Der „War for talent“ ist eingeläutet und Unternehmen müssen, beziehungsweise sollten sich heutzutage mehr Gedanken darum machen, wie sie geeignete Bewerber ködern können.
Im Zuge meiner Bachelorarbeit zum demografischen Wandel in Unternehmen untersuche ich unter anderem, wie sich die Zusammenarbeit der verschiedenen Generationen am Arbeitsplatz gestaltet. Stichwort: Kampf oder Kooperationen der Generationen? Bisher hat die Recherche folgendes Bild ergeben: Junge, gut qualifizierte Arbeitnehmer aus der Generation Y sind sich ihrer Kompetenzen und ihren vielfältigen Handlungsoptionen durchaus bewusst. Denn ein potenzieller Arbeitgeber ist eben nur EIN potenzieller Arbeitgeber unter vielen… Dementsprechend wird diese Generation als eher anspruchsvoll wahrgenommen.
Aber sind die traditionellen Stellenausschreibungen noch das richtige Mittel, um solche passenden Bewerber einzustellen? In einigen Stellenausschreibungen existiert tatsächlich nur die Rubrik „Wir erwarten von Ihnen“ gefolgt von einer Auflistung von mindestens 10 Eigenschaften (von maximaler Praxiserfahrung zu den üblichen Bestnoten bis hin zu fließenden Standard-Sprachkenntnissen in Deutsch, Englisch und gerne auch Mandarin)…
Da fühlt man sich im Unternehmen doch gleich willkommen!
Nein, im Ernst: Das lockt wohl eher die wenigsten Top-Bewerber hinter dem Ofen hervor. Anstatt immer nur zu fordern, sollten diese Firmen, meiner Meinung nach, auch etwas zu bieten haben: Zum Beispiel Einblicke in den neuen Arbeitsbereich, die Räumlichkeiten oder auch mal dem Aufenthaltsraum vorab. Wieso nicht mal Fotos der neuen Arbeitskollegen online stellen? Ich konnte mir beispielsweise einige meiner zukünftigen Kollegen schon unter „Wer bloggt hier?“ anschauen, das war sehr hilfreich :-). Und warum nicht mal mit offenen Karten spielen und gleich das Gehalt mit in die Stellenausschreibung schreiben? Klingt nach Zukunftsmusik? Wohl kaum, denn diesen spannenden Ansatz der maximalen Transparenz verfolgt das Unternehmen Buffer.
Screenshot von Buffer: Vorstellung des Unternehmens
Für Nicht-Eingeweihte: Buffer ist ein Unternehmen mit einer momentan gut sechzig Mann starken Crew (Tendenz steigend), welches verschiedene soziale Medien und Kanäle für Unternehmen oder auch Privatpersonen betreut. Da geht es dann beispielsweise darum, Beiträge auf Facebook oder Twitter dann zu posten, wenn die Aufmerksamkeit der User und Follower maximal ist (und nicht gerade wieder Kim Kardashian versucht, das Internet zu sprengen ;-)) . Obgleich Buffer erst seit 2010 existiert, haben sie sich nach eigenen Angaben bereits einen Kundenstamm von über 3 Millionen Menschen erarbeitet.
Alle happy?
Wie schon erwähnt, ist ein Überblick über die potenziellen neuen Kollegen immer hilfreich und auch Buffer scheut sich nicht, seine Mitarbeiter in Szene zu setzen. Da finden sich beispielsweise keine Kundenbetreuer, sondern gleich „Happiness Heros“. Hoffentlich wird die Übersetzung der Position auch gerecht, da Buffer seine Stellenausschreibungen bewusst offen hält, sodass auch Bewerber, die sich nicht direkt in einer Stellenanzeige wiederfinden, sich zu einer Bewerbung ermutigt fühlen. Hier ein Ausschnitt der verschiedenen Teammitglieder, die sich alle einzeln vorstellen:
Screenshot von Buffer: Vorstellung der Teammitglieder
Wie viel verdient eigentlich so ein Happiness Hero?
Und hier bekommt man gleich einen Einblick, wie transparent Buffer wirklich ist: Wie oben bereits angekündigt, kann man sich sein zukünftiges Gehalt gleich ausrechnen lassen. Ganz persönlich zugeschnitten auf die Position, den Erfahrungsgrad und den Standort der Arbeit (wobei Buffer ja eher weniger auf feste Büros setzt). Zusätzlich dazu kann man sich dann entscheiden zwischen einem Extra Bonus von 10.000$ oder einer Option auf mehr Aktienanteile. Mit welcher Gewichtung weitere Faktoren in das Gehalt eingehen, findet man auch komplett aufgeschlüsselt hier unter https://open.buffer.com/transparent-salaries/.
Screenshot von Buffer: Transparenter Gehaltsrechner
Mir hat es offensichtlich die Stelle als Happiness Hero angetan…Mary aus San Francisco verdient als Happiness Hero allerdings über 92.000 $, was Buffer praktischerweise auch gleich auf seiner Seite aufgeschlüsselt hat (samt Gehalt des Geschäftsführers und Gründer Joel Gasciogne)! Damit lässt es sich doch aushalten…
Screenshot von Buffer: Gehälter der Mitarbeiter
Hallo neue Kollegen!
Wenn man sich auf der Buffer-Seite befindet, fühlt man sich teilweise, als würde man Fotos einer Klassenfahrt betrachten. Da ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, dass Buffer selbst von seiner „journey“ mit seinem Team spricht… . Ein Indiz, dass sich das Tagesgeschehen bei Buffer größtenteils um soziale Medien dreht, ist vielleicht auch das obligatorische Katzenfoto ;-):
Screenshot von Buffer: Teammitglieder
Und was passiert dann, wenn man es tatsächlich in das Buffer-Team geschafft hat?
Erstmal wird man ins Bootcamp geschickt. Wer jetzt allerdings denkt, dass einen Liegestütze und morgendliche Laufrunden im Schlamm erwarten, liegt falsch: Es handelt sich hierbei um eine sechswöchige Probezeit, bei der sich „wie beim Dating“ beide Seiten beschnuppern und schauen, ob sie eine (Arbeits-)Beziehung eingehen wollen.
Begrüßt wird man hierbei durch eine extrem wertschätzende E-Mail, in der man an Bord willkommen geheißen wird. Da wird auch nicht mit Komplimenten gespart und der neue Buffer-Bootcamper wird gleich als schlau, inspirierend und einfach „awesome“ bezeichnet.
Screenshot von Buffer: Auszug aus der Begrüßungsmail
Und wenn ein Experiment mal misslingt…
Buffer beschreibt auch frei heraus, inwiefern sie mit alternativen Führungsstilen experimentieren. Dabei haben sie beispielsweise zunächst viele Hierarchien „geebnet“ und zwischenzeitlich das Management fast komplett abgeschafft. Allerdings schreibt Buffer auch, dass sie als Resultat des Versuchs das Mentoring beispielsweise wieder eingeführt haben. Der Umgang mit diesen „Experimenten“ zeigt jedoch auch, wie offen Fehler bei Buffer kommuniziert werden: sowohl intern als auch an die Kunden.
Joel Gascoigne, der aktuelle CEO, zieht aus dieser Versuchsphase den Schluss, dass Struktur und Hierarchie nicht gleichzusetzen sind. Weise Worte, kann ich da nur sagen!
Es gilt also: Transparenz ja; Abschaffung sämtlicher leitender Positionen und Instanzen: nein.
Wer jetzt noch nicht genug von Buffer hat, der sei an dieser Stelle gerne an den Blogbeitrag von Melanie Petersen von t3n hingewiesen.
Alle wissen alles?
Noch ein paar Schritte weiter geht das Unternehmen Qualtrics, ein privates Software- und Marktforschungsunternehmen, was Daten für große Firmen sammelt und analysiert.
In ihrem Artikel beschreiben Ryan Smith (einer der Gründer) und Golnaz Tabibnia, inwiefern die totale Transparenz für Firmen nützlich sein könnte. Die Philosophie hier ist, dass diese Art der Nachvollziehbarkeit für die Mitarbeiter Abhilfe bei „distractions, fears and negativity“ schafft. Ein Allheilmittel also gegen alles, was der Konzentration der Mitarbeiter potenziell im Wege stehen könnte. Diese Gleichung stelle ich mir dann so vor:
Komplette Transparenz innerhalb des Unternehmens = Glückliche Mitarbeiter = Produktive Mitarbeiter = Umsatz für das Unternehmen.
So ist es dort auch nicht unüblich, dass jeder einzelne Mitarbeiter Zugriff auf die persönlichen Wochenziele seiner Kollegen oder deren Erfolgsgeschichten hat und auch kleinen Pannen miterleben kann (gleich mit passenden Notizen, was man sich abschauen kann oder was man lieber lassen sollte).
Das Ziel ist hier sicher auch, Mitarbeiter anzuspornen, das Beste bei der Arbeit aus sich herauszuholen. Denn nicht nur die Bewerber sind anspruchsvoll geworden: Das transparente Vorgehen beim Gehalt und bei der Kommunikation der Arbeitsleistung soll sicher auch zeigen, was für Mitarbeiter möglich ist und wie es bestenfalls weitergeht.
Und die Nebenwirkungen eines gläsernen Mitarbeiters?
Die Frage, die sich mir hier stellt, ist allerdings nicht, ob alle heutzutage alles wissen können (denn dass das möglich ist, beweist Qualtrics ja), sondern vielmehr, ob alle Angestellten auch alles wissen MÜSSEN, um ihren Job erledigen zu können…
Nun kann ich natürlich nur über die Feedback-Kultur des Unternehmens spekulieren, aber mich persönlich würde diese Art der Transparenz doch eher unter Druck setzen, als mich produktiver werden lassen.
Zum einen würde ich mich irgendwie beobachtet fühlen: Nur, dass einem in diesem Fall nicht nur die Vorgesetzten, sondern auch alle Kollegen über die Schulter schauen. Zum anderen hätte ich auch das Gefühl, dass ich mich nicht nur über den Fortschritt der Projekte informieren müsste, sondern auch hinsichtlich des aktuellen Statusberichts meiner Kollegen immer up-to-date sein sollte. Und wenn ich da hinterherhinke, bekomme ich dann vielleicht direkt einen Notizzettel mit dem Tipp, dass ich bestimmt ganz viel von meinen Kollegen lernen könnte und mich deshalb doch bitte wieder schleunigst informieren sollte…
Mag auch sein, dass ich da übervorsichtig bin: Vielleicht hätte ich auch einfach nicht Anfang 2015 „ The Circle“ von Dave Eggers lesen sollen ;-)
Fazit
Buffer geht sehr erfolgreich auf die Bedürfnisse der Generation Y ein: Instant-Feedback-Kultur, Wertschätzung von Anfang an, möglichst viel Selbstbestimmung, starker Medienauftritt, alles gepaart mit der lebendigen Start-Up-Atmosphäre. Und das spiegelt sich auch in den Zahlen wider: Zwischen 2015 und 2016 hat sich der Kundenstamm von 2 auf 3 Millionen gesteigert. Diese beeindruckenden Zahlen können sicher zumindest teilweise auch auf die firmeneigene Transparenzphilosophie zurückzuführen sein, die einher mit den (natürlich ebenfalls öffentlich zugänglichen) Firmenwerten gehen.
Sollten also ab morgen alle Manager der deutschen Unternehmen ihr Gehalt twittern? Für mich gilt immer noch: andere Firmen, andere Sitten.
Ich persönlich glaube, dass jetzt nicht jedes Unternehmen seinen Kunden „Happiness Heros“ zur Verfügung stellen muss, um erfolgreich zu sein oder gar alle Mitarbeiter untereinander über so ziemlich alles zu informieren, was sich erfassen lässt wie bei Qualtrics. Aber es kann bestimmt nicht schaden, sich eine gehörige Scheibe von Buffers Transparenzphilosophie und Experimentierfreudigkeit abzuschneiden und das in den eigenen Firmenalltag zu integrieren.
Da bekommt man doch einen sympathischen Eindruck von Buffer. Denke auch ein das ein Umdenken und transparenter Umgang durchaus angebracht sind in diesem Bereich.
Solch eine umfassende Transparenz selbst beim Gehalt hätte ich von keinem Unternehmen erwartet und bin positiv überrascht. Zu einem gewissen Teil hat diese beispiellose Transparenz bestimmt auch die Bekanntheit von Buffer weiter gesteigert. Inwieweit die Auflistung von Gehältern die Produktivität in anderen Unternehmen steigern könnte, weiß man natürlich nicht. Der Grundgedanke, dass Unklarheiten zu Ablenkungen führen, ist aber nachvollziehbar. Und was die Offenheit der eigenen Arbeitsprozesse betrifft, so hat es wohl viel mit dem Arbeitsklima zu tun, ob man sich damit wohl fühlt. Wenn alle Mitarbeiter wirklich zusammenarbeiten wollen und sich untereinander gut verstehen und helfen, sind Fehler schnell vergessen und lösen auch keinen Druck aus. Bei viel Neid, Missgunst etc untereinander würde das aber wohl schon ganz anders aussehen.