Webbasiertes Matching-Verfahren: Wissenschaftlich fundierte Messung von Cultural Fit – der “Kulturmatcher” ist fertig!

Es ist mittlerweile ziemlich genau zweieinhalb Jahre her, dass ich in einem Blogartikel die Frage formulierte, ob “Unternehmenskultur und -werte das nächste große Ding in Recruiting und Employer Branding” werden würden…

Wir hatten damals das Gefühl, dass sich der Grundcharakter der Personalgewinnung immer stärker von der Überprüfung der Eignung hin zur Frage der Passung entwickelt. Auch damals war es nämlich schon so, dass man eigentlich keinen Personaler antraf, der der Aussage, dass ein Kandidat “ins Unternehmen passen” müsse, nicht durch vehementes Kopfnicken zugestimmt hätte.

Bloß auf die Frage, wann ein Kandidat denn genau passen würde, oder anders: Wie denn konkret das “Schlüsselloch Unternehmen” beschaffen sei, damit der “Schlüssel Kandidat” hineinpasst, auf die Frage kam in aller Regel ein mehr oder weniger hilfloses:

Ja, das kann man so nicht sagen…

So war das seinerzeit dann auch: Die Untersuchung BEST RECRUITERS fand damals heraus, dass nur 50% der (wohlgemerkt größeren) Unternehmen überhaupt irgendwelche Informationen zu den eigenen Werten, zur eigenen Unternehmenskultur auf der Karriere-Website anboten.

Gut, das ist inzwischen besser geworden. Der Menüpunkt “Unternehmenskultur” gehört für viele Arbeitgeber (aber immer noch bei weitem nicht alle!) inzwischen zu einer Karriere-Website dazu. Die jüngst veröffentlichte World of Work-Studie von Monster bestätigte, dass sowohl sowohl Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber es für wichtig halten, dass Wertvorstellungen klar sind und im Einklang stehen…

Auch die jüngst veröffentlichte “360° Cultural-Fit Studie für die IT-Branche” der Hype Group zeigte deutlich, dass Unternehmenskultur und deren “Fit” sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer von überragender Bedeutung ist.

Leider liegt bei der Qualität der zur Kultur findbaren Informationen immer noch sehr vieles im Argen, handelt es sich doch immer noch allzu oft um wohlformulierte Gemeinplätze… Dem geneigten Leser wird dann von der “Leidenschaftlichkeit” des Unternehmens und dem großgeschriebenen “Unternehmertum” vorgeschwärmt. Die Auflösung, was KONKRET ich mir als möglicher Kandidat darunter vorzustellen habe und dann auch die konkrete Bezifferung, wieviel Leidenschaft und Unternehmertum auf einer Skala von 1 bis 100 denn nun gelebt werden, diese Auflösung wird in aller Regel nicht mitgeliefert.

Auch vom Einsatz IT-gestützter Verfahren zur Messung von Cultural Fit sehen die meisten Unternehmen noch ab,…

…obwohl dies eine deutliche Mehrheit der potentiellen Bewerber durchaus begrüßen würde…

So heißt es in der Studie:

Während sich die überwiegende Mehrheit der IT-Mitarbeiter für die Anwendung strukturierter Cultural Fit-Verfahren bei der Personalauswahl ausspricht, stellt sich die Arbeitgeberseite anders dar. Zwar messen die meisten IT-Unternehmen und -Recruiter der kulturellen Bewerberpassung eine hohe Bedeutung bei, setzen dazu jedoch kaum geeignete Werkzeuge und Methoden ein.

Nun, dem kann nun Abhilfe geschaffen werden.

Genau aus dem Grund haben wir etwa zu der Zeit des eingangs zitierten Blogartikels begonnen, ein Testverfahren zur Messung unternehmenskultureller Merkmale zu entwickeln. Wenn man aus der Eignungsdiagnostik kommt, dann weiß man, dass man Persönlichkeitsmerkmale von Menschen recht gut messen kann. Warum dann also nicht auch “Persönlichkeitsmerkmale von Unternehmen”?

Gut, das zu bohrende Brett hat sich als etwas dicker herausgestellt, aber nach gut zwei Jahren Entwicklungszeit, zwei großen empirischen Studien mit zwei Universitäten, einer rund einjährigen Pilotphase unter Realbedingungen mit einem kleinen Kreis ausgewählter Unternehmen und etlichen (etlichen!) Berechnungen von Itemkennwerten, Faktoren-Strukturen, Reliabilitäten, Validitäten, Akzeptanz-Kennwerten, Bewertungen etc. ist er nun fertig:

Der Kulturmatcher…

Was ist der Kulturmatcher?

Der Kulturmatcher ist ein Testverfahren, das unternehmenskulturelle Merkmale messen und quantifizieren kann. Es handelt sich hierbei um ein wissenschaftlich entwickeltes und valides Test- und Messverfahren. Wer mich kennt, weiß dass ich mit dem Begriff “wissenschaftlich” durchaus zögerlich umgehe, ja sogar richtig pingelig werden kann, aber hier kann man das wirklich mit Fug und Recht behaupten.

Der Test erzielt sehr schöne Kennwerte zu Itemschwierigkeiten, Trennschärfen, Item-Skala-Korrelationen, struktureller, konkurrenter und diskriminanter Validität, zu Reliabität und interner Konsistenz, Akzeptanz und Augenscheinvalidität sowie hinsichtlich allgemeiner Bewertung und Weiterempfehlung… Alles belegt.

Welche kulturellen Merkmale werden dabei erfasst?

Es werden insgesamt neun unternehmenskulturelle Faktoren erfasst. Hierbei handelt es sich jeweils um bipolare Skalen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass eine Kultur eben nicht gleichzeitig unheimlich “professionell distanziert” und “familiär” oder gleichzeitig “hierarchisch” und “autonomiebetont” sein kann. Mehr vom einen bedeutet weniger vom anderen…

Die neun Faktoren sind:

  • Work-Life-Balance vs. Karriereorientierung
  • Autonomie vs. Hierarchie
  • Professionelle Distanz vs. Familiäres Arbeitsumfeld
  • Innovation vs. Tradition
  • Wettbewerb vs. Genügsamkeit
  • Risikobereitschaft vs. Vorsicht
  • Leistungsorientierung vs. Zurückhaltung
  • Ich-Orientierung vs. Wir-Orientierung
  • Zweckorientierung vs. Integrität

Wie erfolgt die Messung?

Nun, der Kulturmatcher ist ein Test. Es wird also nicht nach pauschalen Einschätzungen gefragt, nach dem Motto “wie ich-orientiert ist das Unternehmen, bitte auf einer Skala von 0 bis 10 ankreuzen”, sondern die Ergebnisse errechnen sich aus dem Antwortverhalten bei einer ganzen Reihe einzelner Items. Der Kulturmatcher hat dabei ein neuartiges Messkonzept. Dieses trägt der Bipolarität der kulturellen Dimensionen Rechnung, indem auch die einzelnen Items jeweils bipolar gestaltet sind.

Man bekommt jeweils zwei “Mini-Situationen” angezeigt, die sich aus einem sehr kurzen Text und einer zum Text gehörigen Illustration zusammensetzen. Durch Verschieben des Reglers bringt man dann seine persönliche Zustimmung zu einem Pol bei gleichzeitiger Ablehnung des anderen zum Ausdruck.

Insgesamt umfasst der Test in seiner finalen Form nun nur noch 49 derartige Items, was eine Durchführung innerhalb weniger Minuten ermöglicht. Das passt buchstäblich in die Wartezeit auf den Bus…

Die Items bieten dabei durchaus das eine oder andere Augenzwinkern, denn wer sagt denn, dass Diagnostik nicht auch ein wenig Spaß machen darf…

Wofür kann man den Kulturmatcher einsetzen?

Hier gibt es verschiedene Szenarien:

a. Wenn man sich bei der Beantwortung der Items vom Satz “In meinem Wunschunternehmen soll gelten” leiten lässt, dann liefert einem der Test auch genau hierzu einen Befund: “So sieht meine persönliche Wunsch-Unternehmenskultur aus.”

b. Unternehmen können den Kulturmatcher als Self-Assessment Instrument auf ihrer Karriere-Website platzieren und dem Interessenten so die Möglichkeit bieten, die persönliche Wunsch-Unternehmenskultur mit der vorhandenen Ist-Unternehmenskultur des Unternehmens abzugleichen = den Cultural-Fit zu quantifizieren.

c. Unternehmen können mit dem Kulturmatcher ihre vorhandene Unternehmenskultur messen. Dafür werden Mitarbeiter eingeladen, den Test geleitet von “In meinem Unternehmen gilt” zu bearbeiten. Je nach Stichprobenzusammensetzung kann darüber Arbeitsplatz, Abteilungs-, Bereichs- oder sogar Gesamt-Unternehmenskultur gemessen werden.

d. Diese gemessene Ist-Kultur kann dann als Basis für Folgeprozesse genutzt werden. Denkbar wären etwa die Entwicklung einer wertebasierten Employer Brand oder natürlich kulturbezogene Personal- oder Organisationsentwicklungsprojekte (Change).

e. Die gemessene Ist-Kultur kann aber natürlich auch die Basis für die Definition des hinterlegten Ist-Profils für ein Kandidaten-Matching, also im Prinzip das erforderliche Gegenstück für das oben beschriebene “Szenario b.”, liefern. Hierbei ist es auch möglich, mehrere verschiedene Ist-Profile zu hinterlegen, etwa um einem Interessenten ein Kultur-Matching auf verschiedene Unternehmensbereiche zu ermöglichen.

f. Und natürlich besteht auch die Möglichkeit, den Kulturmatcher in den eigentlichen Recruiting- bzw. Auswahlprozess einzubeziehen, etwa indem Bewerber vor einem Job-Interview den Test durchlaufen und der Befund dann die Basis für ein “kulturbasiertes Auswahlgespräch” wird.

Wie sieht das Ergebnis aus?

Zunächst bekommt man eine Rückmeldung auf den neun einzelnen Faktoren. Hierbei wird einem immer zunächst der Pol angezeigt, zu dem man selber stärker tendiert…

…klickt man die einzelnen Faktoren an, erhält man neben der konkreten Verortung zwischen den beiden Polen auch noch eine verbale Interpretation dazu…

…und hat zudem die Möglichkeit sich anzeigen zu lassen, wo man denn damit im Vergleich zu anderen (N deutlich > 1000) steht…

Sofern ein Soll-Profil hinterlegt worden ist, erfährt man an dieser Stelle dann auch, wie stark das persönliche und Kulturprofil des Unternehmens übereinstimmen = wie groß der (supplementäre) Cultural Fit ist:

Hier lassen sich dann auch mehrere Soll-Profile (z.B. für verschiedene Abteilungen oder Unternehmensbereiche) hinterlegen:

Geht das auch auf dem Handy?

Ja. Der Kulturmatcher ist sowohl auf Desktop-Rechnern und Tablets als auch auf Smartphones nutzbar. Die Bestimmung des Cultural Fit geht damit quasi auch “zwischendurch”…

Lässt sich das unternehmensspezifisch anpassen?

Ja und nein. Per se handelt es sich beim Kulturmatcher um ein standardisiertes Verfahren, das allgemeingültig unternehmenskulturelle Merkmale misst. Eine unternehmensindividuelle Anpassung der Testitems und Auswertungslogiken ist hier nicht möglich. Aus gutem Grund: Jede Veränderung an dieser Stelle würde bedeuten, dass die Testgütekriterien des Kulturmatchers ohne erneute aufwendige empirische Überprüfung nicht mehr gelten. Will man wirklich ein absolut unternehmensindividuelles Kulturmatching-Verfahren geht das auch – haben wir ja schon für zahlreiche Unternehmen wie Allianz, METRO, Haniel usw. gemacht – aber dann reden wir nicht mehr von Tests im strengen wissenschaftlichen Sinne.

Was natürlich am Kulturmatcher unternehmensspezifisch eingestellt werden kann ist das Soll-Profil oder sind die Soll-Profile, auf die gematcht wird. Diese werden entweder vom Unternehmen vorgegeben, (besser) gemeinsam erarbeitet oder (noch besser) ebenfalls durch Messung mit Hilfe des Kulturmatchers empirisch bestimmt. Dadurch wird das eigentliche Matching immer unternehmensspezifisch.

Ebenfalls möglich ist eine unternehmensspezifische Gestaltung des “Rahmens”, sprich der Hinleitung und der Absprungpunkte am Ende des Tests. Wie dies aussehen kann zeigt ganz schön das Beispiel der zur Innogy SE gehörenden Lechwerke AG, die nicht nur eines der Partnerunternehmen in der Pilotphase waren, sondern nun auch den fertigen Kulturmatcher als Matching-Instrument auf ihrer Karriere-Website eingebunden haben:

Die Lechwerke werden den Hinweis auf das Kulturmatching und den Test zukünftig dann auch in alle Stellenanzeigen einbinden. Für mich ein Paradebeispiel dafür, wie man Unternehmenskultur fundiert zu einem integralen Bestandteil des Employer Brandings werden lassen kann… Wer dazu mehr wissen will, gern an Stefan Reiser wenden…

Ist Unternehmenskultur denn nun das nächste große Ding im Employer Branding geworden?

Hmm, mein Gefühl ist tatsächlich, es ist auf dem besten Wege dahin. Unternehmen werden viel mutiger, die eigene Kultur in der Außenkommunikation zu thematisieren. Dabei geht es nicht nur um die Abschaffung der Krawattenpflicht oder die Einführung des Duzens…

…sondern auch um die Betonung von wichtigen Traditionen…

…oder dem Umgang miteinander:

Auch Matching-Tools sind hier ganz eindeutig auf dem Vormarsch, wie man an den Beispielen Allianz, METRO oder Kindernothilfe ablesen kann.

Wir sind sehr gespannt, welche Rolle der Kulturmatcher als wirklicher Cultural Fit-Test bei dieser Entwicklung spielen wird…

2 Gedanken zu „Webbasiertes Matching-Verfahren: Wissenschaftlich fundierte Messung von Cultural Fit – der “Kulturmatcher” ist fertig!

  1. Hallo Herr Diercks,

    Glückwunsch, das liest sich ziemlich gut. Bleibt zu hoffen, dass die Recruiter in den Unternehmen es nicht mit einem Personalmarketing-Tool verwechseln (und nur das kommunizieren, was die Bewerber gerade hören wollen). Das würde natürlich nach hinten losgehen.

    Interessant scheint mir aber auch die Möglichkeit, die aktuelle Unternehmenskultur zu erheben (und darauf aufbauend ggfs. Änderungen daran umzusetzen.

    Beste Grüße, Johannes Mattern

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