Jetzt kann man natürlich einwenden und sagen “ne, Facebook natürlich nicht mehr, aber dafür halt jetzt TikTok und Instagram”. Na klar, diese Plattformen sind aktuell höchstrelevant und aus dem Leben unheimlich vieler Menschen kaum mehr wegzudenken – insbesondere junger Menschen, die mit Twitter eh noch nie und mit Facebook schon lange nicht mehr etwas anfangen konnten. Auch andere Kanäle wie YouTube (immer noch) oder Twitch sind relevante Plattformen mit hohen Reichweiten und Verweildauern.

Aber, und das soll heute meine eigentliche Frage sein: Handelt es sich bei diesen Plattformen denn eigentlich noch um “Social” Networks…?

Klar, man kann sich darüber vernetzen. Man kann anderen folgen und diese einem zurück. Man kann auch darüber kommunizieren und sich austauschen.

Aber all das steht bei diesen Kanälen nicht mehr im Vordergrund.

Bei Twitch guckt man anderen Leuten dabei zu, wie sie eSport-Spiele spielen oder erfolgreich Drachen töten. Dabei kann man mit anderen Zuschauern chatten, aber vor allem guckt man zu.

Bei TikTok oder Instagram lullt einen der endlose Strom an Filmchen oder Bildern so ein, dass man buchstäblich stundenlang Medien konsumiert und dabei als höchste Stufe der Interaktion mal eine “Like-Bekundung” oder ein Teilen des Inhalts raushaut.

Aber Interaktion mit anderen? Diskussion? Eher nicht. Der Medienkonsum ist primär konsumtiv und “lean back”.

Oder – wenngleich in erheblich geringerem Maße – es werden selber Inhalte produziert und hochgeladen, aber auch hier so mein Eindruck erfolgt dies weniger, um damit Interaktion mit anderen “Netzwerkpartnern” anzustoßen, sondern v.a. um damit anderen wiederum neuen “Lean back-Content” hinzuwerfen. Das ist dann auch nicht viel mehr “social” als das gute alte lineare Fernsehen. Das gilt im Übrigen auch für die überaus erfolgreiche Mediengattung Audio/Podcast…

Es geht also um Senden. Nicht mehr um Kommunizieren. Und mit dem seinerzeit unglaublich strapazierten Schlagwort Authentizität hat das alles auch nur noch sehr am Rande zu tun…

Kommunikation findet über die 2-15 verschiedenen relevanten Messenger wie WhatsApp, Signal, Threema, Telegram, Wire usw. statt, entweder 1:1, wenn man sich mit einer einzelnen Person austauscht oder 1:n, wenn man in Gruppen kommuniziert, wobei hier das n in aller Regel von überschaubarer Größe ist. D.h. hier findet man durchaus noch “Social” aber eigentlich nicht mehr “Network”…

Auf intensiven Austausch ausgelegte Plattformen wie seinerzeit Clubhouse boomen höchsten noch kurz und versinken dann wieder in irgendeiner Nische… Vielleicht wollen die Leute auch einfach gar nicht mehr so interagieren…?

Und im Berufs- und Karrierekontext?

Ja, LinkedIn ist aus meiner persönlichen Warte heraus mittlerweile eigentlich die einzige Plattform, die ich noch als Social Network bezeichnen würde, auf der aktiver Austausch und Diskurs stattfinden. Manchmal auch in nerviger selbstinszeniererischer Art und Weise, aber in den meisten Fällen doch noch erstaunlich interaktiv. Und: Das gilt natürlich auch nur für einen eh schon limitierten Teil der Bevölkerung, weil es sich eben nach wie vor um ein “Business”-Netzwerk handelt. Das andere – zumindest im deutschsprachigen Raum – relevante Business-Netzwerk XING hat sich nun auch offiziell davon verabschiedet, ein solches Soziales Netzwerk sein zu wollen.

Wenn man heute also oft noch umgangssprachlich davon spricht, über Social Media zu kommunizieren oder “in Social Media präsent zu sein”, dann erscheint mir das mittlerweile oftmals nur noch ein sprachliches Relikt zu sein. Wirklich viele soziale Medien kann ich irgendwie nicht mehr erkennen…

5 Gedanken zu „Gibt es eigentlich überhaupt noch Soziale Netzwerke? Ist Social Media noch “social”?

  1. Das hier entdeckt bei ntv zu LinkedIn:

    “Die Einwohner dieses wunderbaren Ortes haben wenig Alternativen: Da ist das BWL-Spinner-Höllenloch Linkedin, eine Akademie für Heuchelei, Stammtischpolitik und Visionärsgetue. Wer hier wortreich lobt, protzt und Banalitäten im Gewand psychischer Einsichten verkauft, hat früher oder später Tausende Follower, von denen der eine oder andere mit etwas Glück kein “Coach” oder Cryptowahnsinniger ist.”

    Mit “Social” haben diese Medien oft überhaupt nichts zu tun!

    Amen :-)

  2. “Manchmal auch in nerviger selbstinszeniererischer Art und Weise” ist leider auch auf XING so. Selten soviel Selfies gesehen ohne jeden Kontext oder mit Sinnfreiem Eigenlob.

    Lustig finde ich auch, dass Menschen sich über völlig überzogenes personal branding aufregen und das dann aber selbst machen ohne es zu merken. Bescheidenheit scheint außer Mode :-)

  3. So richtig “Social” waren diese Plattformen, was den Recruiting-Kontext betrifft doch eh nie. Weil die Unternehmen nicht die Ressourcen und/oder den Willen hatten, in einen schnellen Austausch mit potentiellen Kandidaten zu gehen. Insofern waren und sind es vor allen Dingen Mediaplattformen und deren Eignung für HR-Marketing hängt davon ab, ob sich meine Zielgruppe dort aufhält. Die oft gestellte Frage “Müssen wir jetzt auf Tik-Tok?” provoziert daher auch meist nur Gegenfragen und keine Antwort: “Ist Eure Zielgruppe auf Tik-Tok? Verfügt Ihr über die Fähigkeit, den entsprechenden Content zu erstellen? und, und, und.” Du hast also völlig Recht, wenn Du sagst, dass der Name für die Mediengattung nicht mehr deren Kernkompetenz widerspiegelt.

  4. TikTok finde ich zudem bedenklich. Wenn man sieht was auf dieser Plattform zum Teil passiert – zu was Jugendliche animiert werden – das ist nicht nur gut. Von Datenschutz sprechen wir hier noch gar nicht. Es ist erschreckend, wieviel power diese Plattform hat und wie wenig – auch große Sponsoren – kritisch damit umgehen. Das ganze Thema Digitalisierung wird einfach zu flach diskutiert.

  5. „Das einstige Business-Netzwerk Xing öffnet sich für Nichtmitglieder. Nutzer können Job-Angebote anhand von Kriterien wie „Hund willkommen“ filtern.“

    Eine absolute Revolution. Es wird langsam lächerlich! #2023

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