Recruiting-Videos – und warum sich Ehrlichkeit auszahlt! Besonderes Fundstück: Rockende Oberfinanzbeamte…

Diese Woche steht für mich persönlich unter zwei Überschriften: Erstens Urlaub, den ich ob der Frühjahrsferien meiner großen Tochter so gut es geht versuche, auch einen solchen sein zu lassen. Zweitens das HR Barcamp, zu dem sich meine Frau und ich dann am Donnerstagmorgen aufmachen, um in Berlin die gefühlt 2/3-vollzählige HR-Suppe zum jährlichen Klassentreffen zu sehen…

Da aufgrund erstens und zweitens diese Woche das Bloggen ausnahmsweise mal zu kurz kommt (es waren ja in 2014 auch bislang erst 23 Beiträge…), habe ich unsere neue Praktikantin Irene Findenig gebeten, sich doch mal als HR-Bloggerin zu versuchen. Und weil Irene zum einen Psychologin ist und ihr infolgedessen das Konzept des Realistic Job Preview im gefühlten Gegensatz zu den allermeisten Personalmarketeers durchaus geläufig ist und weil sie selber aus der momentan so vielzitierten Generation Y kommt, hat sie sich gleich mal ein absolutes Trendthema vorgenommen – Recruiting-Videos!

Also Irene, deine Tapete!

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Vor ein paar Tagen veröffentlichte das Berliner Kommunikationsberatungsunternehmen Dr. ZitelmannPB GmbH eine spannende Studie zum Thema Recruiting-Videos.

In der Studie wurden Videos der DAX 30-Konzerne untersucht, mit denen diese potentielle Mitarbeiter anwerben wollen. Auch wenn es also vorrangig um Employer Branding geht, sprechen wir hier mal – wie die Autoren der Studie – von Recruiting-Videos.

Die gute Botschaft: Fast alle DAX 30-Unternehmen setzen Videos als Kommunikationsform ein. Die nicht so gute Botschaft: Von den 47 Videos ausgewerteten Videos der insgesamt 29 Unternehmen zeigte genau eines Anflüge von Aufrichtigkeit, indem nicht nur die ganzen (vermeintlich) positiven Aspekte des Unternehmens aneinandergereiht wurden, sondern auch auf vermeintliche Härten eingegangen wurde. Nur das Video des Bayer-Konzerns erwähnte offen, dass es dort natürlich zu Überstunden kommen könne.

Alle anderen Videos (die restlichen 98%) zeigen ausschließlich die positiven Seiten eines Unternehmens auf und können somit zumindest mal nicht mehr mit Glaubwürdigkeit bei potentiellen Bewerbern punkten, denn die werden sich wahrscheinlich was fragen? Genau! –

„Wo ist der Haken?“

Ein schönes Beispiel dafür, wie man es besser nicht macht, ist das Video der Oberfinanzdirektion Koblenz, die den Finanzsektor mit ihrem Video „Finanzverwaltung – Wir rocken!“ durch hippe Musik und tanzende Kollegen schon fast lächerlich wirken lässt. Die Oberfinanzdirektion Koblenz ist zwar kein DAX 30-Unternehmen, findet aber ob der – sagen wir mal – Besonderheit des Videos spezielle Erwähnung in der Studie.

Video_Oberfinanzdirektion_Koblenz

Hier das Video dann nochmal in voller (Bewegtbild-)Pracht:

Noch Fragen?

Dazu kommt, dass das Video nicht einmal richtig auf der Seite eingebunden wurde und von Youtube nach Ansehen des Videos andere “interessante” Videos vorgeschlagen werden – wie zum Beispiel „Kurt Krömer und das Finanzamt“, in dem der Comedian Finanzverwalter zum Narren hält und für die eigene Steuerbefreiung plädiert.

YoutubeEinbindung_Video_Oberfinanzdirektion_Koblenz

Ja, sehr wohlwollend kann man das als Humor auslegen. Da das hier aber kaum geplant, weil auch nicht planbar, gewesen sein dürfte, wirkt es nur unprofessionell.

Nun, ganz von dem Kaliber der Oberfinanzdirektion Koblenz sind die übrigen im Rahmen der Studie behandelten Videos nicht. Aber eines ist ihnen eben gemeinsam:

Realistic Job Preview: Fehlanzeige.

Irgendwie kann man ja verstehen, dass die Unternehmen – wie auch Bewerber im Vorstellungsgespräch – in einem möglichst guten Licht dastehen wollen und vor allem junge Menschen ansprechen wollen, aber ist das der richtige Weg?

Nein, denn gerade die veränderten Wertevorstellungen und Erwartungshaltungen einer Generation Y gegenüber ihren Arbeitgebern fordern Authentizität. Daher gehören neben positiven auch negative Arbeitgebermerkmale zum Kommunikationsinhalt.

Der Bayer-Konzern hat das schon ganz gut umgesetzt. Dadurch, dass das Unternehmen offen und ehrlich anspricht, dass es im Job auch mal zu Überstunden kommen kann – davon mal abgesehen, dass das heutzutage ja nichts Ungewöhnliches mehr ist –, kann der Bewerber auf Basis dieses authentischen Auftritts selbst entscheiden, ob das Unternehmen zu ihm passt oder nicht.

Interessant, aber eigentlich nicht sehr verwunderlich fand ich auch, dass Arbeitgeber alle mit den gleichen Benefits um ihre potentiellen Mitarbeiter werben. Dazu gehören

ein interessanter Job, gute Aufstiegsmöglichkeiten, nette Arbeitsbedingungen usw.

Na gut, wer will das nicht? Aber reicht das, um die richtigen Leute ins Boot zu holen? Da kommt dann sowas raus á la „ist mir doch egal, ob ich zu Samsung oder Apple gehe, die Jobs klingen beide interessant, nach Karriere und viel Geld“. So einen Bewerber wünschen sich dann aber weder Samsung noch Apple.

Aber womit kann man als Unternehmen sicherstellen, dass sich nur diejenigen bewerben, die sich auch mit dem Unternehmen identifizieren können? Genau – sie müssen ihnen die firmeninternen Werte näherbringen! Bei den untersuchten Videos in der Studie zielen allerdings nur 14% der beworbenen Benefits auf Firmenwerte ab, die das Unternehmen am Markt einzigartig machen.

Beworbene_Benefits_Recruiting_Videos

An dieser Stelle lohnt übrigens auch mal ein Blick in den Personalmarketingblog von Lutz Altmann, der dort unter der Überschrift “Das glaubt doch keine Sau!” ganz ähnlich lautende Befunde des Studienreports Bullshit? Bingo! der Kölner Markenberatung cuecon zusammenfasste…

In der Zitelmann-Studie kann man sehen, dass Aspekte, die die Unternehmenskultur betreffen, erst an fünfter Stelle kommen und nur von einem Drittel der Unternehmen tatsächlich genannt werden. Doch gerade mit diesen Werten kann sich ein Unternehmen am Markt von der Konkurrenz abheben.

Wie in einer Stellenanzeige würde man eigentlich auch in Recruiting-Videos erwarten, dass man erfährt, was das Unternehmen eigentlich vom Bewerber erwartet. Doch auch das ist zurzeit noch eher die Ausnahme als die Regel. In nur 14 der 47 untersuchten Videos werden konkrete Anforderungen an den Bewerber genannt und nur zwei der 16 genannten Anforderungen kann man auch wirklich überprüfen, nämlich Leistung und einen guten Realschulabschluss. Unter den restlichen 14 genannten Anforderungen sind Teamfähigkeit, Ehrgeiz, Motivation,… und welcher Bewerber würde wohl nicht behaupten, dass er diesen Anforderungen gerecht wird, wenn niemand das Gegenteil beweisen kann?

Wer sich etwas eingehender mit der Materie und den durch zahlreiche Studien nachgewiesenen Nutzen von Realistic Job Previews befassen möchte, der klicke hier.

Die Studie der Dr. ZitelmannPB GmbH (inkl. einer vollständigen Liste der untersuchten Videos) kann übrigens hier heruntergeladen werden.

Autorin: Irene Findenig.

6 Gedanken zu „Recruiting-Videos – und warum sich Ehrlichkeit auszahlt! Besonderes Fundstück: Rockende Oberfinanzbeamte…

  1. Interessanter Beitrag, den ich gerne noch ergänzen möchte.

    Das Ziel von Recruiting-Videos ist das Matching zu erhöhen. Man möchte also die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass man einen Mitarbeiter findet, der genau zum Unternehmen passt.

    Genau deshalb macht es auch keinen Sinn eine Scheinwelt zu inszenieren. Was nützt mir ein Mitarbeiter, wenn er unter falschen Voraussetzungen kommt? Er wird früher oder später das Unternehmen wieder verlassen.

    Ich produziere schon seit einigen Jahren professionelle Recruiting-Videos mit einem journalistischen Ansatz und habe mich auch zu dem Thema in meinem Blog auseinander gesetzt: Warum Authentizität wichtiger als Originalität ist.

    http://dreilandmedien.de/recruitingfilme-warum-authentizitat-wichtiger-als-originalitat-ist/

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