Es ist inzwischen mittlerweile fast auf den Tag genau vier Jahre her, dass ich in einem kurzen Blogbeitrag den Gedanken bzw. die Frage formuliert habe, ob irgendwann der Bot mit dem Bot aushandelt, wer eingestellt wird.
Ich meine, wir reden momentan überall und ständig darüber, welche intelligenten Tools Unternehmen im Rahmen ihrer Personalgewinnung einsetzen könnten/sollten/müssten, um diese zukunftsfähig zu machen. Der Hysterietreiber hinter dieser Debatte: Natürlich künstliche Intelligenz und alles was damit zusammenhängt oder man – oft laienhaft – darunter versteht oder verstehen will.
Dabei wird leider viel zu oft ausgeblendet, dass die Unternehmen bei der Personalgewinnung aber nicht allein sind. Das zu gewinnende Personal redet hierbei nämlich ein beträchtliches Wörtchen mit!
Denkt man also die momentan von vielen – laienhaft – formulierte Vision einer „Recruiting-KI“, bei der der Robo-Recruiter alle Auswahlschritte vollautomatisch übernimmt, zu Ende, dann wäre es ja vollkommen naiv zu glauben, dass die Bewerberseite nicht genauso aufrüsten wird.
Und genau für diese These mehren sich die Beispiele:
- Forschern der Uni Toronto ist es gelungen – mit KI – einen Privacy-Filter zu entwickeln, der es Gesichtserkennungssoftware unmöglich macht, Gesichter zu erkennen. Für das menschliche Auge bleibt das Bild unverändert, für die Gesichtserkennungs-KI hingegen ist das durch den Filter manipulierte Bild ein vollkommen anderes geworden…
Wenn also ein Unternehmen etwa auf die Idee kommt, Gesichtserkennungs-Software einzusetzen, um irgendwelche Schlüsse über die jeweilige Person (Bewerber…?) zu ziehen, dann kann sich diese Person durch solche Filter nicht nur der Erkennung entziehen, sondern natürlich auch die zu ziehenden Schlüsse im eigenen Sinne manipulieren…
- Ein Frontend-Entwickler – wir nennen ihn mal Kevin – hat einen Chatbot entwickelt, der in seinem Namen das Gespräch mit Recruitern bzw. Sourcern führen soll.
Wenn also ein Sourcer eines Unternehmens diesen Kevin kontaktiert, um ihm einen Job schmackhaft zu machen, dann darf er sich erstmal mit Kevins Chatbot austauschen. Wenn es gut läuft, wird er später vorgelassen…
Wenn das Unternehmen selber Chatbots einsetzen wird, um Kandidaten zu kontaktieren oder zu „prescreenen“, dann kann es sein, dass sich hier dann zunächst zwei Bots miteinander unterhalten…
- Spracherstellungs- und -veränderungs-Software wie Adobes VoCo ist in der Lage jedwede Sprachnachricht zu erstellen – mit der Stimme eines echten Menschen. Der Unterschied zu dem vom Menschen gesprochenen Wort ist hierbei nur noch äußerst aufwendig mit Hilfe von – ebenfalls sehr fortschrittlicher – Forensik-Software festzustellen.
Man nennt Software wie VoCo daher auch oft „Photoshop für Sprachdateien“. Wenn nun also ein Unternehmen Sprachanalyse-Software wie PRECIRE einsetzt, wo eine KI eine 15-minütige Sprachprobe eines Kandidaten auswertet und so vermeintlich auf dessen Persönlichkeit schließt, dann kann der Kandidat einfach eine mit VoCo erstellte und entsprechend „designte“ Sprachprobe abgeben und so die Analyse komplett verzerren oder sogar in seinem Sinne manipulieren.
Das Hauptargument der Anbieter von Sprachanalyse-Software (nämlich dass diese als projektive Verfahren nicht manipulierbar seien), wird komplett ad absurdum geführt.
Und die gleiche Problematik stellt sich nicht nur bei Sprachanalyse-Software. Über sogenanntes „Face-Reenactment“ geht das sogar mit Bewegtbild (wobei sogenannte „Deepfakes“ entstehen). Wenn nun also Anbieter von Video-Interview-Software wie HireVue damit werben, dass sie mittels KI aus Gestik und Mimik eines interviewten Kandidaten auf dessen Persönlichkeit schließen können, dann lohnt vorab mal ein Blick in dieses Video und man fängt an, sich so seine Gedanke zu machen…
- Ein weiteres Beispiel erreichte mich heute – Kudos für den Tipp an Constantin Gillies: Die KI-basierte Software „CV Compiler“ verändert den Lebenslauf eines Bewerbers so, dass er besonders gut zum jeweiligen Unternehmen passt. Nein, hier muss ich präziser werden: Dass er besonders gut zu der KI passt, die auf Unternehmensseite den Lebenslauf bewertet.
Hier setzt dann also der Bewerber eine KI ein, die ein Ergebnis produziert, dass der KI auf der Unternehmensseite möglichst gut gefällt…
Kann man Rattenrennen eigentlich gewinnen?
Tja, die Beispiele muten zunächst alle etwas skurril an. Aber man kommt unweigerlich zu dem Schluss, dass sich hier ein Rattenrennen entwickeln könnte.
Gablers Wirtschaftslexikon definiert „Rattenrennen“ als
Wettbewerbsprozesse, in denen Ressourcen verschwendet werden, weil die erzielten Mehrerlöse die steigenden Einsätze der Rivalen nicht aufwiegen.
Nun, als Rivalen würde ich Bewerber und Kandidat zwar nicht bezeichnen wollen, aber das etwaige Aufrüsten auf Unternehmensseite wird unweigerlich zu einem Aufrüsten auf Bewerberseite führen. Und das kann wiederum dazu führen, dass der durch KI erhoffte Erkenntnisgewinn auf Unternehmensseite gar nicht eintritt. Zumindest dann, wenn die KI gar nicht den Menschen, sondern die von diesem Menschen eingesetzte KI analysiert.
Ein solches Rattenrennen wäre ebenfalls kaum zu gewinnen…
Wie man in den Wald rein ruft … 😉
Davon abgesehen bin ich für gleiches Recht für alle!😜
Sehr schöner BlogBeitrag, Henrik. 👍
Lustig ist es schon diese Vorstellung das sich zwei Chatbots Stunden lang unterhalten und nichts raus kommt dabei. :-)
Blind dates ohne irgendein ROI ;-) Wahnsinnige Zeitverschwendung ! Oder Therapie für Arbeitslose.
Guter Beitrag !
hage genau, ich kann es mir nur vorstellen, wie witzig es aussieht!