Gewissenhafter, belastbarer und leistungsmotivierter! Positive Selbstdarstellung in Persönlichkeitstests: Beeinflusst der Auswahlkontext die sozial erwünschte Antworttendenz?

Hand aufs Herz: Wer hat noch nie eine Befragung oder ein Testverfahren so ausgefüllt, dass er sich selbst möglichst gut dargestellt hat?

Wenn mir mal ehrlich sind, werden wir gerade im Bewerbungskontext bemüht sein, unsere eigene Person in einem guten Licht darzustellen, um unsere Einstellungschancen zu erhöhen. Unterschieden werden kann dabei, ob es sich um eine ehrliche oder eine unehrliche Selbstdarstellung handelt (Bühl & Melchers, 2015). Sich in einem ehrlichen Sinne möglichst positiv darzustellen, bedeutet zum Beispiel, eigene Kenntnisse und Fähigkeiten besonders hervorzuheben und deutlich zu erwähnen. Also den bereits vorhandenen Staplerführerschein zu betonen, wenn man sich um eine Ausbildungsstelle zum Fachlageristen bewirbt. Unehrlich wird die Selbstdarstellung dagegen, wenn man beispielsweise Praktika im Lebenslauf erfindet oder seine Kompetenzen und Eigenschaften wesentlich besser darstellt als sie in Wirklichkeit sind. Vor allem in Fragebögen lässt sich über dieses unehrliche Verhalten (auch Faking genannt) recht schnell ein deutlich überzogenes Bild der eigenen Person zeichnen.

Diese Antworttendenz wird als soziale Erwünschtheit bezeichnet und wird vor allem im Zusammenhang mit Persönlichkeitstests* im eignungsdiagnostischen Auswahlkontext diskutiert. Unter diesem Begriff versteht man die möglichst positive Selbstdarstellung bzw. die erwartungskonforme Verfälschung der eigenen Antworten. Diese Antworttendenz ist stark davon abhängig, was das einstellende Unternehmen vermeintlich hören möchte (Rammsayer & Weber, 2010; Schuler, 2014). Selbst wenn man ein vollkommener unpünktlicher Mensch ist, sollte jedem klar sein, dass in der Ausbildung Pünktlichkeit erwartet wird. Insofern könnte man geneigt sein, sich pünktlicher (oder zuverlässiger) darzustellen, als man tatsächlich ist – in der Annahme, dass das auswählende Unternehmen darauf Wert legt.

Doch hat der Einsatzkontext tatsächlich einen Einfluss auf das Antwortverhalten in Persönlichkeitsfragebögen? Unterscheiden sich also die Antworten in Abhängigkeit dessen, ob es sich um eine Auswahlsituation handelt oder der Persönlichkeitsfragebogen in einem anderen Kontext ausgefüllt wird?

Hierzu gibt es bereits einige Arbeiten aus der psychologischen Forschung. Birkeland et al. (2006) analysierten in ihrer Metaanalyse 33 Studien, die sich dieser Frage widmeten, indem sie die Antworten aus Persönlichkeitsfragebögen mit Bewerbungskontext mit den Antworten ohne Bewerbungskontext verglichen. Die Metaanalyse ergab insbesondere für die Bereiche Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität höhere Werte in der Bewerbungssituation – und zwar unabhängig von der Art der Stelle, die besetzt werden sollte. Es scheinen also nicht alle Bereiche der Persönlichkeit gleich anfällig für soziale Erwünschtheit zu sein.

Weil wir uns so gerne mit Zahlen und Statistiken befassen, haben wir das Ganze selbst einmal genauer mit unseren Daten untersucht. Ausgewertet wurden die Ergebnisse aus dem berufsbezogenen Persönlichkeits-Inventar „JobPersonality“ von CYQUEST.

Im Vordergrund stand ein Vergleich der Daten zwischen zwei verschiedenen Einsatzszenarien: Zum einen im Rahmen der Personalauswahl (“Online-Assessment”) und zum anderen im Rahmen eines Self-Assessments.

Im ersten Einsatzkontext handelte es sich also um eine reale Auswahlsituation, in der sich die BewerberInnen um eine konkrete Stelle bewarben und die Ergebnisse einen Einfluss auf die Auswahlentscheidung hatten. Im zweiten Einsatzkontext wurden die Daten dagegen über ein Selbsteinschätzungstool gesammelt, bei dem die Ergebnisse nur den TeilnehmerInnen selbst zur Selbstinformation zur Verfügung standen und nicht im Rahmen der Personalauswahl verwendet wurden. Wenn der Einsatzkontext einen Einfluss auf das Antwortverhalten hat, dann sollte eine reale Auswahlsituation mehr Anlass bieten, sich selbst möglichst positiv darzustellen.

Die Auswertung von mehr als 200.000 Durchführungen zeigt eine klare Tendenz:

In allen acht Persönlichkeitsdimensionen des „JobPersonality“ fallen die Mittelwerte im Online-Assessment höher aus als im Self-Assessment. Im Personalauswahlkontext scheint also eine stärkere Neigung zur positiven Selbstdarstellung vorzuliegen. Die nach rechts verschobenen Mittelwerte liegen im Online-Assessment durchschnittlich 11 Punkte höher als im Self-Assessment. Bezogen auf die Skalenstreuungen des Self-Assessments sind dies Steigerungen von ca. 70 % für die Werte des Online-Assessments.

Das folgende Diagramm verdeutlicht die Unterschiede zwischen den Ergebnissen aus dem „JobPersonality“ in den acht Persönlichkeitsdimensionen:

Abbildung: Durchschnittliche Ergebnisse Self-Assessment (N = 113.725) vs. Online-Assessment (N = 122.590) aus dem „JobPersonality“. Hinweis: Zur Verdeutlichung ist die Skalendarstellung auf 50 bis 80 fokussiert (Gesamtskala 0 bis 100).

In welchen Persönlichkeitsbereichen wurde besonders sozial erwünscht geantwortet?

Die größten Unterschiede sind für die Dimensionen „Organisationsfähigkeit und Gewissenhaftigkeit“ sowie „Stressbewältigung und Anpassungsfähigkeit“ zu finden. Dies spricht dafür, dass sich Personen im Auswahlkontext deutlich gewissenhafter, organisierter sowie belastbarer darstellen als im Self-Assessment-Kontext. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen wie oben beschrieben auch Birkeland et al (2006). Auch die Mittelwerte für die Dimensionen „Leistungsmotivation“ sowie „Einfühlungsvermögen und Kontaktfähigkeit“ zeigen in unseren Daten große Unterschiede zwischen den beiden Einsatzkontexten.

In welchen Persönlichkeitsbereichen unterscheiden sich die Werte kaum?

Am ähnlichsten sind sich die Werte für die Dimension „Ideenreichtum und Offenheit“. Und auch bei der „Führungsmotivation“ unterscheiden sich die Mittelwerte nicht wesentlich. Ein möglicher Erklärungsansatz für diese geringen Unterschiede könnte sein, dass diese Persönlichkeitsmerkmale nicht als relevante Entscheidungsmerkmale im Auswahlkontext eingeschätzt wurden. Entsprechend antworteten die BewerberInnen auf diesen Dimensionen nicht besonders sozial erwünscht.

Einschränkend sei angemerkt, dass wir nicht dieselben Personen in beiden Kontexten erhoben haben und somit keine personengebundenen intraindividuellen Vergleiche erstellen können. Unsere Stichproben unterscheiden sich möglicherweise in ihren tatsächlichen Eigenschaftsausprägungen oder in ihrer Tendenz, sozial erwünscht zu antworten. Auch wenn die beschriebenen Befunde also keine Generalisierung zulassen, so geben die Ergebnisse doch einen Hinweis darauf, dass vor allem im Auswahlkontext eine größere Neigung zu einem sozial erwünschten Antwortverhalten bestehen könnte. Dagegen scheint in einem Self-Assessment das sozial erwünschte Antwortverhalten eine kleinere Rolle zu spielen.

Doch was heißt das jetzt für die Praxis und den Einsatz von Persönlichkeitstests?

Im Rahmen der Eignungsdiagnostik stellt soziale Erwünschtheit insofern ein Problem dar, als dass die individuelle Tendenz, sozial erwünscht zu antworten, zwischen den BewerberInnen unterschiedlich ausfallen kann und damit einen Einfluss auf die Rangordnung der BewerberInnen nehmen kann (vgl. z.B. Holden, 2008). Nehmen wir an, zwei Bewerber mit eigentlich identischem Persönlichkeitsprofil bewerben sich auf dieselbe Stelle und bearbeiten im Rahmen des Auswahlprozesses das gleichen Inventar. Wie eben beschrieben bestehen interindividuelle Unterschiede in der Tendenz, sozial erwünscht zu antworten. Bewerber 1 beantwortet die Items möglichst ehrlich. Bewerber 2 hingegen verfälscht seine Antworten zugunsten eines besseren Ergebnisses und erhält damit höhere Werte. In Konsequenz belegt er einen höheren Rangplatz als der erste Bewerber und hat bessere Chancen auf ein Stellenangebot, obwohl beide Bewerber eigentlich identische Voraussetzungen mitbringen.

Persönlichkeitsinventare sind dennoch eine wichtige Ergänzung für den Auswahlprozess und bieten einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn über die Eigenschaften der BewerberInnen. Sie sollten aber nie als alleiniges Instrument eingesetzt werden, sondern im Sinne des multimodalen Ansatzes immer um weitere valide Verfahren ergänzt werden. Auch macht es Sinn, die Ergebnisse aus den Persönlichkeitstests in Auswahlinterviews aufzugreifen und sich von den BewerberInnen konkrete Beispiele nennen zu lassen, wann und in welchen Situationen sie beispielsweise schon einmal besonders gewissenhaft gearbeitet haben. Aus den Beschreibungen lassen sich wertvolle zusätzliche Erkenntnisse gewinnen und die Validität der Ergebnisse kann besser eingeschätzt werden.

Quellen

Birkeland, S. A., Manson, T. M., Kisamore, J. L., Brannick, M. T. & Smith, M. A. (2006). A metaanalytic investigation of job applicant faking on personality measures. International Journal of Selection and Assessment, 14, 317-335.

Bühl, A.-K. & Melchers, K. G. (2015). Selbstpräsentation in der Personalauswahl. In S. Koch, M. Kersting & S. Weingarz (Hrsg.), Auf die richtigen Mitarbeiter kommt es an: Personaldiagnostik und ihre Anwendung (S. 187-199). Stuttgart: Deutscher Sparkassenverlag.

Holden, R. R. (2008). Underestimating the effects of faking on the validity of self-report personality scales. Personality and Individual Differences, 44 (1), 311-321. https://doi.org/10.1016/j.paid.2007.08.012

Rammsayer, T. & Weber, H. (2010). Differentielle Psychologie – Persönlichkeitstheorien. Göttingen: Hogrefe. http://doi.org/10.1026/02717-000

Schuler, H. (2014). Psychologische Personalauswahl – Eignungsdiagnostik für Personalentscheidungen und Berufsberatung. Göttingen: Hogrefe.

Autorinnen: Yasmin Fares und Svea Hasenberg

*Striktgenommen handelt es sich hierbei nicht um Tests, sondern um Inventare oder Fragebögen. Tests haben – wie bei Leistungstests – in aller Regel einen “Besser-Schlechter-Charakter” im Ergebnis, worum es bei der Betrachtung von Persönlichkeit ja nun gerade nicht geht. Darum unterscheidet die DIN 33430 auch Tests und Fragebögen.

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