Vorhandene Qualifikationen bei Flüchtlingen und Zuwanderern – Studienergebnisse

Ich habe vorgestern Abend beim heute-journal mal drauf geachtet – mehr als 80% der Meldungen standen irgendwie in Bezug zur aktuellen Flüchtlingsdebatte: Außen- und sicherheitspolitisch (Waffenstillstand in Syrien, Grenzschließung in Griechenland…), aber natürlich auch innenpolitisch (Clausnitz, Bautzen und natürlich die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der CDU vor dem Hintergrund der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zu Obergrenzen und Kontingenten…).

Der Rest: Trump (von dem man nur hoffen kann, dass er mit der Flüchtlingsproblematik nie was zu tun bekommen wird), Wetter und Sport (wobei, kam Sport überhaupt vor…?).

Es ist DAS Thema unserer Zeit.

Ich bin mir sicher, dass die zweifelsohne große Herausforderung der Integration am Ende gelingen kann und wird. Und ich glaube, dass einer der, wenn nicht sogar der Schlüssel zu einer gelungenen Integration in einer gelungenen Integration in den Arbeitsmarkt liegt.

Zunächst einmal: Ohne Zuwanderungseffekte wird die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland in den nächsten 15 Jahren um bis zu acht Millionen auf rund 37,5 Millionen sinken. Im Jahr 2050 würden wir bei gerade noch 29 Millionen angekommen sein.

Das heißt, “rein quantitativ” stellt sich die Frage überhaupt gar nicht. Wenn auch in der Zukunft noch irgendjemand da sein soll, der ältere Menschen pflegt oder die Maschinen baut, die Deutschland in die Welt exportiert, brauchen wir dringend Zuwanderung.

Und zwar nicht zu knapp.

Aber klar – das ist natürlich dennoch kein Selbstgänger. Die Integration in den Arbeitsmarkt bedarf großer Anstrengungen und hängt einerseits sehr stark von den Rahmenbedingungen des Zugangs ab (Anerkennung von Abschlüssen und Zeugnissen etc.), wo noch vieles hakt und andererseits natürlich vor allem – neben der Sprache Deutsch – von vorhandenen Kompetenzen und Qualifikationen sowie deren Verwertbarkeit.

Welche Qualifikationen und Kompetenzen bringen Flüchtlinge und Zuwanderer mit?

Umso erstaunlicher, dass es so wenig Begleitforschung zu der Frage gibt, welche Kompetenzen Zuwanderer eigentlich mitbringen. Man führt diese Debatte weitestgehend auf Meinungen und Stereotypen, was das Ganze zu einem gefundenen Fressen für Häscher und Hetzer speziell vom rechten Rand macht.

Ich habe vor ein paar Wochen mit einiger Resonanz die Ergebnisse eines Pilotprojekts des österreichischen Arbeitsmarktservices zur Kompetenzfeststellung bei Flüchtlingen veröffentlicht. Diese zeichneten ein verhalten positives Bild. Da wird durchaus eine ganze Menge, was unseren Arbeitsmärkten weiterhelfen kann. Wenngleich man bzgl. der Untersuchung aus Österreich sagen muss, dass die Fallzahl der in die Betrachtung eingeflossenen Personen noch relativ gering war.  D.h. Untersuchungen dieser Art sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestenfalls Blitzlichter, den Raum ausleuchten können sie noch nicht.

Ich habe mir nun einmal eine andere Studie vorgenommen.

Die Veröffentlichung trägt den wunderbar eingängigen Titel:

Zwischenauswertung im Rahmen der Programmevaluation zur 2. Befragung zur Qualifikation der Teilnehmenden der Projekte des ESF-Bundesprogramms zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge mit Zugang zum Arbeitsmarkt II

Diese Untersuchung liefert ebenfalls sehr spannende Befunde. Allerdings muss man auch hier Abstriche machen: Die Veröffentlichung stammt aus dem Mai 2014, ist also bald zwei Jahre alt. Die Daten stammen also durchweg noch aus einer Zeit bevor die Flüchtlingsbewegungen Mitte 2015 so dramatisch zunahmen. Auch dies zeigt, wie dünn hier die Kenntnislage insg. noch ist…

Auch basieren die Ergebnisse hier vor allem auf Personen, die schon ein Bleiberecht haben sowie in erster Linie solche, die im zweiten Arbeitsmarkt beschäftigt sind oder Zugang zu diesem suchen (also solche “mit besonderem Unterstützungsbedarf”). Aber: Die Daten basieren auf Informationen von immerhin rund 20000 Personen.

In der Untersuchung wurden fünf Merkmale betrachtet:

  • Soziodemographische Merkmale,
  • Schulbildung,
  • Studium,
  • Berufswünsche und -ausbildung sowie
  • Berufserfahrungen.

Bei der Ergebnisinterpretation ist wie gesagt immer im Hinterkopf zu behalten, dass es sich um Personen handelt, die im Schnitt schon “länger hier” sind, d.h. man kann die Ergebnisse vielleicht als Bild dessen nehmen, was sich abzeichnet, wenn “sich alles ein wenig gelegt” hat.

Von den Herkunftsländern der untersuchten Personen liegt ein relativ starkes Gewicht auf dem Nahen und Mittleren Osten (Syrien, Irak, Iran, Afghanistan). Bei Frauen spielen auch (ost-)europäische Länder außerhalb der EU eine größere Rolle.

Ergebnisse

Die Soziodemografischen Merkmale klammere ich mal aus, weil es sich bei Alter und Geschlecht nur sehr bedingt um Kompetenzen handelt (sieht man mal von dem oben beschriebenen demografischen Effekt ab).

Wie sieht es mit der Schulbildung aus?

Die große Mehrheit der Teilnehmenden (87,6%) hat eine Schule besucht, allerdings liegen nur bei 23,1% Zeugnisse im Original und bei weiteren 4,5% Zeugnisse in Kopie vor, knapp 70% können keine Zeugnisse vorlegen.

ESF_Dauer_Schulbesuch

Wenn die Teilnehmenden eine Schule besucht haben, dann dauerte die Schulzeit bei über der Hälfte 9 bis 12 Jahre (54,4%) und bei weiteren 28,4% noch 5 bis 8 Jahre; relativ klein ist die Gruppe derjenigen, die – gemessen in Schuljahren – nur über elementare schulische Qualifikationen verfügen (10,5%) oder am anderen Ende des Spektrums mit 13 Jahren oder länger relativ lange zur Schule gingen (6,8%).

Mit 84,2% hat ein großer Teil den Schulbesuch im jeweiligen Herkunftsland absolviert, während nur 15,8% ausschließlich in Deutschland zur Schule gegangen sind:

ESF_Ort_Schulbesuch

Hochschule

Rund 12,5% aller Teilnehmenden (absolut 2.453) haben ein Studium wenigstens begonnen.

ESF_Studium

Soweit Angaben zur Studiendauer gemacht wurden, betrug diese bei jeweils etwa einem Viertel der Studierenden unter 2 Jahre oder über 5 Jahre, die Hälfte der Teilnehmenden studierte 3 bis 4 Jahre.

ESF_Studiendauer

Bei den Studienrichtungen ist Jura mit 27,6% am stärksten vertreten, gefolgt von den Ingenieurwissenschaften mit 13,9% und den Wirtschaftswissenschaften mit 12,8%.

ESF_Studienrichtung

Berufsausbildung

Über eine berufliche Ausbildung verfügen gut 23,8%.

ESF_Berufsausbildung

Die am häufigsten genannten Berufsbereiche sind hier Gesundheitsberufe ohne Approbation, Berufe in der Körperpflege, im Fahr- und Flugzeugbau, aber auch im Hotel- und Gaststättenbereich und im Verkauf.

ESF_Berufsausbildung_Häufigkeiten2

Hier findet sich also durchaus einiges, was auf den gängigen Listen sog. Mangelberufe zu finden ist… Allerdings umfasst diese Betrachtung keine Aussage über das Niveau der jeweiligen Qualifikation.

Berufswünsche

Betrachtet man die Berufswünsche der Befragten, so zeichnet sich ein eher heterogenes Bild: Auf der einen Seite steht etwa ein Drittel mit eher unspezifischen Berufswünschen (sonstige, nicht zuzuordnende Tätigkeiten (23,2%) oder Hilfsarbeiten im Dienstleistungsbereich (9,2%)). Auf der anderen Seite haben etwa zwei Drittel recht konkrete Vorstellungen hinsichtlich ihrer beruflichen Wünsche, wobei hier vor allem personenbezogene Dienstleistungen dominieren. Hierbei gilt: Je “dichter” die jeweilige Person am deutschen Arbeitsmarkt dran ist (also etwa, wenn schon Berufserfahrung vorliegt o.ä.), desto konkreter kann eine Aussage zum Berufswunsch artikuliert werden.

ESF_Berufswünsche

Auch hier zeigt sich durchaus eine gewisse Nähe der genannten Wunschberufe zu den am Arbeitsmarkt bekannten Mangelberufen ab.

Berufserfahrung

Etwa zwei Drittel der Befragten verfügte über Berufserfahrungen, entweder im Heimatland oder in Deutschland.

ESF_Berufserfahrungen

Im Herkunftsland dominieren hierbei Erfahrungen in Fertigungs- und Dienstleistungsberufen. Aber auch an den “beiden Rändern” – bei Aushilfstätigkeiten auf der einen Seite und akademischen Berufen auf der anderen – sind durchaus nennenswerte Anteile zu verzeichnen:

ESF_Berufserfahrungen_Herkunftsland

Mit Blick auf die Tätigkeit in Deutschland ändert sich dann das Bild: Im Vordergrund stehen jetzt bei gut der Hälfte der Teilnehmenden die Dienstleistungsberufe (50,3%). Hierbei häufig genannt: “Bäckerei”, “Alten- und Krankenpflege”, “Verkauf in Gemüseladen”, “Saisonarbeiter in Fabrik”, “Zimmermädchen, Reinigungskraft”, „Kraftfahrer“, „Gabelstaplerfahrer“, usw.. Dies sind Bereiche, in denen von einer höheren Verbreitung atypischer, oftmals geringfügiger Beschäftigung auszugehen ist. Zugleich steigt der Anteil der Tätigkeiten im Aushilfsbereich stark an, während akademische Qualifikationen deutlich abnehmen.

ESF_Berufserfahrungen_Deutschland

Es ist also nicht vollkommen von der Hand zu weisen, dass bei der Tätigkeit in Deutschland eine gewissen Dequalifizierung eintritt, vor allem bei denjenigen mit akademischem Hintergrund.

Fazit

Zunächst einmal: Ähnlich wie bei den Ergebnissen des AMS-Pilotprojekts, zeichnet sich auch hier kein eindeutiges Bild. Auf jeden Fall erscheint es mir aber so, dass bei vielen Zuwanderern ein gehöriges Maß an durchaus verwertbaren Vorkenntnissen vorhanden ist. Wichtig ist hierbei aber auch, dass diese a. nutzbar gemacht werden (etwa, indem Abschlüsse anerkannt und Zugänge zum ersten Arbeitsmarkt formell geschaffen werden) und b. dann auch (adäquat) genutzt werden. Hier sind dann auch Unternehmen gefordert, ein bisschen mehr als “Praktika für Flüchtlinge” sollte es am Ende dann schon werden.

Die Frage jedoch, wie genau Kompetenzen denn möglichst präzise festgestellt werden, vor allem auch deren Niveaus, bleibt weiterhin relativ schlecht beantwortet.

Es gilt nach wie vor, dass “wir”, also Unternehmen genauso wie Vermittler, erheblich besser Fähigkeiten entwickeln müssen, Kompetenzen erkennen und messen zu können. Dazu können Testverfahren gehören, vor allem aber auch die Fähigkeit, mündliche Angaben zu Vorkenntnissen richtig interpretieren und einsortieren zu können.

Wenn jemand sagt, er sei Bäcker (gewesen), dann muss es möglich sein (werden?) zu erkennen, wie gut er wirklich backen kann…

Wir brauchen also eine Art Qualifikationsrahmen. Das ist, wie ein Blick auf die jahrelangen, letztlich aber erfolgreichen Bemühungen rund um die Entwicklung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) zeigen, alles andere als ein leichtes Unterfangen und birgt zudem auch noch jede Menge sozialen Sprengstoff. Aber angegangen werden muss es trotzdem.

Möglicherweise könnten die acht im EQR beschriebenen “Niveaus” ja ein durchaus brauchbarer Startpunkt der Überlegungen sein. Dann würde man das ganze Problem evtl. gleich mit einem durchaus bewährten europäischen Instrument angehen…

Denn: Ich bleibe dabei, es ist letztlich nicht nur lohnend, sondern im besten Merkel´schen Sinne “Alternativlos”.

P.S.: Eine Untersuchung zum Betrachtungsgegenstand “Qualifikationen bei Flüchtlingen” habe ich noch. Diese werde ich in den kommenden Wochen dann irgendwann verbloggen, bleibt dran!

3 Gedanken zu „Vorhandene Qualifikationen bei Flüchtlingen und Zuwanderern – Studienergebnisse

  1. Moin moin, Jo,

    ich bin skeptisch, was die Zahlentransparenz zum Thema Flüchtlinge/Asylbewerber betrifft. Wenn das BAMF keinen Überblick über den genauen Stand der Dinge hat, können Einzelaspekte wie “Arbeitsmarktqualifikationen” auch nicht wirklich stimmig sein. Die Bundesregierung betreibt eine Art Informationspolitik, dass nur “Good News” publiziert werden – alles andere entspräche nicht der “political correctnes”.
    Viele Grüße in den Norden,
    Gerhard

  2. Ich glaube nicht, dass hier gezielt nur “gute” Nachrichten kommuniziert werden. Es gibt durchaus Analysen wie die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (“Auswirkungen der Migration auf den deutschen Arbeitsmarkt”) oder die BAMF Kurzanalyse zu Qualifikationsstruktur, Arbeitsmarktbeteiligung und Zukunftsorientierungen Geflüchteter, die ein recht differenziertes Bild zeichnen.

    Ich glaube das Problem bei den Qualifikationsniveaus hat vor allem mit Problemen bei der Erhebung zu tun. Fehlende Dokumente, falsche Antworten wegen Missverständnissen, Sprachbarriere oder sozialer Erwünschtheit und die Herausforderung, hier überhaupt eine repräsentative Stichprobe aufzubauen.

    Ich habe mir in der letzten Zeit fast alle Studien zu dem Thema angeschaut, die es gibt. Und da stößt man leider immer wieder auf dieselben Probleme.

    Ansonsten gebe ich Jo Recht. Integrationsarbeit muss, in welcher Form auch immer, gemacht werden und da sind auch die Unternehmen in der Pflicht. (Und die tun ja teilweise schon ziemlich viel.) Die Leute sind jetzt nun einmal hier und damit müssen wir irgendwie umgehen.

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