Der aktuelle Stand des Social Media Recruitings. Interview mit ICR Direktor Wolfgang Brickwedde, Herausgeber des Social Media Recruiting Reports

Noch vor ein-zwei Jahren war es DAS Thema in der Suppe: Social Media… Keine Fachtagung, keine Konferenz, die ohne dieses Schlagwort im Titel und/oder einem substantiellen Teil des Programms auskam. Facebook-Karriereseiten als Aufbruch in eine neue authentische und dialogorientierte (um zwei weitere Buzzwords zu bemühen) Kommunikationswelt, XING und LinkedIn als unerschöpflicher Pool für die direkte Rekrutierung. Man hat aktuell den Eindruck, der Hype um Social Media ist vorbei; mindestens jedoch reicht der Begriff allein nicht mehr aus, um zu elektrisieren. Die aktuell durchs Personalerdorf getriebene Sau heißt “Mobile Recruiting“, und die wird bei Weitem nicht so geliebt, wie seinerzeit Social Media. Zu technisch…

Aber heißt das, dass Social Media vorbei ist? Wer das glaubt, der denkt auch, es ist dunkel, wenn man die Augen zumacht… Nein, es ist zuweilen eine typische deutsche (Un-)Art zu meinen, dass Dinge, die in aller Munde sind, auch wichtig sind, Dinge aber, die nicht mehr die Schlagzeilen bestimmen, sich eben auch nicht durchgesetzt haben, eben nichts taugen… Ein Blick auf die in beiden Richtungen vollkommen übertriebene Berichterstattung über Second Life vor einigen Jahren zeigt dies.

Nun denn, zurück zum Thema Social Media. Und zwar konkret zum Einsatz von Social Media für Zwecke der Personalgewinnung. Dass bei Social Media nämlich nicht einfach nur die Hype-Welle durch ist, sondern das Thema schlicht und ergreifend dabei ist, erwachsen zu werden – und zwar mit allem was dazu gehört: Misserfolgen, Rückschlägen, “Naja-ganz-gut-Erfolgen”, KPIs usw. -, das zeigt eindrucksvoll der Social Media Recruiting Report 2013, der nun bereits das vierte Jahr in Folge von Wolfgang Brickwedde – meinem Co-Veranstalter der alljährlichen “Recruiting 20xx-Konferenzen” veröffentlicht wurde.

Da bereits einige Blogger-Kollegen detailliert über die Ergebnisse berichteten (ich konnte nicht, dafür war im Recrutainment Blog in letzter Zeit die Artikeldichte zu hoch…), habe ich mir Wolfgang für ein Interview geschnappt. Sehr interessante Antworten dabei… Also Wolfgang, wollen wir?

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Hallo Wolfgang,

seit 2010 untersuchst du das Thema Social Media Recruiting empirisch. Vor kurzem hast du nun bereits zum vierten Mal deinen “Social Media Recruiting Report” veröffentlicht. Was ist aus deiner Sicht der spektakulärste Befund?

Hallo Jo,
das spannendste Ergebnis war für mich eigentlich die Antwort auf die Frage, ob Social Media Recruiting ein Hype bleibt oder endlich mal zur wirklichen Hilfe in der Personalbeschaffung wird. Mit dem dritten Platz bei den Einstellungsquellen im Jahr 2013 ist Social Media Recruiting definitiv kein Hype mehr. Mehr als jede 10. Stelle kann 2013 mit Hilfe von Social Media besetzt werden.

Vor einigen Jahren war Social Media “DER heiße Sch…” der Personalszene schlechthin. Man musste den Begriff bei Konferenzen nur in den Namen schreiben und die Hütte war voll. Das funktioniert so nach meinem Eindruck nicht mehr. Ist die Social Media Welle durch oder ist das Thema einfach nur dabei “ganz normal”, wenn man so will “erwachsen” zu werden?

Wie das so ist im Lebenszyklus eines Begriffes. Am Anfang gibt es paar „Ausprobierer“, die schon schnell von Erfolgen sprechen. Das macht andere neugierig und schlägt erste Wellen. Es sind inhaltlich eigentlich nur kleine Wellen aber mit hoher medialer Begleitung. Jetzt trägt die Social Media Recruiting „Welle“ erstmals nachweisbare Früchte. Und schon ändern sich die Fragen von „wie geht das eigentlich?“ zu „was bringt das denn tatsächlich?“. Wir werden also eine noch viel größere Welle sehen, die aber nicht so laut sein wird. Man kann auch sagen, dieser Recruitingkanal wird erwachsen.

Eine von zehn Besetzungen erfolgt inzwischen über Social Media. Damit liegt SoMe Recruiting auf Platz 3 der Einstellungsquellen hinter Stellenanzeigen in Jobboards und Stellenanzeigen auf der Karriere-Website. Das hört sich ja erstmal in der Tat erstaunlich an. Wer jetzt aber glaubt “Boah, Facebook-Recruiting lohnt sich also doch”, dem muss man dazu sagen, dass der absolute Löwenanteil dieser “Social Media Hires” über XING (und nachgelagert) LinkedIn kommen. “Ach so” werden jetzt viele sagen, “XING und LinkedIn, das ist doch gar nicht richtig Social Media…” Was würdest du dem entgegnen?

Da kann man jetzt akademisch rangehen und den Begriff Social Media ordentlich zerpflücken. Aber wenn man unter Social Media (vielleicht für Puristen ein bisschen zu naiv) Netzwerke versteht, in denen sich die Mitglieder untereinander austauschen und vernetzen können, warum sollten XING und LinkedIn dann kein Teil von Social Media sein? In meiner Studie unterteile ich Social Media Netzwerke in Business und Private. Aber Du hast Recht, der Löwenanteil der Einstellungen über Social Media kommt über XING.

Und zum Thema „Recruiting auf Facebook“ kann ich nur immer wieder vor einem längeren Streit darum bitten, den Begriff Recruiting zu definieren. Falls man Recruiting mit dem deutschen Begriff Personalbeschaffung übersetzt, dessen Aufgabe es ist, Unternehmen quantitativ und qualitativ mit motivierten und passenden Arbeitskräften zu versorgen, dann hat man darin eine langfristige Perspektive mit dem Employer Branding, eine mittelfristige mit dem Personalmarketing und eine kurzfristige mit dem, auf Social Media bezogenen, Active Sourcing. Und voilá, man kann auch bei Facebook rekrutieren, dort häufiger in der Ausprägung Personalmarketing und Employer Branding.

Also: Social Media Recruiting läuft vor allem über die Business Netzwerke. Wofür taugen denn die anderen bekannten Plattformen, also Facebook, Twitter, Google+ und YouTube oder auch die eher exotischen wie Pinterest, Foursquare oder tumblr?

Wenn man auch hier wieder das o.a. Verständnis von Recruiting anlegt, dann sind die anderen bekannten Plattformen aktuell eine Spielwiese für die lang- und mittelfristig angelegten Bestandteile des Recruitings, also für Employer Branding und Personalmarketing. Für die aktuell im Active Sourcing genutzten Suchstrategien benötigt ein Recruiter oder Sourcer zwei Dinge:

1. Möglichst passend ausgefüllte Profile, d.h. Angaben zu Arbeitgebern, detaillierte Tätigkeiten, halt ähnlich einem Lebenslauf.
2. Eine Suchmaske, mit der diese Angaben leicht zu finden sind.

Sobald z.B. Facebook weitere Schritte in diese Richtung macht und eine komfortablere Suchmaske zur Verfügung stellen würde, sieht die Active Sourcing Welt ganz anders aus.

Kann man es also auf die einfache Faustformel “XING und LinkedIn zum Rekrutieren, Facebook und Co. für Employer Branding und Personalmarketing” bringen?

Meine Faustformel würde demnach so aussehen: „Alle Netzwerke für Recruiting. XING und Linkedin aktuell für Active Sourcing, Facebook und C.o für Employer Branding und Personalmarketing.“

Wenn Social Media Recruiting so stark wächst. Zu wessen Lasten geht das denn? Wer sind die Verlierer?

Wenn man einen Blick auf die Entwicklung der Einstellungsquellen wirft, lässt sich folgendes erkennen:

1. Die vermeintlichen Verlierer sind nicht die Online-Jobbörsen, die sich sehr gut auf dem ersten Platz der Einstellungsquellen mit stabilen mehr als 30% Anteil halten.
2. Einbußen hinnehmen mußten die Stellenanzeigen auf der eigenen Karriereseite, interne Bewerber und Messen.

Eines deiner Hauptthemen und ja auch im Report prominent enthalten ist “Active Sourcing”. Auch hier sagst du, dass das Thema stark an Bedeutung zugelegt hat und auch, dass diejenigen Unternehmen mit einem qualitativ “guten Recruiting” oft auch diejenigen Unternehmen mit einem sehr “proaktiven Recruiting” sind. Hat sich hier klammheimlich in den letzten Jahren ein neuer Typus Recruiter entwickelt oder sind die Tools der Plattformen – der Talentmanager von XING und der LinkedIn Recruiter – einfach so gut, dass die proaktive Rekrutierung heute einfach viel besser geht?

Leider hat sich kein neuer Typus von Recruiter von selber entwickelt. Der Leidens- und oder Wettbewerbsdruck hat zunächst bei den Personalberatungen und Personalvermittlungen nach einer proaktiveren Gangart in der Personalbeschaffung verlangt. Diese Entwicklung sehen wir in den letzten Jahren auch bei „normalen“ Unternehmen. Einen Vergleich der Qualität der Recruiter über die Einsatzfelder „Inhouse“, Personalvermittlung, Personalberatung und Recruitment Process Outsourcing (RPO) hatte ich im letzten Jahr mit dem Recruiter Quality Report einmal gemacht mit hochinteressanten Ergebnissen.

Da auch die Professionalität des unternehmensinternen Recruitments in den letzten Jahren deutlich zugelegt hat, hält sozusagen der hierfür notwendige Recruiter 2.0 langsam aber sicher Einzug in die Unternehmen. Vom Recruiter 1.0 bis zum Recruiter 2.0 ist es allerdings ein längerer Weg, den auch nicht alle Recruiter 1.0 gehen können oder wollen. Dieser Recruiter 2.0 benötigt für ein erfolgreiches und produktives Active Sourcing Tools wie den XING Talentmanager oder den Linkedin Recruiter. Die Tools wurden aber erst parallel oder nachgelagert entwickelt. Den XING Talentmanager z.B. gibt es erst seit letztem Jahr.

Die Erfahrungen aus den ersten Jahren mit Active Sourcing werde ich übrigens demnächst im Active Sourcing Report vorstellen können, an dem über 450 Active Sourcer teilgenommen haben.

Mit dem Relaunch des XING Talentmanagers vor zwei Monaten kommen wir allerdings Deiner letzten Hypothese deutlich näher: Proaktives Recruiting ist auch für Anfänger sehr leicht geworden, da man als Recruiter nur noch seine Stellenanzeige hochladen muss, diese eingelesen wird und man dann auf das Profil passende Kandidatenempfehlungen auf Knopfdruck bekommt. Professionelle Active Sourcer haben noch bessere Möglichkeiten, aber für die Anfänger macht diese Funktion den Start ins Active Sourcing sehr einfach.

Wie ist denn die Kausalität? Macht “proaktives Recruiting” das Recruiting insg. besser? Oder ist bei Unternehmen, die eh schon ein gutes Recruiting haben, die Neigung auch aktiv zu suchen einfach höher. Kann man das sagen?

Die Daten aus der Studie zeigen, dass Arbeitgeber, die ein überdurchschnittliches gutes Recruiting haben, deutlich häufiger proaktiv rekrutieren. Das allein ist ja noch keine Kausalität, sondern nur eine Koinzidenz oder eine Korrelation. Ob das Recruiting besser wird, wenn proaktiver rekrutiert wird kann so nicht beantwortet werden. Diejenigen Unternehmen, die proaktiver rekrutieren, melden allerdings eine deutlich höhere Qualität und Quantität bei den Bewerbern.

Wolfgang, letzte Frage… Blick in die Glaskugel: Wir sind uns ja einig, dass es in vielen Profilen auch zukünftig noch den klassischen Weg geben wird, sprich: Unternehmen postet Stellenanzeige und selektiert dann aus den eingehenden Bewerbungen – zumindest überall dort, wo es sich nicht um Mangelprofile handelt. Was schätzt du? Welchen Anteil wird Active Sourcing 2025 insg. am Recruitingvolumen insg. haben?

Wenn 2025 die demografische Entwicklung richtig zugeschlagen hat und der Fachkräftemangel das wirtschaftliche Überleben von Unternehmen bedroht, dann wird bei Fortschreibung der Entwicklung Active Sourcing der vorherrschende Recruiting-Kanal werden.

Ob das dann so aussieht wie heute, wage ich einmal stark zu bezweifeln. Ich wage mal eine andere Prognose: Wir werden auf der einen Seite deutlich mehr Profile von Menschen online haben (nehmen wir mal Facebooks 1,2 Mrd. z.B. mal fünf), d.h. fast alle Menschen in den industrialisierten und den Schwellenländern haben eine Online-Profil. Auf der anderen Seite werden wir praktisch alle Stellenangebote online haben (icjobs z.B. hat in Deutschland bereits 2,6 Mio Jobs online, Indeed ist aktuell weltweit der Platzhirsch). Wenn praktisch alle Profile online sind und praktisch alle Stellenangebote, dann schlägt die Stunde des intelligenten Matchings. Es kann durchaus sein, daß Fachvorgesetzte dann mit einer einfach zu benutzende Software das Matching selber durchführen und gefundene Profile dann an einen Kollegen – einen Recruiter? – weitergeben, dessen Aufgabe dann in der Kandidatenüberzeugung besteht.

Wir werden es sicherlich beide noch aktiv miterleben… Lieber Wolfgang, ich danke dir für das tolle Interview. Den Social Media Report 2013 kann man übrigens hier kostenfrei herunterladen.

Interview: Jo Diercks

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