Wo steht das Thema MATCHING aktuell? Die Unternehmen hinken gnadenlos hinterher! Ergebnisse der Studien Recruiting Trends und Bewerbungspraxis 2016

Ich war letzte Woche im Urlaub. Und auch wenn meine Taktzahl dabei – dazu ist Urlaub ja auch da – leicht runterging, blieb die Welt des Recruitings und Personalmarketings in der Zeit nicht stehen.

Vor allem stellte vergangene Woche das Centre of Human Resources Information Systems (CHRIS) der Uni Bamberg die Ergebnisse der in Zusammenarbeit mit der German Graduate School of Management and Law in Heilbronn und im Auftrag von Monster Deutschland erstellten Studien Recruiting Trends 2016 und Bewerbungspraxis 2016 vor.

Die Recruiting Trends beleuchten dabei immer die Sicht der Unternehmensseite, die Bewerbungspraxis die der “Stellensuchenden und Karriereinteressierten”…

Wie üblich war da wieder eine Menge spannendes Zeug dabei und auch wenn man den Studien hier und da Unschärfen – vor allem bei definitorischen Details und auch hinsichtlich der Stichprobengröße (114 Unternehmen) – nachsagen kann, dürfte es sich in der Breite der untersuchten Fragestellungen – wie in jedem Jahr – wohl um die umfassendste Bestandsaufnahme zum Thema “Mitarbeitergewinnung” im deutschsprachigen Raum handeln.

Da ich hier nicht die gesamten Ergebnisse wiederholen möchte – da kann sich jeder selber in die Details lesen bzw. ich werde über die nächsten Wochen immer wieder auf einzelne Aspekte der Untersuchung Bezug nehmen – greife ich mir heute mal eines meiner Lieblingsthemen heraus:

Matching

Leser des Recrutainment Blogs wissen es: Ich habe hierzu Anfang vergangenen Jahres eine Artikelreihe gestartet, die auf die Hintergründe und Möglichkeiten der “Automatisierung (oder besser Digitalisierung) der Personalgewinnung” eingeht und dabei immer wieder spannende Konzepte und Start-Ups aus diesem Bereich vorstellt. Aktuell umfasst die Reihe 13 Beiträge (dies ist der 14te), d.h. wer sich hier mal so richtig reinknien möchte, der sollte den Links am Ende des oben verlinkten Beitrags folgen…

Deshalb war ich natürlich besonders gespannt, was die Forscher aus Bamberg und Heilbronn denn nun hierzu herausgefunden haben. Immerhin wurden die Ergebnisse der Recruiting Trends dieses Jahr erstmalig auf drei Themenspecials aufgeteilt und das Thema Matching bildete unter dem Titel

Robot Recruiting

gleich den Opener des Themenspecials “Techniksprung in der Rekrutierung“.

Techniksprung_in_der_Rekrutierung

Die Ergebnisse

Nur 2,4% der befragten Unternehmen nutzen aktuell Angebote, die selbstlernende Matching-Algorithmen implementiert haben, so dass freie Stellen aus dem Unternehmen potentiell geeigneten Stellensuchenden vorgeschlagen werden. Weitere 4,8% haben dies geplant. 82,1% nutzen es nicht und 10,7% der Unternehmen sind solche Angebote sogar unbekannt.

Nutzung_Matching_Unternehmen

Das klingt also mal wieder nach der guten alten “Technologiezurückhaltung”, die HR ja so eigen ist. Hierbei gebe ich allerdings zum einen die Stichprobengröße der Untersuchung zu bedenken – bei 114 Unternehmen, die sich an der Untersuchung beteiligt haben, bedeuten 2,4% in absoluten Zahlen drei Unternehmen. Hätten zufälligerweise noch 2 Unternehmen mehr mitgemacht, die zufälligerweise Unternehmen sind, die Matching-Tools nutzen, würde da auf einmal 4,3% stehen. Man sollte sich also nicht so sehr an der konkreten Zahl 2,4% aufhängen, sondern zunächst einmal nur die Tendenzaussage mitnehmen:

Das Gros der Unternehmen nutzt Matching-Technologien (noch) nicht.

Allerdings: Mehr als die Hälfte der Stellensuchenden findet es gut, wenn Algorithmen ihnen passende offenen Stellen vorschlagen. Hier wäre also seitens der Zielgruppe eine deutlich höhere Akzeptanz vorhanden, die die Unternehmen bespielen könnten (sollten?). Folgerichtig gehen wohl auch deshalb knapp 2/3 der Unternehmen davon aus, dass zukünftig verstärkt derartige Angebote zum Einsatz kommen werden.

Das hier offenbar die Nachfrage nach solchen Matchinginstrumenten das von Unternehmen bereitgestellte Angebot übersteigt, zeigt dann auch ein Blick auf die Kandidatenseite:

Nutzung_Matching_Kandidaten

Hier haben nämlich rund 1/5 der im Rahmen der Bewerbungspraxis befragten 4800 Stellensuchenden und Karriereinteressierten angegeben, bereits mindestens einmal einen selbstlernenden Matching-Algorithmus genutzt zu haben, um interessante Stellen vorgeschlagen zu bekommen… Das kann ich nur so interpretieren, dass die Verbreitung an Matchingtools eher daran hakt, dass die Unternehmen diese nicht anbieten, weniger daran, dass diese nicht genutzt würden…

Ein relativ ähnliches Bild zeichnet sich übrigens, wenn man nach Matching-Algorithmen fragt, die nicht dem Stellensuchenden passende offene Stellen, sondern die dem Unternehmen passende Kandidaten vorschlagen:

Nutzung_Matching_Unternehmen_2

Da es für solche Tools erforderlich ist, dass diese stärker noch Informationen des Kandidaten brauchen und diese dann vor allem auch den Unternehmen gegenüber offenlegen, ist es nicht überraschend, dass deren Akzeptanz auf Kandidatenseite niedriger ist. Allerdings liegt diese mit rund 40% immer noch erstaunlich hoch.

Und auch hier zeigt sich: Stellensuchende haben anteilig bereits deutlich häufiger derartige Matching-Tools erlebt als diese anteilig von den Unternehmen bereitgestellt werden. Auch hier liegt offenbar Akzeptanz und Nachfrage seitens der Kandidaten deutlich über Einsatz und Angebot durch rekrutierende Unternehmen…

Nutzung_Matching_Kandidaten_2

Diese offenkundige Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Unternehmen und den Erfahrungen auf Kandidatenseite zeigt sich dann auch bei der allgemeinen Frage nach nach der Verbreitung “computergestützter und automatisierter Selektionsinstrumente”.

Hier gaben nur 6% der Unternehmen an, derartige Instrumente einzusetzen, während gut 40% der Stellensuchenden bereits mindestens einmal damit konfrontiert wurden.

Monster_Recruiting_trends

Hier muss ich nun allerdings sagen, dass ich die Angabe hinsichtlich der Unternehmensseite schlichtweg nicht glaube. Unter “computergestützte und automatisierte Selektionsinstrumente” fallen ja nicht nur irgendwelche Matching-Instrumente, sondern auch web- oder computergestützte Auswahltests, Online-Assessments usw. Und hier liegt der Anteil der diese mindestens an irgendeiner Stelle des Recruitings einsetzenden Unternehmen definitiv höher. Das belegen verschiedene Studien (z.B. das cut-e Assessment Barometer oder die Azubi-Recruiting Trends von u-Form:e). Das zeigt aber auch ein Blick in die Kundenlisten der maßgeblichen Anbieter derartiger Instrumente (z.B. cut-e, eligo, HR-Diagnostics oder eben CYQUEST).

Doch kommen wir zum Matching zurück.

Klar, auch Auswahl-Algorithmen kann man im weiteren Sinne unter den Begriff subsumieren, aber hier bezieht sich Matching zunächst einmal auf den Einsatz von Algorithmen, um Vorschläge zu unterbreiten (dem Kandidaten passende Stellen, dem Unternehmen passende Kandidaten). Es geht also noch um die Anbahnung, die Selbstselektion, (noch) nicht so sehr um die Fremdselektion.

Hier sieht nämlich, trotz der zumindest lt. Recruiting Trends noch zurückhaltenden Nutzung durch die Unternehmen, ein substantieller Teil der Firmen aber auch der Kandidaten handfeste positive Effekte durch den Einsatz von Matching-Algorithmen:

  • 56,3% der Unternehmen gehen davon aus, dass diese das Recruiting beschleunigen
  • 50% erwarten eine bessere Effektivität
  • 49,3% gehen von diskriminrungsfreierer Rekrutierung aus
  • 47,3% glaube an verbesserte Passgenauigkeit
  • 46,6% von vereinfachtem Recruiting
  • immerhin rund 45% der Stellensuchenden wären bereit, ihre Daten in Karrierenetzwerken oder Lebenslaufdatenbanken für Matching-Zwecke freizugeben, um diese so “quasi” für sich arbeiten zu lassen.

Die geäußerten Bedenken auf der anderen Seite beziehen sich zumeist auf Fragen des Datenschutzes.

Was sagt uns dann nun zum aktuellen Stand des Themas Matching?

Wie oben schon an ein-zwei Stellen angedeutet, erscheinen mir die Verbreitungszahlen speziell auf der Unternehmensseite zu niedrig. Ich habe parallel mal einen Blick in aktuelle Potentialpark-Zahlen geworfen: Diese basieren auf der Analyse von 165 Unternehmen in Deutschland und beziehen hier nur die Elemente der jeweiligen Karriere-Websites ein. Danach bieten 12% der Karriere-Websites sog. Career-Matcher. 7% der Unternehmen bieten auf ihren Karriere-Websites sog. Interest- oder Personality-Matcher an. Ebenfalls bei 7% finden sich Skills- oder Degree-Matcher. Immer noch nicht die Welt, aber doch deutlich mehr als uns die Zahlen der Recruiting Trends erzählen.

Aber auch wenn ich hinsichtlich der Genauigkeit der Zahlen, speziell derer die in der Recruiting Trends die Unternehmensseite beleuchten, skeptisch bin, bestätigen die Studien des CHRIS für mich doch eines sehr eindrücklich:

Die Nachfrage nach und Nutzung vorhandener Matching-Tools durch Stellensuchende ist schon erheblich weiter als die Nutzung bzw. der Einsatz ebensolcher durch Unternehmen. Diese sehen zwar die potentielle Vorteile, die solche Tools bringen können, mögen ihre diesbzgl. Technologiescheu aber (noch) nicht ablegen oder brauchen schlichtweg noch ein wenig Zeit auf dem Weg dorthin.

Dieser Eindruck findet sich übrigens auch in den Potentialpark-Zahlen bestätigt. Während wie gesagt nur auf wenigen Karriere-Websites Matching-Tools zu finden sind, äußert etwa die Hälfte der befragten potentiellen Bewerber (hier Studierende) eine dahingehende Präferenz.

Nicht dass Ihr mich missversteht: Es geht mir nicht darum, definitiv nicht, etwaige Personalauswahlentscheidungen in die Hände einer Maschine zu legen. Ich werde nicht müde zu betonen, dass es sich bei Matching-Technologien (genauso wie bei Online-Assessments, Auswahltests etc.) immer um eine Unterstützung für den Menschen handelt, damit dieser nämlich letztlich von Routinen entlastet seinen eigentlichen Job überhaupt wieder sinnvoll ausüben kann. Aber ein wenig mehr Mut beim Einsatz solcher Tools könnte es schon geben, liebe Unternehmen…

Und mit dieser Ansicht bin ich ja nun auch wirklich nicht allein, wie z.B. der wunderbare Beitrag “Diversity: Mit Big Data zum perfekten Team” von Harvard-Professorin Iris Bohnet in der wiwo vorgestern zeigt.

Aber offenkundig ist die Vision, dass irgendwann möglicherweise “zwei Bots miteinander aushandeln, wer eingestellt wird“, wirklich noch reine Zukunftsmusik.

Oder sagen wir mal so: Der Bot auf Seiten der Kandidaten scheint aktuell deutlichen Vorsprung zu haben…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert