Dass in einer Verbesserung der Vereinbarkeit ein Schlüssel zur Bewältigung, mindestens zur Linderung, des Arbeitskräftemangels liegt, dürfte inzwischen als gesicherte Erkenntnis gelten. Wenn also Kinder und/oder pflegebedürftige Angehörige nicht mehr zwingend dazu führen, dass man die eigene Arbeitskraft nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, steigt dadurch das verfügbare Erwerbspersonenpotenzial.
Eine bessere Vereinbarkeit wird den Arbeitskräftemangel natürlich auch nicht im Alleingang beseitigen können – dazu sind noch ein paar andere Dinge nötig – aber sie würde einen maßgeblichen Beitrag dazu leisten.
Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, dass zum einen Arbeitgeber die noch vorhandenen Betreuungslücken in Eigeninitiative (und EigenINTERESSE!) schließen (siehe hierzu etwa die kürzliche Meldung zur Rund-um-die-Uhr-Kita des österreichischen Industrieriesen Voestalpine) und zum anderen innovative Dienstleister entstehen, die entsprechende Angebote bereitstellen.
Ein sehr spannendes Startup in diesem Bereich ist das fränkische Unternehmen heynanny.
Und weil mich doch sehr interessiert, mehr über heynanny, die Motivation hinter der Gründung des Unternehmens und auch konkrete Cases zu erfahren, habe ich mir mit Julia Kahle einmal eine Hälfte des Gründerinnen-Duos zum Interview geschnappt.
Julia, wollen wir?
>>
Hi Julia, wenn man sich auf Eurer Website umschaut, dann springt einen förmlich der Begriff „Betreuungslücke“ an. Was ist aus eurer Sicht damit gemeint und vor allem, wie hilft heynanny, diese zu schließen?
Hi Jo, ganz genau um diese Betreuungslücken geht es uns mit heynanny – unserem Arbeitgeber Benefit für Wellbeing und maximaler Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
“Betreuungslücken” sind alle unbetreuten Zeiten unserer Kinder oder auch unserer pflegebedürftigen Eltern, die am Ende bei uns für mentalen Stress, organisatorische Hürden und auch dafür sorgen, dass wir unseren Job nicht mehr (vollumfänglich) machen können. Klassiker Beispiel ist aktuell der morgendliche Anruf vom Kindergarten “Wir sind heute zu“ Das ist leider schon zur Normalität geworden und kostet Unternehmen Millionen im Bereich der Produktivität und hinsichtlich Personalausfall. Dafür gibt es mit unserem Nanny-Portal für kurzfristige und regelmäßige Betreuung endlich die Lösung. Unser Employee-Self-Service wird direkt von den Mitarbeiter:innen genutzt, die sich ein individuelles Betreuungssytem aufbauen können. Unternehmen können die Betreuung dann sogar mit Steuervorteilen noch bezuschussen.
Ihr zwei Gründerinnen, Anna und du, kommt ja beide aus dem Corporate HR-Umfeld. Was hat euch zu Unternehmerinnen gemacht und inwiefern hat Euch möglicherweise auch die HR-Tätigkeit in Konzernen konkret auf diese Geschäftsidee gebracht?
Unser HR-Background hat sicherlich am Ende unser Produkt und den Service maßgeblich beeinflusst. Wir haben beide in unseren alten FK-Funktionen Benefits eingekauft und unter anderem Recruiting und Employer Branding in verschiedenen Branchen sehr genau studiert. Das hilft zu wissen, was den Unterschied macht, um letztlich wirklich genutzt zu werden und auch gute Kommunikations-Bausteine zu liefern. Der Aufwand bei der Implementierung unseres Benefits für die HR-Abteilungen liegt im Schnitt unter 4 Stunden. Auch das war uns wichtig – Anna und ich wissen beide, dass HR meist keine zusätzlichen Kapas mehr hat.
Unsere Ursprungsidee kommt aber durch den privaten Nebenjob von Anna. Sie war 12 Jahre nebenbei als Babysitter in USA, Österreich und hier bei uns beschäftigt und hat eine riesige Chance in diesem wunderbaren Job gesehen. Nur die Rahmenbedingungen und fehlenden Trust-Prüfungen sind ein echter Pain. Genau diese Punkte haben wir ja in unserem Produkt maßgeblich geändert. Ich selber bin während der Pandemie aus meinem Corporate-Job gesprungen, weil ich ohne Betreuung mit 2 Vollzeitjobs zuhause und 2 Homeschooling-Kindern gescheitert bin. Das war es mir nicht mehr wert. Anna und ich haben uns genau in dieser Phase über das Female Leadership Netzwerk PANDA getroffen und beschlossen, dass wir gemeinsam was ändern wollen.
Momentan lamentiert im Prinzip die gesamte Wirtschaft über Fach- und Arbeitskräftemangel. Mal abgesehen davon, dass man diese Entwicklung seit Jahren ziemlich genau vorhersagen konnte (was unsere „Bubble“ ja auch fleißig getan hat, freilich ohne wirklich gehört oder ernstgenommen zu werden…😉), warum könnte in einer besseren Vereinbarkeit ein Schlüssel zur Bewältigung eben jenes Arbeitskräftemangels liegen?
Zum einen geht es schlicht um das Vorhandensein der Arbeitskraft. Aktuell fehlen deutschlandweit bereits 400.000 Kita-Plätze, Tendenz steigend. Es gibt gerade jede Menge Studien (u.a. OMR5050) die den Zusammenhang von Vereinbarkeitsthemen und Fachkräftemangel untersucht haben. Was logisch ist, wer keine Betreuung für seine Kinder hat, kann auch eher schlecht bis gar nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Aktuell noch ein sehr weibliches Thema, wobei gefühlt auch immer mehr Väter vor dieser Herausforderung stehen.
Zum anderen will jedes Unternehmen auch Employer of Choice sein und versucht gerade händeringend den Unterschied zu machen. Mitarbeiterbindung und Loyalität hat nach der Pandemie gelitten – die Wechselbereitschaft ist gerade so hoch wie nie. Daher geht es gerade auch überall darum, mal die Mitarbeiter:innen zu fragen, was sie eigentlich wirklich umtreibt und was die MUST-HAVE Benefits sind. Dazu gibt es auch eine sehr interessante Kununu-Studie aus dem letzten Jahr. 46% der Arbeitnehmer erwarten von ihrem Arbeitgeber Benefits und Unterstützung im Family – und Work/Life-Bereich.
Nochmal konkret zurück zu Eurem Angebot: Ihr bietet oder konkreter: „vermittelt“ ja im Prinzip Betreuungsdienstleistungen, damit sich „MitarbeiterIn“ auch der beruflichen Tätigkeit widmen kann. Habt Ihr dazu vielleicht mal einen schönen Case aus der Praxis, der aufzeigt, dass dies auch gelingt?
Korrekt, das trifft es auf den Punkt. Wenn ich neben meinem eigentlichen Job zum Beispiel in Remote mein 4-jähriges Kind nebenbei betreuen muss, weil morgens der Kindergarten anruft und sagt “heute können wir leider nicht” dann heißt das in der Praxis: Ich muss meine Calls umschmeißen, schauen, dass genug Luft ist dazwischen, dass ich was zu Essen machen kann, Kind evtl. zwischendurch hinlegen und schauen, dass es nicht 5 Stunden lang nur Quatsch im TV anschaut. Je kleiner die Kids desto aufwändiger. Arbeitszimmertür zusperren hilft da in keinem Fall und auch mega tolerante Kollegen nur bedingt. Fakt ist doch – der Stressfaktor steigt und ich bin weniger produktiv, gleichzeitig habe ich vermutlich auch ein nicht ganz so glückliches Kind nebenbei.
Das ist einer der daily cases – das Beispiel Kindergarten hat zu ist leider sehr alltagsnah für sehr viele Eltern geworden. Dann kann ich einfach über uns 2-3 Stunden eine Nanny buchen über uns, die mal was bastelt, Essen macht und für “Luft” und “Entspannung” sorgt. Meine wichtigen Calls kann ich in der Zeit auch bündeln und mal was abarbeiten.
Used Cases und Anwendungsfälle unseres auch kurzfristig verfügbaren Nanny Portals gibt es aber sehr viel mehr. Klassiker ist auch sich regelmäßige Zeitslots zu überbrücken – Kita schließt um 15/16 Uhr und ich muss eigentlich bis 18 Uhr im Office sein. Dann kann meine Nanny z.B. direkt beim Kindergarten meine Kinder einsammeln und nochmal auf den Spielplatz gehen oder direkt zu mir nach Hause und dort Abendbrot vorbereiten. Wichtig ist – mit uns baut man sich ein Support System auf, mit immer den gleichen Nannys, die man dann auch im Notfall buchen kann. Auf diese Weise haben die Kinder vertraute Personen um sich und auch Notfälle lassen sich leichter überbrücken.
Für den Bereich Elderly Services sprich konkret Alltagsbegleiter für die eigenen familiennahen Angehörigen funktioniert das im Prinzip ähnlich. Da wir den Bereich gerade erst in der Pilotierungsphase haben, sind dort weniger Used Cases vorhanden. Mal nach den eigenen Eltern sehen, die ggf. nicht in der gleichen Stadt leben oder die ich nicht oft genug selber besuchen kann und eine schöne Zeit gestalten mit Vorlesen, gemeinsam kochen und bei den täglichen Dingen helfen. Das ist es aber im Kern und entlastet mehr als man von außen denkt.
Sind eure KundInnen dann gehetzte Eltern, die sich etwas Luft für die Arbeit verschaffen wollen, oder bieten das vor allem Unternehmen ihren MitarbeiterInnen als Benefit?
Ich würde mal sagen – Beides. Natürlich können Mitarbeiter:innen sich auch außerhalb der Arbeitszeiten alle privaten Freiheiten wie Sportslots oder gemeinsames Essen-Gehen als Paar ermöglichen und unseren Nanny-Service jederzeit spontan und individuell nutzen. Da wir als modernes und digitales Benefit nicht mehr wie eine Old-School Agentur arbeiten, geht nichts übers Telefon oder braucht lange Absprachen, Wartezeiten o.ä. Eltern könne quasi abends am Sofa noch übers Handy alles “klar machen”.
Im Benefitprogramm machen wir uns allerdings auch sehr gut – der Trend den wir sehen, geht gerade dahin, genau zu schauen welche Benefits wirklich gewollt und genutzt werden. Alte Ladenhüter werden daher auch mal aussortiert und durch Tools ersetzt, die man tracken kann und die zeitgemäß sind.
Zum Schluss würde ich gern das Bild nochmal etwas größer aufziehen: In einer besseren Vereinbarkeit von Betreuung und beruflicher Tätigkeit liegt sicher einer der Schlüssel zu Linderung des Arbeitskräftemangels. Aber allein wird dadurch wird sich das Problem wohl auch nicht lösen lassen. Was sind aus deiner Sicht weitere Stellschrauben, an denen wir als Gesellschaft, in den Unternehmen und ggf. jeder für sich selbst drehen müssen?
Gute Vereinbarkeit lebt aus meiner Sicht von maximaler Flexibilität und offener Kommunikation. Ich muss so sein dürfen, wie ich bin und meine Vereinbarkeitsthemen auch nicht vor der Office-Tür abgeben. Führung in Teilzeit, flexible Arbeitszeiten und Orte, Bezahlung nach Zielen und nicht nach Zeit und vor allem Role Models könnten den Unterschied machen. Männer und Frauen, die dafür stehen, dass Care und Job zusammen passen muss…
Liebe Julia, ich danke dir für das hochinteressante Interview! Ich drücke Euch und heynanny ganz fest die Daumen für eine steile Wachstumskurve. Ich werde das im Blick behalten…
Danke, Jo, hat Spaß gemacht!
<<