Gelbe Seiten starten ´Ausbildungsnavigator´. Aber irgendwie säuft der Motor am Start ab…

Ja ja, die älteren unter Euch werden sich noch daran erinnern können: Wenn man früher irgendetwas gesucht hat, einen Klempner zum Beispiel, ein mexikanisches Restaurant oder ein Squashcenter in der Nähe, dann hat man die Gelben Seiten aufgeschlagen. Irgendwie ist das heute gefühlt genauso abwegig und irgendwie 80er wie es Squash spielen selber auch ist… ;-)

In Zeiten von Google sucht man dort bzw. in Zeiten von Big Data und Predictive Analytics wird man bald gar nicht mehr suchen, weil das der Algorithmus schon in vorauseilendem Gehorsam für einen erledigt haben wird.

Das hat man natürlich auch bei den Gelben Seiten selber erkannt und daher eine Reihe von – wie heißt das im Marketing-Neudeutsch so schön “Contentangeboten” – gestartet, die sich z.B. um Gesundheit (“Gesünder leben“) oder Lokales Marketing drehen.

Zudem ist nun letzte Woche nach einigem Testvorlauf ein Contentangebot zum Thema Ausbildung an den Start gegangen – der Ausbildungsnavigator.

Ausbildungsnavigator

Dieser soll – natürlich – junge Menschen wieder etwas dichter an die Marke und den Nutzen der Gelben Seiten heranführen, aber selbstverständlich auch für sich betrachtet jungen Menschen einen Mehrwert bieten: eine bessere berufliche Orientierung.

Man merkt: Man hat Anfang letzten Jahres die Blogparade zum Thema Berufsorientierung hier im Recrutainment Blog gelesen und erkannt: Hier liegt ein Markt. Aber auch: Hier ist ein gesellschaftliches Problem zu lösen.

Naja, gutes Tun und damit am Ende auch Geld verdienen ist ja nicht die schlechteste Kombination.

Also: Was kann der Ausbildungsnavigator?

Erstens: Er bietet eine Ausbildungssuche.

Das liegt bei den Gelben Seiten nahe. Das funktioniert dabei so, dass man Ausbildungsberuf und Ausbildungsort eingeben kann und los geht´s. Das funktioniert ganz manierlich. Allerdings nur dann wenn man schon weiß, wonach man sucht. Es ist dabei eher unwahrscheinlich, dass junge Menschen mal nach “Sozialversicherungsfachangestellter” suchen, außer sie wissen schon – woher auch immer – dass dieser Beruf zu ihnen passt. Stattdessen suchen dann wahrscheinlich wieder Heerscharen nach “Bürokauffrau” (hat man vielleicht schonmal gehört oder Mama hat das mal gelernt oder so) und die wundern sich dann, weil die Ausbildungssuche Null Treffer auswirft. Inhaltlich ist das nicht falsch, denn diesen Ausbildungsberuf gibt es ja nicht mehr, weil dieser jetzt in der Kauffrau für Büromanagement aufgegangen ist. Aber das wiederum wird kaum ein Schüler wissen, wenn er darüber nicht irgendwie oder irgendwoher informiert ist…

Sehr gut – genau das können und sollen Seiten wie der Ausbildungsnavigator ja leisten… Deshalb bietet dieser zweitens: Informationen über Berufsbilder….

Diese sind hier dann geclustert, allerdings nicht, wie man das “vom Nutzer aus denkend” erwarten würde, nach Berufsfeldern, Neigungen oder Interessen, sondern nach Industrien… Also: Automobile, Elektrotechnik usw. Darunter sind dann aber wieder nur diejenigen Ausbildungsberufe aufgelistet, die auch im engeren Sinne zu der jeweiligen Industrie gehören, also bei Automobile unter “K” z.B. der Kraftfahrzeugmechatroniker. Den “Koch” findet man hier nicht, obwohl dieser in der Automobilindustrie in ganz großem Stil ausgebildet wird (klar, in irgendwelchen Kantinen müssen die rund 780.000 Beschäftigten dieser Branche ja essen…).

Diese Art Aufschlauung leistet der Ausbildungsnavigator aber irgendwie nicht. Und ach ja, suche ich – z.B. weil ich als Schüler nicht fortlaufend die Novellierung der Ausbildungsverordnungen der Kammern verfolge – in der Ausbildungssuche nach dem guten alten Kraftfahrzeugmechaniker, Ihr ahnt es: Null Treffer. Ja, auch den gibt es nicht mehr, man suche jetzt bitte nach Kraftfahrzeugmechatroniker, das weiß Alpha Kevin doch wohl, oder? Klar weiß er das, er war ja bereits im BIZ, hat Praktika gemacht, sich auf Ausbildungsportalen wie blicksta, Ausbildung.de oder AZUBIYO informiert, bevor er die Ausbildungssuche der Gelben Seiten anläuft…

Irgendwie habe ich mir die ganze Zeit die Frage gestellt, wie man als Nutzer denn hier den passenden Beruf finden soll, denn wenn ich schon alles weiß (und das muss man, da man sonst nichts findet), warum soll ich dann noch suchen… Von bedürfnis- oder motivgeleiteter Navigation (z.B. in Form eines Berufsinteressentests, der dem Nutzer auf Basis der beruflichen Interessen konkret passende Vorschläge unterbreitet) findet man hier nichts.

Drittens: Bewerbungstipps.

Ja, das macht Sinn, denn hier können Schüler sehr viel falsch machen und natürlich verfügen sie ja noch nicht über jahrzehntelange Erfahrung im Schreiben von Bewerbungen und gekonntem Überspringen der diversen Bewerbungshürden, die Unternehmen so aufbauen.

Es gibt also Tipps zur Online-Bewerbung, zum Lebenslauf, zum Anschreiben, zur Bewerbungsmappe (…) oder zum Bewerbungsgespräch. Diese Tipps sind artig und tun niemandem weh. Überragend hilfreich fand ich sie nicht, vor allem sind sie ziemlich lieblos (Text, Bulletpoints) dargeboten. Keine Videos, keine Anleitungen, keine Tutorials, keine Übungen. Von der Generation Youtube, die sich die Welt gern von LeFloid und Co. erklären lässt, hat man hier scheinbar noch nicht so viel gehört. Da bietet mE z.B. die Bewerberakademie auf der Karriere-Website von RWE deutlich mehr…

Dann gibt es noch (viertens) eine Rubrik “In der Ausbildung” – was darf ich?, was muss ich?, mehr muss man hierzu auch nicht sagen – und (fünftens) einen Veranstaltungskalender, in dem Ausbildungsmessen wie stuzubi oder Einstieg aufgelistet werden. Dieser Kalender ist mE überaus lieblos und bietet außer Veranstaltungsnamen, -datum und -ort gar nichts. Möglicherweise möchte man sich diesen Eintrag bei den Gelben Seiten von den Veranstaltern der Messen perspektivisch bezahlen lassen, immerhin ist ein Link von einer Pagerank 7 Seite ja durchaus was wert (etwa 500 Backlinks von Pagerank 3 Seiten, wenn ich tief im Hinterkopf nach altem SEO-Wissen krame…), aber auch hier wird man den Eindruck nicht los, dass man bei der Gestaltung des Ausbildungsnavigators irgendwie scheinbar an vieles gedacht hat, aber nicht an den Nutzer, den Schüler, den Ausbildungsinteressierten. Dieser findet z.B. zur Einstieg Dortmund im September einen Eintrag wie diesen…

Ausbildungsnavigator_Veranstaltungen

… aber er erfährt nichts darüber, was das für eine Messe ist, warum sie für ihn interessant sein könnte, geschweige denn, wo er sich denn mal im Detail informieren könnte. Ach doch, er weiß ja: Gelbe Seiten aufschlagen, da findet man ja Klempner und Squashhalle… Und ausgerechnet hier wurde auf die ansonsten sehr dominante Bebilderung durch Stockfotomaterial verzichtet, was den nüchternen Eindruck noch verstärkt.

Kommen wir schließlich zum letzten Menüpunkt: Unternehmen…

Hier finden sich aktuell genau 11 Unternehmensprofile, bei denen es sich bei sieben um Profile verschiedener BMW-Werke handelt. BMW ist für acht Wochen als erster großer Unternehmenskunde auf der Seite vertreten und hat dort auch für diesen Zeitraum seine insg. 1200 Ausbildungsplätze eingestellt.

Hmm, ich würde allerdings eher sagen “einziger” größerer Unternehmenskunde, so dass man sich als Nutzer schon fragt, warum man sich auf dem Ausbildungsnavigator über Ausbildungsberufe bei BMW informieren sollte (oder danach suchen, sieht man mal von den Defiziten der Suche, s.o., ab…) und nicht gleich auf die entsprechenden Karriere-Website bei BMW selber geht…

Mein Fazit:

Ne, so wird das nichts. Ausbildungsmarketing mag (noch) ein gewisses Nischenthema im Personalmarketing sein. Gleichwohl wird dieser Markt inzwischen von einigen Anbietern überaus professionell bespielt – zu nennen sind hier vor allem AZUBIYO, Ausbildung.de und natürlich blicksta. Dort spürt man jeweils Herzblut und das sieht man den entsprechenden Auftritten folgerichtig auch an.

Beim Ausbildungsnavigator wurde ich irgendwie die ganze Zeit den Eindruck nicht los, dass es vor allem darum geht, die Muttermarke Gelbe Seiten zu stärken (irgendwie exemplarisch dafür: Drückt man oben auf den Homebutton landet man nicht etwa auf der Home des Ausbildungsnavigators, sondern auf der Home von gelbeseiten.de) und nicht darum, jungen Menschen bei der Findung des beruflichen Wegs nach Schule zu helfen. Die einzelnen Inhalte greifen nicht ineinander und der Nutzer wird nicht mit seinen Bedürfnissen und offenen Fragen abgeholt… “Navigieren” tut hier nicht viel…

Dafür auch irgendwie symptomatisch: Ich habe keinerlei Information über den gesamten Themenkomplex “Studienorientierung” gefunden. Klar, das kann man als Portalbetreiber ausklammern und sagen “wir informieren nur über die berufliche Ausbildung”, aber für rund die Hälfte der jährlich rund 840.000 Schulabgänger in Deutschland kommt nach der Schule eben nicht die (duale) Berufsausbildung, sondern ein Studium. Und viele wissen eben nach der Schule noch nicht, ob sie das eine oder das andere (oder die Zwischenform des dualen Studiums) für sich wählen sollen. Bei einer Seite, die sich Ausbildungsnavigator nennt, aber dieses für viele zentrale Entscheidungsproblem noch nicht einmal benennt und durch entsprechende Querverweise auf Seiten wie hochschulkompass.de oder andere zumindest auf dem Radar hat, stellt sich mir schon die Frage, wie tief man sich in die Lebenswelten der Zielgruppe reingedacht hat…

Ich bin gespannt, wie Ihr den Ausbildungsnavigator so findet. Feuer frei in den Comments…

P.S.: Wer sich etwas tiefer in das Thema der Berufsorientierung einarbeiten möchte, dem sei das brandneue Buch von Tim Brüggemann und Ernst Deuer (Hrsg.) “Berufsorientierung aus Unternehmenssicht” ans Herz gelegt – ich durfte mich darin auch ein wenig austoben…

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