Online-Assessment in der Personalauswahl – Interview Teil 1

Vergangene Woche haben mein Kollege Dr. Kristof Kupka und ich in der XING Gruppe Personalmanagement und Führung der DGFP ein Interview zum Einsatz von Online-Assessment Verfahren in der Personalauswahl gegeben. Befragt wurden wir von Wolfgang Brickwedde, Geschäftsführer des Institute für Competitive Recruiting. Das komplette Interview ist hier nachzulesen. Da nicht immer zwingend vorausgesetzt werden kann, dass jeder XING- bzw. XING-Gruppenmitglied ist, werde ich über die nächsten Tage das Interview in drei Teilen hier nochmal wiederholen. Heute Teil Eins:

Wolfgang Brickwedde: Was kann man sich eigentlich unter eAssessments oder Recrutainment vorstellen?

Joachim Diercks: Man muss grundsätzlich zwei Ausrichtungen des Online-Assessment unterscheiden:

Einerseits wirkliche eAssessment Verfahren und andererseits sog. SelfAssessment Verfahren. eAssessments sind eignungsdiagnostische Testverfahren, die von Unternehmen zur Abschätzung der beruflichen Eignung oder Passung eines Bewerbers im Rahmen der Personalauswahl, genauer gesagt Personalvorauswahl, eingesetzt werden und die über das Internet durchgeführt werden. Die Testteilnehmer sind dabei in der Regel namentlich bekannt und die Testergebnisse fließen in die Vorauswahlentscheidung des Unternehmens ein. Die Online-Tests werden in den Personalauswahlprozess derart integriert, dass nach einer Vorauswahl auf Basis der Lebenslaufinformationen (z.B. im Rahmen eines Bewerber-Management-Systems) die verbliebenen Kandidaten zu einem Online-Test eingeladen werden.

Unter SelfAssessment Verfahren werden hingegen webbasierte Übungen verstanden, die berufstypische Situationen in Form von Selbsttests abbilden und so für den Teilnehmer „erlebbar“ machen. Diese Aufgaben sind ebenfalls unterschiedlich „gut“ zu lösen, aber das Bearbeitungsergebnis, z.B. wie jemand in Relation zu anderen Teilnehmern abgeschnitten hat, wird hierbei einzig und allein dem Teilnehmer gezeigt und dient ganz klar der Verbesserung der Selbstauswahl. Die Teilnahme ist freiwillig, in der Regel anonym oder zumindest pseudonym und das Unternehmen kann das Abschneiden einer Person nicht einsehen. In diesem Zusammenhang begegnen einem auch oft die Begriffe „Realistic Job Preview“ oder „Serious Games“.

eAssessments werden von immer mehr Unternehmen im Rahmen ihrer Auswahlprozesse eingesetzt. SelfAssessments sind momentan z.B. bei Hochschulen ein ganz heißes Thema und werden dort zu Zwecken der Studienorientierung eingeführt.

Auch wenn es also definitorische Unterschiede gibt, ist es uns immer ganz wichtig zu unterstreichen, dass sowohl Selbstauswahl als auch Fremdauswahl jeweils dem Bereich der „Personalauswahl“ zuzurechnen sind, weil beide Aspekte – richtig gemacht wohlgemerkt – die Trefferquote positiv beeinflussen. Insb. die Kraft der Selbstauswahl wird oft unterschätzt bei der Beantwortung der Frage, was eine Auswahlentscheidung eigentlich „gut“ macht… Und manchmal sind die Übergänge auch fließend, etwa wenn Unternehmen sowohl für Interessenten frei zugängliche Selbsttests zur Orientierung anbieten als auch nachgelagert dann geschlossene „wirkliche“ Testräume für Bewerber, also eAssessments, vorsehen. Die oft strikte Trennung zwischen Selbstauswahl und Fremdauswahl, die sich in vielen Unternehmen ja auch immer noch in der organisatorischen Trennung zwischen Recruiting einerseits und Personalmarketing andererseits ausdrückt, ist für uns ein Anachronismus. Beides gehört zusammen.
Die Stärken des Internets auszunutzen, um sowohl zu testen – also wenn man so will etwas vom Bewerber zu „nehmen“ – als auch zu informieren, teilweise auch zu unterhalten – also zu „geben“, das nennen wir Recrutainment.

Wolfgang Brickwedde: Wie sind eAssessments im Vergleich zu anderen standardisierten Auswahltests (MBTI, PI, DISC, etc.) zu sehen?

Kristof Kupka: Der Schwerpunkt der Testung in eAssessments liegt zumeist auf Leistungstests mit Schwerpunkt auf berufsbezogener kognitiver Leistungsfähigkeit, d.h. auf zahlen- und sprachgebundener sowie figural-bildhafter Denkfähigkeit. Bei Bedarf werden auch Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit oder Wissensaspekte wie z.B. mechanisch-technisches Verständnis, Rechtschreibfähigkeit oder Englischkenntnisse getestet. In Folge der zunehmend vielfältigeren Darstellungsmöglichkeiten im Internet ist zudem ein deutlicher Trend zu Applikationen zu erkennen, die eignungsdiagnostische Aufgaben simulativ in einen berufsrealistischen Arbeitskontext einbinden, statt einfach itembezogen zu testen. Durch die Bearbeitung ganzheitlicher Aufgabenstellungen (z.B. die Erstellung eines Personaleinsatzplans oder die Bearbeitung einer Case Study) und die Integration von sog. „Störern“ (wie z.B. Telefonanrufe) werden nicht nur erweiterte eignungsdiagnostische Zielsetzungen erfüllt (Abfrage von z.B. Planungs- und Problemlösekompetenz, Führungskompetenz), sondern Bewerber lernen zusätzlich etwas über das Unternehmen. All diesen Verfahren ist aber gemeinsam, dass es in der Regel ein „richtig oder falsch“ oder zumindest ein „besser oder schlechter“ bei der Bearbeitung gibt.

Die Testung berufsbezogener Persönlichkeitsmerkmale hingegen – und in diese Kategorie fallen ja die in der Frage genannten Verfahren – spielt im eAssessment eine eher untergeordnete Rolle. Dies liegt daran, dass – zumindest innerhalb einer Auswahlsituation – immer das Problem der „Sozialerwünschtheit“ auftritt. Die Kandidaten lassen sich bei der Beantwortung der Fragen mehr oder weniger davon leiten, was sie denken, was ihre Bewerbungschancen erhöht, nicht unbedingt was sie selber von sich denken.
Wir haben auch standardisierte Persönlichkeitsskalen in unserem Portfolio und diese werden auch im Rahmen von eAssessments eingesetzt, aber wir raten unseren Kunden dazu, deren Ergebnisse – im Gegensatz zu den Ergebnissen der Leistungstests – nicht als hartes Auswahlkriterium einzusetzen, also um Kandidaten auszusortieren, sondern eher als „flankierenden Erkenntnisgewinn“. Wenn also ein Kandidat im Test z.B. Auffälligkeiten beim Merkmal „Leistungsmotivation“ zeigt, dann sollte er daraufhin nicht aussortiert werden, wohl aber ihm im Gespräch oder im Präsenz-AC an dieser Stelle etwas genauer auf den Zahn gefühlt werden…

Wolfgang Brickwedde: Was sind die Vorteile von eAssessments für Unternehmen?

Joachim Diercks: Für Unternehmen liegt der Vorteil des Einsatzes von eAssessments natürlich erstmal in einem Effizienzgewinn. eAssessments setzen hier die Logik der Online-Bewerbung an sich fort, weil auch hier die gleichen Vorteile wirken: digitaler Workflow, datenbankgestützte Selektionsmöglichkeiten, 24/7 Verfügbarkeit usw. eAssessments erweitern aber die Möglichkeiten der Selektion, weil nicht mehr nur biografische (Lebenslauf-) Bewerbermerkmale in die Vorauswahl einbezogen werden können, sondern darüber hinaus auch getestete Eigenschafts- und Verhaltensmerkmale. Diese konnten früher nur in Face-to-Face-Prozessen ermittelt werden.

Unilever etwa spart bei der Traineevorselektion durch das eAssessment „unique.st“ allein in Deutschland jährlich gut 80.000 € an Reisekosten. Bedenkt man, dass Unilever das Instrument aber in mehr als 10 Ländern weltweit einsetzt, worunter sich auch flächenmäßig viel größere Länder als Deutschland befinden, z.B. Brasilien, kann man das Einsparungsvolumen allein an Reisekosten insg. noch einmal deutlich hochsetzen. Zudem – und dass ist bei steigendem Wettbewerb um Talente sicherlich ein an Bedeutung stark zunehmender Aspekt – wird der Vorauswahlprozess enorm beschleunigt. Bei Unilever ist das oft innerhalb von 14 Tagen durch.

Aber eAssessment wirkt auch qualitativ mit umso größerer monetärer Wirkung. Unser Kunde TARGOBANK – früher in Deutschland unter dem Namen Citibank bekannt – berichtet, dass seit dem Einsatz des eAssessments bei 10 zum finalen Assessment Center eingeladenen Kandidaten durchschnittlich vier einen Ausbildungsvertrag angeboten bekommen. Vorher waren es durchschnittlich nur zwei. Das heißt wiederum bei gleicher Anzahl zu besetzender Stellen, dass man sich die Hälfte der durchzuführenden ACs sparen kann, mit gleichem Resultat. Bei mehreren Tausend Euro Kosten pro AC ist das am langen Ende richtig Geld…

Schließlich geht auch von eAssessments ein Imagegewinn aus. Diese sind nicht nur modern und – sofern entsprechend gestaltet – auch informativ, sondern sie bieten ja auch dem Bewerber einen echten Nutzen, weil die Teilnahme bequem und erheblich stressreduziert selbstbestimmt am eigenen PC erfolgen kann.

Fortsetzung: Teil 2.

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