Play to Discover Your Knacks! Können Recruiting Games wirklich valide berufsbezogene Persönlichkeitsmerkmale messen?

Selektive Wahrnehmung hin oder her – das Thema “Recruiting Games” kann man momentan einfach nicht mehr übersehen. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendeine Zeitung oder Online-Portal darüber berichtet. Und wir reden dabei nicht über die Himmeldinger Brühwarm oder Special Interest Medien, die sich nur an ganz besondere Exoten wie Gamer oder Personaler richten; nein wir reden von ZEIT, SPIEGEL, FAZ, Süddeutsche etc. Jüngstes Beispiel: LEAD Digital (“Spielerisch zum Traumjob”).

Aktuell schreiben mein Kollege Dr. Kristof Kupka und ich an einem Buch mit dem Namen “Recrutainment – Spielerische Ansätze in Personalmarketing und -auswahl“, was so denn alles klappt im Laufe des Herbsts im SpringerGabler-Verlag erscheinen soll. Neben einer Definition des Begriffs und einer Analyse, was eigentlich die Triebfedern hinter der aktuellen Entwicklung hin zum “spielerischen Rekrutieren” sind (u.a. Gaming, Gamification, Generation Y, Authentizität und Passung), gehen wir darin vor allem eines an:

Unter zum Teil sehr reißerischen Überschriften wie „Daddeln fürs Vorstellungsgespräch” oder „Zocken für den Wunschberuf” begegnet einem nämlich immer wieder die Vorstellung, dass es sich bei Recrutainment um Spiele handelte, die auf wundersame Weise in der Lage seien, aus dem im Spiel gezeigten Verhalten valide Rückschlüsse auf die berufliche Eignung zu ziehen, um damit am Ende eine verlässliche Auswahlentscheidung zu begründen. Dies drückt sich dann in Fragen aus wie: “Wie wählen Sie denn nun mit dem Recruiting Game Kandidaten aus?” Frei nach dem Motto: “Wenn jemand im Computerspiel von der Klippe springt, dann ist er ja auch ein risikofreudiger Mensch…”. Diese etwas laienhafte Vorstellung ist per se schlichtweg falsch. Einen derartigen Zusammenhang als gesichert anzunehmen, setzt nämlich voraus, dass man diesen empirisch belegen kann. Heißt: Nur wenn ich nachweisen kann, dass im realen Leben risikofreudige Menschen überzufällig (also wiederholbar) in einem Spiel immer wieder den Weg “runter von der Klippe” wählen UND dies unter vergleichbaren Bedingungen geschieht, kann (wohlgemerkt: kann) unter Umständen der Schluss “Klippenspringer im Spiel = risikofreudiger Mensch im realen Leben” zulässig sein.

Nach meinem Kenntnisstand sind aber entsprechende wissenschaftliche Nachweise bislang ausgeblieben. Versuche wie “regatoo” sind nie so recht über das Stadium Experiment hinausgekommen. Spiele sind nämlich eigentlich per Definition “dynamische Umfelder”, Tests erfordern aber Vergleichbarkeit. Das Dilemma hat bereits vor einiger Zeit der renommierte Bochumer Eignungsdiagnostiker Heinrich Wottawa auf den Punkt gebracht:

Möchte man aber anhand der (Anmerkung der Redaktion: im Spiel) gezeigten Leistungen auf die Kompetenz der Teilnehmer schließen, lassen die unterschiedlichen (und unterschiedlich schweren) Situationen eines dynamischen Wettbewerbs keine vergleichende Aussage zu.

Das heißt: Recrutainment im Kontext von wirklichen Auswahltests (also zum Beispiel Online-Assessments) heißt nicht, dass Bewerbern hier ein Spiel vorgesetzt wird, hinter dem dann eine Art Geheimwissenschaft abläuft, die aus dem Spielverhalten valide Schlüsse, noch dazu auf Persönlichkeit, zieht. Per se sind Online-Assessments zunächst einmal keine Recrutainment-Applikationen, sondern Testverfahren. Die primäre Qualitätsbeurteilung von Online-Assessment-Verfahren erfolgt daher auch auf Basis der klassischen psychologischen Gütekriterien, deren Erfüllung für solche Verfahren allgemein gefordert wird (siehe DIN 33430).

Gleichwohl fällt ein großer Teilbereich des Online-Assessments in den definitorischen Rahmen des Begriffs Recrutainment, nämlich dann, wenn die Tests ansprechend, z.B. nach Maßgabe der jeweiligen Arbeitgebermarke, gestaltet sind, Informationselemente (z.B. über den jeweiligen Arbeitgeber) umfassen, simulative Elemente beinhalten und/oder zuweilen sogar in eine Art Rahmenhandlung eingebettet sind (“Storytelling”). Dann kann man von “recrutainten” oder “gamifizierten” Online-Assessments sprechen, Spiele werden diese dadurch aber nicht.

Soweit mal als Einstimmung… Nun schlug ich aber vergangene Woche den SPIEGEL (den gedruckten…) auf und da schaute mich ein Beitrag an über ein kalifornisches Startup namens Knack.it, das eben genau dies behauptet: Mit Hilfe von Spielen, in denen jeder Spielschritt analysiert wird, soll ein ausführliches Psychogramm des Spielers generiert werden. Wow! Das klingt interessant. Wir haben uns das dann gleich mal angeschaut…

Knack – Play to Discover Your Knacks.

Dahinter verbergen sich zwei Online Spiele (eines als App für iOS Geräte und das andere als Browsergame spielbar)

Die Seite scheint momentan noch im Aufbau zu sein, so sind zurzeit alle Reiter außer „News“ noch nicht erreichbar. Speziell der Reiter “Science” wäre aber natürlich mal hochinteressant… Die Anmeldung ist sehr simpel: Man trägt lediglich seine E-Mail Adresse ein und schon geht es los. Wir haben zunächst das Spiel „Balloon Brigade“ getestet, das man sich kostenlos im AppStore herunterladen kann, und haben das auf dem iPad gespielt.

Ziel dieses kurzweiligen Games ist es, kleine Pflänzchen, die an einem Strand wachsen, zu bewässern und vor kleinen und größeren Feuermonstern zu beschützen. Dies erreicht der Spieler, indem er oder sie Ballons mit Wasser befüllt (die bei Überbefüllung platzen) und diese dann auf die Pflanzen und Feuermonster wirft.

Dabei kann man dann Knacks sammeln – diese stehen wiederum für verschiedene Persönlichkeitseigenschaften. Im Spiel wird es so erklärt: „Each Knack describes something about you. Your strengths, talents, even your personality“. So soll man also mehr über seine eigenen Stärken herausfinden können.

Im Handling erinnerte uns Balloon Brigade stark an das extrem erfolgreiche Angry Birds. Nach Abschluss eines Levels kann man seine Bestzeit, erreichte Punktzahl und Sterne einsehen sowie – und darum geht es ja schlussendlich – seine erreichten „Knack data“ hochladen.

Nach mind. 20 durchspielten Leveln soll man sich dann auf der Seite seine Knacks, die aus dem Spiel abgeleitet werden, ansehen können. Erster Knack-Punkt mit den Knacks: Im Moment können diese basierend auf Balloon Brigade noch nicht eingesehen werden (O-Ton: „Knacks from playing Balloon Brigade are in the final stages of validation by our Science team and will be available soon. If you already played, please check back in a couple of days to see if yours are ready.”). Eher ungünstig in Anbetracht dessen, dass das Spiel im Appstore gerade damit beworben wird, dass man etwas über seine Stärken herausfinden kann. Die zurzeit recht schlechte Bewertung des Spiels liegt möglicherweise darin begründet.

Es bleibt aber auch ein weiteres Spiel, in dem man Knacks sammeln kann und zwar „Wasabi Waiter“, das als Browsergame direkt gespielt werden kann, wenn man bei knack.it eingeloggt ist.

Bei diesem Spiel schlüpft man in die zunehmend stressige Rolle eines Kellners in einem kleinen Sushi-Imbiss, der seinen Gästen immer möglichst das passende Gericht zu deren jeweiliger emotionaler Situation servieren soll. Diese äußert sich immer im Gesichtsausdruck des Gasts und dementsprechend muss das richtige Gericht angeklickt, gewartet und dem Gast serviert werden. Hat ein Gast aufgegessen muss der leere Teller dann noch in die Spüle gestellt werden. Je länger man die Gäste warten lässt, desto stärker sinkt ihre Zufriedenheit, die natürlich möglichst hoch gehalten werden soll. Zusätzlich muss natürlich jedem Gast auch das Gericht serviert werden, dass er oder sie auch bestellt hat.

Das Ganze erinnert stark an das Spiel “MyMarriott“, mit dem der Hotelkonzern auf Facebook “branded Berufsorientierung” betreibt. Kleiner aber entscheidender Unterschied allerdings: MyMarriott ist ein Orientierungsspiel und versteht sich nicht als “versteckter psychologischer Test”.

Zurück zum Wasabi Waiter: Mit zunehmendem Level steigt die Schwierigkeit, indem immer mehr Gäste gleichzeitig bedient werden müssen und zu den anfänglichen drei einfacheren Emotionen „happy“, „sad“ und „angry“ nach und nach weitere – für manche Menschen schwieriger zu erkennende – Emotionen hinzukommen und erkannt werden müssen („surprise“, „fear“, „disgust“ und „contempt“). Wenn man sich nicht sicher ist, kann auch das „any mood“ Gericht serviert werden (davon gibt es aber nur eine begrenzte Anzahl). Nachdem alle zehn Level abgeschlossen wurden, hat man seine Knacks zusammen und kann sie einsehen, wenn man das Browsergame wieder schließt. Bei uns kamen folgende „Knacks“ ans Licht:

Die Knacks werden in netten Farben mit kurzen Beschreibungen präsentiert und ein wenig findet man auch darin wieder – ABER: Das geht einem beim Horoskop oft auch so. Bei einigen der Eigenschaften kann man sich auch vorstellen, dass man diese aus dem Spielverhalten ableiten kann, aber WIE SEHR sind diese denn ausgeprägt? Aus der persönlichkeitspsychologischen Perspektive würde man davon ausgehen, dass man die beschriebenen Eigenschaften bei jedem Menschen, aber schlussendlich in unterschiedlichem Maße findet. Hier jedoch wird scheinbar nur zwischen „vorhanden“ und „nicht (so sehr) vorhanden“ unterschieden.

Weiterhin hinterlässt es dann doch schon ein komisches Gefühl, dass während des Spielens durch völlig undurchsichtige (weil nicht offen gelegte) Algorithmen auf die dahinterliegende Persönlichkeit geschlossen wird. Dies dürfte die Akzeptanz eines solchen Verfahrens für den Einsatz in der Breite deutlich schmälern.

Neben den aus dem Spielverhalten abgeleiteten Knacks gibt es noch weitere, wie wir es noch vor ein paar Tagen im eingeloggten Zustand auf der Seite lesen konnte. Zurzeit gelangt man jedoch nicht mehr auf die Übersicht der Knacks.

Packen wir diese ersten etwas komischen Eindrücke durch die noch nicht ganz fertig gestellte Internetseite und auch fehlenden Hinweise zum wissenschaftlichen Hintergrund der Knacks aber einmal beiseite:

Hier wird versucht anhand des Spielverhaltens in einer fiktiven Situation auf die berufsbezogene (!) Persönlichkeit zu schließen. Alleine dies mutet schon etwas weit hergegriffen an. So könnte es durchaus sein, dass ich im „Privaten“ ein „Thrill-Seeker“ bin, dies im beruflichen Kontext aber überhaupt nicht auslebe. Spiele, die – zumindest nach Augenschein – keinen oder nur sehr entfernten Bezug zur beruflichen Realität haben, dürften immer an dem Problem kranken, dass der Spieler sich eben auch nicht “wie im Beruf” verhält, sondern eben sein “Alter Ego”, sein Spiel-Ich auslebt, was ggf. bewusst gar nichts mit dem echten zu tun hat. Den Wasabi Waiter kann man hier sicherlich noch als “beruflichen Kontext” durchgehen lassen. Beim Befüllen von Ballons mit Wasser fällt es mir schon schwerer, diesen zu erkennen.

Optisch bringt dies eine Kampagne der Pflegeheimkette “Pflegen & Wohnen” in Hamburg sehr schön auf den Punkt: Auf Plakaten, die an vielen Stellen in Hamburg betrachtet werden können/konnten, wurde der Slogan inszeniert: Slogan „Machen Sie in Ihrer Freizeit, was Sie wollen… denn dann haben Sie auch im Alltag den richtigen Biss!“. Sinngemäß: Ihre privaten Vorlieben sind uns egal, Hauptsache Sie sind ein guter Altenpfleger…

Fazit

Ich will nicht ausschließen, dass man aus Spielverhalten Rückschlüsse auf Kompetenzen oder Wesensmerkmale ziehen kann, definitiv nicht. Auch ist der Ansatz, Eignungsdiagnostik zu “gamifizieren” definitiv richtig. Man spricht in diesem Zusammenhang inzwischen auch oft von “gamified Assessment”. Man muss allerdings aufpassen, dass man hierbei die sehr dünne Linie hin zur Pseudowissenschaft und Scharlatanerie nicht überschreitet. Solange man sich dabei erstmal “nur” im Bereich des SelfAssessments bewegt, also solange das vermeintliche Testergebnis nur dem Nutzer selber gezeigt wird, ist das nicht so dramatisch. Jeder kann für sich selber ja ganz gut einschätzen, ob man einen Test beispielsweise ernsthaft oder konzentriert bearbeitet hat, in welcher Stimmung man gerade war und ob man sich selbstehrlich oder nicht verhalten hat. Sowie aber vermeintliche und auf undurchsichtige Art und Weise gewonnene “Erkenntnisse” in irgendeiner Form auswahlrelevant werden, sprich: wenn ein Unternehmen darauf schaut und ggf. sogar eine etwaige Auswahlentscheidung darauf aufbaut, dann hängt die Messlatte an die Diagnostik erheblich höher.

Wer möchte schon, dass einem beispielsweise das fürsorgliche Kümmern um das frisch geborene Baby-Kalb bei Farmville am Ende als “zu weich für den Job des Investmentbankers” ausgelegt wird. Und: Wenn dieser Gedanke dann im Hinterkopf rumspukt, während man spielt, dann wird das Spielverhalten auch vom sog. Impression Management (also der Tendenz zum sozial erwünschten Verhalten) unterminiert und dadurch für valide Aussagen immer ungeeigneter…

Nun. Skeptisch sind wir, aber wir warten mal ab. Inwiefern die Knack Spiele es ermöglichen, tatsächlich Licht ins Dunkel der berufsbezogenen Persönlichkeit zu bringen lässt sich im Moment aus unserer Perspektive noch nicht so richtig bewerten. Mal sehen, was in Zukunft noch so an dieser Front passiert. Wir bleiben hier auf jeden Fall gespannt am Ball, ähm, Balloon…

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