Immer wieder begegnet einem das Argument, dass es beim Einsatz von Testverfahren nicht so wichtig oder sogar schädlich sei, wenn diese ansprechend, informativ oder nach Marketinggesichtspunkten gestaltet werden. So schrieb HR-Diagnostics Vorstand Andreas Frintrup beispielsweise vor einiger Zeit in einem Interview auf der Competence Site, dass…:
„…alles, was spielerische Komponenten beinhaltet, gegen Null rückläufig ist. Das ist auch gut so, denn eine vernünftige Diagnostik setzt auch einen ernsthaften Charakter der Diagnosesituation voraus. Begriffskreationen wie „Recrutainment“ waren von jeher falsch: Recruiting und Personalauswahl ist für beide teilnehmenden Parteien ein wichtiger und langfristig wirksamer Prozess, dessen Bedeutsamkeit nichts mit Entertainment zu tun hat. Angesichts medialer und arbeitsmarktlicher Entwicklungen ist es heute auch in Zielgruppen wie Auszubildenden nicht mehr möglich, Bewerbungsspiele zu positionieren. Aus diagnostischer Sicht ist dies zu begrüßen.“
Nun, auch wenn hier sicherlich ein gewisser wettbewerblicher Seitenhieb auf die „Recrutainment Company“ CYQUEST drin stecken mag, ist diese Aussage nicht nur aus unserer (sicherlich genauso subjektiven) Sicht falsch, sondern auch aus wissenschaftlicher Warte.
Sehr schön dargestellt wird dies in der Doktorarbeit „Medieneinsatz in der Eignungsdiagnostik – Empirische Untersuchung zur Validität eines medial variierten Personalauswahlverfahrens“ von Timm Hüttemann, die dieser 2008 an der Uni Münster bei Prof. Hanko Bommert und Prof. Uwe Peter Kanning (jetzt FH Osnabrück) verfasst hat. Dort heisst es in Abschnitt 2.3.3:
„Aus Sicht des Anwenders mag die Forderung, dass ein Verfahren die Fähigkeiten eines Probanden zuverlässig misst und über eine hohe prädiktive, kriterienorientierte Validität verfügt, weiterhin an oberster Stelle stehen, sollte aber nicht als erschöpfendes Kriterium bei der Auswahl eines Verfahrens gelten.“
Und weiter:
„So weisen einige Autoren darauf hin, dass die Bewertung eines diagnostischen Verfahrens durch einen Probanden insofern einen Einfluss auf dessen Performance haben kann, als dass seine Leistung von Bewertungsängsten oder einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Verfahren beeinflusst werden können (Arvey, Strickland, Drauden & Martin, 1990; Chan & Schmitt, 2004; Chan, Schmitt, DeShon, Clause & Delbridge, 1997).
Im Extremfall senken eine niedrige Motivation oder eine negative Einstellung zum Test sogar die Kriteriumsvalidität, also das wohl wichtigste Testgütekriterium, wie Schmitt und Ryan 1992 anhand des „School and College Ability Tests“ nachgewiesen haben.
Bezogen auf den Aspekt „Außenwirkung des Unternehmens beim Einsatz eignungsdiagnostischer Instrumente“ schreibt Schmitt:
„Danach könnten diagnostische Verfahren, zum Beispiel in der Personalauswahl, auch als Instrumente des Personalmarketings verstanden werden und somit, bei einer positiven Wahrnehmung des Probanden, auch zu einem positiven Bild des gesamten Unternehmens führen.“
Schließlich führt Schmitt basierend auf dem “Model of Applicants Reactions to Employment Selection Systems” nach Gilliland (1993) auch ethische sowie juristische Argumente dafür an, warum beim Einsatz von Tests deren Wirkung auf die Testkandidaten nie aus den Blick verloren werden darf: Zum einen hat ein Auswahlverfahren immer auch Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und die Selbsteinschätzung der Kandidaten, woraus Unternehmen diesbzgl. eine gewisse Verantwortung erwächst. Zum anderen sinkt beim Einsatz fairer und akzeptierbarer Auswahlverfahren auch die Gefahr arbeitsrechtlicher Schritte seitens abgelehnter Kandidaten – mit entsprechendem Imagegewinn und Kosteneinsparungen.
Schöner hätten wir es eigentlich auch nicht sagen können… Das Konzept des Recrutainment hat eben nichts mit „spielerisch“ im Sinne von „albern“ oder „verniedlichend“ zu tun. Wir sind uns der Bedeutung der Personalauswahl sehr wohl bewusst. Dass aber Eignungsdiagnostik nicht staubtrocken sein muss (sollte? darf?), sondern auch simulative, informative und unterhaltsame Aspekte umfassen sollte (muss?), ist für uns genauso klar. Wir bewegen uns nämlich auf Arbeitsmärkte zu, in denen vor allem der Kandidat auswählt und erst dann das Unternehmen…
Wer übrigens Interesse hat das CYQUEST Interview auf der Competence Site zum Thema Online Assessment zu lesen, der findet dieses hier.
3 Gedanken zu „Warum der gesamte Auswahlprozess ansprechend gestaltet sein sollte“