Ready for Justus? – Justus-Liebig-Universität Gießen bietet Online-Self-Assessment (OSA) für Studieninteressierte

Wieder einmal bin ich über einen Google Alert auf ein interessantes Tool in der Online-Studienorientierungs-Landschaft der Hochschulen aufmerksam geworden:

Unter dem schönen Slogan „Ready for Justus?“ bietet die Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen seit kurzem ein SelfAssessment an, mit dem man einen Abgleich zwischen den eigenen Fähigkeiten und Interessen und den Anforderungen einzelner Studiengänge vornehmen kann. Konzipiert und zusammengestellt wurde das Self-Assessment-Angebot der Universität Gießen von der Abteilung Psychologische Diagnostik der Universität Gießen unter der Leitung von Professor Dr. Martin Kersting. Bislang gibt es eine Variante für die Studienfächer Physik und Wirtschaftswissenschaft. Zur Benutzung muss man sich zunächst einmalig mit Benutzernamen, E-Mailadresse und selbst gewähltem Passwort registrieren.

Die Module

Die Online-SelfAssessments bestehen aus folgenden Teilen:

  • Erwartungsabgleich
  • Interessentest
  • Fähigkeitstest
  • Persönlichkeitstest (genannt „Verhaltensweisen und Gewohnheiten“)
  • Fachspezifische Aufgaben (nur für Physik)
  • Feedback

Im Erwartungsabgleich werden Aussagen präsentiert, z.B.

„Die Orientierungsphase zu Beginn des Studiums liefert einen Überblick über die Breite des Studiengangs.“,

denen man entweder zustimmen oder sie ablehnen kann (ja/nein), anschließend folgt dann immer eine direkte Auflösung mit einem erklärenden Text. Ein bisschen hart finde ich die direkte Rückmeldung, ob die eigene Antwort „falsch“ (rote Schrift) oder „richtig“ (grüne Schrift) war, schließlich geht es hier um Erwartungen, wo es ja zuweilen Zwischentöne geben mag.

Der Interessentest besteht aus 48 Items mit Tätigkeiten für die jeweils auf einer 5-stufigen Skala eingeschätzt werden muss, wie gerne man die Tätigkeit ausführt. z.B.

„langfristig arbeiten bis ein Resultat erreicht ist“.

Die Auflösung zu diesem Test erhält man erst nach Durchlaufen des kompletten SelfAssessments.

Im Fähigkeitstest werden verschiedene Bestandteile aus klassischen Leistungstests miteinander kombiniert und so z.B. Aufgaben zu verbaler und numerischer Kompetenz sowie figuralem Denken und insgesamt die Fähigkeit zum logischen Denken überprüft – das ganze unter leichtem Zeitdruck. Leider stehen diese Aufgaben in keinem Bezug zum jeweiligen Studienfach, was allerdings zugegebenermaßen für ein standardisiertes Testverfahren natürlich auch extrem aufwändig wäre.

Beispielaufgabe Fähigkeitstest SelfAssessment JLU

Auf den Abschnitt „Fähigkeiten“ folgt ein Testverfahren in dem Verhaltensweisen und Gewohnheiten erfasst werden sollen, womit schlussendlich Persönlichkeitseigenschaften gemeint sind. Hier soll für 29 Aussagen angegeben werden, inwieweit diese auf einen zutreffen.

Interessentest-Items SelfAssessment JLU

Zwischen den Testmodulen werden vereinzelt noch kurze Informationstexte präsentiert, in denen einmal der Studienort und an anderer Stelle der Studiengang beschrieben wird.

Zumindest für das Fach Physik kann man etwas weiter hinten im SelfAssessment noch konkrete Aufgaben zu physikalischen Fragestellungen bearbeiten, für die es auch immer eine unmittelbare Auflösung und Erläuterung gibt, sodass man sich hier auch ein bisschen „ausprobieren kann“.

Für das Fach Wirtschaftswissenschaften fehlen solche Aufgaben leider (noch), entsprechend erfährt man in diesem Fall wenig über konkrete inhaltliche Anforderungen des Studiums.

Physikaufgabe SelfAssessment JLU

Das Feedback erfolgt ganz zum Schluss

Jeweils nach Abschluss der einzelnen Module wird erhoben, wie sehr einem der Test bei der Studienentscheidung geholfen hat. Wir fanden das etwas ungünstig, weil das Feedback zu den Tests (bis auf das zum Erwartungsabgleich und zu den konkreten Physikaufgaben) erst gebündelt zum Schluss des SelfAssessments erfolgt.

Eine Einschätzung jedoch wie hilfreich ich etwas fand, kann ich aber ja erst abgeben wenn ich eine irgendwie geartete Rückmeldung erhalten habe, besonders wenn die meisten Testmodule inhaltlich erst einmal sehr wenig mit dem eigentlichen Studienfach zu tun haben.

Aber nun zum Feedback:

In Bezug auf meine Interessen werden die drei Bereiche präsentiert, die bei mir besonders stark ausgeprägt sind (in meinem Fall: unternehmerisch, intellektuell-forschend, systematisch-regelgeleitet). Diese umfassen immer einen kleinen Beschreibungstext, was Personen mit einem hoch ausgeprägten Interesse in diesem Bereich gerne mögen und inwiefern Interessen in diesem Bereich wichtig für das betreffende Studium sind. Wie groß die Ausprägung schlussendlich ist, kann man leider nicht ablesen und es wird auch keine Vergleichsmöglichkeit zu einer Referenzgruppe angeboten. Probehalber habe ich alle Items einmal mit „wenig Interesse“ beantwortet (Stufe 2 auf der fünfstufigen Skala) und trotzdem wurden mir wieder drei Interessenbereiche präsentiert, die bei mir am höchsten ausgeprägt sind (in diesem Fall: praktisch-technisch, intellektuell-forschend und künstlerisch-sprachlich). Das erscheint auf den ersten Blick nicht selbsterklärend, aber ich werde Martin Kersting dazu auf der Marburger OSA-Tagung im September einfach mal fragen…

In Bezug auf den Aufgabenblock „Fähigkeiten“ gibt es eine kurze Erläuterung, warum logisches und schlussfolgerndes Denken wichtig für das jeweilige Studium sind und anschließend einen Satz mit einer Einschätzung, wie leicht dies einem fällt. Beim „Durchklicken“ war meine Leistung hier natürlich (und nur deswegen ;-) nicht besonders gut.

Was mir gefällt ist, dass das Feedback trotzdem weich formuliert ist und Handlungsmöglichkeiten aufzeigt, wie man ein Studium trotzdem bewältigen kann.

Feedback SelfAssessment JLU

Im Feedback zum Aufgabenblock „Verhaltensweisen & Gewohnheiten“ werden die jeweils erhobenen Merkmale bzw. Persönlichkeitsdimensionen beschrieben und textlich darüber informiert, wie stark das Merkmal bei einem ausgeprägt ist.

Man findet hier die Dimensionen des bewährten Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeitspsychologie wieder. Leider fehlten mir auch hier Informationen zu Referenzgruppen und zusätzlich ist nicht erkennbar ob „im oberen Bereich“ schon die höchste Stufe darstellt– sprich wie viele Ausprägungen hier differenziert werden.

Per Klick können dann noch zusätzliche Informationen zu den Persönlichkeitsmerkmalen abgerufen werden. Hier wird dann weiter erläutert, in welcher Form die jeweilige Persönlichkeitsdimension wichtig für den Studiengang ist und eine gewisse Gewichtung vorgenommen. Diese Gewichtung geschieht jedoch nur auf zwei Stufen: sehr bedeutsam vs. bedeutsam (aber nicht so wie die anderen…). Legt man die Gewichtungen für die beiden Studiengänge nebeneinander entsteht folgendes Bild:

Physik Wirtschaftswissenschaften
Gewissenhaftigkeit sehr bedeutsam sehr bedeutsam
Emotionale Stabilität sehr bedeutsam sehr bedeutsam
Offenheit bedeutsam bedeutsam
Extraversion bedeutsam bedeutsam
Verträglichkeit sehr bedeutsam bedeutsam

Man erkennt, der einzige Unterschied liegt aus Sicht der JLU darin, dass Verträglichkeit in einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium etwas weniger bedeutsam ist als bei einem Physikstudium. Aber eigentlich ist ja scheinbar alles irgendwie wichtig.

Hier stellte sich mir die Frage nach dem Erkenntnisgewinn, den ich aus diesem Verfahren für meine Studienentscheidung ziehen kann. Wenn ich also in Bezug auf meine „Emotionale Stabilität“ eher im niedrigeren Bereich läge, sollte ich das Studium gleich lassen? Wo bleibt dann die Vielfalt? Macht es das Studium und eigentlich auch das Leben nicht gerade interessant, dass unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinandertreffen?

Stichwort Testökonomie

In beiden SelfAssessments kommen die gleichen Testmodule „Interessen“, „Fähigkeiten“ und „Verhaltensweisen & Gewohnheiten“ zum Einsatz. Möchte man beide SelfAssessments durchlaufen, macht man die Tests also zweimal. Dies reduziert die Testökonomie. Hier wäre es schön, wenn man die Ergebnisse aus dem einen SelfAssessment auf das andere übertragen könnte, die dann ja im Feedback je nach betreffendem Studiengang noch einmal anders interpretiert werden. Für den Interessentest wäre natürlich auch ein Matching auf das gesamte Studienangebot der JLU eine tolle Sache, so wie es z.B. die HAW Hamburg macht.

Online-Informationen der JLU gesamt betrachtet

Aber genug der kritischen Worte. Das Online-SelfAssessment ist nur ein Teil des wirklich schönen Online-Informationsangebots für Studieninteressierte auf der Internetseite der JLU.

Ask Justus JLU

Ausgehend von den Fragen, die die meisten Studieninteressierten bewegen, werden unterschiedliche Informations- und Hilfsangebote präsentiert. So verbirgt sich unter der Überschrift „Warum die Uni Gießen?“ allerlei Interessantes zum Studienort als solches, z.B. ein Imagefilm, Links zu verschiedenen Angeboten in der Stadt und was so alles auf dem Campus los ist. Eine tolle Sache, wenn man bedenkt, dass der Studienort auch ein wichtiges Kriterium bei der Studienwahl darstellt (Willich, Buck, Heine & Sommer, 2011).

Standort JLU

Hinter den anderen Fragen stehen dann Infotexte und Links zu weiterführenden Informations- und Beratungsangeboten und schließlich auch zum eigentlichen Bewerbungsprozess. Die für mich in diesem Zusammenhang spannendste Frage war natürlich „Was will und kann ich studieren?“. Hier verbirgt sich noch einmal eine Weiche:

  • Ich weiß nicht genau, was ich studieren will – Tipps zu Studienwahl und Entscheidung
  • Ich weiß schon genau, was ich studieren will – Finden Sie Ihren Studiengang an der JLU!

Per Klick auf den ersten Punkt, gelangt man zu einer sehr schönen interaktiven Grafik, die verschiedene wichtige Punkte bei der Studienwahl aufgreift und dazu einlädt, sich durchzuklicken und mit den verschiedenen Punkten zu beschäftigen.

interaktive Grafik Studienorientierung

Beim Klick auf den zweiten Punkt gelangt man schließlich auf eine Seite von der man einerseits die komplette Studiengangsliste der JLU sowie hochschulkompass.de (die Seite der HRK, die dann ja wiederum einen studienfeldübergreifenden Interessentest bietet) aufrufen kann und schließlich auch das eingangs beschriebene, neue SelfAssessment-Angebot der JLU.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die JLU ein vielfältiges Online-Informationsangebot bereithält, das vor kurzem mit dem SelfAssessment durch einen grundsätzlich sinnvollen und gelungenen Baustein ergänzt wurde. Dieses könnte man vielleicht an der ein oder anderen Stelle durch ein paar Bilder, Videos und weitere Informationen zum eigentlichen Studium auflockern. Weiterhin wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, die eignungsdiagnostischen Testmodule (Fähigkeiten, Interessen, Persönlichkeit) in einen übergeordneten Kontext zu setzen, um ein doppeltes Bearbeiten zu vermeiden.

Wir sind in jedem Fall gespannt, welche Studienfächer in Zukunft ein eigenes SelfAssessment bekommen werden!

Auf jeden Fall scheint Gießen aktuell ein Hotspot der OSA-Erstellung zu sein. In Kürze startet an der benachbarten THM (Technische Hochschule Mittelhessen) ein Online Self-Assessment („Campus Tour“) für die Studiengänge Architektur und Bauingenieurwesen. Wir werden berichten…

Ein Gedanke zu „Ready for Justus? – Justus-Liebig-Universität Gießen bietet Online-Self-Assessment (OSA) für Studieninteressierte

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