Eignungsdiagnostik kompakt: Was sagen Noten über Intelligenz? Und sind sie ein guter Prädiktor für Berufserfolg?

Eine Analyse zum Stand der Wissenschaft.

Im Zuge einer objektiven, möglichst vorurteilsfreien Personalauswahl spielt Intelligenz eine wichtige Rolle bei der Prognose von Berufserfolg. Gleichzeitig werden in der aktuellen Diskussion zur Personalauswahl und der Effizienz verschiedener Auswahlmethoden Zeugnisse bzw. Noten zunehmend kritisch gesehen.

Zuerst wäre die Frage zu klären, ob Intelligenz überhaupt ein signifikantes Auswahlkriterium für Berufserfolg ist? Da ist sich die Forschung ziemlich einig: Ja, ist es. Kaum ein anderes Konstrukt leistet für sich genommen und auch in Kombination mit anderen Verfahren einen so großen Aufklärungsbeitrag hinsichtlich des Berufserfolgs wie Intelligenz.

Hierzu gibt es zahlreiche Studien und Meta-Studien, die den Zusammenhang nachweisen konnten (s. hierzu z.B. https://blog.recrutainment.de/2020/01/14/warum-man-intelligenz-in-der-personalauswahl-testen-sollte-weil-die-beweislage-so-erdrueckend-ist/)

Wie stark ist nun aber die Korrelation von Noten und Intelligenz? Was sagt die Forschung?

Grundsätzlich korrelieren Schul- und Hochschulnoten in einem moderaten bis starken Maß mit Intelligenz. In verschiedenen Studien wurde dieser Zusammenhang untersucht, wobei die Höhe der Korrelation je nach Bildungsebene, Testtyp und Bildungssystem variieren kann.

Untersucht wurde der Zusammenhang in diversen Studien sowohl hinsichtlich Schulnoten als auch Hochschulnoten. Ganz aktuell passt dazu auch die Meta-Analyse von Van Iddekinge et. al. aus dem Journal of Applied Psychology, die die Vorhersagegüte von Schul- und Hochschulnoten für Berufserfolg untersucht, nicht aber den konkreten Zusammenhang mit Intelligenz.

  1. Grundlegende Korrelation:
    Allgemein wurde in Meta-Analysen eine Korrelation von etwa r=0,5 bis r=0,7 zwischen Intelligenz und schulischen Leistungen festgestellt, was auf einen signifikanten, aber nicht allein bestimmenden Zusammenhang hindeutet. Diese Korrelation ist jedoch niedriger, wenn nur auf Hochschulnoten geschaut wird. Intelligenztests und standardisierte Schulleistungstests messen Aspekte wie analytische Fähigkeiten und Problemlösungen, die auch in den Schulleistungen eine Rolle spielen, aber keine absolute Übereinstimmung aufweisen.
  2. Studien zu Schulnoten:
    • Eine Studie von Deary, Strand, Smith und Fernandes (2007) untersuchte die Korrelation zwischen Intelligenzquotienten und schulischen Leistungen in einer Stichprobe von über 70.000 Schülern in Großbritannien. Die Studie zeigte eine Korrelation von rund r=0,81 zwischen dem IQ im Alter von 11 Jahren und den schulischen Leistungen mit 16 Jahren. Dies war jedoch in Bereichen wie Mathematik deutlich höher als in Fächern wie Kunst oder Musik.
    • Eine Meta-Analyse von Roth et al. (2015) untersuchte die Korrelation zwischen Intelligenz und akademischen Leistungen und fand eine durchschnittliche Korrelation von r=0,54. Diese Korrelation war bei jüngeren Schülern stärker, da hier das Lernen noch stärker von Grundfähigkeiten wie Problemlösungsfähigkeit und analytischem Denken abhängt.
  3. Studien zu Hochschulnoten:
    • Eine Meta-Analyse von Kuncel, Hezlett und Ones (2004) über 127 Studien zeigte eine Korrelation von etwa r=0,35 bis r=0,45 zwischen IQ und Hochschulabschlüssen. Diese Korrelation ist geringer als in der Schule, was teils auf den Einfluss anderer Faktoren wie Motivation, Selbstdisziplin und spezifische Fachinteressen zurückzuführen ist, die für den Erfolg im Studium stärker relevant sind.
    • Eine weitere Studie von Chamorro-Premuzic und Furnham (2003) legt nahe, dass Hochschulnoten stärker von Persönlichkeitsfaktoren wie Gewissenhaftigkeit beeinflusst werden, was bedeutet, dass Intelligenz zwar wichtig, aber etwas weniger entscheidend ist bzw. stückweit überkompensiert werden kann.
    • Die Meta-Analyse von Poropat (2009) untersuchte neben Intelligenz auch Persönlichkeitsmerkmale und deren Einfluss auf akademische Leistungen. Poropat fand, dass Gewissenhaftigkeit einen fast genauso starken Einfluss wie Intelligenz auf die Noten hatte, insbesondere an der Universität. Intelligenz war zwar relevant, aber Faktoren wie Disziplin und die Fähigkeit zur Selbstorganisation spielten zunehmend eine Rolle, was die Korrelation zwischen IQ und Noten etwas relativiert.
    • Die Meta-Analyse von Richardson, Abraham und Bond (2012) mit über 70.000 Studenten zeigte, dass Intelligenz ein wichtiger, aber nicht der wichtigste Faktor für den Erfolg im Studium war. Sie fanden, dass andere Fähigkeiten wie Lernstrategien und emotionale Faktoren wie Prüfungsangst einen vergleichbaren Einfluss hatten. Die Korrelation zwischen Intelligenz und akademischen Leistungen im Studium lag bei etwa r=0,30 bis r=0,50, wobei Faktoren wie Gewissenhaftigkeit und Motivation sogar eine höhere Korrelation aufwiesen.
  4. Interpretation der Korrelation:
    Diese Studien zeigen, dass Intelligenz ein signifikanter Prädiktor für schulische und akademische Leistungen ist, aber nicht der einzige. Während Intelligenztests Fähigkeiten wie logisches Denken und Problemlösung messen, die oft schulischen Anforderungen zugutekommen, wird der akademische Erfolg auch stark von nicht-kognitiven Faktoren wie Motivation, Ausdauer, Lernverhalten und sozialen Einflüssen beeinflusst.

Umgekehrt lässt sich also sagen, dass gute oder sehr gute Schul- oder Hochschulnoten keine direkte Aussage über Intelligenz zulassen und zudem schwer vergleichbar sind. Als alleiniges oder dominierendes Merkmal für die Prognose zukünftigen Berufserfolges sind sie daher nicht gut geeignet.

Zusammenfassung der weiteren Erkenntnisse:

  • Die Korrelation zwischen Intelligenz und schulischen Leistungen ist stärker bei jüngeren Schülern und in bestimmten Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaften.
  • Persönlichkeitsmerkmale wie Gewissenhaftigkeit und Motivation haben einen vergleichbaren Einfluss auf die akademische Leistung, insbesondere in der Hochschulbildung.
  • Nicht-kognitive Faktoren wie Lernstrategien und emotionale Stabilität wirken ebenfalls als Prädiktoren für den akademischen Erfolg.

Was bedeutet das nun für die Personalauswahl?

  • Auch wenn gute Noten stark mit Intelligenz korrelieren, ist es in jedem Fall ratsam, dieses wichtige Merkmal mit einem objektiven, reliablen und validen kognitiven Leistungstest zu erheben. Der zeitliche Aufwand für die Bewerbenden ist akzeptabel (unter einer Stunde) und der finanzielle Aufwand für den Arbeitgeber auch (12,50 bis 25 € je Test).
  • Noten sind kaum vergleichbar. Die Heterogenität an Abschlüssen (sowohl für die Fachhochschul- als auch für die Hochschulreife als auch für die verschiedenen Bachelor- und Masterabschlüsse) erlaubt keinen direkten Vergleich. Hier gibt es zwar sehr gute Ansätze, die Abschlussnoten vergleichbar zu machen (CASE-Score für Hochschulnoten), dennoch ist ausreichende Reliabilität in der Regel nicht vorhanden.
  • Wichtig ist zudem der soziale Aspekt. Kinder von akademisch gebildeten Eltern erreichen weit überdurchschnittlich wahrscheinlich einen akademischen Abschluss gegenüber Kindern aus Familien ohne akademischen Abschluss (vgl. Informationen zur politischen Bildung Nr. 354/2023). Zudem korreliert auch das Familieneinkommen hoch mit dem Schul- und Hochschulabschluss. Vor diesem Hintergrund bieten wissenschaftlich fundierte Verfahren zur Messung der kognitiven Leistungsfähigkeit eine interessante Möglichkeit, interessante intelligente Bewerbende zu entdecken, die auf Basis von Schulzeugnissen nicht erkannt worden wären.

Das Thema der abnehmenden Bedeutung bzw. des abnehmenden Interesses von suchenden Unternehmen ggü. Schulnoten im Azubi-Recruiting ist zuletzt auch in der Presse wiederholt erschienen. Stattdessen werde stärker auf Online-Tests, Probearbeiten und Praktika gesetzt. So berichtete auch die Agentur für Arbeit vor gar nicht allzu langem, dass zunehmen andere Merkmale bei der Auswahl von Auszubildenden an Bedeutung gewannen.

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