Remote-Online-Assessment: Auswahltests, die von zuhause bearbeitet werden? Was spricht eigentlich dafür? Was dagegen?

Wir bieten Online-Assessment-Lösungen ja inzwischen seit beinahe 17 Jahren an, aber speziell in den letzten zwei Jahren hat die Nachfrage danach noch einmal so richtig hochgedreht.

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Das bezieht sich in allererster Linie auf den Einsatz bei der Auswahl von Zielgruppen, die in sich noch ein hohes Maß an Homogenität aufweisen und bei denen oftmals auch größere Bewerbungsvolumen zu bewegen sind, d.h. Schüler/Auszubildende/Dual-Studierende sowie Studierende/Praktikanten/Trainees/Direkteinsteiger, aber es sind auch Tendenzen erkennbar, dass zunehmend seniorere Zielgruppen ins Visier genommen werden.

Auch ist Online-Assessment keineswegs mehr nur ein Thema für “die ganz Großen”. Der Mittelstand hat unzweifelhaft das Thema für sich entdeckt – Digitalisierung lässt grüßen…

Viele Unternehmen, die Online-Assessment einführen wollen, haben dabei auch vorher schon eignungsdiagnostische Testverfahren im Rahmen ihrer Auswahlprozesse eingesetzt, aber oftmals als Pen&Paper-Tests, die vor Ort beim Unternehmen zu absolvieren waren.

Das ist natürlich schon mal insofern begrüßenswert, dass man hier offenkundig erkannt hat, dass die Qualität der Auswahlentscheidung bei Einbindung valider Testverfahren insgesamt steigt. Allerdings – und das ist oft auch einer der Antreiber dieser Unternehmen – ist die Durchführung “auf Papier” und vor Ort regelmäßig mit einer ganzen Reihe an Nachteilen verbunden.

Die Nachteile von Pen&Paper-Tests gegenüber automatisierten Verfahren liegen dabei sehr offensichtlich auf der Hand:

  • Komplexe Schulung der Testleiter erforderlich (Testheft, Testleiterhandbuch, Antwortbogen, Auswertungsanleitung inkl. Schablone, Auswertungsprotokoll, Zeinahme, erlaubte/nicht-erlaubte Hilfsmittel usw.),
  • händische Auswertung (zeitintensiv), somit auch
  • häufigere Fehler durch händische Auswertung,
  • keine direkte digitale Verfügbarkeit der Testergebnisse inkl. Übernahme in Bewerber- und Talentmanagement-Programme. Somit entweder Aufwand, die Testergebnisse in irgendein System zu überführen (erneute Fehlerquelle) oder eben es gibt eben schlichtweg keinen digitalen Workflow, z.B. die Möglichkeit zur dezentralen Einsichtnahme in die Testergebnisse etc..
  • Deutlich größere Gefahr, dass Testinhalte in Umlauf geraten (etwa durch Kopien etc.)
  • usw.

Aber man könnte ja auch argumentieren, dass man zwar die Papiertests durch computergestützte Tests ersetzt, aber die Durchführung vor Ort – “unter Aufsicht” – beibehält.

Wir haben daher mal ein paar Punkte hierzu gesammelt:

Was spricht eigentlich dafür, die Testdurchführung zum Bewerber nach Hause zu verlagern (“remote”) und was dagegen?

Vorweg: Es spricht jede Menge dafür, die Testdurchführung auch räumlich zum Bewerber zu verlagern und sehr sehr wenig dagegen. Aber nicht dass Ihr mir jetzt kommt mit “klar, das müsst ihr als Anbieter von Online-Assessments ja sagen”… Für CYQUEST ist es geschäftlich egal, ob ein Kunde das Online-Assessment vor Ort oder remote durchführen lässt. Technisch ist das nahezu das gleiche.

Nein, wir glauben wirklich – und ich denke aus guten Gründen – dass eine Remote-Testung sinnvoller ist.

Warum?

Die Hauptpunkte, die für ein Remote-Online-Assessment sprechen, sind:

  • Es ist für die Bewerber wesentlich komfortabler, das Online-Assessment am heimischen PC zu machen.
  • Es bietet eine hohe Flexibilität und kommt dem Bewerber somit sehr entgegen.
  • Durch die unkomplizierte Organisation werden die Schwellen für Bewerber niedrig gehalten, was dazu führt, dass mehr Bewerber in den Pool der Getesteten kommen und das Unternehmen dadurch eine bessere Auswahl hat.
  • Es ist keine Reise notwendig, was für den Bewerber sehr angenehm ist (weniger Zeit- und Planungsaufwand).
  • Die Unkompliziertheit sorgt für geringe Prozesshürden, sodass die Dropoutquote niedriger ist und das Unternehmen aus einem größeren Pool an Kandidaten schöpfen kann.
  • Dadurch, dass der Link für die Zeit der Gültigkeit 24/7 erreichbar ist, kann der Bewerber seinen persönlichen Zeitpunkt für optimale Leistungen wählen. Die Ergebnisse sind somit weniger mit dem individuellen Tages- und Leistungsrhythmus eines Bewerbers konfundiert, als das bei Präsenzterminen, die per se zu einem festen Zeitpunkt stattfinden, der Fall ist.
  • Es ist wesentlich schneller, da die ganze Organisation eines Präsenztermins entfällt und kein Termin gefunden werden muss. Der Bewerber kann direkt loslegen, wenn er den Link bekommt und die Ergebnisse sind für Recruiter sofort zugänglich nach Absolvieren des Online-Assessments.

Butter bei die Fische: Das ist nicht Meinung, sondern empirisch belegt.

  • Eine Befragung (Uni Flensburg) von beinahe 1000 realen Teilnehmern eines Remote-Online-Assessments zeigte, dass die Bewerber das Online-Assessment sehr positiv bewerten. Vergleicht man die Akzeptanz dabei mit vergleichbaren Intelligenzstrukturverfahren, so zeigt sich, dass die Gesamtbeurteilung und die Augenscheinvalidität von Online-Assessments höher eingeschätzt werden bei gleich hoch eingeschätzter Messqualität.

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  • Aspekte, die Bewerber sehr positiv finden und die besonders bei der Bearbeitung von zu Hause aus zum Tragen kommen, sind die freie Zeiteinteilung und die Möglichkeit, zwischen den Tests Entspannungsphasen einbauen zu können.

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  • Bei einem Vergleich zwischen einem Präsenzverfahren (Pen&Paper) und einem Remote-Online-Assessment (N insg. = 1036 Personen) zeigte sich, dass die Absprungrate bedeutend niedriger in der Online-Assessment-Gruppe ist. Die Gefahr also, dass sich ein Kandidat selbst aussortiert, weil er keine Lust hat, einen Test zu machen, ist bei der Remote-Testung dramatisch geringer. In Zeiten von War for Talent sollte das jedem Personaler zu denken geben…

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  • Insbesondere ist hier auch interessant, dass die Online-Tests als weniger aufwändig eingeschätzt und die freie Wahl des Zeitpunktes als Vorteil empfunden wurde.

Übrigens: Wenn im Zusammenhang mit der Testdurchführung Kandidaten absprangen, dann VOR dem Test, d.h. sie nahmen gar nicht erst daran teil (bei Online-Tests liegt dieser Wert nur eben deutlich niedriger). WENN das Online-Assessment allerdings angefangen wird, dann machen es auch beinahe alle (93-99%) komplett fertig. Das Online-Assessment an sich schreckt also nicht mehr ab.

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In dieser Untersuchung konnte auch eine deutliche zeitliche Ersparnis im Prozess nachgewiesen werden. Der Auswahlprozess unter Einbindung eines Remote-Online-Assessments ist dabei substantiell schneller (hier 21 Tage oder 24%). Der größte Geschwindigkeitsgewinn stammt dabei aus dem Online-Assessment selber. Die Erlangung eines Testbefunds geht deutlich schneller (hier erstaunliche 64%!).

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Gut, und dass ein Online-Assessment auch noch jede Menge weitere betriebswirtschaftliche Einsparungspotentiale bietet, haben wir ja an anderer Stelle schon einmal vorgerechnet.

Es bleibt im Grunde eigentlich nur ein Argument über, das gegen eine Remote-Durchführung und für eine Testung unter Aufsicht sprechen könnte.

Etwaige Manipulationsanfälligkeit…

Als wir anfingen, Online-Assessment in den Markt zu tragen, war das beinahe so etwas wie die Gretchenfrage:

Wie stellen Sie denn sicher, dass es auch der Kandidat selber war, der den Test bearbeitet hat, ohne Hilfe Dritter und unerlaubte Hilfsmittel?

Diese Frage(n) hört man heute auch noch vereinzelt, aber es wird heute sehr viel entspannter diskutiert.

Klar, generell ist es nicht ganz auszuschließen, dass ein Bewerber manipulieren könnte (das gilt im Übrigen aber für die anderen Bewerbungselemente auch, oder was sollte einen Schummler davon abhalten, seinen Lebenslauf zu türken, das Anschreiben von jemand anderem verfassen zu lassen oder mit rudimentären Photoshop-Kenntnissen ein hübsches Zeugnis zu erfinden…?), aber empirisch betrachtet ist Schummeln beim Online-Assessment kein kritischer Punkt.

Zum einen gibt es im Prozess und im Online-Assessment selbst verschiedene Sicherungsmechanismen, die die Gefahr einer Manipulation bedeutend einschränken:

  • Dazu zählt, dass sich der Bewerber in aller Regel registrieren muss, um in den Bewerbungsprozess zu gelangen. Das macht i.d.R. nur ein Bewerber mit ernsten Absichten.
  • Jeder Zugangscode zum Online-Assessment ist nur einmalig verwendbar. Der Bewerber hat also nur eine Chance und würde ein entsprechendes Risiko eingehen, wenn er diese Chance in fremde Hände geben würde.
  • Da jedes Item in den Leistungstests einzeln präsentiert wird und es keine Rücksprungmöglichkeiten gibt, können Aufgaben nur einzeln und nacheinander beantwortet werden. Ein Vor-, Nach- oder sogar Parallelarbeiten etwaiger Arbeitsgruppen ist also nicht möglich.
  • Es werden parallele Testversionen eingesetzt. Das bewirkt, dass eventuelle Lösungslisten, so es sie denn gäbe, für einen Bewerber nutzlos wären, da dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit eine andere Testversion erhält, auf die seine Lösungsliste nicht passt. Allein der Abgleich und die Prüfung, ob denn die Antworten der Lösungsliste zu den gestellten Aufgaben passen, würde so viel Zeit fressen, dass dieser Weg nicht wirklich anzuraten ist. Das ist auch Testteilnehmern schnell klar.
  • Wir finden auch wichtig im Auge zu behalten, dass ein Online-Assessment zur Negativselektion dient. D.h. man möchte damit vor allem Nicht-Geeignete identifizieren, um sich im weiteren Prozess auf die Geeigneten konzentrieren zu können. Für die Positivauswahl, also um den zukünftigen Stelleninhaber zu identifizieren, gibt es weitere Prozessschritte, die ein Bewerber meistern muss. Will sagen: Selbst wenn sich ein Kandidat möglicherweise durch das Online-Assessment erfolgreich durchschummelt, ist er ja noch lange nicht am Ziel…

All dies wird dazu beigetragen haben, dass es erfahrungsgemäß auch gar nicht so viele Manipulationsversuche gibt, wie man theoretisch hätte befürchten können.

Wenn man die Ergebnisse eines Online-Assessments mit einem Retest vor Ort vergleicht, zeigt sich folgendes Bild:

Würde jemand im Online-Assessment sehr gut und im Retest vor Ort sehr schlecht abschneiden, wäre das ein Indiz dafür, das ein Manipulationsversuch vorliegt. Das allerdings zeigte sich in verschiedenen Untersuchungen nur in sehr geringem Ausmaß.

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Will man sich als Unternehmen noch zusätzlich absichern und die Wahrscheinlichkeit von Schummeleien noch weiter senken, haben wir sehr gute Erfahrungen damit gemacht, die Bewerber, wenn Sie vor Ort sind, eine Eigenleistungserklärung unterschreiben zu lassen, in der sie versichern, dass sie das Online-Assessment selbstständig und ohne unerlaubte Hilfe gemacht haben. Man kennt solche Erklärungen etwa von Bachelor-, Master- oder Doktorarbeiten. In diesem Kontext kann man sie evtl. noch mit dem Hinweis versehen, dass diese bei Einstellung auch den Weg in die Personalakte findet.

Erfahrungsgemäß baut das eine sehr hohe Hürde auf und hier zu lügen setzt auch eine gewisse „kriminelle Energie“ voraus – immerhin ist das in etwa so wie das Fälschen eines Zeugnisses.

Und wenn man all das noch nicht für sicher genug hält, können natürlich vor Ort mit den denjenigen Kandidaten, die das Online-Assessment vorher erfolgreich durchlaufen haben, auch noch einmal Retests durchgeführt werden. Auch hierzu gibt es haufenweise empirische Befunde, die höchstens ein – aufgrund von Erfahrungs- und Lerneffekten auch theoriekonformes – besseres Abschneiden vor Ort bescheinigen. Ein Indiz für Schummeln beim Remote-Test wäre aber bestenfalls ein substantiell schlechteres Ergebnis, was aber höchst selten vorkommt.

Fazit:

Es spricht eigentlich nichts mehr für Papiertests. Und wenn man auf Online-Assessment umsteigen will, kann man dies mit gutem Gewissen auch gleich in Form von Remote-Tests tun.

Die Beweislage ist erdrückend… ;-)

Ach ja – “Remote” Online-Assessment heißt nicht “mobile”. Nur weil jemand die Tests nicht vor Ort beim Unternehmen unter Aufsicht durchführt, heißt das nicht, dass diese “irgendwo unterwegs” absolviert werden, auch wenn die Durchführung auf mobilen Endgeräten wie Tablets geht. Wer in die Thematik “Mobile Assessment” tiefer einsteigen möchte, dem sei dieser kürzlich erschienene Beitrag ans Herz gelegt…

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