Referrals: Mitarbeitergewinnung über persönliche Empfehlungen – der Firstbird-Relaunch

Einmal im Jahr veranstalten wir von CYQUEST eine Art „Tagung“. Diese seit dem letzten Jahr unter dem Namen „HR-Edge“ daherkommende Veranstaltung unterscheidet sich zum einen im äußeren Rahmen deutlich von anderen Konferenzen oder Tagungen und erinnert insgesamt eher an Afterwork-Formate. Zum anderen aber hat das Event auch einen sehr hehren inhaltlichen Anspruch: Wir wollen dort Themen auf die Agenda heben, bei denen es sich möglicherweise abzeichnet, dass diese zukünftig einmal von großer Relevanz für HR werden könnten, die für die meisten Personaler aber in ihrem täglichen Job heute noch nicht alltäglich sind. Es geht also um den Blick „um die nächste Ecke“ herum bzw. halt über den „Edge des Tellers“ hinaus.

HR-Edge-741

Letztes Jahr etwa war die HR-Edge der Ort, an dem über 120 Personaler das erste Mal in ihrem Leben eine Virtual Reality Brille aufsetzten und so – metaphorisch aber auch ganz praktisch – eine neue Sichtweise auf die (möglicherweise) zukünftigen Möglichkeiten der Arbeitgeberkommunikation bekamen. Dieses Jahr – soweit darf ich spoilern – wird es zum Beispiel um die – nennen wir es mal – „Amazonisierung“ der Karriere-Website gehen, also die Möglichkeiten, Inhalte der Karriere-Website personalisiert und individuell verschieden auszuspielen.

Das sind also Themen, bei denen man heute (noch) nicht sagen kann, dass sie jeder kennen, geschweige denn routiniert und alltäglich einsetzen würde, bei denen aber durchaus berechtigter Anlass zu der Vermutung angebracht ist, dass diese in der Zukunft eine große Bedeutung erlangen werden.

Dass wir – Achtung, Selbstlob! ;-) – diesem inhaltlichen Anspruch durchaus gerecht werden, beweist für mich ein Thema, das wir im Herbst 2013 (damals hieß die Veranstaltung noch nicht HR-Edge, sondern „RecruitingXX„…) auf der Agenda hatten:

Es ging um sog. Referrals bzw. Aktivitäten und Programme zur Mitarbeitergewinnung über (persönliche) Empfehlungen.

Jetzt mag man einwenden, dass das ja nun wirklich nichts neues sei, denn über derartige Empfehlungen lief doch schon immer ein substantieller Teil der Personalgewinnung.

Stimmt natürlich. Erst vor ein paar Tagen hat die IAB-Stellenerhebung ja erst wieder deutlich die Bedeutung dieser Vermittlungsart unterstrichen: Knapp jede dritte Stelle wird über Empfehlungen besetzt.

IAB_Such_Besetzung

Was aber neu ist, und das war Ende 2013 so gerade einmal in ersten Ansätzen erkennbar, sind die technischen Möglichkeiten, solche Mitarbeiterempfehlungsprogramme auch so umzusetzen, dass sie funktionieren und systematisch vom Unternehmen gesteuert werden können. Denn: Es ist ja das eine zu wissen, dass ein Großteil der Stellen über Empfehlungen besetzt werden und das andere, diesen Besetzungsweg auch strategisch steuern und vernünftig controllen zu können.

Hier traten folgerichtig über die letzten Jahre Anbieter auf den Plan, die Tools entwickeln, mit denen sich Referral-Programme sinnvoll betreiben lassen.  Die bekanntesten – oder sagen wir zumindest mal diejenigen, die mir hier spontan einfallen – dürften Talentry (aus München), eqipia (aus Zürich) oder natürlich Firstbird (aus Wien) sein.

Allein die Herkunft dieser drei Startups zeigt ganz gut, dass es sich bei dem Trend offenbar auch um eine länderübergreifendes Phänomen handelt, das zumindest den DACH-Raum betrifft. Auf jeden Fall sind alle drei Unternehmen auch gleich vom Start weg länderübergreifend aktiv.

#1march2016 – the day recruiting will change forever

Vor ein paar Wochen flatterte mir – ganz mysteriös – eine Einladung ins Haus, die außer der Ankündigung, dass der 1. März 2016 der Tag sei, an dem sich Recruiting für immer verändern werde sowie einer Ortsangabe (Unter den Linden 17 in Berlin) keine weiteren Informationen enthielt.

Wer hinter dieser Aktion steckte, darüber wurde dann in den einschlägigen Kreisen ein paar Tage gerätselt. Die whois-Abfrage zu der Domain 1march2016.com ergab dann einen ersten Hinweis, weil diese einen gewissen Flavus von Avem als Admin auswies, was mit ein wenig Latein-Kenntnissen auf einen „gelben Vogel“ hindeutete.

Und richtig: Hinter der Aktion steckte die Firma Firstbird, eben jener Wiener Anbieter einer Lösung für die Organisation von Mitarbeiterempfehlungsprogrammen.

Wir hatten hier im Blog übrigens vor gut anderthalb Jahren mal einen Gastbeitrag von Arnim Wahls, einem der Firstbird-Gründer, weil uns insb. die Idee, Gamification-Elemente in das Tool zu integrieren, sehr reizvoll erschien.

Inzwischen hat sich bei Firstbird einiges getan – die erfolgreiche Aufnahme in und Absolvierung des Microsoft Accelerator Programms und nicht zuletzt die vor Kurzem offiziell gewordene Nachricht, dass sich Kienbaum mit einem Betrag von rund 600.000 Euro an dem Startup beteiligt hat.

Entsprechend gespannt war ich dann auch, was Firstbird mit frischer Kohle in den Taschen, einem durchaus vollgenommenen Mund („der Tag, an dem sich Recruiting für immer verändert…“) und unter Schützenhilfe von Szenegröße Ali Mahlodji (whatchado), des amtierenden Österreichischen Außenminister Sebastian Kurz und nicht zuletzt Microsofts am 1. März Unter den Linden zu verkünden hatte…

Das neue Firstbird…

Also: Firstbird hat seine neue Plattform vorgestellt, die – und das war nicht überraschend – ein Tool ist, über das Mitarbeiterempfehlungen bzw. Mitarbeiterempfehlungsprogramme von Unternehmen laufen und gemanaget werden können. Was ist daran besonders?

Das erste besondere Merkmal ist die Niedrigschwelligkeit: Es muss keine Software installiert oder aufwendig im Unternehmen implementiert werden. Man meldet sich auf der Plattform an, gibt dem eigenen Referral-Programm einen Namen (den eigenen Firmennamen…?) und schon kann man – theoretisch – starten.

Der Kern der Plattform sind dann sog. „Talentscouts“. Talentscouts sind im Prinzip Personen, die später einmal die Tippgeber, die „Empfehlenden“ sein sollen. Damit also ein Empfehlungsprogramm mal irgendwann ins Laufen kommen soll (also auch irgendjemand den zu besetzenden Job an potentiell passende Kandidaten oder potentiell passende Kandidaten für einen zu besetzenden Job empfiehlt), braucht man besagte Talentscouts. Es empfielht sich also, möglichst schnell, in möglichst großer Anzahl möglichst passende Talentscouts für das eigene Referral-Programm aufzubauen.

Das können z.B. die eigenen Mitarbeiter sein (das wäre so der Klassiker der Mitarbeiterempfehlungsprogramme), das können aber auch Kunden, Alumni, Freunde oder was weiß ich sonst sein. Also: Alle Personen(gruppen), über die potentiell ein Tipp, eine Empfehlung kommen kann. Man kann Talentscouts direkt über die Plattform einladen. Gelingt dies, ist die – sagen wir mal – notwendige Bedingung erfüllt. Hinreichend ist diese jedoch noch nicht. Denn: Die allermeisten herkömmlichen Referral-Programme scheitern meist weniger daran, dass nicht genügend potentielle Tippgeber dabei wären (theoretisch kann ja jedes Unternehmen die eigenen Mitarbeiter einfach zur Teilnahme „verpflichten“, zumindest formell), sondern daran, dass diese Programme nicht „gelebt“ werden. Gelungene Mitarbeiterempfehlungen sind in aller Regel doch eher das Produkt eines Zufalls – „ich habe zufällig von einem Job gehört und musste zufällig an Person X denken, die mir zufällig vor ein paar Tagen erzählt hat, dass sie gerade sucht usw.“. Erfolgreiche MitarbeiterempfehlungsPROGRAMME müssen es hingeben schaffen, diese Zufälle zum Regelfall bzw. zu etwas Planbarem zu machen.

Ich habe übrigens während der Präsentation einige Minuten live per Periscope gestreamt. Diese Passage, die unter anderem die Talentscouts erklärt, habe ich bei Youtube hochgeladen. Wer also schauen möchte…

Wie möchte also Firstbird es hinbekommen, dass Talentscouts „intrinsisch“ motiviert sind, Tipps und Empfehlungen zu geben? Hier kommen zwei Features ins Spiel:

Erstens – ich hatte es oben bereits angedeutet und es bleibt auch weiterhin ein zentrales Merkmal von Firstbird -: Gamification.

Jede Aktion auf der Plattform, sei es das Teilen eines Jobs, das Geben eines Feedbacks oder natürlich – Highscore – die letztlich erfolgreiche Empfehlung, gibt Punkte. Punkte bedeuten Badges und Platzierungen in Leaderboards. Natürlich können (erfolgreiche) Empfehlungen auch materiell angereizt werden – man kann bei Einstellung eines zu besetzenden Jobs entsprechende Bountys ausloben – aber durch die Gamification-Elemente gibt es eben auch immaterielle Anreize.

Firstbird_Gamification

Zweitens: Activity Stream.

Talentscouts können anderen Talentscouts folgen und sehen, was diese tun, was diese teilen oder empfehlen. Dieser Activity Stream kann dann wiederum eigene Aktivitäten triggern, zum Beispiel das Kommentieren, Teilen oder Empfehlen von Inhalten (also in diesem Kontext von „interessanten Jobs“) usw. Viralität, also eines der Kernmerkmale sozialer Netzwerke, wird auf so Mitarbeiterempfehlung übertragen.

Die Plattform ist web- bzw. cloudbasiert und soll sich – das habe ich nicht weiter überprüfen können – über eine offene API mit anderen Plattformen (Dropbox, Slack, Google Drive usw.), vor allem aber auch den im Unternehmen im Einsatz befindlichen Applicant Tracking Systems (ATS) bzw. Bewerbermanagement-Systemen (BMS) verbinden lassen. Das ist ein wichtiges Feature, speziell vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Niedrigschwelligkeit. Damit Personaler das Tool auch einsetzen, darf es keine schwierigen, geschweige denn „technischen“ Implementierungsprobleme bereiten. Nun wie gesagt, ob, wie und wie einfach das hier funktioniert, kann ich (noch) nicht einschätzen. Als Anbieter von Online-Assessments haben wir nur selber sehr regelmäßig mit der Schnittstellenproblematik zu ATS/BMS zu tun und stellen dabei häufig genug fest, dass zwischen der (einfachen) Theorie und der (zuweilen nicht so einfachen) Praxis durchaus noch etwas Ärger liegen kann… Je größer dabei der Anbieter des jeweiligen ATS/BMS, desto mühsamer wird´s. Naja, das nur am Rande.

Fazit

Die Erwartungen, die mit der Aussage, dass der 1. März 2016 nicht nur Justin Biebers Geburtstag, sondern auch der Tag sei, an dem sich das „Recruiting für immer verändern“ würde, verknüpft waren, waren sehr hoch. Und alles in allem muss ich sagen, dass der Ausflug nach Berlin mich nicht enttäuscht hat. Die PR im Vorwege, der Buzz zum Event und die Tatsache, dass sich nur ein paar Tage nach dem HR Barcamp erneut ein Großteil der einschlägigen HR-Suppe zum Klassentreffen in Berlin einfand waren erste Liga.

Die Versprechungen der neuen Firstbird-Plattform entsprechen ungefähr dem Level, das ich erwartet hatte (was bei hohen Erwartungen durchaus nicht selbstverständlich ist).

Drüber liegt das Ganze aber auch nicht.

Das liegt weniger an den Features der Plattform, sondern daran, dass auch das neue Firstbird das klassische Problem aller Empfehlungsplattformen lösen muss – Henne-Ei:

Nur wenn genügend spannende Jobs in den eigenen Kreise kursieren, ist man als Talentscout motiviert regelmäßig reinzuschauen und zu interagieren. Nur wenn Talentscouts regelmäßig reinschauen und interagieren (und letztlich „empfehlen“…) lohnt es sich für Unternehmen, die Plattform mit Jobs zu bespielen. Usw.

Dieses Henne-Ei-Problem muss natürlich nicht Firstbird selber lösen, sondern in allererster Linie diejenigen Unternehmen, die darüber ihr Referral-Programm betreiben – Firstbird ist ja nur die Plattform dafür, das Vehikel -, aber letztlich wird natürlich auch der Erfolg von Firstbird davon abhängen, ob das Schwungrad insgesamt in Gang kommt.

Hier könnte es durchaus helfen, dass Firstbird – zumindest in einer Basisversion – kostenlos nutzbar ist (man nennt das wohl Freemium)…

Also: Ich finde nicht, dass sich heute das Recruiting für immer verändert hat, aber der bunte Setzkasten an Möglichkeiten, erfolgreiches Recruiting betreiben zu können, ist definitiv bereichert worden.

Jetzt muss es nur noch genutzt werden. Nur noch.

Ein Gedanke zu „Referrals: Mitarbeitergewinnung über persönliche Empfehlungen – der Firstbird-Relaunch

  1. Tolle Zusammenfassung Jo!
    Danke dafür, Twitter hat gestern nicht ausgereicht um das Prinzip und die Funktionsweise zu verstehen.
    Für mich stellt sich die Frage ob das Prinzip der sozialen Netzwerke hier funktioniert. Die Möglichkeit neue Mitarbeiter empfehlen zu können wird mMn nicht ausreichen um eine kritische Masse zu überzeugen einem weiteren Dienst beizutreten. Umso wichtiger sind die vorgestellten Integrationen die diesen Schritt erleichtern werden. Ich bin gespannt wie es sich entwickeln wird, nach dem kurzen Einblick sehe ich aktuell noch keine Revolution.

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