Autor: Jo Diercks.
Der letzte Beitrag im Recrutainment Blog zu Fliplife ist nun tatsächlich schon eine ganze Weile her. Ende April letzten Jahres berichtete ich darüber, dass mit der E-Plus Gruppe das dritte reale Unternehmen eine virtuelle “Karriere” innerhalb des Social Games anbietet. In der Zwischenzeit haben die Fliplife Gründer rund um Ibo Evsan das Unternehmen an den Kölner Flashgames Publisher KaiserGames verkauft, was allerdings nicht zwingend eine Meldung für den Blog war.
Nun allerdings gibt es mal wieder etwas durchaus szenerelevantes zu berichten. Vor ein paar Tagen startete nämlich mit dem Wirtschaftsprüfungs-Giganten Ernst&Young das nach Bayer, Daimler und eben E-Plus vierte namhafte Unternehmen seinen Auftritt innerhalb von Fliplife – den Kurzzeit-Auftritt von Media-Saturn anlässlich des Absolventenkongresses 2011 zähle ich mal nicht mit. Den Start von Ernst&Young hatte ich zwar schon im März 2012 als “demnächst” angekündigt, aber naja, der Begriff ist ja dehnbar… ;-)
Wie sieht das aus? Nun, der eigentliche Auftritt selber ist schnell erzählt.
Die Karriereleiter der Wirtschaftsprüfung klettert man empor durch das Bearbeiten von Projekten. Das sind zu Beginn Einzelprojekte der eher “niederen” Art (“Schreibe alles mit” oder “Besuche unsere Messe”), und nimmt dann im Zeitverlauf im Anspruch zu.
Leider – das ist und bleibt mein zentraler Kritikpunkt an der Kommunikationsleistung von Fliplife für Personalmarketing- oder Employer Branding-Zwecke – besteht der eigentliche “Anspruch” der Projekte auch wieder nur darin, auf “Projekt beitreten” zu klicken und dann zu warten.
Dieses aus vielen Social Games bekannte Click&Wait Prinzip führt recht schnell dazu, dass der Spieler sich nicht mehr wirklich inhaltlich mit dem jeweiligen Projektinhalt befasst, sondern nur noch “klickt” und während er “wartet” etwas anderes tut. Dadurch wird sehr viel Potential verschenkt, weil sich die spielerische Bearbeitung von Projekten ja eigentlich sehr gut dafür eignen würde, zentrale Arbeitgeberbotschaften zu vermitteln oder Einblicke in konkrete Tätigkeiten zu gewähren (“Realistic Job Preview“). Ob Ernst&Young auch Quizzes mit Surffragenlogik einsetzt, also Aufgaben, zu deren Bearbeitung man aktiv eine Lösung suchen muss, habe ich jetzt noch nicht ergründen können, weil ich erst einmal nur zwei Level in die Karriere hineingespielt habe. Sinnvoll wäre es allemal…
Natürlich ist auch Ernst&Young mit einem Arbeitgeberprofil nebst Verlinkung zur Karriere-Website und den diversen Auftritten in Social Media vertreten.
Also, was halten wir fest?
Neben unternehmensindividuellen Recrutainment-Applikationen wächst auch die Bedeutung unternehmensübergreifender Plattformen wie Fliplife weiter. Mit Bayer, Daimler, E-Plus und E&Y sind ja nicht irgendwelche Feld-, Wald- und Wiesenfirmen dabei.
Warum ist das so?
Weil sich hierin die Chance verbirgt, dass sich User sehr niederschwellig, ausdauernd und fortlaufend mit dem Unternehmen und dem was es tut befassen. Um eine Fliplife-Karriere einmal komplett durchzuspielen ist man nämlich durchaus einige Wochen oder sogar Monate regelmäßig beim Unternehmen “zu Gast” (virtuell natürlich). Dabei befasst man sich fortlaufend mit den Themen, die das Unternehmen in das Spiel integriert hat. Es gibt nicht viele Werbeformen, die etwas annähernd gleichwertiges von sich behaupten können… Zudem profitieren die teilnehmenden Unternehmen hier vom Marketing der Plattform und auch von der Sogwirkung der anderen teilnehmenden Firmen, denn man muss ja eben nicht selber die User auf das Spiel bringen. Somit besteht die Chance, andere Zielgruppen zu erreichen als diejenigen, die einen “eh schon im Evoked Set haben”.
Dass ich trotzdem inzwischen etwas ernüchtert bin über die Bedeutung von Fliplife für diesen Zweck liegt schlicht und ergreifend daran, dass ich das Click&Wait Prinzip letztlich für gänzlich ungeeignet halte, wirklich inhaltliche Auseinandersetzung (und damit auch einen Lerneffekt) zu generieren. Ich habe alle “reale” Karrieren bei Fliplife komplett durchlaufen – von Bayer, Daimler und E-Plus. Ich kann mich dennoch kaum wirklich an irgendeines der teilweise über 100 Projekte und Teilprojekte inhaltlich erinnern. Das ist Ausdruck der überschaubaren Leistung meiner Synapsen oder aber der nicht hinreichenden neuronalen Signalwirkung des externen Stimulus; dies zu beurteilen überlasse ich mal dem Leser… :-)
Fliplife hat einmal großes Interesse erzeugt, der neue Versuch, Recruitainment spielerisch im Web anzubieten, er war diese Beachtung auch wert.
Die Wende kam, und das war an Click- und Userzahlen deutlich zu bemerken, als die Begründer sich nicht in der Lage sahen, kommunikativ den Ansprüchen an ein Recruitainment-Tool nicht mithalten konnten und sich entschieden, das Game “spielerischer” zu machen, was darin gipfelte, dass der Firmengründer den Spielern Stinktiere ins Lager legte, und damit eigentlich deutlich machte, dass er weg war von der Idee Recruiting oder Crowdsourcing …
Click&Wait kann durchaus auch ok sein … wenn man denn in der Lage ist, das Wait für die Kommunikation und Information zu nutzen. Indem man aber Stinktiere und zerbrochene Spiegel als Spaßfaktor brachte, ging man den genau entgegengesetzten Weg, weg von einer Klientel von Interessenten an anspruchsvollen Karrieren in gehobenen Unternehmen.
Warum sich E&Y für die Präsenz in Fliplife entschieden hat, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Nach all diesen Änderungen, nach der Abwanderung von Kunden (weniger als 6000 Spieler ist ja nun wirklich keine erwähnenswerte Reichweite) und nach den kommunikativen Glanzleistungen auch der neuen Besitzer erscheint mir eine Präsenz bei Fliplife nicht gerade eine Erfolgsidee zu sein.
Dazu kommt die Präsentation. Grafiken wiederholen sich, so dass sich die Projekte optisch nicht voneinander abheben, die Texte waren in den früheren Berufen pfiffig, ideenreich und ansprechend, kommen bei E&Y aber als trockene Dreizeiler daher. Weder grafisch noch textlich noch von der Kreatitivät her kommt der E&Y-Beruf so daher, als habe man sich nur einen Bruchteil der Mühe gemacht, die man früher mal reingesteckt hat, einen Sponsor im Spiel darzustellen.
Und nun ist E&Y auch noch mit einem 2. Beruf vertreten, dem Steuerberater. Klingt zunächst freundlich den Spielern gegenüber, noch mehr Vielfalt zu bieten, aber irgendwie ist der Steuerberater eine Kopie des Wirtschaftsprüfers. Teilweise gleiche Projekte, Grafiken und Texte zeugen eben nicht davon, dass man viel Mühe reingesteckt hat.
Fliplife hat in 2011 toll gestartet, die Idee war gut. Dann war man dem Anspruch “Social Media” nicht gewachsen, indem man die Interaktion immer mehr beschränkte, und vereinfachte das Game zu reinem Click&Wait mit dem spielerischen Element der Stinktier-Verteil-Option …
Die Idee war gut. Aber ein wirkliches Recrutainment-Werkzeug braucht nicht nur faszinierte und begeisterte Spieler, sondern im anbietenden Unternehmen auch Menschen, die kommunikativ dem Anspruch des Recrutainment gerecht werden können und Menschen, die die Liebe zu ihrem Produkt nicht nur als Werbegag hochhalten, sondern die auch wirklich leben.